Unterwegs im Magicbus

Monat: Oktober 2023 (Seite 1 von 3)

Sedona: Spiritueller Nachtext nach Vortex

Der Abend wurde noch recht dynamisch. Um zehn donnert es über den Platz: „Quite furious I am!! FURIOUS, do you hear me?“ Es sind die Plauderboys von nebenan, die sich ordentlich an die Köppe kriegen.
„MAD am I, do you hear me?“ Oh ja, wir hören dich. Und die Knarre auf dem Beistelltisch erbebt in Vorfreude: Moin Leute, hat´s hier einen Job für mich?!
Gott sei Dank nicht. Der Unbewaffnete ist so klug, sich nach den ersten vier Hasstriaden ins Führerhaus des Jeeps zu verziehen – die zwei machen das anscheinend nicht das erste Mal– sein very pissed Partner bleibt schmollend auf dem Klappstuhl zurück.
„So pissed I am,“ und das bis zwei und bei vier Grad Außentemperatur.
„Very pissed, do you see?“ Oh ja, wir sehen es, der Unbewaffnete nicht. Der hat mittlerweile sein Augenkläppchen auf und schläft tief und fest im Auto.
Dynamische Beziehung nennt man das wohl. Und siehe: der spirituelle Strudel über der Stadt erreicht anscheinend nicht jeden.

Am Morgen gibt es –Gott bewahre—keine toten Floridensianer im Staub. Über der Wüste ist es totenstill. Als seien wir alleine am Platz. Das alte Hundchen dreht seine Runden und pinkelt ans Zelt der Kids aus Texas. Ein harmonischer Morgen. Nur die Kontaktlinsen wollen nicht so richtig. Staub in jeder Ritze, muss ich fünfmal abspülen, um sie irgendwie ins Auge zu kriegen.
Kratzig, die Feinstaubwüstenkurzsicht – und ockerfarbene Taschentücher.

Unser erster heiliger Ort in „Spiri-Hochburg“ Sedona, ist die Amithaba Friedensstupa.
An rotglühendem Hang, Gebetsflaggen zwischen Kakteen, eine meditierende Frau im Regenbogenpullover, Tibet in der Wüste.
Wir drehen die Gebetsmühlen im Uhrzeigersinn. In dem geht’s auch um die Stupa, achtmal, für den achtgliedrigen Pfad. Was so in Ladakh im Himalaya steht, wirkt in der Wüste nicht weniger unpassend.
Ein Ort für alle, ein Ort des Friedens und Gebetssteine im Boden:
„Speaking words of wisdom: let it be“ – „We are all walking each other home” – “How lucky am I to have had something that made saying goodbye so hard”….

Fünf Kilometer weiter haben die Katholiken ihr beeindruckend spirituelles Plätzchen in den Fels gebaut. „The chapel of the holy cross“, ein modernes Meteora.

Golfcaddys fahren Fußlahme den Berg hoch und verteilen Halloweensweeties für alle: Süßes, statt Saures. Nur der Heiland bekommt nichts ab. Der hängt –wie eh und je—einsam und alleine leidend am Kreuz, während sich die mehr oder weniger Gläubigen die Bäuche mit Zucker vollhauen und die Aussicht genießen.
Wer sich auf dem Fußabdruck vor dem Altar platziert, kann ihm direkt in die Augen schauen. Ein stechender Blick, selbst bei den Kauenden nicht neidisch. Ein älterer Herr hilft seiner wackeligen Frau hinauf, dass sie im Angesicht des Herrn baden kann. Ein „do you see“ der anderen Art.

Sedona –the cathedrale without walls– ist bekannt für seine angeblichen Vortexe: energetische Luftwirbel, denen eine spirituelle und heilende Wirkung nachgesagt wird.

Besonders am Cathedrale und am Bell Rock schwirren die wohl durch die Gegend, einen kleinen Hauch davon hätten wir natürlich auch ganz gern. Leider sind die Parkplätze pickepackevoll, ein Fuß nicht an den Boden zu bekommen. Wir müssen uns also mit esoterischen Fernwirbeln zufrieden geben. Quasi: Distanzerleuchtung.
Und ein Bettler mit einem Schild auf dem „Angels needed“ steht.

In der durchweg ocker-rot erbauten Stadt –Kanten sind anscheinend nicht erlaubt, wenn man den Standardbau beachtet—reiht sich ein Spirigeschäft ans nächste: Kristalle, Heilerden, organic healing food oder Yogamatten in der Auslage, Aurafotographie hingegen bietet jeder an.
Spirituelles Wohlergehen „to go“ für die zahlende Masse – denn auch der Kapitalismus kann heilig sein.
Manifest money. And money will come to you. It´s a holy law.

