Unterwegs im Magicbus

Autor: Die Globetrottels (Seite 1 von 2)

Das Pilgern, das Leben und der ganze Rest

Im strahlenden Sonnenschein setzen wir erste Füße auf Asphalt: den letzten auf diesem Pilgermarsch. Heute also wirklich…

Bis St Jean Pied de Port sind es 4 Kilometer. Immer vorbei an den typischen, baskischen Bauernhäusern mit rostroten Fensterläden. Die letzten vier Kilometer. Heute also wirklich…ein bisschen komisch ist es schon, dass es heute —also wirklich— vorbei sein soll.

Sagenumwobenes St Jean Pied de Port.
Um 11h herrscht noch Ruhe vor dem Sturm. Vor der Pilgerinfo drängeln sich nur wenige: alle mit sauberen Schuhen. Wir sind gefühlt die einzigen, die hier nicht anfangen, sondern aufhören. Alle Herbergen —wie angekündigt— wirklich bumsvoll.
Die Dame in der Pilgerinfo drückt uns den letzten Stempel in den Pass. Tatsächlich ist er —bis auf zwei Kästchen— voll.
Unser „Tampon pelerin“-Tagebuch Via Podiensis.
Ein bisschen schade ist es schon, dass diese Wortkombination nun aus meiner Welt auf immer verschwinden wird: „tampon pelerin“ = Pilgerstempel. Jedes Mal ein Fest, nach einem solchen fragen zu dürfen.

Es ist seltsam durch diesen Ort zu wandeln: Beendend, nicht beginnend. Für unseren Pilgerweg passend. Ein Weg, auf dem die Vergänglichkeit ein sehr großes Thema gewesen ist. Vielseitig. Zeit für Kerzchen.

An der Touristeninfo treffen wir die Österreicher wieder, verloren rumwuselnd. Die Rädelsführerin hat alles geplant: sechs Menschen, sechs Monate im Voraus. Dass der Pass nach Spanien zur Zeit kaum begehbar ist, hat sie dummerweise nicht einkalkuliert. Wie kommt Österreich nun nach Spanien? Zeit unserer Pfadfinderehre nachzukommen und den Übersetzer zu mimen, um für morgen ein österreichisches Taxi zu organisieren. Gar nicht mal zu einfach, weil die Bagage nicht genau weiß wann wie wo und wer. Aber wir schaffen es. Leiwand.

Der Bus nach Pamplona geht einigermaßen pünktlich. In Serpentinen den Pass hoch, zarte Mägen, die von Bonnies träumen.
In Roncesvalles suchen verlorene Pilgerseelen nach einer 20BettHerberge, wir rollen mit der besten Busfahrerin der Pyrenäen fußschonend an ihnen vorüber.

In Pamplona ausgespuckt zu werden kommt einem kleinen Schock gleich: größte Stadt seit Bonn — wirkt nach sechs Wochen zu Fuß durch hyperländliches Südwestfrankreich aber wesentlich größer. Wie der Nabel der Welt, der gleich aus einer Siesta erwachen wird. Vor Schreck mal wieder was verloren von den wenigen Dingen, die wir dabei haben. Heute: meine Fleecejacke.

Zur Feier des Tages: „die Globetrottels feiern sich selbst für 666km plus 11 zu Fuß“ gönnen wir uns ein Appartment mittenmang inne City. Vom kleinen Balkon könnten wir allen Pilgern nun applaudieren. Könnten. Heute sind wir allerdings noch zu müde dafür.
Es reicht für einen kleinen Einkauf und einen Berg von Wäsche in einer echten Waschmaschine— dann gehen erstmal die Tassen hoch.

666km plus 11.
Das also war den Globetrottels ihren Jakobsweg 2024. Die Via Podiensis einmal durchlaufen. Im Dauerregen und Sonnenschein. Im Gewitter und Wind.
Von Zelt bis 11BettZimmer.
Von unerahnten Gesprächen und unerwarteten Schicksalen am Wegesrand.
Von hundert Fragen zu 1001 Antworten. Und wieder einer Frage.
Von Pontius nach Pilatus. Auf Stöcken oder Hand in Hand.
Durch Äcker, über Wiesen, durch Matsch, über Berge, durch vergessene Örtchen und Dörfern, die —nach Tagen Einsamkeit— wie Weltstädte wirkten.
Von plötzlichen Freudenausbrüchen, über einige Tränen, Schmerzen und der Unfassbarkeit, dass ein kleiner Körper jeden Morgen wieder aufsteht, um weiter zu laufen.
Manchmal jenseits aller Zeit, manchmal mittendrin am Puls des Lebens, fast immer: jetzt.

Dies ist eines der größten Abenteuer gewesen, die wir je erlebt haben. Unerwartet. Fordernd. Zerrend.
Ein weiteres Abenteuer, das wir erlebt haben. Das wir ab nun immer „haben“ werden. Im Herzen, im Kopf, auf der Agenda.
Gemeinsam geschafft, zusammen gewuppt.
Ein Weg, der stärker macht. Auch durchs Schwäche mal zulassen.
Via Podiensis. Der französische Jakobsweg.
Danke, dass es Dich gibt.
Danke, dass wir auf Dir leben durften.
Danke, dass Du uns nun auch eine Pause von Dir gönnst.
What a life, what a ride.
Ultreia.


