Unsere letzte Fahrt außerhalb unseres Heimatlands beginnt mit einem herzzerreißenden Kreischen. Lauter denn je, länger denn je, verzweifelter denn je. Auf den ersten hundert Metern streikt nun nicht nur der Keilreimen, auch die Lichtmaschine wird nicht mehr erreicht. Der Magicbus, er kann einfach nicht mehr. Bald, Du Zaubermobil, und Du hast es endgültig geschafft. Noch knappe tausend Kilometer bis nach Hause…
Kurz vor Gdansk rattern wir in unseren ersten Stau seit elftausendsechshundert Kilometern. Ein erstes Heimatgefühl stellt sich ein. Im Straßengraben liegen massenweise leere Weinflaschen – scheint nicht die erste Vollsperrung hier zu sein.
Für fünf Kilometer brauchen wir eine Stunde. Den ersten Anschlag „Berlin 570km“ verfolgen wir im Schritttempo. Dann endlich fließt es weiter und wir glauben, die Baustelle endgültig hinter uns zu haben. Oh, wie weit gefehlt das ist!
Weitere zehn Kilometer Autobahn sind uns noch vergönnt, bis diese endgültig endet.
Hinter Gdansk beginnen zweihundert Kilometer Landstraße, 180 davon sind Dauerbaustelle.
Man hätte drauf kommen können, dass es zwischen den Großstädten Gdansk und Koszalin keine Autobahn gibt. Wir sind es im Traum nicht.
Im Dackeltempo lese ich nach: Der Bau der Autobahn zwischen Gdansk und Koszalin – die größten Städte an der nordpolnischen Ostsee—wurde in ersten Schritten 2019 begonnen. Ganz Polen –Europas fünftgrößtes Land—besitzt bis heute 1700km Autobahn. Im Vergleich zu Deutschlands 13172 Kilometern ein Klacks. Wusste ich nicht, jetzt bin ich schlauer.
So rollen wir also in der Dauerbaustelle „Nordpolen“ gemächlich vor uns her. Ab und an kreuzen wir vergessene Örtchen mit den obligaten Wegekreuzen, brüchigen Häuschen, wohl gepflegten Kirchen, rauchenden Fabriken und Werbung für Seniorenresidenzen am Straßenrand. Nur das Papst winkt uns einmal verhalten, aber freundlich.
Ratternde Planierraupen, halbfertige Brücken, Felder, die geebnet werden, Baustaub in der Luft und über allem liegt ein beißender Dauergeruch von frischem Teer. Trostlos, wie die armen Menschen an diesem Streckenabschnitt leben müssen: Erst stinkt es jahrelang nach Teer und wofür? Damit in Zukunft eine Autobahn an ihren Restehöfen vorbeidonnert.
Eine Autobahn, für die wir heute sehr dankbar wären – in der Egozentrik der Vorbeireisenden. Schrecklich. Beides.
Wenn wir nicht auf dem Weg nach Hause wären, würde ich jetzt sagen: ich will nach Hause.
Zahlreiche Militärfahrzeuge kommen uns entgegen: Truppenbewegung gen Osten und am liebsten will man sich gar nicht wirklich wissen, warum. Dann beginnt der Regen.
Nach 180 Kilometern Fahrt entschließen wir uns –weil es gerade so richtig gut läuft– unser geplantes, letztes Ostseecamp zu kippen. Ein Sonnenuntergang ist bei strömenden Regen heute eh nicht mehr und wir sind mittlerweile im Kopp so windelweich gekloppt, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob wir noch weiter fahren oder für immer stehen bleiben.
Als wir es selbst schon nicht mehr glauben können, beginnt hinter Koszalin die bereits fertige Autobahn. Niegelnagelneu und leer. Der Regen verschleiert alles, das macht nichts: wir rollen! Das erste Mal mit 80km/h nach mittlerweile 240 Tageskilometern auf der Uhr. Geschwindigkeitsrausch!
Als die Sonne sich neigt, kommt unsere Grenze in Sicht: Deutschland, unglaublich. Nach 14 Wochen.
Es ist die erste europäische Grenze, an der tatsächlich kontrolliert wird. Uns aber winken die Polizisten nur mürrisch vorüber ins Licht.
Ab hier ist es heute nun endlich nicht mehr weit: zehn Kilometer deutsche Autobahn, bevor wir rechts nach Linken abbiegen.
Vorbei an einer Masse an Windrädern in wildestem Licht – willkommen in Unterleuten, meint man. Dabei fahren wir heute nur bis Löcknitz.
Nach 430 Kilometern und achteinhalb Stunden parken wir auf unserem ersten ostdeutschen Camingplatz ever ein. Herr Schmidt hat mir am Telefon gesagt, wir könnten uns überall hinstellen, also nehmen wir den erstbesten Platz. Hauptsache da.
Da sind wir nun also wieder: in unserem Heimatland. Nach 14 spektakulären Wochen, die als „Sommer in Skandinavien“ begannen und als „Ostseeumrundung übers Baltikum“ endeten.
Damit endet nun auch dieser Blog. Ohne große Worte, ohne Pathos, ohne Resümee.
Danke an alle, die eineinhalb Jahre treu unser Leben mitlesen haben. Ihr seid eine größere Unterstützung gewesen, als Ihr ahnen könnt! Tschüss!