In einem mexikanisch inspirierten Patio erlebt man den herannahenden „Dia de los muertos“ hingegen auch kostenlos. Ein farbenfrohes Fest zu Ehren der Toten, die am 2. November zu Besuch aus dem Jenseits kommen und das zeitgleich mit dem heutigen Halloween startet.

Ein tröstliches Fest in bunt, es passt in den heutigen Tag. Und Chouchou als gefallener Engel.

Kurz hinter der City parken wir für heute Nacht ein. Mal wieder BLM-Land, mal wieder für lau, mal wieder mit einem unbezahlbaren Ausblick.
Die Sonne geht in einem Rauchnebel knallorange unter. Passend auch das, zum Dia de los muertos: weil die Toten gelb und orange am besten sehen können; Farben, die sie brauchen, wenn sie sich auf den Weg zurück in Richtung Erde machen.

Am Abend putzen wir uns den orangenen Staub aus der Nase und wischen uns ocker aus dem Gesicht. Die Lunge versucht mit Nachdruck, den Feinstaub von den Alveolen zu husten – ein gewirbelter, ein heilender Staub. Nur schade, dass das die Bronchien noch nicht wissen.
Sedona. Was für ein esostrudeliger Tag…

Sesamstraßentag

Wieso, Weshalb, Warum… Wohin, Wolang, Wielang…, ein Tag zum Sortieren, Planen und Chillen, alles ganz relaxed – Sasamstraßentag halt.

Lonelyplanet und Marcopolo sind begrenzt hilfreich, die Lust auf Megamassentouripunkten hält sich in Grenzen, erfolgsversprechender klingt schon www.atlasobscura.com: Reisetipps von durchgeknallten Leuten für ebensolche, sprich: für uns, unsere Da könnte es nett sein-Karte füllt sich, zumindest schonmal für Arizona und Newmexiko. Letzterer ein Staat, von dem wir noch nie gehört hatten, liegt aber wohl auf unserer Strecke…

eBücher lesen und downloaden, »Die Terranauten« von Boyle verspricht Lokalkolorit, Blumenkohl mit Kartoffelpüree delux, den bunten Nachbarn beim Campaufbauen zusehen, und -hören!, soviel haben wir die ganze Reise lang noch nicht gequasselt.

17:36 Sonnenuntergang, Temperaturabfall von lauschigen 16 auf für nachts angekündigte 4 Grad, Sandwehen pur ohne Partikelfilter.

1000 schöne Sachen… – die gibt es auch hier zu sehen…

Holy-Places wegen Zukalt gestrichen

Nachtfrost im Bullidachzelt. Nächtliche Schüsse und Böller im BLM-Camp hielten sich in Grenzen, in der Ferne tutet die Railway … Kaffeegochkas, -wasser und Globetrottels tauen mühsam wieder auf… erster Klappspateneinsatz seit langem, kein Internetz an der Route 66…

Choke, zwei mal Vorglühen, 100 Meilen Historic Route 66, so muss ein Roadtrip ausehen. Burma-Shave, wtf ist „Burma Shave?“, legendär ist sie auf jeden Fall, die Rasiercreme-Werbung in Roadside-Stories.

Drive-By-Holy-Place San Francisco Peaks, höchster Berg in Arizona, Treffpunkt der Hopi mit der Geisterwelt, den Kachina – meint Pfarrer Engels. Für uns auf der Hochebene um Flagstaff eindeutig zu kalt, heute kein Rendevouz mit Geistern.

Ebenso gestrichen der Holy-Place Meteor-Krater 50 Meilen weiter, sonst schaffen wir es heute nicht mehr in wärmere Gefilde, macht keine gute Laune die Entscheidung, die Aussicht auf Minus-10-Grad-Nahtoderfahrung aber auch nicht, also Kurswechsel gen Süden, nichts wie runter von 2.400 auf 1.300 Meter.

Sonntäglicher Drachenfels-Trubel im Oat-Creek-Canyon, nochmehr los in famous Sedona, dem vermutlich esoterischsten Städtchen der USA…

Auch in der Vorort-Wüste füllt sich das netterweise wieder frei bewohnbare BLM-Land ganz ordentlich, wir finden trotzdem unser Plätzchen für die nächsten zwei Nächte, von den Nachbarn erfährt Chérie erstmal alles, was es über das ewige Leben (den Sedona-Kräften sei dank) zu wissen gibt, danach gerade noch Zeit für lecker Outdoor-Menü, um 17:42 Sonnenuntergang, Sandsturm und Zeit fürs frühe Einmummeln.