Das Unmögliche nicht ausschließen

Die Mädels bei uns im Zimmer haben wohl nicht allzu gut geschlafen. Wohl weil einer des nachts laut geschnarcht hat: ich.
Mit roten Augen beginnen sie den Tag, meine Nacht hingegen war einigermaßen erholsam. Desolé Mädels. Es war wirklich nicht extra. Mit Scham bin ich schnell aus dem Bett, auf dem Weg nach unten in die Küche.

Dort wuselt bereits die Rädelsführerin der sechs Österreicher, die am Abend noch die gesamte Bude unterhalten haben.
Bester Eisbrecher am Abend: mein Einwand, dass ich mal einen Liebhaber in Salzburg hatte. Fanden alle super, is eh kloar.

Die Rädelsführerin ist bestens ausgeschlafen und bereit für den nächsten Wandertag. Sie hat den Pilgermarsch für alle sechs vorbereitet. Vor sechs Monaten bereits alles gebucht.
Jetzt gießt sie mit Schmackes sechs Kaffee in sechs Tassen. Obwohl außer ihr und mir noch keiner da ist. Die Kanne ist leer, bevor der Tag überhaupt angefangen hat. Also setze ich erstmal einen weiteren Kaffee auf.

Im Nieselregen geht’s weiter. Chouchou freut sich: „Letzter Pilgertag“. Nee, nicht ganz. Es sind tatsächlich noch zwei, aber ein Ende ist absehbar.

Wegen des Dauerregens steht ein Großteil des Wegs lecker unter Wasser. Hier heißt es mal wieder: Matschwaten vom Feinsten. Das beste Equipment wären —statt Wanderschuhen— wohl Langlaufskier. Die Stöcke hätten wir ja schon.
In den nächsten Stündchen treffen wir mehrere Leute, die sich langgelegt haben. Ein Wunder, dass es uns noch nicht passiert ist. Ein Wunder, dass Chouchous Mütze trotzdem so eingesaut ist, als hätte er versucht, mit dem Kopf zu kegeln.

Gegen späten Vormittag hört der Regen auf. Sonne und Wolken über einem Heidi-Szenario, auch die Häuschen sehen mittlerweile immer almartiger aus.
Im nächsten Dorf kommen wir zeitlich passend zum Schafauftrieb. Große Liebe für diese tollen, braven Tierchen.
Mehrere Rotmilane versuchen Feldmäuse aus den Löchern zu pfeifen, Kühe auf Bergweiden. In einer unserer Pausen lege ich mir einen Fliegenzirkus zu und dressiere ihn in kürzester Zeit zum erfolgreichsten FliegenHürdenflugZirkus der Welt.
Dann sind wir auch schon da:
St Jean Le vieux, 4km vor dem sagenumwobenen St Jean Pied de Port, dem Ende der Via Podiensis.

Wir checken in das letzte Etablissement ein, das noch ein Zimmer frei hatte: das Hotel Mendy. Hierhinter ist seit Monaten bereits alles ausgebucht. Der Run auf den Jakobsweg funktioniert bei den allermeisten spontan nicht mehr. Oder nicht mehr spontan. Stichwort: Halbpension mit Frühbucherrabatt. Wir haben uns nach 666km plus 7 noch immer nicht daran gewöhnt.

Im Hotel Mendy hat auch die Rädelsführerin gebucht. Drei Zimmer, sechs Leute, vor sechs Monaten. Fröhlich winkend nehmen sie uns in der Bar in Empfang:
Jo mei, ihr auch hier!? Ohne Reservierung?
Jo mei. So schauts wohl aus.
Ge super is des. Leiwand.
So is es wohl.

Dies wird also der letzte Abend auf unserem Jakobsweg sein. Bis ans Ende der Via Podiensis.
Viele Gedanken haben wir uns zu diesem Weg gemacht. Darüber und darauf. Viele davon sind sind noch lange gesackt, geschweige denn verarbeitet.

Ob dieser Weg nun etwas Magisches hat?
Wer weiß es schon?
Wen auch immer ich auf dieser Etappe gefragt habe: er oder sie war sich stets sicher. Ich bin es bis heute nicht und muss es auch nie sein.

Manchmal reicht es vielleicht, sich an den Möglichkeiten und Zeichen zu erfreuen.
Heute Abend gab es einen ewigen Regenbogen: 30 Minuten in allen Farben — manchmal zu zweit, manchmal alleine.
Manchmal reicht es vielleicht, sein Herzchen offen zu halten und das Unmögliche zumindest nicht auszuschließen. Weich zu bleiben, berührbar und empfänglich.
Möglicherweise ist sie auch das: diese wahre Magie!?
Wer weiß es schon?

Klagen…man man auch lassen

Zwischen den Fliegen macht Steeve ein prima Frühstück. Theirry ist leider noch kränker als vorher: er muss heute ein Taxi nehmen. Fast wäre man versucht zu sagen: Der Glückliche. Denn den gesamten Tag ist Dauerregen angesagt. Zu 100%!

Irgendwann quälen wir uns vor die Tür.
Noch vollkommen überzeugt, dass man dem Wetter mit dem richtigen „Mindset“ entgegen treten kann.
Tatsächlich passt das für drei Stunden, spätestens dann aber knickt man als mental Ungeübtes ein.
Wir klappen geistig bereits nach eineinhalb Stunden weg.

