Unterwegs im Magicbus

Monat: Mai 2023 (Seite 1 von 4)

Die Meditation des Fahrens oder: Freies Assoziieren auf dem Highway Nr 11. bis Barwick

Einfahrt Highway Nr 11. Warnung: Achten Sie auf Ihre Tankfüllung. 300 Kilometer bis zur nächsten Tankstelle. Dazwischen mal wieder das große Nichts. Das große Nichts mit einem weiteren Straßenrandschwarzbären darin. Natürlich weiß ich erneut ganz genau, wer er ist. Erkannt. Again. Als Krähe fliegt er weiter.

Endlose Straße im Sonnenschein nach einem reinigenden Gewitter kurz vor Thunder Bay. Rudi pennt auf der Hutablage. Eine Gelegenheit die Hirnwindungen frei zu lassen. Freies Assoziieren als Strechtingübung für die Synapsen. Dreihundert Kilometer ungefähr so:

Über
I am so sorry honey, no vegetables. We are only a small Walmart – bei GaleriaKaufhausgröße.
Über
arktische Wasserscheiden, heading north.
Über
ein Sicherheitsnetz, das so dicht ist, dass man sich nicht mehr bewegen mag.
Über
-springen von Zeitzonen, außerhalb der Zeit, eine Stunde gewonnen.

Über
Donnerbucht bis Rainy rivers,
Black flies, die ganze Hautstücke ausbeißen,
sich selbst immer mitnehmen,
die Instantlebendigkeit, wenn man die Hand aus dem Beifahrerfenster in den Wind hält.

Über
den Segen, keinen Spiegel mehr zu haben – es macht uns alle schöner.
Über
die Schwingen des Adlers über uns – ich weiß, wer er ist.
Über
wieviel mehr Menschsein wir Menschen eigentlich brauchen. Und wieviel weniger auch gut täte.

Und dann sind wir am späten Nachmittag auch schon da:
Kay-Nah-Chi-Wah-Nung (ich gestehe, ich musste abschreiben), heiliger Ort der Ojibwe am Rainy River. Hier gehen die Seelen nach ihrem diesseitigen Ableben am einfachsten in die jenseitige Welt über. Über die Stromschnellen, an ihrer größten Begräbnisstätte Kanadas. Leider sind wir für die Trails hin zum größten Heiligtum etwas spät dran: der Weg dorthin sei 7 Kilometer, weiß Saiyen. Bis 18h sei das nicht mehr zu schaffen. Trotz der gewonnenen Stunde. Außerdem muss man auf Wölfe vorbereitet sein: diejenigen, die für Demut und Gleichheit aller Menschen stünden. Auch das sind wir heute nicht mehr.
Das RoundHouse, den spirituellen Versammlungsort schaffen wir zeitlich und mental aber noch. Und eine Spende in die Gemeindekasse. Auch das ist wichtig.

Ob wir die Trails morgen –bei Gewitterwarnung– angehen können, müssen wir den Wettergöttern des 1.Junis überlassen. Den wohlgesonnenen Wächtern über die EinMonatsGereisten. Schon.

Heute Nacht dürfen wir in Barwick –ganz im Westen Ontarios– zu Hause sein. Freistehend legal erwünscht willkommen.

Die Barwicker haben es so freundlich gestaltet: ihren kleinen Stadtpark, der offiziell auch zum wilden Campen einlädt. Mit öffentlicher Toilette, Feuerstelle, Picknickbänken, Wasser und sogar kostenlosem Strom. Mit Blick auf einen Rainy River, der in schwülem Sommersonnenschein träge vor sich hinfließt. Im Bulli sind es um 19h noch 33 Grad und hier auf meiner Picknickbank in der untergehenden Sonne nur wenig weniger.

So die Götter wollen, wird dies unsere letzte Nacht in Ontario sein. Die ausgedehnten Felder und die großen Farmen ums Eck flüstern schon leise: Manitoba.
Ma-Ni-To-Ba. Wie ein bäuerliches Versprechen, wie warme, frische Milch, frisch gemähtes Heu und seicht wiegende Kornblumen in endlosem sonnengelb.
Manitoba. Vielleicht wird es ein Sommermärchen.
Mit Kartoffelstampferchen in Hotpants. Ohne Spiegel.
Das wär doch was…

Marathon oder Manitou?

Ich finde es spannend, dass alle Religionen am Ort ihrer Originalschauplätze plötzlich Sinn machen – vollkommen egal, wie abstrus sie abseits derer bei genauerer Betrachtung wirken.
Am Ganges fühlt es sich logisch an, dass nur ein Elefant mit einem Stoßzahn für Glück verantwortlich sein kann. Wer sonst? Im Garten Gethsemane war es klar, dass Gott den Kelch am Sohn nicht wird vorüber gehen lassen. Natürlich hat ein Prinz namens Siddhartha in Bodghaya so lange unter einem Baum gesessen bis er erleuchtet wurde. Und natürlich begegnet uns hier plötzlich Manitou in all seinen Erscheinungsformen. Nicht an jeder Straßenecke, aber täglich. Das geht nicht nur den Hochsuggestiblen so.

Beim ersten Kaffee haben wir das magische Plusterhuhn von gestern nicht mehr präsent. Und auch in Marathon –einziger Versorgungspunkt in hundert Kilometern Umkreis– holt uns das Allumfassende Geheimnis noch nicht ein. Und das, obwohl wir mit nur 80km/h unterwegs sind. Ist morgens scheinbar auch nicht die Flotteste: die Große Kraft, die in allen Wesen enthalten ist.

Marathon für seinen Teil ist gänzlich unmagisch und ziemlich geerdet. Hier hält sich nichts und niemand mit Schöngeistigem auf – und mit Magischem schon gar nicht.
Praktisch quadratische Häuser, farblich entblättert, mit einer verklebten Tankstelle, die jeden Preis nehmen kann, weil alle einfach nur wegwollen – und niemand es mehr schafft wegen der lähmenden Trägheit und Lethargie auf den Bordsteigen. Marathon: Niedergang in Allem, ohne Liebe verputzt, Zentrum der Abhalfterung in der Mitte leeren Nichts. Kanadisches Survival der echten Art: vollkommen untauglich für jede Outdoorwerbung, vollkommen fähig den härtesten Winter zu überstehen.
Hier gehen wir einkaufen. Gegen Barkasse.

