Unterwegs im Magicbus

Monat: Juli 2024

Haushaltstag im Sturm

Über dem Kratersee stürmt es bereits am Morgen heftig. Das Wetter ist für den gesamten Norden in den nächsten Tagen grottig angesagt, ein guter Grund, es entspannt und winddicht angehen zu lassen.

Als erstes nach dem allerersten – den Kaffees!—wird der Bulli sturmfest umgeparkt: Popo in den Wind, damit die Böen im sauberen Winkel übers Dachzelt abwehen. Die Bergerplane prügelt uns hart für diesen Plan, sie scheint ganz und gar nicht einverstanden und verteilt wilde, wütende Ohrfeigen beim Abnehmen. Damit –Freundchen– ist deine Chance für heute verspielt: ab in den Bulli mit dir! Zur Strafe darfst du nun nicht mehr wüst vor dich hinflattern und eine knallende Geräuschkulisse veranstalten.

Rote Ohren vor Mittag, Zauseln im Haar und ziemlich außer Atem: immerhin hat Chouchou nach dieser Aktion nun auch mal berauschenden Seeblick. Eine gute Aussicht, bei der die nächste Zecke gezogen werden will. Diesmal aus Chouchous Schädel…

Als nächstes sind die Müffelklamotten dran. Mit zwei Tüten voller Kleidung marschieren wir zur Campingwaschmaschine und kommen zum richtigen Zeitpunkt.

Eine Stunde später sind die Handtücher und Socken trocknerflauschig, die empfindlichen Teilchen dürfen wüst am Baum flattern. Nach 20 Minuten ist –dank der reißenden Böen—alles wie glattgebügelt, keine Falte mehr im Stöffchen. Vielleicht sollte ich mein Gesicht ganz genauso in den Sturm halten? Eine gute Anti-Aging-Maßnahme, aber leider ist es dafür eindeutig zu zugig, meint Uschi inne Leoleggins und dem Flamingopulli.

Der erste Regen kommt pünktlich um eins. Ein guter Zeitpunkt, um den Rest des Camps nun regenfest zu machen. Ein guter Zeitpunkt für Recherche bei laufender Heizung – auch, um die restlichen Klamotten zu trocknen, die –nach Trocknungsschnellabbruch durch erste Tropfen—nun wild durcheinander im Magicbus herumhängen. Zum Trost gibt es Zimtschnecken.

Bis drei wälzen wir Wanderbücher, Reiseführer und Internet, um eine Idee der nächsten globetrottelsgeeigneten Anlaufpunkte zu bekommen und werden äußerst vorfreudig fündig. Verraten werden darf so viel: es wird toll werden. Egal, ob´s stürmt oder schneit. Weil es unter anderem um eine sehr romantische Tiergeschichte geht. Aber dazu in den folgenden Tagen mehr…

Um vier kommt der kleine Hunger. Da draußen noch immer Ronjas Räuberregen runter geht, weichen wir auf die Campküche aus – welch glücklicher Umstand, dass es diese gibt!

Gemüsebällchen, die touristenfallig als „vegane Köttbullar“ verkauft wurden, in einer richtigen Pfanne zu brutzeln, ohne Sorge zu haben, dass im nächsten, stürmischen Moment der Kocher vom Tisch gefegt wird, macht durchaus Freude. Und schmeckt.

Um fünf ist satte Zeit für Meditation, ab halb sechs dann Glamour anhand von goldenem Glitzernagellack. Schade, jetzt kann ich den Trangiakocher nicht mehr ausscheuen wie geplant. Äußerst traurig teile ich diese Erkenntnis Chouchou mit und darf freudig verkünden: „message delivered“. Tja, hätte sich ja auch die Nägel lackieren können…

Um halb sieben lernen wir, dass die Vorhersage mit „Sturm im Vamhus“ nicht den Wetterzustand bis sechs meinte. Über den See sehen wir die Sturmfront herankriechen, bevor sie mit Wucht aufs Camp trifft. Unser Tisch lernt fliegen, die Jungs von nebenan haben sich ins zitternde Zelt verzogen und tun uns von Herzen leid. Aus einem warmen Magicbus heraus lässt sich gönnerisch kommentieren: Das sind die Abenteuer, von denen ihr später euren Enkeln erzählen werdet!, während man selbst die Heizung höher dreht. Aber ein klitzekleines bisschen wahr ist es trotzdem.

Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei, die Schweden schicken ihre Kinder wieder auf den Spielplatz.
Ein Sortiermittwoch in Vamhus – eine stürmisch-schöne Angelegenheit.

Asteroidenglück zwei Werktage vor Kollektivsommer

Das gestrige Essen muss noch erwähnt werden. Nicht, weil es so grandios gut war, sondern vor allem heiß. Nepalesischer Fenchelreis ist überall auf der Welt ein Hit, aber besonders wohltuend schmeckt er, wenn der Mensch gut durchgekühlt ist. Innere Hitzemaschine aus dem Himalaya.