Angeblich ist dies die schönste Etappe seit Aubrac. Wegen des Ponchos sehen wir kaum etwas. Nach zwei Stunden ist wirklich alles nass. Trotz Gamaschen, trotz Regenjacke und -Hose unter dem Regenponcho.

Stundenlang laufen wir in nassen Socken in nassen Schuhen. Eine gute Übung im „nicht bewerten“: denn nass ist erstmal nur nass.
Unsere mentalen Fähigkeiten diesbezüglich reichen aber leider nur 10km. Danach muss gesagt werden: es ist doof. Richtig doof…vor allem, da man auch nirgendwo trocken rasten kann.

Bis zum ersten Unterstand werden es 14km. Unterwegs ein Super-Regenwurm von einem Meter. Wenn man ihn ziehen würde, käme er womöglich auf zwei — wir lassen es sein. Zu beschäftigt damit, uns selbst zu bemitleiden…

Die Herberge in Ostabat fast wie eine Fatamorgana: rettender Hafen. Scheiß auf Vierbettzimmer. Hauptsache man kann sich irgendwie trocken legen.

Lani und Sabrina in Stockbett neben uns. Wir tropfen pitschnass ein, ich habe deutlich mehr Mitleid mit ihnen als mit uns. Sie sind jung und kräftig und bereit für Abenteuer. Wir sind alt und nass und vollkommen ausgelaugt. Verlorene Träume tropfen auf schmierigen Linoleumboden: Sorry, to have us here with you tonight.

Wir schwören uns tief: dies wird unsere allerletzte Nacht im Vierbettzimmer sein. Auch, um andere zu schützen.
Selbst wenn wir irgendwann in den Knast kämen: ein Hohelied auf Intimität hinter schwedischen Gardinen. Dort gibt es Zweibettzimmer.

Dieser Weg fordert alles. Auch wenn man öfter drauf kommen könnte, dass es eigentlich nix ist.
Weil dies alles noch immer „selbst ausgesucht“ bleibt. Eine selbstgewählte Erfahrung.
Warum also klagen? Wenn die Schuhe abends über dem Ofen trocken brutzeln?
Warum also klagen? Wenn der eigene Körper noch immer von A nach B trägen?
Selbst nur mit ein bisschen Murren.
Warum also klagen?
Auch wenn es zwischen durch mal ganz gut tut.
…ändert es ganz und gar nix.
Eigentlich könnte man es damit auch lassen…
Wieder eine Erkenntnis.


Eine Frage, die man besser nicht stellt

Es war ein prima PausenTag in Navarrarenx, den wir größtenteils leider mit planen verbracht haben. Wie zu Beginn der Reise sind die Herbergen nun plötzlich meist wieder ausgebucht auf den nächsten (für uns sehr letzten Etappen).
Der Jakobsweg gibt uns nun noch mal alles um zu zeigen, dass er nichts mehr für spontane Geister ist!
Catherine verabschiedet uns mit Räucherstäbchen aus der best riechendsten Unterkunft seit jeher…

Das Wetter ist heute bestens. Häuser mit Schlupfdächern, die Jakobus Gesellschaft hat Obstbäume am Wegesrand gepflanzt.

Schmutz-Schlitterweg im Wald. Ein Schild warnt: „Achtung, Taucher!“ Warum nicht!?

Wir pausieren erst an einem Hof, der Gänseleberstopfpastete anbietet. Auch hier hat Frankreich ein Schlupfloch gefunden: Kultur versus Tierschutz. Wir trinken nur Kaffee.

Nächstes Picknick mit Wanderwurst: ein netter Hund mit wenig IQ. Wofür bräuchte er den auch!? Nur schade, dass er bei der Nahrungsaufnahme nach unserer Fütterung AUF dem Tisch sucht und dabei quasi runterstürzt.

Dann: der „Strand von Lichos“, nun sind wir ganz offiziell im Baskenland. Aber hier ist alles zweisprachig auf den Straßenschildern.

Den allerletzten Platz, der heute frei war, finden wir in einer „Donativo“-Herberge: Übernachtung und Essen gegen Spende. Irgendwo —mal wieder im Nichts. Wir rechnen mit allen. Nur nicht mir Steeve.

Steeve hat am Rande des Baskenlandes ein Bauernhaus gekauft. Die ganze Nummer ist so gut saniert, wie es geht. Aber die Fliegen sprechen Bände der Wahrheit.

Es wird ein äußerst lustiger Abend mit
Steeve — dessen Lachen alleine Showeinlage ist— und Thierry —ein verlorener Franzose, schwer krank. Wir bekommen das beste vegetarische Essen Frankreichs, lachen, reden (natürlich nicht) über Politik. Katzen auf den Tischen, Hunde zu Fuß, die Fliegen schwirren um Ohren und Kopf. Ein guter Ort, so lange man sich nicht um Hygiene sorgt.

Wir haben heute ein Zweierzimmer mit Trockentoilette. Eine nette Überraschung in einem Land, das bedacht auf Permakultur ist. In jeder Ritze.
Die Katzen heißen Putin und Stalin, wir fragen nicht weiter. Weil es heute heißt: „We don’t talk politics.“
Als Steeve die Herberge eröffnete, hat er intial jeden Pilger nach seinen Beweggründen gefragt: warum gehst Du den Camino?
Nachdem jeder zweite zu weinen auffing, hat er die Frage besser weggelassen.