Sehr “down to earth” nehmen wir die nächsten 300 Kilometer transkanadischen Highway in Angriff, weiterhin mit 80km/h. Es ist mittlerweile kurz vor Mittag. Unser Mittagstief, eine Morgenmuffelige aber nimmt langsam wieder Fahrt. Im Windschatten der großen Trucks schleicht sie sich unbemerkt von hinten an: die deutlich flotter gewordene Große Kraft, die in allen Wesen enthalten ist.

Ein Marathoner würde nun wohl schreiben: “Da fraß ein Schwarzbär am Highway Nr 17.” Ich aber weiß just in diesem Moment genau, wer dieses zottlige, schwarze Tier am Straßenrand wirklich ist. Und warum er dort hockt. Und was er damit sagen will. Manitou am Motorway.
Man muss das nicht verstehen, man darf aber.

Wer ganz und gar keine Verständnisprobleme bei diesem Thema hat, ist der “Sleeping Giant” – unsere heutige Heimat für die Nacht. Wie ein schlafender Riese ruht dieser Vorgebirgszugs am Rande des Lake Superiors. Seine Geschichte ist kompliziert, kann sehr vereinfacht aber so klingen:
Der große Manitou sendete den Ojibwe (hier ansässige First nation) eine Lehrerin namens Nokomis, die weise Tochter des Mondes. Deren Tochter wurde vom Westwind entführt und starb. Nokomis trauerte unstillbar, bis plötzlich eines weißes Kaninchen vorbeigehoppelt kam. Zum Trost nahm Nokomis es an sich und taufte den kleinen Racker Nanabozho, was passenderweise “mein kleines Kaninchen” heißt. Dieses Karnickel wurde im Laufe seines Lebens ein mächtiger Schöpfer und Magier, der heute versteinert am Lake Superior liegt, die Hände gefaltet, den Blick starr gen Himmel gerichtet: The sleeping giant, der genaugenommen eigentlich ein magischer Riesenhase mit gefalteten Pfoten ist. Für Phantasiearme oder Marathoner zumindest. Man muss auch das nicht verstehen, man darf aber.

Ich könnte nun schreiben, dass wir am Abend ein Lagerfeuer mit Blick auf die untergehende Sonne und den schlafenden Riesen entzünden, um die Geister in den Felsspalten zu besänftigen – so wie die Ojibwe das tun. Tatsächlich aber bringen wir eher ein Rauchopfer gegen die Mücken dar. Marathon statt Manitou.

Und dann, als ich glaube, dass dieser Tag beendet ist –auf dem Weg zur wärmsten und schönsten Dusche im ganzen Mai, einmal durch den tiefen Wald– ist er doch plötzlich wieder da: diesmal im Form eines gigantischen, grauen Rehs, das seelenruhig 3 Meter entfernt äst und mich mit großen Augen anschaut. Ich weiß genau, wer das wirklich ist. Und warum er hier rumäst. Und was er damit sagen will.

Man muss das nicht verstehen, man darf aber: darf jeden Tag aufs Neue entscheiden, woran man eigentlich glauben will.
Manitou oder Marathon?
Heute nehme ich ersteres…

Pukaskwa National Park

5 Uhr im Pukaskwa Nationalpark. Noch exakt 50 MInuten bis zum Sonnenaufgang, gerade mag keineR der Globetrottels zugeben, die Idee mit dem Wecker zu Dämmerungsbeginn gehabt haben. Streit wäre jetzt eine gute Lösung, wir versuchen’s aber erstmal mit Kaffeekochen – und sind tatsächlich um halb sechs bereit zum Aufbruch zum Fels über dem See, bewaffnet mit reichlich Kameras und zwei Dose Bärenspray. Letzteres brauchen wir nicht, für erstere gibts reichlich Verwendung…

Der Lonely Panet benennt 4 schöne »Wander«-Routen rund um unser Camp, jede für sich doch eher ein Spaziergang, kombiniert könnte soetwas wie eine kleine Wanderung für uns draus werden.

Erstmal aber auf zum Ranger im Campground-Büro, gestern hatte man uns dort ja verpasst, weil schon geschlossen. Zweimal »Discovery-Jahrespass« please – gut angelegte je 72 Dollar, wir wollen noch in ganz viele Nationalparks – und einen Biberaufkleber für unsere Kiste natürlich sowie Feuerholz, das den Park auf gar gar keinen Fall verlassen darf, eventuell darin hausende Insekten dürfen nicht durchs Land gefahren werden – »Don’t move Firewood«!

Unsere geplante Wanderwegkombination stößt beim Waldwächter auf wohlwollende Zustimmung, Chéries Idee, im See zu baden eher weniger, mehr als 4 Grad Wassertemperatur habe es hier in unserem spiritual Lake wohl nie…

Erste Wanderettape »Bimose Kinoomagewnan«, ein Schild informiert:

Willkommen bei Bimose Kniimagewnan (Spaziergang der Lehren). Die Anishinaabe-Ältesten aus diesem Gebiet versorgen uns mit mächtigen Nachrichten entlang dieses Weges. […] Alle Menschen, die diesen Lehren folgen werden bessere Menschen sein. Die Ältesten sagen, das der Schöpfer diese perfekte Welt geschaffen hat. Wir, die Menschen, haben das Privileg, hier zu leben. Lasst uns diese Welt genießen.

Klingt vielversprechend, und wir bereuen es wirklich nicht, uns an der auf den ersten Metern im Dickicht lauernden Kreatur – einem sich extrem lautstark auf Medizinballgröße aufpumpenden Vogelwesen – so mutig vorbeigetraut zu haben. Die zweistündige Seeumrundung ohne jede menschliche (und auch weitere tierische) Begegnung läßt selbst Chouchou über seine indigene Seele nachdenken… und Chérie entdeckt schon bei der nächsten Infotafel ihre Tendenz zur spirituellen Wanderpredigerin,

Respekt. Minaadendamowin. Repräsentiert durch den Elch.