Wie schön dass Tobias nicht vom Puma gefressen wurde

Umso schöner der Abend, umso kürzer der Blog. Ganz kurz also heute, weil Wüsten-Abend mit Tobias, Wiedersehen nach 6 Monaten, zuletzt campten wir uns hinter Halifax über den Weg, und beinahe wäre es auch dabei geblieben wegen Cougar, 3 Tage belauerte der Puma Tobias und seinen wirklich feinen G – eine nature-and-adventure-Erfahrung, auf die wir gerne verzichten können. Und auch ansonsten gab es sehr viel zu erzählen… Danke für das schöne Rendezvous!

Am späten Vormittag müssen wir dann aber doch los, drohender Sturm auf unserem wunderschönen Hochplateau. Ein allerletztes Mal durch Vegas durch, Kurs süd-südost, auf Nevada folgt Arizona, den Grandcanyon links liegen lassen wie damals das Taj-Mahal, nach 120 Meilen Blinker links, 50 Meilen Route 66.

Boondocking, wildes Campen auf BML-Land, 18 Uhr Sonnenuntergang, Warmanziehen weil frostangekündigt, Wien-Tatort gucken, Einmummeln. That’s it.

Valley of fire

Unser Nachbar links, Louis aus Mexiko, verabschiedet uns am Morgen freundlich. Und auch unser deutschaffiner Nachbar rechts aus Washington scheint etwas nostalgisch, dass das kleine Nachbarmobil schon wieder abrollt. Nur der Security atmet erleichtert auf: Endlich sind die Gypsys wieder los. Mit ihrer verbotenen Wäscheleine und dem manuellen Vordach, das dummerweise auch ohne Heringe und dem Verknoten an „oasis property“ hielt. Eine Herausforderung für die „Monster-RV-Oase“ kurz vor Vegas.

Beim Smith´s ummeEcke kaufen wir schnell noch lecker ein. Neben den drei Daumen dicken Schinkensandwiches ist heute Sushi im Angebot. Schon wieder vegetarischer Fisch: unser abgehalfterter Beitrag zu „sin city“, also einpacken bitte.

Ein kurzes Pläuschchen mit Melissa und Paul, die heute gemeinsam Kasse machen und dann sind wir wieder on the road. Raus aus dieser wilden, lauten Stadt, die es wirklich kein zweites Mal auf dieser Welt so gibt.

Die Ausfahrtsstraßen sind pickepackevoll und gepflastert mit Anwaltswerbungen. Aggressiv zurück gegelte Männer, Typ: gewinnender Lackaffe im Maßanzug, lächeln mit überdimensional großen, sehr weißen Zähnen von den Plakatwänden:

»Haha…divorce!? – da box ich Dich schon durch, baby. Bezahlen musst du erst bei Gewinn –aber keine Sorge: always winning– der Klaps auf den Po im Anschluss ist natürlich kostenlos. Du wolltest es doch auch, jetzt zier dich nicht so. Jaja, baby, that´s Vegas.
Und jetzt byebye… auf nimmer Wiedersehen.«
Ein metergroßer, rosafarbener Teddy liegt überfahren mit aufgerissenen Knopfaugen am Straßenrand. Ja, auch der hat´s scheinbar nicht anders gewollt. Das rosa Luder.

Die Straße trägt uns heute nicht sehr weit. Eigentlich nur so weit, dass der Lärm versiedet.

70 Meilen hinter der Stadt liegt das “Valley of fire“.
Bizarre, bunte Felsformationen, leuchtend rote Berge, desert bighorn sheep springen über trockenen Fels, 4000 Jahre alte Petroglyphen und wir haben Glück, dass es in der Wüste bewölkt ist.

Viele der Trails sind bis Ende September kategorisch geschlossen, da es im Sommer hier einfach zu heiß für den Menschen ist. Bei 26 Grad und Wölkchen lässt es sich Ende Oktober allerdings fein herum spazieren.

Leuchtend gelbe Blümchen in blutrotem Sand, blaues Gestrüpp, der perfekte Brautstrauß am Wanderweg macht einen auf Eisblume – mitten in der Wüste.

Siehe: das Surreale will und will nicht enden. Ganz real allerdings ist, dass der Campground ratzevoll ist. Für heute Nacht müssen wir uns also einen anderen Ort zum Übernachten suchen.