Warum also gehst Du den Camino?
Eine Frage, die man besser nicht fragt. Damit hier keiner weint.
Auch das, eine äußerst wichtige Erkenntnis!


Wir sind alle Sternenstaub

Eines ändert sich nie: Die Globetrottels werden auf diesem Weg wohl immer der Schwanz der Schlange bleiben.
Als wir (noch ungewaschen) zum ersten Kaffee in der Gemeinschaftsküche erscheinen, sind nur noch Emil, Valerie und die freundlichen Elsässerin da, deren Namen ich leider vergaß. Alle anderen sind schon lange, lange wieder unterwegs. Auf in Richtung Erleuchtung.

Diesen Sonntag machen wir also Sonnenwanderung. Hat der Wettergott so entschieden.
Wildblumenwiesen wie im Paradies, ein Rotmilan zieht leise seine Kreise.
Meist geht es an Bauernhöfen vorbei, einige davon mit eindeutigen Traumhauspotential.
Eine der vielen „Fermes“ gehört Albert, der jüngst 60 wurde (glaubt man den zahlreichen Aufschriften auf Asphalt). Albert hat zwei PyrenäenHirtenhunde, die uns freudig begrüßen und eine Ammenkuh, die gleich drei Kälbchen auf einmal säugt. Und wir fragen uns, ob die Kühe sich wohl in Schichten einteilen!? „Bertha, heute bist Du mit Milch geben dran!“ Damit die anderen einfach mal einen Tag Pause machen können. Oder bekommen Kühe auch mal Drillinge?

Ein Pilgerpausengarten im Nichts. Ein alter Sessel, der vom lesen träumt, eine Kanne heißes Wasser für die Durstigen. Eine Schaukel, die uns gerade noch hält und überall Yogiteesprüche in den Bäumen: „Regel Nummer eins: Scheiß drauf,was sie denken!“ oder:
„Gibt gibt es ein Leben vor dem Tod?“ oder:
„Eine andere Welt ist möglich.“ oder:
„Wir sind alle Sternenstaub.“ oder:
„Camino, sex and sun.“ oder:
„Ich kenne meine Grenzen. Deswegen gehe ich drüber.“
Natürlich folgt auf diesen Garten eine Gîte die nicht anders heißen kann als: „Zeichne mir einen Weg,“ frei nach dem kleinen Prinzen, der unbedingt ein gemaltes Schaf wollte. „Dessine-moi un mouton.“ = Zeichne mit ein Schaf. Dies ist —laut Globetrottels‘ Literaturkritik— wirklich ein literarisches Meisterwerk. Ganz im Gegensatz zum Alchemisten, der am Weg auch viel zitiert wird und ein vollkommen überbewertetes Sammelsurium von Schundweisheiten darstellt. Zumindest, wenn man älter als 15 ist. Mit 15 aber ist auch der Alchimist wichtig und hat damit seine Berechtigung. (Globetrottels Reich-Ranitzki Ende.)

Weiter über leergefegte Wirtschaftswege. Heimelige Outdoorkapelle mit zenartiger Pausenbank und wunderschön bemalter Jakobsmuschel.
Nur zweimal noch begegnen wir heute anderen Menschen unterwegs:
Einmal der Gendarmerie, die von uns wissen will: „Woher? Wohin?“
und einem Hohepriester einer Weltuntergangskommune, die hier irgendwo versteckt im Wald lebt. Mit lächelnden Augen warnt er uns vor dem großen Knall, der bald kommen wird und drückt uns ein Survival-Infoblättchen in die Hand, bevor er von dannen zieht: keine Zeit mehr zu verlieren.

Nach 15km tippeln wir nach Navarrenx rein.
Zünftige Stadtmauer, an der heutzutage Pilgergesichter hängen und Gott sei dank keine Aussätzigen mehr, wir suchen das einzige Café.
Valerie und die freundliche Elsässerin, deren Namen ich leider vergaß, sind natürlich schon dort winken uns fröhlich Hallo. Zu Essen gibt’s hier heute leider nichts mehr für uns: das kennt der Schwanz der Schlange ja schon, aber immerhin fühlen wir uns gleich ein bisschen wie zu Hause.

Für zwei Nächte gönnen wir uns hier, mittlerweile am Rande des Baskenlandes, ein Appartement, das eigentlich Catherine gehört. Und tauchen ein in die schönste Unterkunft unseres gesamten Caminos.

Catherine hat das alte Haus selbst auf Vorderfrau gebracht und ein wunderschönes Pilgerappartment aus den alten Mauern geschält. Hier ist nicht nur alles da, sondern obendrein auch alles wunderschön. Inklusive frischer Blumensträuße auf dem Tisch, der Anrichte und im Schlafzimmer. Inklusive der coolsten Vintagetapete der Welt, des Wissens um die Wirkung von Licht und einer roten Rose vor dem Fenster, die farblich ihres gleichen sucht.
Inklusive einer Gastmama, die uns —obwohl in keiner Weise mitgebucht— sogleich einen Salat und eine vegetarische Pie auf den Tisch stellt. Aus purem Mitleid, da wir im Café nichts mehr zu essen bekamen.