Respekt bedeutet viele Dinge, aber eines der heiligsten Dinge ist der Respekt vor allen Lebewesen, die der Schöpfer uns gegeben hat. Respektiere das Land, Wasser, Tiere, Pflanzen, Menschen […]

Es folgen Wahrheit, Demut, Liebe und Mut. Schildkröte, Luchs und Adler. Und noch ein paar mehr. Und vor allem ein wunderschöner Weg…

Auf den Lehrpfad der Ältesten folgen dann noch die Strand-Etappe und der Geister-Pfad, auf letzterem beschleunigt sich Chérie Schritt dann nicht mehr aus Angst vor Bären – hier drohen ganz andere und vor allem ältere Gefahren. Wir kommen trotzdem heil und wohlgemut durch den Wald, nach reichlich Gehoppel über Stock und Stein (davon hat’s hier reichlich) irgendwann auch müde genug um uns gegenseitig zu versichern, den allerletztem Umwegabstecher vielleicht nicht mehr machen zu müssen.

Mittagszeit, eigentlich wieder genug Abenteuer für den Tag erlebt. Eigentlich, aber da war ja noch Chéries Idee mit dem Baden, da können auch Ranger und Chouchous nichts dran ändern. Kurz: Sie tut es wirklich. Am absolut menschenleeren Sandstrand um die Ecke – augenscheinlich eine recht frostige Angelegenheit. Den Respekt Chouchous und sämtlicher Geister aus dem benachbarten Wäldchen hat sie auf jeden Fall.

Daß sie das Campfire später mühelos und ohne jegliches Kleinholz ans Laufen bringt verwundert nach dieser Aktion dann auch gar nicht mehr…

Und dann ist es wieder da. Das Vogelwesen von unserem Pfad-der-Ältesten, jetzt nicht mehr aufgepumpt sondern wohlwollend und schützend unser Camp umkreisend.

Magisch.

Von einer Zeremonie, einem Waldbrand und einem Lörracher Roadblock

Mit einem spektakulären Sonnenuntergang in pastell ging die Welt gestern unter. Mystisch wirkende Felsen im Wasser und weiterhin kein Horizont in Sicht am Lake Superior – abends noch bezaubernder als nachmittags, sollten wir unseren Campingnachbarn für die grauenvolle Musik dankbar sein, die sie lautstark bis zehn Uhr aus scheppernden Autoboxen spielten. Ansonsten wäre die Perfektion nicht aushaltbar gewesen.

Kaffee gibt es um 7 Uhr. Der Verkehr am nahe liegenden Highway ist noch nicht losgerollt. Es ist Sonntag, auch unser Discopärchen schläft aus. Das ist gut, denn so können wir nach Kaffee Nummer 2 entspannt mit unserem Schäufelchen in den Wald ziehen.

Das Schäufelchen: eines der drei wichtigsten Dinge, die man zum Überleben im Magicbus braucht. Daneben gibt es nur noch den Handfeger. Und täglich meterweise Zewa.
Monster-Vanlife-Tipp: Ende. You are welcome.

Die Agawa Fels Pictogramme –30 Kilometer von unserem Übernachtungsplatz entfernt– waren als “on the road – mal eben anhalten – und dann weiter” Punkt für die heutige Reise in der Reise geplant. Wir lesen vorab, dass dies ein heiliger Ort der Ojibwe ist, die vor 150 bis 400 Jahren Ockerbilder an den Fels in der Brandung malten, um dem Donnervogel Dank zu zollen.
Wir lasen mit den Augen nur. Uns war ganz und gar nicht klar, dass dieser Ort weiterhin aktiv spirituell genutzt wird.

Und so schliddern wir ganz unverhofft in eine kleine Zeremonie. Gesang und Rasseln schwingen über den ruhigen, klaren Lake Superior, der heute niemanden von den Klippen reißt.
Stattdessen werden wir –zufällig und uneingeladen– Zeugen eines gesungenen Anrufs von wem auch immer: Manitous? Dem Donnervogel? Wir wissen es leider nicht, aber es ist ein Geschenk, dabei sein zu dürfen. Ergreifend, intim, schleusenöffnend. Ein Ströpfchen weinen ist nicht nur erlaubt, sondern vollkommen angemessen. Finde ich zumindest.

Dann kommt über 100 Kilometer erst mal gar nix. Genauso angemessen.

Kurz vor Wawa liegen die Scenic High Falls mit lustigen Totempfählen für Touris. Foto geht, denn ich habe Teile meiner Facon wiedergefunden (Nur den Kringel unter dem “c” finde ich auf dem Computer leider nicht. Sei´s drum.)

Wichtiger als Touritotempfähle ist für uns jedoch der nächste Tim Hortons in der Zivilisation. Denn wir brauchen Kaffee. Und Zucker. Und Wifi. Für Erlangen der weiterhin noch ausstehenden Facon – mit Kringel natürlich, der hier als Donut daherkommt.
Dass ich in einem Monat Kanada 5 Kilo zugenommen habe, soll hier nicht verschwiegen werden. Passiert halt, wenn man ständig nach seiner Facon und entsprechenden Kringeln sucht…

Hinter Wawa kommt 100 Kilometer wieder gar nix.
Umso gruseliger ist es, als wir am Fluchtpunkt des Highways plötzlich eine gigantische Rauchsäule sehen, auf die wir direkt zusteuern müssen.
Was tun? Das Internet befragen? Geht nicht. Radio? Läuft nicht. Umkehren? Same way back to Wawa? Wollen wir eigentlich nicht.
5 Kilometer weiter stehen fünf rußige Feuermänner an der Straße, die fragen wir. „No worry, Ma´am,“, die Straße ist sicher. “Got a couple of fires goin´,” es brennt allerdings nur rechts und links des Highways. Na dann. Weiter geht´s. Allerdings nicht rechts und nicht links. Nur geradeaus, natürlich.