Niesel klopft uns aus dem Bett: es ist an der Zeit, weiter zu ziehen und den Zaubersee hinter uns zu lassen. Danke, schönes Glaskogen Naturreservat. Eine bessere Pforte in Richtung Mittelschweden hätte sich nirgendwo sonst auftun können.

Hinter Värmland wird es hügeliger, hinter Torsby wird es einsam. Wir rollen über Straßen wie im kanadischen Westen, lediglich der Wald ist enger und die Straßenführung kurviger.

In einer Nische am Straßenrand frühstücken wir mit Blick auf den endlosen Wald. „Magisch,“ meint Chouchou, der sich plötzlich dreißig Jahre zurückversetzt fühlt: „wie das erste Schwedengefühl damals mit Peter.“
Erste Schneemobilschilder tauchen am Straßenrand auf, die haben im Juli Pause. Im Sommer fährt der Mittelschwede lieber Endzeitkarre. Oder Ghostbustersmobil.

An der Kirche links, achtzigkilometer geradeaus bis zum nächsten Kreisverkehr, dahinter kommt ein schrottiges Sammelsurium namens „Grymb place“. Nun ist es nicht mehr weit.

270km nordöstlich von Glaskogen liegt das Städtchen Mora am Siljansee, siebtgrößter See ganz Schwedens, entstanden durch den Einschlag eines Asteroidens und angeblich die größte sichtbare Einschlagstruktur ganz Europas. Die bekanntesten Persönlichkeiten des Ortes: entweder Eishockeyspieler, Freestyle-Skirennläufer, Metalbandfrontleute und ein Maler namens Zorn. Ab heute bewegen wir uns also auf rauem, aber geschlossenrotem Terrain.

Das spüren wir auch sogleich beim ersten, zarten Versuch, bei VW Mora einen flotten Ölwechsel zu bekommen.

Der Herr am VW-Tresen ist freundlich und deutlich. Ölwechsel? „Not today.“ Nächste Termine im August.
Wir könnten es aber mal bei Mekonomen versuchen, vielleicht haben die noch spontane Termine? Also hin.

Im ersten Mekonomen gibt es leider keine Werkstatt, dafür aber viel günstiges Bulliöl. Das packen wir ein. Die Dame am Tresen ist nicht sicher, ob wir bei den Kollegen, vier Kilometer weiter nördlich in der Werkstatt spontan einen Termin bekämen, aber versuchen lohne sich alle mal.

Im zweiten Mekonomen treffen wir auf einen liebenswerten Herren, der uns leider auch nicht helfen kann, wie er uns traurigen Auges mitteilt. Er sei eh schon im Verzug mit seinen Auftragsarbeiten, obendrein fehle ihm ein Mann und Freitag sei ja letzter Arbeitstag wegen der „holidays“. Welche Holidays?, fragen wir. Er meint Schwedens kollektiven Sommerurlaub, ab nächste Woche haben die allermeisten Werkstätten für mindestens drei Wochen dicht. Wir können es aber mal bei Meca versuchen, sagt er, den Tränen nahe.

Im Meca belächelt man unseren naiven Wunsch nur, in den folgenden Tagen noch zum Zuge kommen zu wollen. „Fully booked.“ Aber wir könnten es ja mal bei Bosch auf der anderen Straßenseite versuchen. Wir können nicht, wir müssen.

Langsam aber sicher rückt ein Hauch Verzweiflung immer näher. Nach Mora wollten wir eigentlich ins nordische Nichts, in Gegenden, wo ein Ölwechsel nicht nur nicht leichter, sondern hunderte von Kilometern-streckenweise quasi unmöglich ist. Der Magicbus aber braucht einen Ölwechsel – noch vor dem schwedischen Kollektivsommer, also: jetzt. Erste Gedanken spinnen sich um eine möglicherweise notwendige Streckenabweichung in die nächstgrößere Stadt Östersund: von hier aus schlappe 400 Kilometer gen Osten statt Norden. Wieviel Lust wir dazu hätten, muss hier nicht explizit erwähnt sein. Die Frage nach einer Werkstatt dort, die noch vor dem Wochenende einen Termin für uns hätte, ist hiermit noch nicht einmal gestellt….

Mit schlaffer Trauermiene schlurfen wir zu Bosch, feilend an einem psychologischen Manöver, wie wir das nächste Mechanikerherz eventuell weich kochen können. Trauermiene ist dafür schon mal gut und muss nicht mal geschauspielert werden, den Satz: „Sie sind schon unsere fünfte Anlaufstelle“ lassen wir weg. Wenn fünf schon abgelehnt haben, fällt es dem sechsten auch nicht schwer. Träne an den Wimpern und rein geht’s: „God dag! We are deeply desparated…“ Das stimmt!