Da sind wir also: Navarrenx. Für wunderbare zwei Nächte. Und ein wenig verrückt ist’s schon:
Seit wir vor zwei Tagen die Entscheidung getroffen haben, den Pilgerweg fürs erste in St Jean zu verlassen, wird dieser Weg plötzlich immer schöner, magischer und reizvoller.
Vielleicht beginnt man manchmal zu finden, wenn man das Suchen aufgegeben hat!?
Auch das: ein herrlicher Yogiteespruch. Den wir so langsam zu spüren lernen — und nicht nur zu lesen.


Zur Familie zu gehören, auch wenn man sich zurück zieht

Wundervolles Licht am Morgen. Antike Straßenlampen vor sonnigem Wolkenhimmel, ab geht’s in die nächste 19km Etappe. Nach einem der liebevollsten Frühstücke, die die Welt je gesehen hat. Danke Aïsha!

Geilste Pilgersnacks der ganzen Welt gibt’s in der „Drei Törtchen“-Bäckerei von gestern. Unter anderem ein schwarzer Bagel mit sehr viel Lachs drauf: heute vegetarisch.

Über nette Feldwege bergan, nur selten auf Straße. Und wenn, dann fahren Oldtimer darüber: nett ist das und erinnert mit Liebe an Onkel Uwe. Uwe, wir vermissen Dich. 8 Jahre schon.

Passend zur Mittagszeit erwischen wir den Ladenschluss des Tante Emma Ladens und laden —Gott sei dank— noch Eis auf. Erst das zweite auf diesem Camino. Mit letzten Sonnenstrahlen weggeschlabbert, dann beginnt der Regen.

Am kommunalen Sportplatz —heute sehr leer und unsportlich— verpacken wir uns in Plastik. Erstmalig kommen die Gamschen an die Füße: kein leichtes Unterfangen, aber schlussendlich die trockene Variante.
In Vollplastik geht’s —nach zehn Minuten bereits pitschnass— den nächsten Berg hoch.

Ein Tipp für Geister, die unter einer schmalen Emotionsbreite leiden: bei lecker warmen dreizehn Grad im Platzregen einfach mal einen Berg in Vollplastik und mit Gepäck einen Berg rauf stiefeln. Danach leidet keiner mehr unter zu wenig Gefühl. Cave: fällt allerdings nicht in den Bereich „Komfortzone“.

Nach weiteren vier Kilometern reißen wir wütend das Zeug vom Körper. Reiner Überlebenstrieb bei schwimmen im eigenen Saft. Tipp für Geister, die unter schmalen Körpergefühl leiden. Weil man spüren kann, das jede Zelle ausatmen will. Und garstig wird, wenn der eigens abgesonderte Saft nicht entweichen kann.

Frank kommt vorbei und fragt, ob alles in Ordnung sei. Oui, merci. Denn seien wir ehrlich: Nur der Kopf hat Probleme. Wie so oft im Leben. Frank nickt wissend und stiefelt locker vor uns den nicht endenden Berg hinauf.

Durch den Wald, kurz kommt die Sonne raus und verabschiedet sich gleich wieder. Eine schwarze Schnecke kriecht vorbei. Bis hier hin wusste ich nicht, dass sie Eier legen kann. Ein weiteres Wunder Welt, in dem ein Esel freudig hinter uns her galoppiert.
Kleiner Liebesmoment am Wegesrand und dann zieht sich der Himmel auch schon wieder zu.

Nach 18 Kilometern das rettende Kloster in Sauvelade. Anbei liegt unsere Gîte und wieder einmal schlägt der gute, alte Jakobswegslogan zu: Du weißt nie, was Du kriegst.

Die Jungs aus Allgäu und Pott sind schon da und weisen uns auf deutsch ein: wir haben also Zimmer 7. Nicht Bett 7!? Nee. Zu unserer Überraschung gibt es keine Massenzimmer (wie angekündigt), sondern jedem kleinen Schweindl seinen eigenen Stall. Wie toll ist das denn bitte!?

Die Bar öffnet um halb sechs. Emil ist der erste an der Theke, zu dem geselle ich mich doch mal. Emil aus dem Vaucluse. Hat herausgefunden, dass es super ist, seine Frau nicht täglich vom Weg anzurufen. Seit er damit aufhörte, fing sie plötzlich an, ihn sehr zu vermissen, sagt er. Und bimmelt nun zweimal täglich durch. Emil, der Fuchs, hat ganz nebenbei seine Ehe neu belebt. Durchs rar machen.
Dann kommt Wolfgang. Der hält sich an Chouchou und schüttet alsbald sein Herz aus. Über das, was er auf diesem Weg sucht und was er in einem zwei Wochen Trekking in Nepal schon gefunden hat.
Mir fällt hierbei vor allem eins auf: wie sehr ich Chouchou doch liebe für seine Fähigkeit des bedingungslosen Zuhörens:
Kein Wort davon, dass er mit der eigenen Schrottkarre nach Kathmandu gefahren ist. Kein Wort von eigenen Nepalwanderungen. Kein Wort von „Ich“, sondern lediglich wertschätzendes Zuhören und herziges Miterleben von Wolfgangs Geschichte.
Wie sehr ich ihn in diesem
Moment dafür liebe, Wolfgangs Erlebnisse nicht mit einem egozentrierten Satz zu Nichte zu machen, indem er so was los wird wie: „Ja. War auch schon da, kann ich nachvollziehen.“
Kurz darauf kommt Frank. Frank, der seit dem Wald und dem Abwerfen des Plastiks von uns schon weiß, dass die Probleme nur im Kopf liegen.
Wie schade, dass um sieben Massenspeisung (ohne uns) ist. Just in dem Moment, als Frank meine Frage beantworten will, ob dieser Weg —seiner Meinung nach— denn nun wirklich etwas Magisches an sich hat oder eben nicht.