Unverbrannt kommen wir im Pukaskwa Nationalpark an – weiterhin in der großen Hoffnung, nun doch endlich mal einen Elch zu sehen. Angeblich “tummeln” die sich hier im Hinterland. Neben den Schwarzbären.
Am Campingplatz ist kein Personal, man entschuldigt sich dafür am Check-In-Häuschen mit: “Sorry, we´ve missed you.” Trotzdem dürfen wir uns ein Plätzchen im Wald suchen, in dem tatsächlich einiges los ist.
Im Schritttempo rollen wir durch den Nadelwald, Ausschau nach unserem geeigneten Eckchen haltend, als plötzlich eine sonnenverbrannte Frau –Typ Grundschullehrerin– vor den Magicbus springt und Chouchou zu einer Vollbremsung zwingt. “Ah Deutsche!,” brüllt es durch den Forst. Echo in den Bäumen. Wenn hier Elche sein sollten, haben die bereits jetzt für die nächsten Tage Reißaus genommen.
“Wie lange unterwegs? Auch ab Halifax? Aha. Und wie lange noch?” Fragen wie aus der Pistole geschossen, Antwort egal, man will eigentlich nur loswerden, dass man aus Lörrach ist, erst dann wird die Straßenblockade wieder freigegeben. Be-fremd-lich.

Und so endet unser Sonntag am Lake Superior mit einem wilden Potpourri an Erlebnissen:
Erwacht mit endloser Aussicht, am heiligen Ort an einer indigenen Zeremonie teilgenommen, einen Wasserfall bestaunt, einem Waldfeuer entflohen, einen Lörracher Roadblock im Nichts überlebt. Und jetzt gegen wir Sonnenuntergang gucken.

Zum Lake Superior

Den Abend haben wir mit Richard verbracht. Richard – ein zäher, kleiner, kompakter Mensch um die 70, der seine Bestimmung im Wald gefunden hat. Richard kann mit den Steinen kommunizieren und die Adler über Manitoulin mit ihm. Aus seinem Mund klingt das nicht spinnert, in Richards Welt ist das ganz und gar natürlich. Zumindest für Menschen mit Schwitzhüttenerfahrung oder solche, die die 1000 heiligsten Orte der Menschheit besuchen. Wer kann es nicht: dem Ruf der grauen Eule folgen? Laut Richard eigentlich jeder. Nachdem er auf dem Dreamers Rock war (war er), 7 Tage gefastet hat (hat er) und dann von einem Meteorschauer umarmt wurde. Richard hat einfach die Sterne zurück umarmt. Wer würde es auch nicht so machen? Oder sein ganzes bisheriges Leben hinschmeißen und mit 50 nochmal ganz neu anfangen. Dem Ruf der Eule folgend. Ein bisschen Mut gehört dazu und ein guter Glaube. Das hat ihn hier hergeführt. Und die Adler, die nach ihn gerufen haben. Also auch ein gutes Zuhören…

Ich weiß nicht, ob Richard uns aus reiner Menschenfreundlichkeit oder als Dank für unser Zuhören am Ende dieses Abends seinen selbstgezapften Ahornsirup vermacht. Mit dem Hinweis, der gehöre unbedingt in unseren morgendlichen Kaffee, danach sei man nie mehr der Selbe. Leider geht das Fläschchen heute morgen nicht auf. Als die Selben also reisen wir weiter. Die Selben, um einige Erfahrungen reicher. Und seit heute mit einem Fläschchen geheimnisvollem Ahornsirups im Gepäck. Vielleicht muss man es zum Öffnen reiben.

Das Frühstück on the road besteht aus einem Brot, dass uns die Dame im indigenen Supermarkt wärmstens angepriesen hat: der letzte Schrei, gebacken von der First Nation ummeEcke. Macht viel satter als das gängige Weiße und man kann es sogar einfrieren – “denn außer mir mag es keiner”. Stillschweigend genießen wir die Köstlichkeit: echtes Sauerteigbrot, das anscheinend erste und einzige seiner Art in Kanada. Wie gut, dass wir nichts einfrieren können. Und: Wie gut doch gutes Brot ist. Zu Hause würdige ich das viel zu wenig.

Wie viel haben wir schon geschrieben: von der Weite Kanadas!? Von seiner Wildnis und Einsamkeit. Unsere beschränkten Köpfe begreifen kaum, was der Reiseführer über unseren nächsten Reiseabschnitt zu schreiben weiß. Tatsächlich steht dort, dass wir erst ab heute die Zivilisation gänzlich verlassen. Denn erst Sault Ste-Marie sei “das inoffizielle Tor zu den entlegenen Regionen im nordwestlichen Ontario.” Ontario, auf dessen Autokennzeichen steht: “Yours to discover”…ab jetzt also wirklich einsam.

Abseits von Sault Ste-Marie (auch genannt “The Soo”) ist wirklich nicht mehr viel. Nur vereinzelt tauchen Farmen am transkanadischen Highway auf, auf dem jetzt nicht mehr viele fahren. Einmal sitzt eine alte Dame –augenscheinlich Mennonitin und circa 120 Jahre alt– am Straßenrand und verkauft Ahornsirup. An niemanden und sehr wahrscheinlich in Fläschchen, die nicht aufgehen.
See, See, Wald, See, Wald, Wald, See.
Gedanken fliegen vorbei, viele nicht greifbar. Einige schon.
Ein blaues Schild: “Please don´t feed the bears”.
Ein gelbes Schild mit einem Elch in Kampfhaltung.
Ein zotteliger Herr, der seinen Haushalt vor der Garage ausgekippt hat und Flohmarkt veranstaltet. Für niemanden und mit einem Fläschchen in der Hand, das sehr wahrscheinlich viel zu oft am Tag aufgeht. LCBO-Shops (Alkoholausschank) gibt es in dieser entlegenen Region dann doch erstaunlich viele.