Und wie immer haben die Globetrottels natürlich Glück! Ein Sonnenschein an schwedischem Herren steht hinter der Theke. Kurz überlegt er: tatsächlich sei sein Tag bisher gut gelaufen, alle Auftragsarbeiten seien schon durch. Aber – kritischer Blick auf die Uhr—es bräuchte durchaus Risikowillen, eine Stunde vor Feierabend an einem so alten Auto –kritischer Blick aus dem Fenster auf den Magicbus—noch irgendetwas zu beginnen. Bekanntermaßen seien Karren dieser Art ja Wundertüten.
Mit einem schlagenden Argument aber, bekommen wir ihn dazu, dieses Wagnis heute noch einzugehen: „Wir sind wagemutig und versuchen zwei Tage vor dem Urlaub noch einen Ölwechsel zu bekommen – Sie sind wagemutig und versuchen eine Stunde vor Feierabend so einen noch durchzuführen. Das passt doch gut.“ „Det stämmer,“ sagt er, das stimmt! Und macht sich an die Arbeit.

Schlussendlich werkelt Timo aus Leer am Magicbus. Timo, der sich vor drei Jahren nach Schweden abgesetzt hat, um hier ein wunderbares Leben zu führen, wie er meint: „Viel besser als Zuhause.“ Der Ölwechsel verläuft reibungslos und weil Timo auch einen Bulli hat und sich scheinbar freut, deutsche Bullifreunde zu treffen, guckt er ganz ungefragt noch einmal schnell über den Rest drüber: „Top Zustand, der Bus!“ sagt er und macht uns damit heute zu den glücklichsten Menschen in ganz Dalarna. Tak tak Timo, tak tak Bosch.

Weit schaffen wir es nach dieser Aktion heute nicht mehr. Aber unsere Glücksträhne reißt nicht ab:
In Vamhus –15km hinter Mora—gibt es ein allerletztes Plätzchen direkt am Siljansee. Auf einem Campingplatz mit Dusche und Pizza.

Ein Glücksmittwoch am Asteroidenkrater. Und noch zwei Werktage bis zum schwedischen Kollektivsommer…

Zwei Bilderbuchtage am See

Unsere zwei Tage am See –irgendwo in Mittelschweden—im Glaskogen Naturreservat sehen ganz genauso aus, wie eine Outdoor-Astrid Lindgren sie malen würde:

Zu allererst steht die Jungfernfahrt mit unserem neuen Aufblaskanu, das wir auf den höchstkreativen Namen „Das Bøøt“ taufen, auf dem Programm.

Das Bøøt –ab heute neues Teammitglied der Globetrottels—ist die günstigste Variante eines Pustebötchens, quietschbonbontürkis und nur willig zu schwimmen, wenn es exakt drei PSI in die Backen geblasen bekommt. Die müssen mit purer Menschenkraft erstmal in die Kammern rein: eigentlich sind wir danach schon vollkommen im Eimer und mit unserer Sporteinheit durch. Aber es hilft ja nix: das Bøøt ruft nach seinen Gefilden, also wassern wir es. Und finden so riesige Freude daran und darin, dass es an diesen zwei Bilderbuchtagen gleich zweimal zum Manöver starten muss: einmal im Sturm und einmal auf spiegelglattem Wasser.

Egal bei welchem Wetter: Bötchen fahren bleibt auf ewig eine der besten Meditationen von Welt! Neben in der Erde wühlen.
Wir tanken auf tiefschwarzem Wasser so viel Stille ein, dass diese für die nächsten Wochen halten sollte. Ich glaube, danach kann man durchaus süchtig werden.

Mehrere verlassene Inseln werden für einen Moment erobert, bevor wir sie ohne Spur wieder verlassen, ein Mittagssnack mit Annika, der Ente, geteilt. Gänse echoen über den verlassenen See, das einzige, das zu hören ist und Wasserläufer tanzen zwischen den Seerosen. Nur das einsteigen üben wir noch…

Als zweites steht das Jungfernschwimmen im Neoprenanzug an. Sieht aus wie ein hochsportliches Olympiadress, verliert aber ganz schnell an Eleganz, wenn man die ersten Schwimmzüge beobachtet. Das liegt ganz und gar nicht am Anzug, sondern lediglich an dem mopsartigen Wesen, das sich mühsam in die zweite Haut hineingepresst hat. Den höchsten Kalorienverbrauch eindeutig beim An- und auskleiden!

Dazwischen: ein Sams plantscht fünf Minuten im dunklen Wasser. Wie gut, dass ansonsten keiner hinschaut. Aber großen Spaß hat´s schon gemacht.

Viel Feuer gibt’s zu machen. Knurrtrockenes, schwedisches Holz brennt lichterloh und riecht phantastisch. Wir verfeuern insgesamt 40 Kilo.

Lecker kochen und essen…

…ein paar Runden Hoolahoop, einige Momente auf der Yogamatte und dann sind sie auch schon vorbei: zwei Märchentage an einem See in Mittelschweden.
Tage, die nie mehr vergessen werden…

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