5 Kilometer vor dem Parkeingang liegt BLM-Land. Ein großer freier Streifen Wüste, der jedem zugänglich ist. Heute Nacht dürfen wir bei weiter Aussicht einschlafen und träumen.
Träumen von einem Licht, das nicht von dieser Welt zu sein scheint.
Entzündet von einem Laternenmann, der es weiß, ganz tief in die Trickkiste zu greifen…

Coz punkrock never dies: Alkoholfreier Vegaskater

Heute ist Las Vegas-Verdauungstag.
Die Lichter der letzten zwei Tage strahlen hell in uns nach, der Lärm klingelt weiterhin in unseren Ohren. Selbst für Psychiatrieerfahrene wie uns braucht es nach diesen zwei Tagen eine Pause.
Die genehmigen wir uns.

Und so passiert heute nicht viel im Leben der Globetrottels: Dreimal in den Pool, zweimal warm, einmal kalt.

Ein Mittagsschläfchen nach Morgenruhe, danach Nachmittagstief und am besten früh ins Bett.
Ein Buch, ein Text, eine Dusche –zwei Globetrottels im Sitzen– siebzehn Kaffee, drei Flaschen Wasser, eine Pizza und ein kurzer Trauermoment, dass uns der Punkrock von vor zehn Jahren verlassen hat.

Damals wäre dieser Text ein anderer gewesen. Las Vegas mit einem möglicherweise noch bunteren Gesicht. Und dem Katzenjammer danach.
Spannend aber ist die Erkenntnis, dass diese Stadt verkatern kann – ganz ohne Alkohol, ganz ohne durchgefeierte Nächte.
Und so gönnen wir uns –aus reiner Nostalgie—später vielleicht doch noch ein Alka Seltzer.
Auf die guten, alten Zeiten – die möglicherweise auch ganz bald wieder nahe Zukunftsmusik sind:
Coz punkrock never dies…

Down Busse nehmen nach Downtown

Las Vegas, Tag 2.

Heute soll Downtown dran sein: quasi die Altstadt – was man hier so alt nennen kann. Nur dahin muss man erstmal kommen.
Unser erster Bus – zu erreichen über einen Kilometer Wüstenfußstrecke—fällt aus. Immerhin lernen wir dank der Wartezeit eine Schweinerei namens „Pumkin iced latte“ kennen: Kürbis Chaitee auf Eis mit massenweise Zucker. Ein „Mama´s little helper“ gegen eine Laune, die bereits jetzt im Sinkflug ist.

Den nächsten Bus –entsprechend überfüllt—fährt der übellaunigste Busfahrer der Welt. Beim Einstieg kassiert jeder erstmal einen Anschiss, zur Strafe, dass man nicht mit dem Auto in die City fährt. Ab nun beginnen eineinhalb Stunden Tiefkühlfahrt, die ein Paradebeispiel für passiv-aggressives Verhalten sind. Von Station zu Station füllen sich die Reihen zunehmend, kurz vor dem Südstrip kann man die Fahrgäste quasi stapeln. Dem Miesepeter am Steuer soll es Recht sein: so hat er noch mehr Leute zum zusammenscheißen. Die Bordansage geht am laufenden Band.
Ab jetzt wird an jeder Haltestelle –aus vollkommen unersichtlichen Gründen– kategorisch 15 Minuten gehalten. Just for fun. Genauso, wie die Klimaanlage an jedem Stopp noch einen Tick mehr aufgedreht wird. Step by step – wie in einem perfiden Milgramexperiment.
Und die Tiefkühlklapse wird immer lauter.
Für die 8 Kilometer bis Downtown lässt sich der fiese Möpp –schlechter Tag, längerer Hebel– so viel Zeit, wie er will: ist ja alles bezahlt. Eineinhalb Stunden für 8 Kilometer – ohne ersichtliche Stausituation. An der Endhaltestelle werden die menschlichen Eiswürfel endlich lächelnd ausgespukt: verächtlich. Hedonistisches Drecksvieh, und jetzt raus mit Euch.
Bibbernd stehen wir an einem Bussteig der Fremont Street, die Laune zutiefst im Eimer.
Gemein war das.

Downtown gibt sein Bestes uns mental wieder zusammen zu setzen: mit einer öffentlichen Waage, die Menschen über 350 Pfund kostenloses Essen anbietet („Fighting anorexia“), „Bier trinken und Axt werfen“ und laut fluchenden Seelchen, die am Straßenrand vor sich hinvegetieren. Ein anderes Gesicht der Stadt.