Nachdem wir unser idyllisches Ökocamp am Morgen verlassen haben, rechnen wir an diesem Abend –nach 450 Kilometern Fahrt vorbei an See, See, Wald, See, Wald, Wald, See– am ehesten mit einem praktischen Stellplatz für die Nacht, bevor es Morgen ausgeruht weiter gen Westen gehen soll. Praktisch, legal, kostenlos, am Straßenrand. Wir haben die Rechnung ohne Manitous guten Geist gemacht, der etwas anderes für uns bereithält:

Abseits der Straße stehen wir auf einer Wiese (natürlich hinter See, See, Wald und See) direkt am Lake Superior.
Lake Superior: Heiliger See indigener Völker, Grenzsee zu den USA, größter Süßwassersee der Welt. DER See der Seen aller dieser tausenden von Seen, die wir heute gesehen haben. Er hat für uns ein nächtliches Heimatplätzchen in der allerersten Reihe reserviert. Mit Blick in Richtung Sonnenuntergang, Feuerstelle, einem endlosen Horizont am ersten wirklich warmen Tag in Kanada.
Ich bin mir nicht sicher, aber es würde mich nicht wundern, wenn heute Nacht ein Meteorschauer runterkäme.
Seit gestern wissen wir, was dann zu tun:
Im Zweifelsfall einfach die Sterne zurück umarmen.
Nur ein Eulenruftauber würde es nicht so machen…

Digitales Fallobst

Im Oberstübchen des Magicbus hört man alles. Eigentlich ist es wie draußen zu schlafen – nur die Psyche hat eine kleine Barriere als Zeltwand vorgebaut bekommen, so dass man sich seiner nächtlichen Umwelt nicht ganz so ausgeliefert fühlen muss. Antiangstwändchen. Im Oberstübchen des Magicbus gibt es –wenn man ehrlich ist– keinen großen Unterschied zwischen innen und außen. Man schläft –oder schläft eben nicht– mittendrin in der Welt.

Gestern Abend wollte ich nicht einschlafen. Es war zu schön, der Geräuschkulisse zuzuhören: in einem Meer von Nichts ein vereinzeltes Zirpen unsichtbarer Zikaden, ein Restknistern des Feuers, mehr Welt war da nicht fürs Ohr. Schlafbadend in einem Meer von Stille. Die Sterne klingen ja nicht. Sonst wäre es laut gewesen.

Schlussendlich aber hat die Müdigkeit dann doch gesiegt. Bemütztes Ohr auf dem Kissen bis halb acht. Kaffee, anrufen, Dinge bestätigt bekommen, weinen, hoffen, den Tag starten. Heute werden wir die Insel erkundigen. Jackie nennt es “going for an adventure”. Meinetwegen.

Die Breidl Veil Falls stehen als erstes auf dem Programm: Manitoulins hochgerühmter Wasserfall – kanadisch bequem per Auto zu erreichen. Vom Parkplatz drei Schritte, fällt der Fall gute 20 Meter tief ins Becken. Das ist unser Niagara. Wir sind begeistert, snacken einen Creamcheese-Bagel und düsen weiter.

Nächster Halt: Cup and saucer-Trail. Manitoulins hochgerühmter Trail. Zurecht.
Durch ein sonnendurchtupftes, frisch geborenes Ahornwäldchen geht es gut ausgelatscht und stetig bergan durch steiniges Gebiet. Surrealer Traumforst, so lange bis spektakuläre Weitsichten an steil abfallenden Klippen warten. Kristallblaue Seen, bunte Wälder, rosefarbene Orchideen und erneut keine Zivilisation so weit das Auge reicht.

Per Stativ wollen wir ein Foto von uns am Abgrund machen, den Moment festhalten. Irgendjemand anders aber wollte das anscheinend nicht.

Von einer der wenigen Windböen erfasst, kippt das Stativ in Zeitlupe. Markerschütterndes Klirren, als Glas auf Fels knallt. Sofortiger seelischer Schmerz als Übersprungsemotion: dem Geräusch nach zu urteilen, muss man sich das Handy nicht mehr anschauen, um zu wissen: so klingt Exitus. Wir schauen trotzdem.

Wäre es ein echter Apfel gewesen: es hätte nur eine Delle gegeben. Leider aber funktioniert Fallobst noch nicht digital. Sterbend bunte Schlieren auf dem Display, das Apfeltelefon ist hinüber. Byebye Instagramstories. Wir wollten sie eh zurückfahren. Wenn auch nicht so….

Man könnte es als Trostpflaster verstehen, dass Providence Bay als letzter Programmpunkt heute auf unserer To-want-Liste steht.
Nach Providence Bay: rechts am indigenen Friedhof (geht dank Blinker wieder), vorbei an amish-anmutenden Höfen, die nur per Pferdekarren angefahren werden, an der Vereinigung aller Häuptlinge der First Nations auf Manitoulin links, dann nochmal rechts nahe der First Nations Polizei und 25 Kilometer schnurtracks geradeaus.

Dort liegt sie: Eine goldene, einsame Sandbucht am Lake Huron. Bei 20 Grad und Sonnenschein. Ein Trostpflaster, wenn man kein Strandmupfel ist: Providence Bay.

Und so endet unser Tag auf Manitoulin Island weitestgehend undigital. Chouchou wird nun erstmal mehrere Tage versuchen müssen, irgendwelche Backups und Daten zu retten. Um dann zu schauen, wie er wieder überhaupt wieder erreichbar werden kann.
Und so endet unser Tag auf Manitoulin Island, dokumentiert nur durch die schwersteingeschränkten Möglichkeiten, die mir digitaler Legasthenikerin bleiben:
Ein paar verblichene Handyfotos und wolkige Rauchzeichen. Wer ganz genau hinschaut, erkennt oben am Himmel vielleicht einen angebissenen Apfel!? Wohlwissend, dass die wichtigsten Infos auf internen Festplatten gespeichert sind, die -Gott sei Dank- vollkommen unauslöschbar sind.

Weil unsere Erinnerungen vieles sein können:
Weitsichten über Klippen zum Beispiel.
Oder sonnendurchtupfte Ahronwälder.
Oder sterbend bunte Schlieren.
Aber niemals nie Fallobst. Im Frischekorb des Großhirns.

