Wir träumen süß in unserem litauischen Apfelgärtchen, unter dem größten Vollmond des Baltikums.
Mit einem Frühstück versorgt uns –nach drei Kaffee aus dem Glas– der Garten: mit baumfrischer Obstenergie starten wir in unseren Tagesausflug.

Bevor es für uns zur kleinen Fähre geht, rollen wir erstmal durch halb Klaipėda –am Casino, am Memelhaus, am deutschen Soldatenfriedhof, am Kriegsschiff, am Grafitti vorbei–, um neues Öl und Kühlwasser zu organisieren.

Bei „Autoaibė“ hat es feinstes Liquidmolli zum guten Preis: fünf Liter, mit denen wir es bis nach Hause schaffen sollten. „Do you need an oilfiter as well?,“ will der engagierte Mitarbeiter von uns wissen. „Nee, it´s only for everyday refill till home,“ sagen wir. Aus reinem Mitleid über einen derart pathologischen Öldurst bietet er uns mit traurigen Augen einen Discount an.

Am Hafen boarden wir die teuerste Fähre seit langem: für fünfzehn Minuten Überfahrt hin und zurück blechen wir satte 40 Euro. Die Kurische Nehrung scheint sich ihrer Poolposition auf der Liste litauischer Highlights bewusst und lässt sich diese Sonderstellung saftig bezahlen.
Immerhin: Wer schnell ist, kann für den Preis noch einmal flott die Toilette nutzen und danach zwei Atemzüge lang auf braunen Plastiksitzen den Rest der Fahrt genießen.

Über die laaaang gezogene Halbinsel, die in der Mitte von einer unüberwindbaren Grenze zwischen Russland und Litauen geteilt wird und die nur auf russischer Seite am Festland hängt, führt eine einzige Straße. Erstaunlich, wie schlecht diese ist. Am Touri-Hotspot Nr 1.
Vielleicht sind die 10 Euro Eintrittsgebühr, die wir an einem Straßencheckpunkt nochmal zahlen dürfen, für eine Asphaltinstandsetzung der Zukunft?!

Unser erster Halt ist die kleine Siedlung Juodkrantė.
Wir parken am Hafen, der in Richtung Haff rausgeht. Ein schlieriges Haff, in das sich scheinbar nicht mal die Enten trauen. Sie dösen lieber am Ufer, so tief, dass sie in ihrer Schläfrigkeit nicht merken, dass ein Sonderling sich unauffällig in ihre Reihen mischt.

Bunte Häuschen und Kunst an der Promenade: Steinschafe ohne Kopf grasen auf der Wiese. Wir machen mit. Ansonsten ist hier nicht viel.

Wir wollen zum Hexenberg hinauf.
In einem Fichtenwald sollen sich hier Dutzende hölzerne Hexenwesen, Teufel und weitere magische Figuren die Hände unter den Moosen reichen. Eine Ode an Litauens heidnische Vergangenheit, meint das Infoblatt. Also gesellen wir uns zu ihnen.

Schön sind die meisten der wilden Wesen, die wir am Wegesrand treffen. Nur manche schauen etwas schaurig aus der Wäsche.

Einen Teufel können wir zum Selfie überreden, indem wir unsere Seele an ihn verkaufen.

Weiter geht’s nach Nida – dem Hauptort der Kurischen Nehrung. Hier ist die Hölle los.
An der dritthöchsten Düne Europas, die schon mehrere Orte unter sich begraben hat, finden wir keinen einzigen freien Parkplatz. Ebenso wenig am Ferienhaus von Thomas Mann.
Nur am Hafen ist noch Platz für uns – für eine halbe Stunde und 1,50 Euro. Gucken wir die Düne halt von hier. Neben müden Straßenhändlern, die sehr viel Hässliches aus Bernstein verkaufen und wo selbst die Schatten einen auf katholisch machen.

Der anvisierte Streetfoodladen in Nida hat zu. Im Supermarkt kaufen wir uns Gepäck und frisch gepressten O-Saft und beobachten das wilde –meist professionell geführte– Treiben für weitere zwanzig Minuten. Dann ist unsere Parkuhr abgelaufen.

An sehr vielen Eierkopfschildern vorbei fahren wir zurück in Richtung Fähre.
So lustig wie die Hirschschilder sind auch ihre anderen Warnkumpels: die „Achtung Menschen!“-Version.
Sehr wahrscheinlich gab es einst eine Ausschreibung an der Designhochschule in Vilnius zum Entwurf neuer Verkehrsschilder – und der StarTrekk-Fan hat sie gewonnen.
Achtung, Eierkopf geht über Straße. Achtung, Eierkopf arbeitet. Achtung, Eierkopf spielt. Achtung, Eierkopf auf Fahrrad.

Zu schade, dass man ihn auf dem „Rastplatz im Sturm“-Schild vergessen hat. Ein „Achtung, Eierkopf rastet im Sturm“ wäre zweifelsohne mein Schilderfavorit geworden.

Am Abend kehren wir zu unseren Apfelbäumen zurück. Mit dem Wissen, heute 50 Kilometer vor Kaliningrad gestanden zu haben; 50km bis ins alte Königsberg.
Dort, wo meine Oma geboren wurde. Niemals bin ich ihr näher gewesen als heute.
Und trotzdem bleibt es unerreichbar. Unter einem Sonnenuntergang, der von Frieden träumt…