Manchmal glaube ich, es ist vollkommen egal, wie man die Dinge bezeichnet oder belegt.
Wie nennt man es, wenn ein herziger Wirt es nicht aushält, dass man bei einer Massenspeisung nicht mitmachen will und trotzdem kostenlos ein Essen serviert?
Das Fleisch verteilen wir unter den andern und schmausen demütig den Rest.
Ist das ein: „Zur Familie zu gehören, selbst man sich zurück zieht?“
Vielleicht. Ein bisschen.
Wenn man an denn an was Magisches glauben will.
Heute Abend möchte ich das.


Ein guter Grund zu pilgern, ein guter Grund zu wandern

Verrückt. Man kann tatsächlich im Elfbettzimmer ganz gut schlafen. (Auch, weil Pierre-Eve und Annick nicht schnarchen, aber das muss der sauberen Erkenntnis-halber ja nicht erwähnt werden.)

Check out um 8h, wir zögern —gemeinsam zu viert— bis 9 hinaus. Auch, um Zeit zu gewinnen für eine herrlich kurze Etappe heute: Wellness wandern für schlappe 10 Kilometer. Weil wir auf Punkt vier der Foto Challenge langsam keine Lust mehr haben: den ewigen Schmerz.

Der angeblich obligate Schmerzaspekt des Pilgern geht uns heute seelisch nach.
Ehrlich und tief in uns hinein gehört, spüren wir: Auf Schmerz haben wir einfach keinen Bock mehr! Sorry, lieber Jakobus, aber diesem Aspekt können wir einfach nichts abgewinnen. Körperliche Herausforderung: ja. Gerne auch über eine längere Zeit.
Meinetwegen auch Grenzgang. Das Konzept des dauerhaften Schmerzes aber, bekommen wir nicht mit unseren Lebensideen überein. Wir haben es wirklich versucht — vielleicht sogar auch ein bisschen verstanden. Manchmal reicht das.
Und daher treffen wir eine sehr wichtige Entscheidung:

In St Jean Pied Le Port steigen wir aus. Oder besser gesagt: in 100 km steigen wir um. Von pilgern auf weitwandern.
Die gleiche Nummer, aber ohne Schmerzen und bezahltem Pilgergefühl. Weg von Asphaltstraßen und Selbstkasteiung, hin zu mehr Natur, mehr Selbstbestimmtheit und vielleicht auch Einklang.
Bis dahin werden wir knappe 700 km gepilgert sein, bis dahin kann man sagen, dass wir einen einigermaßen guten Überblick bekommen haben, was dieses Konzept bedeuten kann: Pilgern.
In St Jean ist diese Etappe für uns rund. Ende der Via Podiensis, ab hier ginge der Camino frances los. Den sparen wir uns für später. Irgendwann.
Eine große Entscheidung. Eine wichtige.
Inklusive dem Gefühl, trotzdem nicht vorzeitig hingeschmissen zu haben. Auch das ist (spannenderweise) sehr wichtig für uns…

Was folgt ist ein sehr entspannter Tüdeltag. Am Wegesrand rosa weiße Gänseblümchen, ein zwängig angeordnetes Steinhaus. Blick auf die Pyrenäen, wenn die Wolken denn wollen. Und natürlich immer wieder Yogiteesprüche am Wegesrand. Diese bauernschlauen Sprüchlein hier und da, die aus einem Wander- einen Pilgerweg machen.

Blumenwiesen, wilden Spargel knabbernd, quer durch violettes Gras hoch zu einer zauberhaften Kapelle kurz vor Arthez.
Auf kaltem Altar meditiert, auch das wohl ein Unterschied zwischen Pilger- und Wanderweg: engmaschige Meditationsräume dort und hier, kulturelle Zeugen der menschlichen Suche nach Sinn und Antwort.

Arthez de Bearn: hat angeblich alles.
Für heute sind wir also wieder mal da.
In der alternativen Pinguinbar bekommen wir vom maulfaulen Wirt zumindest eine Cola. Essen hat er nicht, Musik gibt’s heute Abend ebenso wenig, für Bier aber könnten später wiederkommen. Ein Willkommen der Pyrenäen-atlantischen Art.
Warten vor der Kirche auf endlich Check in um 15:00 Uhr, es beginnt zu gießen. Also ab in die Bäckerei: drei Törtchen bestellen.
Ein Schmaus. Das Mango-Pistazien-Törtchen schlägt beinah seinen Kompagnon „L‘oran“ aus Cahors. Falls irgendjemand mal dort hinfahren sollte: dringend merken, wer Gaumenhimmel auf Erden erleben will.
Bitte, gern geschehen.