Chill-Adventures im Eco-Camp

Lagerfeuer- und Kaffeegeruch, damit beginnt den Globetrottels ihr Tag. Der Rauch vom Vorabend, der Kaffee frisch. Eine volle Tasse verschüttet im Bulli, von beiden Aromen werden wir noch eine Weile etwas haben…

Akkus laden, dem Bulli seine ist leer. Gut eine halbe Kilowattstunde aus der Stromkiste in den Bull, die dann gleich wieder per Sonnenpower aufgefüllt. Und für uns gibts nochmal die gleiche Portion.

Genug Energie für einen Spaziergang. Oder wie die Einheimischen es nennen: Den Big Trail, knapp 5 Kilometer gelten offenbar schon als große Wanderung. Dementsprechend verwildert ist der Jim Guy Adventure Trail, einmal rund um den Campingplatz, die Strapaze hat scheinbar lange niemand mehr in Angriff genommen. Bewaffnet mit den empfohlenen langen Stöcken (gegen die Bären, die es hier aber gar nicht geben soll) treffen wir als erstes auf eine Eule, die aber soweit harmlos zu sein scheint.

Ein Schild klärt über Jim Guy auf: Der Pfad ist nach dem wortkargen und mittlerweile verblichenen Freund der Campground-Kommune benannt, der hier regelmäßig seine Runden drehte – die für uns möglicherweise gerade überlebensnotwendige Information, wie Jim hier ums Leben kam fehlt leider…
Mutig weiter durch die unterschiedlichen Vegatetationszonen, nach lichtem grünen Wäldchen kommen die Weihnachtsbäume, dann die Wahner-Heide-Landschaft. Hier die nächste Wildtierbegegnung, ein Storch klappert im Tiefflug über uns hinweg. Die Stöcke brauchen wir immer noch nicht.

Und dann sind wir bei den vielfach angepriesenen Fossilien, eine Menge versteinerte Muscheln und andere Tierchen, auch die alle harmlos für uns, ebenso der Hase, der hinter seinem Baumstamm sitzend glaubt, wir sähen ihn nicht. Blöd halt, wenn man so lange Ohren hat.

Ganz schön abenteuerlich, so ein Adventure Trail!

Nach dem Vergnügen folgt dann den Globetrottels ihr harten Reisearbeitsalltag: Kaffeekochen, im Sonnenschein in der WiFi-Zone chillen, Pläne für morgen schmieden, Öl umfüllen und in den Bulli gießen und noch mehr chillen.

Und: Gardinen für die Seitentüre nähen, oder besser: kleben, Chérie’s aus gutem Grund solange aufgeschobenes Großprojekt, eine filigrane und nicht ganz unheikle Angelegenheit – aus Chouchous Sicht eindeutig abenteuerlicher, als unsere morgentliche Abenteuersafari…

»Good Job, Chérie!«

No special needs

Wir suchten indigenes Leben, was wir fanden war eine Ökokommune.

Jackie und Richard und all die anderen haben in der Mitte von Manitoulin einen Ort des Friedens, eine idealistische Oase geschaffen. Ein Ort, an dem man in der Natur zur Ruhe kommen kann. Ein Herzenszentrum abseits von allem, down to earth, rudimentär; die Dinge die da sind, aber werden liebevoll gepflegt. Man spürt, dass hier Menschen ihren Traum verwirklichen. Und wir dürfen am Rande dieses fremden Traums, den man auch selbst träumen kann, parken und ein wenig teilhaben. Für uns der ideale Ort, die letzten drei Wochen sacken zu lassen. Und für einen Moment lang anzukommen.

Eigentlich ist dies ein Ort, an dem Kinder mit so genannten “special needs” gefördert werden. Mit Anbindung an die Natur, an ehrliche Arbeit mit Erde und Tieren, möglicherweise das erste Mal in ihrem Leben mit Anbindung an menschliche Wärme auch.
Momentan aber sind nur Chouchou, der Magicbus und ich zu Gast – einen halben Kilometer abseits des Hauptgebäudes, wo Jackie die ohrlosen Ziegen füttert und Richard Holz schlägt, das wir am Abend verfeuern dürfen. Momentan sind wir die einzigen hier mit “special needs” – auch wenn wir heute erleben dürfen, dass wir eigentlich gar nicht allzu viel brauchen.

Derjenige im Team Globetrottels mit den speziellsten Herausforderungen ist zweifelsohne der Magicbus. Ziperlein hier und Ziperlein da. Heute ist sein Blinker dran. Will er nicht, wir wollen aber: Weil wir einfach keine Lust haben, in Kanada immer erst dreimal links abzubiegen, statt einmal rechts. Also muss das alte Auge raus und ein neues rein.
Es klappt an diesem magischen Ort –oh Wunder!– problemlos und ein bisschen wie von Manitus Geisterhand. Wir können es selbst kaum glauben.

Ansonsten geben wir uns heute dem Genuss des “nicht allzu viel brauchens” hin:
Duschen und Haare waschen, indem man an einem Schnürchen zieht – das Wasser wird sogar warm!– und sich danach super fühlen.
Dankbar für dreieinhalb Leinen frische Wäsche, von Hand gewaschen in gut riechender Ökoseife. Trocknet in kanadisch warmem Wind.

Schattenspiel in frischgrünen Blätter in endlosem Wald.
In offenen Schuhen zum Sternguckercamp hoch – einfach zum Gucken, auch ohne Sterne.

Ziegen ohne Ohren streicheln und ihre ohrlose Schönheit auf den ersten Blick erkennen.

Ein perfektes Feuer entzünden. Ohne Rauch, mit satt knisternden, orangenen Flammen. Beklatscht von exotischem Vogelgesang. Ansonsten braucht es keine Zuhörer.
Warten auf einen Sternenhimmel, der hier näher und dunkler sein soll als irgendwo sonst in Ostkanada.