Die Spielhallen haben deutlichen Spelunkencharakter, Menschen ohne Wohnsitz bieten auf der speckigen Vergnügungsmeile geflochtene Trockenblumen an. Besoffene fliegen in Superman-Pose über den Strip hinweg, der Ausschuss der Chippendales und Federgirls feilscht darunter um Fotogäste. Puffatmosphäre und all you can drink. »Happy hour« den ganzen Tag in „gar nicht mehr ganz so happy –Vegas“.

So hart es klingt: dieser Teil der Stadt wirkt authentischer. Weil er nicht vorgibt, etwas anderes zu sein, als er ist. Weil der Glanz schon lange abgeblättert ist.
Hier: in Ballermann auf Amiland.

Die Wedding Chapels findet man in diesem Teil der City. Vielleicht weil das ganze Leben ein Fest ist –inklusive dem Kater danach.

In der Gracelandchapel platzen wir mitten in die Zeremonie. Das knitterige Elvisdouble wartet gerade auf ein „Yes, I do“, das auch Jon Bon Jovi bereits in dieser Kapelle an die Wände gehaucht hat. Nicht für immer, versteht sich. Und rosa Cadillacs in Warteposition, um jeden, der zahlt, gen vermeidlich ewige Liebe zu cruisen.

Vier Blocks weiter liegt der Art´s district. Ein Graffiti erinnert an den Anschlag in Vegas vor knapp sechs Jahren, auf einem anderen hat Johnny Depp keine Angst mehr vor Vegas, aber vor Covid. Die Freiheitsstatue liegt geknebelt über einem Streifenwagen der Einwanderungspolizei und Frida Kahlo – geht ja immer.

In den bunten Gassen wird vor allem Second hand und Antikes angeboten – wir sind leider zu spät für den Ausverkauf, was schade ist. Denn abgehalfterten Glitzer hätte es hier zu Hauf gegeben: ein Inbegriff der City. Leider noch immer gänzlich unfunkelnd besteigen wir den nächsten Bus in Richtung South Strip.

Bus fahren in Las Vegas ist –zieht man die Touris ab– Bus fahren mitten in der Unterschicht.
Hinter uns beginnt ein breiter Typ gegen eine ihm unbekannte, aber augenscheinlich toughe Lady zu krakeln, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Starker Typ Frau à la: von dir habe ich schon zu viele gesehen, mein Junge, mit dir werd ich auch noch fertig.
Wir alle rücken zusammen gegen den Jecken, doch die Situation wird immer bedrohlicher. Die Lady zückt irgendwann ihren Tazer und ruft die Busfahrerin, die es gerade noch schafft, den ungetazerten, ungehobelten Kerl hochkant aus dem Wagon zu schmeißen.
Toughe Frauen in einer knallharten Welt – so viel Hüte, wie ich ziehen möchte, habe ich gar nicht. Und bin endlos dankbar, in einer so viel sichereren Umgebung aufgewachsen sein zu dürfen.

Auf dem South Strip hauen wir uns –noch immer sehr beeindruckt– gigantische Sushirollen am Stück rein: Sushi Burritos wird das hier genannt. Sushi Burritos für die Nerven. Danke lieber Lachs, dass Du heute vegetarisch bist. Ich muss gestehen: Du schmeckst leider wunderbar.

Vorbei an einem gefakten buddhistischen Mönch, der Armbänder verteilt, vorbei an Spiderman, der sterbend auf einem Rollbrett liegt, vorbei am schwebenden Engel, Chackys Mörderpuppe, Mickey Mouse, Dominas, Jack Sparrow, Roboman, Federgirls, Besoffenen, einer Prinzessin in Tüll und ziemlich hoch gelegten Autos geht’s mal wieder totmüde zum Bus – einer, der als letzter des Tages ohne besondere Vorkommnisse fährt.

Zurück am Magicbus reflektieren wir, was heute eigentlich „echt“ gewesen ist. Die bedrohliche Bussituation zweifelsohne. Dazwischen jede Menge Schein und Illusion.
Der Kolibri, der am Morgen über den Pool flog war auch echt. Und unsere schlechte Laune am Mittag. Und sonst?

Es wäre ein Leichtes, über diese Stadt zu urteilen. Immer wieder hört man, dass man Las Vegas hasst oder liebt. Dazwischen scheint es wenig zu geben.
Wir enthalten uns –so gut es geht—der Aussage. Las Vegas ist Las Vegas ist Las Vegas.
Das gibt es so kein zweites Mal.