Wir schlüpfen heute bei Aisha unter. In einer Pension. Wahnsinn, wie viel Luxus das ist nach mehreren Tagen Herberge.
Duschen und Handwäsche, die auf einem beheizten Handtuchhalter trocknen kann. Der Inbegriff von „freshness“.

Abends gibt es statt Herbergseiern Pizza. Ums Eck: unser maulfauler Wirt, der nach sechs wirklich Bier spendiert und einen Pilger-Punkrock-Stempel.
Wenn’s nicht so wolkenverhangen wäre, könnte man durch die Scheibe, die von sehr vielen Fliegen umworben wird, die Pyrenäengipfel sehen. Eine alte Katze döst auf dem Stuhl neben uns. Über ihr ein ihr gewidmetes Kunstwerk: „Chabbogy“.
Irgendwann spielt unser Wirt extra für uns neudeutsche Klänge. Irgendwas zwischen Stereototal und Die Sterne und ich beschließe: sollte ich irgendwann ein Auto kaufen, wird es eine Ente sein.

Das Auf und Ab des Pilgern. Eines des größten Abenteuer, das wir jemals in Angriff genommen haben, ohne es vorher zu ahnen.
Eines bleibt —neben der heutigen Entscheidung, dem Schmerz Adieu zu sagen— trotz allem sicher: auf den letzten 600 Kilometern haben wir unzählbare Erinnerungen gesammelt, die sich fest in Herz und Hirn brennen.
Das ist immer ein guter Grund loszuziehen.
Und ein guter Grund zu pilgern.


Von Profis beraten

Um Punkt sieben werden wir zum Frühstück erwartet. So läuft der Hase in der Pilgermassenhaltung: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Die Ultreia-singende Truppe von gestern sitzt schon lustig schnatternd am Tisch, wir werden freudig und lautstark begrüßt. Vor dem ersten Kaffee.
Nur unsere Zimmernachbarin sieht etwas fertig aus. Weil ich heute Nacht geschnarcht habe — meint Chouchou. Da hätte auch jegliches rütteln am Stockbett nix gemacht….
Vor lauter Scham traue ich mich nicht dreimal nach der Kaffeekanne zu fragen. Unzureichende Betankung. Das sollen wir im Laufe des Tages noch merken.

Punkt 8:00 Uhr: Check out.
Unsere Spende fürs Frühstück landet im Körbchen, wir kriechen erstmal zum Bäcker: Kaffee holen.
Jim und Chang sind Lustigerweise auch schon da. Und die wackeren, campierenden Jungs, die vom Herbergsvater weggeschickt wurden. Sie mussten ihr Zelt hinterm Fussballplatz aufschlagen, nachdem die Sonne unterging.
Alle Pilger sind gleich, aber manche sind halt gleicher als andere.

Am kältesten Tag des gesamten Pilgerwegs geht’s heute für uns weiter durch grüne Tunnel, vorbei an Kühen, die genauso müde sind wie wir, bis zur ersten Kapelle. Ein kalter Pyrenäenwind fegt bereits ab acht: Handschuhe tragen. Auch das erste Mal auf dem Weg.

Wunderschöne, schlichte Kapelle im Nirgendwo. Heißt: St Jacques. Wie sonst!?
Klaus Jakobsjunge war natürlich auch schon hier. Mittlerweile hat er vier Wochen Vorsprung. Wir werden ihn nicht mehr einholen.
Im Hinterzimmer könnte man nachts —als verlorene Pilgerseele— unterkommen, wenn man keine Angst vor Geistern hat. Ein alter Schrank rechts, dessen Türen knirschen, ein spinnwebenumarmter Tisch in der Mitte. Links gab es vor hundert Jahren mal einen Kamin, der frisch angekokelt ist. Ein Findiger, der einen Zettel hinterließ:
„An alle Idioten: Bitte kein Feuer machen!“

Erster Stop nach 10 km in einem Örtchen mit dem lustigen Namen Pimbo. Mittendrin — in einer alten Scheune, vollkommen unerwartet — ein Feelgoodcafe, wie man es auch in Prenzelberg finden könnte.
Die Ultreia-singende Truppe ist auch schon da und umfängt uns freundlich winkend und schnatternd. Ach, Du Zauber des Anfangs…

Wir bestellen herrliche Waffeln und den besten Kaffee seit langem. Zu kaufen gibt es außerdem alle lokalen Produkte, die im Umkreis von 15 Kilometern hergestellt werden: Rilette, diverse Weine, artisanale Biere, CBD-versetzte Tees, handgerührtes Shampoo. Einzig nicht einheimisches Produkt: Nag Champa Räucherstäbchen.

Nur mühsam raffen wir uns nach zwei Kaffee und einer Stunde wieder auf. Zwischen eiskalten Wind fällt mittlerweile Nieselregen. Nicht die beste Werbung zum Weitergehen.
Trotzdem soll’s jedem mal empfohlen werden: in Eiswind und Nieselregen weitere 9 Kilometer mit Gepäck meist bergan zu laufen, setzt ungeahnte Emotionen frei! Nicht immer nur die schönsten.

Etappenziel ist heute Arzacq-Arraziguet — ein Ortsname, den sich nicht mal die Einheimischen merken können. Den Rest muss man sich auch nicht merken.
Die kommunale Herberge sieht aus wie ein Zentrum für Abschiebehaft, meint Chouchou. Immerhin hat’s dort heute —Gott sei dank— ein Zweibettzimmer für uns.