Wir sollten viel öfter dankbar dafür sein, keine “special needs” anmelden zu müssen.
Einfach, weil all das, was wir wirklich brauchen, bereits da ist:
a) (Weiter als pathetischer Yogiteespruch:)
Die Erde, die uns trägt, ein Feuer, das uns wärmt, frisches Wasser, das unseren Durst stillt und Luft, die uns atmen lässt.
b) (Weiter als Realist:)
Den Luxus, einfach reisen zu dürfen. Als Mensch, nur zufällig geboren in der ersten Welt, unter einem sehr guten Stern. Mit genügend Geld in den Taschen und lediglich einem minimalen Quäntchen Mut aus dem Hamsterrad intermittierend auszusteigen.
Steckt der wahre Luxus wohl vor allem im zweiten Entwurf!?

Dankbar an einem perfektem Lagerfeuer, umgeben vom Geist des großen Manitus, der vielleicht heute Nacht sogar Polarlichter schicken wird
– ganz ohne “special needs”,
Die Globetrottels
(Drink Yogitee, don´t think it.)

Der, der nicht mehr blinkt auf Manitoulin

Gestern schrieb ich noch –ganz nostalgisch– von der Eisenbahn, die so nett tutet auf einer sehr, sehr hohen Brücke, hier in Parry Sound. Gestern um halb zehn wusste ich noch nicht, dass es genau diese nette Bahn sein wird, die uns die gesamte Nacht über den Kopf fahren wird. Und uns mitten im süßen Traum direkt ins Ohr tutet. Selbst Oropax halfen rein gar nichts, denn das Anrollen spürte man im gesamten Körper – bebend zwischen Daunen nachts um halb vier. Transcanadian railway – the real experience.

Immerhin hat´s im ansonsten wirklich sehr netten Parry Sound öffentliche Waschräume – supersauber und für alle: Arbeiter, Muttis, Opiatgeschädigte, die Globetrottels. Ein Klatsch kaltes Wasser ins Gesicht muss es um 7 Uhr richten: Good morning Georgian bay. Eigentlich seh ich besser aus, aber sei´s drum. Ich bleibe dabei: Parry Sound ist ein guter Ort, nachts vor allem für Taube.

Die Spannkraft im Gesicht nimmt auch nicht zu durch zwei Cappuchino (Cappuchini?) und Bosten Creams bei Tim Hortons. Kompensatorisch gibts bestes Internet vor Ort. Zu Hause anrufen, Tatort runterladen, der Bulli bekommt einen Schluck buntes Kühlwasser. Immerhin sind wir nun Walmart-klar. Will sagen: ich trage Socken in Birkenstocks und fühle mich angemessen gekleidet. Stop. Das stimmt nicht. Ich fühle mich schick. Auch wegen des unübertroffenen Urigkeitsniveaus der Kanadier, an dem ich mich nicht satt sehen kann. Ich finde es liebenswürdig bis in die Haarspitzen.

Über eine südfranzösisch anmutende, felsige Landschaft –Steinmännchen überall– rollt der Magicbus uns mit ein wenig Anzugproblemen mittags bis nach Sudbury: weltgrößter Nickelproduzent, für den der Lonely Planet folgende Sätze bereithält:
Sudbury hat eine Menge aus nichts gemacht – wirklich nichts. Oder: Bis 1920 hatten Industrieabfälle … die Bäume getötet, den Boden vergiftet und Sudbury zu einer Einöde mit geschwärzten Felsen gemacht.
Oder: Die Gegend war so kahl, dass in den 60ern NASA-Astronauten hier trainierten.
Wir halten am Großversorgungspunkt mit Tankstelle, JunkFood und Tim Hortons: das Urigkeitsniveau erhält hier einen beige, hustende Rußfärbung.
Hart arbeitendes Volk, teils mit wenig Zähnen bei billigem Kaffee, Möwen kreischen über der trostlosen Szenerie.
Fast wäre man versucht zu bleiben. Weil auch dies Kanada ist. Ein von Touristen gänzlich unentdecktes, abseits der Hochglanznaturfotographie, genauso echt wie alle Nadelbäume und Seen hier.
Trotzdem fahren wir nach einem Kaffee weiter. Ist ja kein Gonzotrip. Zumindest momentan nicht.

Außerdem heißt unser heutiges Ziel Manitoulin Island, nochmal 100km weiter, auf denen wir –Gott sei Dank– bemerken, dass der Magicbus doch nicht schlecht zieht, sondern lediglich ein scharfer Gegenwind bließ – im ockerfarbenen, trostlosen Sudbury. Wetter: rußiger Wind von vorne. Das passt ja auch zu Orten wie diesen.

Die Manitoulin Halbinsel zwischen Georgian und Huron Lake soll fest in indigener Hand sein. Wir hoffen so sehr, hier einen Hauch modernen, indigenen Lebens miterleben und obendrein zwei heilige, First-nations- Orte besuchen zu können. Orte, die sich nicht leicht recherchieren ließen.

Hochmotiviert halten wir – ohne rechten Blinker, der ist leider heute ausgefallen, weil der Magicbus keinen Bock mehr drauf hatte – an der Administration Office der Whitefish River First Nation. Angeblich kann man hier lieb fragen, ob man –gegen eine kleine Spende– den Dreamers Rock betreten darf, einen hochspirituellen Felsen, an dem junge Männer Visionen empfangen können. Ergo: die Globetrottels nicht, da keine jungen Männer im Team, das macht uns natürlich gar nichts. Den Angestellten der Administration Office allerdings schon.

To cut a long story short:
Die Globetrottels blitzen gehörig ab.
Freundlich, aber bestimmt bietet man uns diverse Ausreden an, warum wir nicht auf den Fels können. Ansprechpartner gäbe es leider nicht, “busy at the moment”, man selbst weiß leider gar nichts, das Areal ist zu, wahlweise wegen Covid und keiner weiß wie lange.
Wir spüren, wir brauchen gar nicht ausholen zu erklären, dass wir doch alle heiligen Orte der Menschheit besuchen müssen. Und nein, keine Sorge. Auch wenn Cannabis in Kanada überall legal ist: wir kiffen beide nicht und planen auch keine esoterischen Orgien am Dreamers Rock, selbst wenn wir möglicherweise mit den Socken in den Birkenstock anders aussehen. So lieb wir auch mit unseren traurigen Äuglein klimpern: Die Peoples der Whitefish River First Nation wollen uns einfach nicht auf dem Dreamers Rock.
Das müssen wir akzeptieren.