Nach zwei Tagen sind wir endlos geschafft. Voll – ohne je voll gewesen zu sein. Vielleicht ist auch das eines der Geheimnisse: Am besten wohl muss man sich Las Vegas erträglich saufen und spielen.
Beides haben wir nicht getan und sind daher wohl nur auf der Oberfläche geschwommen.
Auf der Oberfläche einer Stadt, von der gar nicht klar ist, ob irgendwas darunter liegt.
Schein und Illusion.
Eine Stadt, der es wohl auch reichlich wumpe ist, wie wir sie eigentlich finden. Oder sonst wer.
Und weil jede Wertung ebenso eine Illusion ist.
Nicht nur in Vegas, Vegas, Vegas…

18 Kilometer Vegaswahnsinn

Viva Las Vegas!
Eine der beklopptesten Städte der Welt in Blitzlichtern:
Zum Frühstück an den Pool – mitten in die 80er. Ein künstlicher Wasserfall vor Hochhaus, palmengesäumt, im Wasser ist niemand außer den Gloebtrottels.

Die Einfahrt mit dem Bus nach Vegas: bereits ein Erlebnis auf Grund Halteansagen in Showmasterintonation.
Sortierung der Selfiejünger vor dem „Welcome to Las Vegas“-Sign, das eine eigene Bushaltestelle hat.
Luxor: eine bunte Sphinx vor schwarzer Pyramide. Drinnen so dunkel wie im Sarg – der Tag ist nun einerlei.

Bunte Lämpchen, viel Getöse. Bier vor vier und haushohe Wetten kurz nach Mittag.

In Mandalay Bay branden Wellen im Pool, fünfzehn Bademeister für eine handvoll Gäste.

Sündhaft teure Boutiquen neben Schröddelläden, die vor allem Glitzerartiges führen. Das Excalibur ein Märchenschloß.

NewYorkNewYork. Nachgebaute Häuserzeilen mit Feuertreppen aus Pappmarché. In den Spielhöllen darf geraucht werden. Cocktails werden in 50cm hohen Phallusgläsern serviert. Virtual reality shows für 25 Dollar.

Wassershow vorm Bellagio. Drinnen Shops, die kaum jemand bezahlen kann. Teppiche, italienisches Dekor, Raumbeduftung. Ein Elfengarten zieht vor allem weibliche Besucher an. Eine Braut im kurzen Weißen, das nur aus glänzenden Fäden besteht. Pumps in 20 cm Höhe, rote Sohle. Security im Mountiesstil und jede Menge Birthdaygirls.

Verbindungsbrücken zwischen den Casinos, unten drunter braust der Verkehr anhand getunter Sportwagen. Hier darf der Eifelturm seine Lightshow noch abziehen. Haie in einem Aquarium, Burlesqueshows unter blauem Heißluftballon und ein Breiter, der das schönste Liebeslied der Welt so verhaut, dass es richtig ans Herz geht.
Siegfried und Roy vor dem Mirage, ein Sternenwalk für „die größten Magier des Jahrhundert,“ ein Moonwalk für alle. Menschen jeglicher Couleur verspielen Haus und Hof.

Fontäne der Götter im Caesars Palace. Italienische Gassen wie man sie sich in Amiland so vorstellt: viel zu sauber. Ein künstliches Himmelszelt sorgt für einen ewigwährenden Sonnenuntergang. Ave Caesar.

Gondelfahren im Venetien, eine säuft unter drei neongrün gekleideten Damen fast ab, der Gondolieri singt trotzdem weiter. Kein Ausgang aus Venedig, verirrt in der Stadt der Liebe. Ein überdimensionelles LOVE-Schild.

Ein fetter Elvis besingt den Sonnenuntergang auf dem Boulevard. Zeugen Jehovas neben Frauen im Sadomasostil, die Besoffene suchen für ein bezahltes Foto. Federladies, Chippendales und das größte Riesenrad der Welt. Ziplinen zwischen den Hochhäusern.