Ob wir abends um „Punkt sieben“ mit Abendessen wollen, fragt die städtische Mitarbeiterin. „Nein, danke,“ sagen wir. Denn nebenan hat es eine Pizzeria.
Eigentlich hatten wir für morgen Frühstück mitgebucht, ab wann es das denn gäbe, fragen wir.
Ab wann? Das gibt es hier nicht. Kein „von bis“, sondern nur ein „pünktlich um sieben!“ sagt die städtische Mitarbeiterin:
Ob das „d’accord“ für uns sei?
Äh. Ob wir auch um viertel nach kommen könnten?
„Non!“
„Non?“
„Non!“
Ehrlich gesagt ist das nicht so komfortable für uns. Also: Non. Aber herzlichen Dank fürs Angebot.

Ein deutscher Pilger hinter uns schüttelt verständnislos den Kopf.
Was wir denn bitte hätten? Frühstück gibt es überall in Frankreich um sieben.
Er weiß ganz genau Bescheid, er ist nämlich schon durchs gesamte Land gepilgert. Mit sechs Jakobswegaufnähern auf der Jacke und seiner fußkranken Frau, die er heute mit dem Bus weggeschickt hat. Selbst schuld, wenn die Alte mit Fersensporn nicht mehr laufen kann. Im Notfall muss sie zurück nach Witten, wenn’s nicht besser wird, dann läuft er halt alleine weiter.

Hinter ihm steht der nächste Profi: ein Nordlicht mit Ziehwagen. Der hat genauso viel Ahnung, wie sein Kompagnon mit Aufnäher. Neben Frühstück im sieben ist ein Ziehwagen viel besser als ein Rucksack. Weiß er, weil er nämlich ein echter Pilger ist und nicht nur ein „zwei Wochen Wanderer“. Da braucht es halt etwas mehr als nur im Urlaub.
Aber wem erzählt er das?
Blutigen Anfängern, die um acht frühstücken möchten und noch lange nicht verstanden haben, dass „Pilgern nicht immer eine Freude bedeutet. Aber das versteht ihr vielleicht ja auch später mal.“

Ja, vielleicht. Bis dahin wird bei den Globetrottels halt nicht um sieben gefrühstückt, eher getragen als gezogen. Ohne Aufnäher auf der Jacke.
Es ist aber mal gut, kostenlos von Profis beraten zu werden…


Und Gott sprach: es gibt Omlett!

So langsam haben wir den Groove raus.
Den Tag in Aire sur l‘Adour genutzt, um die Logistik der nächsten drei Tage in die Hand zu nehmen. Somit lässt es sich heute entspannter los marschieren: wohlwissend, dass wir uns nun drei Tage nicht mehr um die Übernachtungen kümmern müssen. Das —wirklich— macht den Tag um so vieles einfacher.

Neunzigerjahre Groove zum Frühstück wegen Pampelmuse. Und das große Wundern, dass tatsächlich in einigen Dörfern Südfrankreichs noch Ausnahmegenehmigungen für blutigen Stierkampf existieren. An einigen der Todgeweihten marschieren wir vorbei. Aus der Stadt heraus.

Hinterm Ortsschild liegt das Kloster Sainte-Quiterie. Quiterie: eine Märtyrerin des frühen Mittelalters, die sich einem gotischen Prinzen verweigerte, der nicht an die Dreifaltigkeit glaubte. Konsequenz: Kopf ab.
Ihr Sarkophag liegt hier in der Kirche.
Noch heute wird die heilige Quitteria verehrt und von den Gläubigen regelmäßig angerufen: ironischerweise vor allem bei Geisteskrankheiten und Kopfschmerzen. Guillotinenhumor nennt man das dann wohl.

Über den Nelson Mandela Weg runter zum See. Dort treffen wir zwei Hippie Frauen und einen Schweden. Erstere sieben mal den Tag über, letzteren ein einziges Mal.
Autobahnunterführung. Darunter: die größte Schlange der südfranzösischen Lebenswelt. Gott sei dank tot.
Danach vorbei an den Toros. Gott sei dank lebendig.

Bis Miramont sind es irgendetwas zwischen 18 und 20 Kilometer. Kapelle auf Hügel unter Wasserturm: die Hippies sind schon barfuß da, Pyrenäenausblick und Stoppschild im Grünen. Im Ort: zwei private Herbergen und eine kommunale. In die ziehen wir ein.

Zwei herzige Herren begrüßen uns. Wir sind heute die ersten, wir können uns unsere Betten im Sechsbettzimmer also noch aussuchen.
Ob wir abends mit essen wollen? Dreimal versuchen wir auf den Pizzabäcker des Orts zu verweisen, dreimal wird das freundlich überhört. Irgendwann sagen einfach: ok, ja. Wenn’s vegetarisch geht!? Natürlich geht das. Es wird heute Abend mal wieder Omelette geben.

Dieser Pilgerweg wartet mit so vielen kleinen Abenteuern auf. Nur eines davon: vegetarisch essen im hyperländischen Süden Frankreichs.
Sollte sich auf diesen Weg irgendwann mal der Himmel auftun und Gott zu uns sprechen wollen, wird es bestimmt dieser eine Satz sein: „Vegetarisch? Kein Problem. Ich kann euch gern ein Omelett machen…“


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