Heute also kein Dreamers Rock für uns. Und auch nicht die Kirche in M’Chigeeng – die ist genauso gerammelt geschlossen.

Nach initialer Enttäuschung bin ich vor allem aber froh, dass Chouchou sich von einer zweiten Vorstellungsrunde bei den Chiefs der First Nation abhalten ließ.
Die Idee, bei einer wiederholten Begrüßung erst einmal das Eis zu brechen, indem man mit einem lauten “Howgh” in den Raum rein platzt, wäre womöglich auch nicht zielführender gewesen. Der, der im Porzellanladen tanzt und so.

Das letzte große Wasser, das wir heute sehen ist der See des großen Manitu. Dahinter biegen wir links ab und sind für die nächsten Tage zu Hause angekommen: Als einzige Gäste auf dem Ökocamp Dark Skys.

Da steht er nun, unser Magicbus:
alleine, tief im Wäldchen, am Schildkrötensee, neben dem ein paar verlassene Tipis auf Gäste warten, die wohl erst im Sommer kommen. Und blinkt nicht mehr.
Der, der nicht mehr blinkt.
Vielleicht einfach mal fest draufhauen!?
Drauf-„howgh“en….wenn man Chouchou fragt.

Von Mizzy Lake nach Parry Sound

Wir hätten vor 3 Tagen nicht gedacht, dass wir unsere kanadische Kumbh Mela im Wald tatsächlich auch mit einem traurigen Äuglein verlassen könnten. Unser Plätzchen im Wald unter Pinien – als Teil kanadischer Outdoorcommunity am Victorias Day. Wir waren dabei, bis zum bitteren Ende: in Dauerregen und mit BBQ über offenem Feuer. Ein großer Schritt in Richtung Einbürgerung wäre hiermit also getan.

Bevor wir den Algonquin Provinzialpark verlassen, wollen wir noch den bekanntesten Trail vor Ort mitnehmen: den Mizzy Lake Trail. Angeblich gäbe es hier die größten Chancen auf Wildtiersichtungen. Ganz gewiss nicht am Victorias Tag – denn wer an diesem sonnigen Tag nicht Kanu auf einem der 30000 Seen fährt, wird mit uns hier sein. Wenn überhaupt, werden wir hier und heute also nur noch die dümmsten aller kanadischen Elche antreffen. Oder die lahmsten. Für mich wäre das vollkommen in Ordnung. Hauptsache Elch. Außerdem bin ich ja selbst auch nicht eine der Schlausten mit, und der Schnellsten sowieso nicht. Man hätte also gleich etwas Verbindendes, über das man sich unterhalten könnte.

12km geht es über Stock und Stein, hoch und runter, zumeist über glitschige Pfützen. Einmal haut es Chouchou volle Motte aus der Spur, der sportliche Ex-Karati rollt sich aber gekonnt ab. Das soll ihn trotzdem nicht vor einer pädagogischen Zurechtweisung schützen: die holländischen Rentner hinter uns fragen nicht, ob ihm hier –6km von der Straße entfernt– etwas passiert sei, sondern winken nur gehässig mit ihren Wanderstöcken: “That´s why we have sticks.” Bestimmt vom Obelink im Angebot: Packe Sie jetz zu, nehme Sie sofort alle twej. Und nur heute –ganz speziell voor onze lieve Nachbarn– krijchen zee die Klugscheißsprüche ganz für kosteloos mit dabeii. Heelemal bedankt.

Die Umgebung aber ist ganz phantastisch und mit nichts zu vergleichen. Dunkle Seen vor endlosen Nadelbäumen. An der nach dem 1. Weltkrieg verlassenen Bahnstrecke sichten wir Wolfsspuren. Und ein paar Schildkröten im Wasser. Nummeriert. Vielleicht die Nummergirls unter den Kiefermäulern!? Hörnchen hier und dort, eine kanadische Wildgans führt ihre Küken spazieren. Eine aufmerksame Mutti, die sehr gut aufpasst. Nur Elche sehen wir noch immer keine. Nicht einmal die Dummen.

Vollkommen erledigt nach diesem Marsch –wo eigentlich ist unsere Fitness hin? Lost in the woods? Lost in the wild?– rollt der Magicbus mit einem eingesauten Chouchou am Steuer (und ik zeg noch: neem die Stöcke met!) 150km weiter gen Westen, bevor wir heute Abend endlich nach Hause kommen können. In Parry Sound, auf einem Community Parkplatz.

Parry Sound liegt am Georgian Bay. 6000 Einwohner geben sich alle Mühe, das Örtchen liebevoll zu gestalten. Das spürt man, trotz der fast apokalyptisch leergefegten Straßen – ist ja noch immer Victorias Day.

Wir schlendern einmal am Hafen entlang, schauen der tutenden Eisenbahn auf einer sehr hohen Brücke hinterher und quatschen mit unserem Nachbarn über sein Gemüsebeet. Sehr viel Arbeit. Ja, sehr, ich weiß, sag ich. Ich hatte auch schon mal einen Acker: Herrn Hebing, hottest Acker in town. Sehr viel Arbeit. Aber schön. Da sind wir uns einig.

Mit Blick auf den Georgian Bay atmen wir letzte Abendsonne ein und essen dann –vollkommen unübertrieben– die beste Pizza der Welt. Made by Indians from Parry Sound.

Im Magicbus ist um 20 Uhr dann Feierabend für heute. Endlich zu Hause – auch wenn sich der Film vor den Fenstern fast tagtäglich ändert. Dahoam is dahoam. Nur noch flott einen kurzen Text tippen über den heutigen Tag. Die Eisenbahn auf der sehr hohen Brücke tutet. Nur noch flott einen kurzen Text tippen und dann ist Feierabend. Deutlich später als 20 Uhr natürlich….

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