6 Stunden, 18 Kilometer.
Auf dem Campground kassieren wir Abmahnung Nummer drei: keine Leinen an „oasis property“ – handschriftlich neu auf den umfassenden Verbotskalender hinzugefügt. Wir befestigen unsere Plane also an der Wassergalone.
Viva Las Vegas.
Und das ist nur Tag 1 gewesen…

Ein StoneHendge aus Müll kurz vor Sin city

Ob in dieser Nacht an unserem Wüstensee die Meteorschauer runter kamen!? Wir wissen es nicht. Die Wüstenfüchschen haben tief und fest geschlafen. Dank Marian aber haben wir nun den heißen Draht zum Sternenregen – via App. Was man vorher alles nicht so auf der Pfanne hatte: Meteorregen. Welch fasziniernde Dinge es doch gibt auf dieser Welt. Der nächste kommt übrigens in der Nacht vom 5. auf den 6. November runter. Falls jemand eine klare Aussicht haben sollte…

Die Fliegen auf der Pitstoilette sind am Morgen erstarrt. Als stille, schwarze Punkte an der weißen Wand bilden sie das Negativ des Nachthimmels. Ihr surren fehlt, nur das krächzen des roten Vogels und erste Autos auf dem Highway 93 begrüßen diesen ruhigen Montag, der uns heute nach Sin city trägt.

Auf dem Weg nach Vegas rollen wir an einer weiteren Kuriosität vorbei: #weirdnevada.
In RyanHendge hat der CEO der Müllkippe seine Freizeit genutzt, um sein privates Pendant zu Stone Hendge zu errichten.
Ein rundes Atrium aus Überbleibseln, in der Mitte eine Weltkarte: It is so ordered. Auf der Niederlande stehen Miniklotschen und ich kurz auf Deutschland – schnell wieder runter.

Alienfiguren wachen über diesen Ort – sie lassen uns noch nicht los—und Chouchou mittendrin, irgendwo zwischen Kanada und den USA.
Eine kleine Kapelle am Rande der Ranch, die Deckenmalereien deftig inspiriert von Disney.

Teddy Roosevelts rotes Auto neben Bahnreisewagons aus goldenen Zeiten.
Auf der Koppel stehen indische Kühe neben Lamas und Kameln am Trog. Mittenmang ein Zebresel – nicht von dieser Welt. Weil sie uns eben noch nicht loslassen….

Zu den Restrooms geht’s per privatem Caddy: Chouchou verschwindet mit einer Blonden im Wüstenstaub. Wir sind die ersten Besucher seit einem Monat.

Auf dem Weg in die Stadt passieren wir gigantische Solarfelder. Gleich neben den ehemaligen Schauplätzen von schaurigen Atomtests Und dann taucht die Stadt der Städte plötzlich am Horizont auf: Las Vegas.

Nach Tagen der Einsamkeit wirkt bereits die Einfahrt wie der Eintritt in eine Fatamorgana.

Von der Stadtautobahn winken uns schon die bekanntesten Casinos Willkommen, das größte Riesenrad der Welt dreht still seine Kreise, der Verkehr exorbitant chaotisch, eine Schrottkarre als Mahnmal der Verlorenen am Straßenrand.

Für unsere ganz persönliche „Las Vegas-experience“ geben wir uns ein RV-Resort am Rande der Stadt: das Oasis, das einen Tieftauchgang in die 80er macht und auf Casablanca getrimmt ist – wie man sich das in Amiland so vorstellt.

Eigentlich dürfen Autos, die älter als zehn Jahre sind, nur ungern rein. Genauso wie Wagen, die nicht „self-contained“ sind. Sehr wahrscheinlich hat die Wachfrau noch nie ein so mickriges Wägelchen wie unseres gesehen und winkt uns daher undurchsucht durch.

Zweifelsohne sind wir die Kleinsten am Platz. Den Stellplatz füllen wir nur zu einem Drittel aus.

In der ersten Stunde taucht zweimal der Wachdienst auf. Erst jetzt hat man anscheinend bemerkt, dass der Magicbus nicht zum gewünschten Kundenkreis gehört: zu spät. Natürlich bauen wir die verbotene Wäscheleine wieder ab, natürlich nehmen wir die Heringe wieder aus dem Boden.
Das Anbringen der Plane ist im Gesetzeskatalog noch nicht festgehalten, aber wir sind uns sicher, dass es nach unserer Abreise dort neu auftauchen wird. Die Globetrottels machen Urlaub in Las Vegas.

Die Stadt braucht heute auf uns noch nicht zu warten. Erstmal sind wir damit beschäftigt, die Wäsche zu waschen –das erste Mal seit Vancouver–, zu duschen –das erste Mal seit San Francisco– und in den Pool zu springen –das erste Mal auf der Reise.

Schlafen neben der Autobahn, in einer Stadt, die niemals schläft – es ist das erste Abenteuer.
Das erste in Sin city, Stadt der Flackerlichter, die weder Ruhe noch Nächte kennt. Nach einer langen Reise.

