Eines ändert sich nie: Die Globetrottels werden auf diesem Weg wohl immer der Schwanz der Schlange bleiben.
Als wir (noch ungewaschen) zum ersten Kaffee in der Gemeinschaftsküche erscheinen, sind nur noch Emil, Valerie und die freundlichen Elsässerin da, deren Namen ich leider vergaß. Alle anderen sind schon lange, lange wieder unterwegs. Auf in Richtung Erleuchtung.

Diesen Sonntag machen wir also Sonnenwanderung. Hat der Wettergott so entschieden.
Wildblumenwiesen wie im Paradies, ein Rotmilan zieht leise seine Kreise.
Meist geht es an Bauernhöfen vorbei, einige davon mit eindeutigen Traumhauspotential.
Eine der vielen „Fermes“ gehört Albert, der jüngst 60 wurde (glaubt man den zahlreichen Aufschriften auf Asphalt). Albert hat zwei PyrenäenHirtenhunde, die uns freudig begrüßen und eine Ammenkuh, die gleich drei Kälbchen auf einmal säugt. Und wir fragen uns, ob die Kühe sich wohl in Schichten einteilen!? „Bertha, heute bist Du mit Milch geben dran!“ Damit die anderen einfach mal einen Tag Pause machen können. Oder bekommen Kühe auch mal Drillinge?

Ein Pilgerpausengarten im Nichts. Ein alter Sessel, der vom lesen träumt, eine Kanne heißes Wasser für die Durstigen. Eine Schaukel, die uns gerade noch hält und überall Yogiteesprüche in den Bäumen: „Regel Nummer eins: Scheiß drauf,was sie denken!“ oder:
„Gibt gibt es ein Leben vor dem Tod?“ oder:
„Eine andere Welt ist möglich.“ oder:
„Wir sind alle Sternenstaub.“ oder:
„Camino, sex and sun.“ oder:
„Ich kenne meine Grenzen. Deswegen gehe ich drüber.“
Natürlich folgt auf diesen Garten eine Gîte die nicht anders heißen kann als: „Zeichne mir einen Weg,“ frei nach dem kleinen Prinzen, der unbedingt ein gemaltes Schaf wollte. „Dessine-moi un mouton.“ = Zeichne mit ein Schaf. Dies ist —laut Globetrottels‘ Literaturkritik— wirklich ein literarisches Meisterwerk. Ganz im Gegensatz zum Alchemisten, der am Weg auch viel zitiert wird und ein vollkommen überbewertetes Sammelsurium von Schundweisheiten darstellt. Zumindest, wenn man älter als 15 ist. Mit 15 aber ist auch der Alchimist wichtig und hat damit seine Berechtigung. (Globetrottels Reich-Ranitzki Ende.)

Weiter über leergefegte Wirtschaftswege. Heimelige Outdoorkapelle mit zenartiger Pausenbank und wunderschön bemalter Jakobsmuschel.
Nur zweimal noch begegnen wir heute anderen Menschen unterwegs:
Einmal der Gendarmerie, die von uns wissen will: „Woher? Wohin?“
und einem Hohepriester einer Weltuntergangskommune, die hier irgendwo versteckt im Wald lebt. Mit lächelnden Augen warnt er uns vor dem großen Knall, der bald kommen wird und drückt uns ein Survival-Infoblättchen in die Hand, bevor er von dannen zieht: keine Zeit mehr zu verlieren.

Nach 15km tippeln wir nach Navarrenx rein.
Zünftige Stadtmauer, an der heutzutage Pilgergesichter hängen und Gott sei dank keine Aussätzigen mehr, wir suchen das einzige Café.
Valerie und die freundliche Elsässerin, deren Namen ich leider vergaß, sind natürlich schon dort winken uns fröhlich Hallo. Zu Essen gibt’s hier heute leider nichts mehr für uns: das kennt der Schwanz der Schlange ja schon, aber immerhin fühlen wir uns gleich ein bisschen wie zu Hause.

Für zwei Nächte gönnen wir uns hier, mittlerweile am Rande des Baskenlandes, ein Appartement, das eigentlich Catherine gehört. Und tauchen ein in die schönste Unterkunft unseres gesamten Caminos.

Catherine hat das alte Haus selbst auf Vorderfrau gebracht und ein wunderschönes Pilgerappartment aus den alten Mauern geschält. Hier ist nicht nur alles da, sondern obendrein auch alles wunderschön. Inklusive frischer Blumensträuße auf dem Tisch, der Anrichte und im Schlafzimmer. Inklusive der coolsten Vintagetapete der Welt, des Wissens um die Wirkung von Licht und einer roten Rose vor dem Fenster, die farblich ihres gleichen sucht.
Inklusive einer Gastmama, die uns —obwohl in keiner Weise mitgebucht— sogleich einen Salat und eine vegetarische Pie auf den Tisch stellt. Aus purem Mitleid, da wir im Café nichts mehr zu essen bekamen.

Da sind wir also: Navarrenx. Für wunderbare zwei Nächte. Und ein wenig verrückt ist’s schon:
Seit wir vor zwei Tagen die Entscheidung getroffen haben, den Pilgerweg fürs erste in St Jean zu verlassen, wird dieser Weg plötzlich immer schöner, magischer und reizvoller.
Vielleicht beginnt man manchmal zu finden, wenn man das Suchen aufgegeben hat!?
Auch das: ein herrlicher Yogiteespruch. Den wir so langsam zu spüren lernen — und nicht nur zu lesen.