Im strahlenden Sonnenschein setzen wir erste Füße auf Asphalt: den letzten auf diesem Pilgermarsch. Heute also wirklich…

Bis St Jean Pied de Port sind es 4 Kilometer. Immer vorbei an den typischen, baskischen Bauernhäusern mit rostroten Fensterläden. Die letzten vier Kilometer. Heute also wirklich…ein bisschen komisch ist es schon, dass es heute —also wirklich— vorbei sein soll.

Sagenumwobenes St Jean Pied de Port.
Um 11h herrscht noch Ruhe vor dem Sturm. Vor der Pilgerinfo drängeln sich nur wenige: alle mit sauberen Schuhen. Wir sind gefühlt die einzigen, die hier nicht anfangen, sondern aufhören. Alle Herbergen —wie angekündigt— wirklich bumsvoll.
Die Dame in der Pilgerinfo drückt uns den letzten Stempel in den Pass. Tatsächlich ist er —bis auf zwei Kästchen— voll.
Unser „Tampon pelerin“-Tagebuch Via Podiensis.
Ein bisschen schade ist es schon, dass diese Wortkombination nun aus meiner Welt auf immer verschwinden wird: „tampon pelerin“ = Pilgerstempel. Jedes Mal ein Fest, nach einem solchen fragen zu dürfen.

Es ist seltsam durch diesen Ort zu wandeln: Beendend, nicht beginnend. Für unseren Pilgerweg passend. Ein Weg, auf dem die Vergänglichkeit ein sehr großes Thema gewesen ist. Vielseitig. Zeit für Kerzchen.

An der Touristeninfo treffen wir die Österreicher wieder, verloren rumwuselnd. Die Rädelsführerin hat alles geplant: sechs Menschen, sechs Monate im Voraus. Dass der Pass nach Spanien zur Zeit kaum begehbar ist, hat sie dummerweise nicht einkalkuliert. Wie kommt Österreich nun nach Spanien? Zeit unserer Pfadfinderehre nachzukommen und den Übersetzer zu mimen, um für morgen ein österreichisches Taxi zu organisieren. Gar nicht mal zu einfach, weil die Bagage nicht genau weiß wann wie wo und wer. Aber wir schaffen es. Leiwand.

Der Bus nach Pamplona geht einigermaßen pünktlich. In Serpentinen den Pass hoch, zarte Mägen, die von Bonnies träumen.
In Roncesvalles suchen verlorene Pilgerseelen nach einer 20BettHerberge, wir rollen mit der besten Busfahrerin der Pyrenäen fußschonend an ihnen vorüber.

In Pamplona ausgespuckt zu werden kommt einem kleinen Schock gleich: größte Stadt seit Bonn — wirkt nach sechs Wochen zu Fuß durch hyperländliches Südwestfrankreich aber wesentlich größer. Wie der Nabel der Welt, der gleich aus einer Siesta erwachen wird. Vor Schreck mal wieder was verloren von den wenigen Dingen, die wir dabei haben. Heute: meine Fleecejacke.

Zur Feier des Tages: „die Globetrottels feiern sich selbst für 666km plus 11 zu Fuß“ gönnen wir uns ein Appartment mittenmang inne City. Vom kleinen Balkon könnten wir allen Pilgern nun applaudieren. Könnten. Heute sind wir allerdings noch zu müde dafür.
Es reicht für einen kleinen Einkauf und einen Berg von Wäsche in einer echten Waschmaschine— dann gehen erstmal die Tassen hoch.

666km plus 11.
Das also war den Globetrottels ihren Jakobsweg 2024. Die Via Podiensis einmal durchlaufen. Im Dauerregen und Sonnenschein. Im Gewitter und Wind.
Von Zelt bis 11BettZimmer.
Von unerahnten Gesprächen und unerwarteten Schicksalen am Wegesrand.
Von hundert Fragen zu 1001 Antworten. Und wieder einer Frage.
Von Pontius nach Pilatus. Auf Stöcken oder Hand in Hand.
Durch Äcker, über Wiesen, durch Matsch, über Berge, durch vergessene Örtchen und Dörfern, die —nach Tagen Einsamkeit— wie Weltstädte wirkten.
Von plötzlichen Freudenausbrüchen, über einige Tränen, Schmerzen und der Unfassbarkeit, dass ein kleiner Körper jeden Morgen wieder aufsteht, um weiter zu laufen.
Manchmal jenseits aller Zeit, manchmal mittendrin am Puls des Lebens, fast immer: jetzt.

Dies ist eines der größten Abenteuer gewesen, die wir je erlebt haben. Unerwartet. Fordernd. Zerrend.
Ein weiteres Abenteuer, das wir erlebt haben. Das wir ab nun immer „haben“ werden. Im Herzen, im Kopf, auf der Agenda.
Gemeinsam geschafft, zusammen gewuppt.
Ein Weg, der stärker macht. Auch durchs Schwäche mal zulassen.
Via Podiensis. Der französische Jakobsweg.
Danke, dass es Dich gibt.
Danke, dass wir auf Dir leben durften.
Danke, dass Du uns nun auch eine Pause von Dir gönnst.
What a life, what a ride.
Ultreia.