Liebesbriefe nach Outer Space…

Freaks zum Frühstück.
Um 10 Uhr sind bereits alle im A´lie´Inn versammelt: vier nerdige Jungs in Ufo-Shirts, die sich beim ersten Kaffee des Tages darüber unterhalten, wo genau der Kipppunkt zwischen „angetrunken“ und „betrunken“ liegt, zwei grummelige Rachelaner an der Bar, die mit Wüstensand zwischen den Zähnen bestellen und wir – die wir soeben unsere erste Alientaufe hinter uns gebracht haben: Ömmes ohne Namen heißt jetzt „TF 23“, kurz: Tef.
Chouchou hat als extraterrestischer Pfarrer alles gegeben. Und das trotz Zahnschmerzen, die das einzige Manko der Nacht waren.

Nur mit schwerem Herzen verlassen wir diesen schrägen Ort mitten im Nichts. Ein Ort, an dem es sich herrlich normal fühlen lässt – mitten in all der Surrealität. Schon lange hat diese Reise nicht mehr eine solche Freude gemacht wie hier. In Nevada.

Die Wüste wird uns auch heute noch nicht los. Wir verstehen mittlerweile, dass es hier nicht mehr aufgeht in Highlights zu denken, denn jeder neue Tag toppt den vorherigen. Oder ist das nur unsere Wahrnehmung: immer euphorischer hochgepeitscht!? Und nur noch Zahnschmerzen, die am Boden halten – ansonsten würden die Globetrottels wohl gänzlich abheben.

Einsame Kühe trippeln über die open range, vereinzelte Kakteen tauchen in der Landschaft auf: neu.

Am einem einsamen, schwarzen Briefkasten halten wir das erste Mal: weil das ansonsten nur noch das außerirdische Amazon tut.

The black mailbox: ein schwarzer Briefkasten im windigen Kakteental.

Ufojünger glauben, dass man hier Nachrichten direkt nach outer space senden kann und stopfen ihre Briefchen in diese vereinsamte Box; eine Box, die ursprünglich eigentlich für Steve Medlins Liebesbriefe gedacht war.

Steve, ein Kuhfarmer aus der Gegend, war irgendwann so entnervt über all die schrägen Mitteilungen in seiner überquellenden Postbox, dass er aufgab und den schwarzen Briefkasten seinem extraterrestrischen Schicksal überließ. Ein neuer –irdischer– musste her: tiefer in der Seitenstraße zu seiner Ranch, dort, wo das außerirdische Amazon nicht mehr vorbei kommt. Leave the black one for the aliens.

Seitdem wird das dunkle Kästchen am Highwax nur noch von langen, silbernen Trommelschlegelfingern geleert und ganz selten heißt es: return to sender. Und Steve bekommt seine Liebesbriefe endlich, ohne erst stundenlang im schrägen Kokolores wühlen zu müssen, in der Seitenstraße.

Nächster irdischer Halt: das Alien Research Center kurz vor Alamo.
Hier endet auch unser ET-Highway – unter dem strengen Blick eines überdimensionierten Außerirdischens.

Wir plumpsen hinein und finden –statt wissenschaftlichen Forschungsergebnissen– eine Auswahl der geschmacklosesten Aliensouvenirs, die der chinesische Markt so hergeben kann. Dies alles präsentiert von einer beleibten, mürrischen und imposant amimischen Lady, die uns an der Kasse ihr großes Herz ausschüttet. Die zwei T-Shirts kaufen wir nun noch lieber, nur der ET-Tequila bleibt uns etwas zu teuer.

Am Upper Pahranagat Lake dürfen wir heute Nacht bleiben: mal wieder kostenlos und mit Seeblick.
Ein heißer Wüstenwind zerrt heftig an der Plane, die wegen des Sonnenstandes keinen Schutz bietet – und wir finden es ganz wunderbar.

Restekochen im Wind: es gibt kalten Bohnensalat mit Ei. Ein Sommergericht, das besser schmeckt als es klingt, nette Salamander flitzen vorbei und ein Vogel in rot.

Erste Recherche für den morgigen Stopp im Schatten hinterm Magicbus. Marian –die ehrenamtliche Betreuerin des Camps—kommt auf ihrem E-Bike vorbeigeradelt und flötet, dass wir auf Meteorenschauer achten müssen. Nach sechs, wenn die Sonne untergangen ist. Have a beautiful night.
Another beautiful night in Nevada. Und die Grillen singen schon…

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