Unterwegs im Magicbus

Von Wikingern, dualen Wellen und sehr viel buntem Blau

Unseren Public viewing-Spot fanden wir gestern tatsächlich noch: am anderen Ende des Hafens, drum herum um einen bunten Street food-Markt, von dem wir gar nicht ahnten, dass es ihn gibt. Welch ein Reiseführerversäumnis.
Der Markt ist pickepackevoll mit Menschen in roten Trikots. Neben zahlreichen Studentenmützen, trägt der fussballaffine Däne heute Häubchen mit rotweißen Hörnern – „vikinger fodbold“ 2024, dazu gibt’s lauwarmes Bier aus Plastikbechern.

Das Spiel gestaltet sich mäßig spannend und die Dänen sind so groß, dass man von der Leinwand kaum etwas sieht auf Grund zahlreicher Hünenrücken. Nach der ersten Halbzeit rücken wir ab – 0:0– und erfahren später, dass auch die zweite kein verändertes Ergebnis ergab. Stimmung eingeschnappt und sonst nix verpasst: wir haben´s gut abgepasst.
Nächste Spiel: Dänemark gegen Deutschland. Da werden wir allerdings schon über alle Berge sein…

Den ersten Kaffee am Morgen gibt’s an der Hafenkante. Außer zwei älteren Herren kommt niemand an der einsamen Bank vorbei. „Go morn,“ brummeln sie; ein verschlucktes „God morgen“. Wie herzig kann eine Sprache sein, die wie eine Mischung aus betrunkenem holländisch, faulem englisch und übermüdetem Deutsch klingt!? Mein neues Lieblingswort lautet übrigens: „gammeldags“, ich werde es in Zukunft in meinen Wortschatz einbauen: „Dein Vintage, Liebling, ist mein gammeldags“.

Wir verlassen den Aalborger Hafen mit Erwartungen. Nur sechs Kilometer weiter wartet unser größtes, geplantes Dänemark-Highlight. Mit entsprechend euphorischer Vorfreude und lautem Tuckern wackeln wir um Punkt zehn Uhr an: in Lindholm Hoje.

Das Erste, was wir hören sind blökende Schafe, die sogleich den Hügel hinunter in unsere Richtung traben als wir parken – mit springenden Lämmchen im Schlepptau. Eigentlich reicht das bereits, um diesen Ort zum höchstpersönlichen Favoriten zu erklären. Und wir sind noch lange nicht die Anhöhe hochgekraxelt…

Lindholm Hoje ist Dänemarks größtes Gräberfeld. Vor der Christianisierung wurden an diesem Ort Steine für die Verstorbenen gesetzt –in Form von Ovalen (für die Frauen), in Form von Schiffen (für die Männer). Die Wikinger glaubten, dass die Toten nach ihrem Ableben ins geheime Thule reisen würden: ein mystisches Land im äußersten Norden, jenseits der bekannten Welt, tief im ewigen Eis, nur mit Booten zu erreichen. Daher die Schiffsetzungen.

Dieser Ort berührt uns sehr. Vielleicht weil er etwas Archaisches und gleichzeitig sehr zartes hat. Zauber in den alten Baumen am Hügelrand, ein mystischer Hafen, aus dem man ins Ungewisse aufbricht. Ein perfekter, heiliger Ort; unser 185.

Ins Museum wollen wir eigentlich gar nicht rein. Im Wikingershop aber geraten wir an eine blonde Hünin, die so tief eingetaucht ist in die Sagen des Nordens, dass diese dringend wieder raus wollen. Mit unserer Frage nach der Bedeutung der Schlange auf einem Armreif zieht sie uns in die Ausstellungshallen hinein: einmal durch Midgard im lebendigen Sprudeln, während derweil die Götter in Asgard chillen.
Ein viertelstündiger, ungeplanter Ritt durch die nordische Sagenwelt. Natürlich kaufen wir den Armreif. Und Thors Hammer gleich dazu.

Die Sonne steht noch hoch an einem strahlend blauen Mittagshimmel, der Tag ist noch jung, also geht es weiter nach Skagen.

Durch die Dünen sind wir flotten Reifens am nördlichsten Punkt des dänischen Festlands: Grenen.
Neben Kopenhagen ist dies –will man dem Andrang glauben—sicherlich der meist besuchte Ort des Wikingerstaats. Hier, wo an der sandigen Spitze Nord- und Ostsee aufeinandertreffen.
Und ich will sagen: er ist es zurecht.

Während Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, zu Hauf mit dem Traktor an die Landzunge karrt werden, schleichen wir uns durch weißen Pudersand an. Über die Ostseeseite, kobaltblau.
Am Hotspot heißt es „hinten anstellen“, das tun wir brav, indem wir uns erstmal in den warmen Sand setzen. Hinten ansetzen, also – mit Blick auf Nord- und Ostsee gleichermaßen. Ein guter Ort zu warten.

Als der Traktor wieder ablegt, lichten sich die Reihen und wir tapsen mit den Füßen in die dualen Wellen. Chouchou in die Nordsee und ich in die Ostsee – Hand in Hand, zu jedem Sprung bereit.

Eine wunderbar verrückte Welt, wenn man von zwei Seiten den gleichen Punkt ansurfen kann. Und genau in der Mitte: eine Mischwelle.

An der Nordsee spazieren wir barfuß zurück: azurblau. Über ihr sind die Möwen zu Hause, während im Osten die Quallen schwimmen.
Endloses blau in blau im höchsten Norden Dänemarks: kobalt, azur, marine, türkis, indigo, lapislazuli. Und oben drüber der Himmel – natürlich in himmelblau.

Auf dem Rückweg verliere ich in den Dünen meinen Schuh, er flüchtet vollkommen unbemerkt aus der Tasche. Wohl ein Seesüchtiger, es sei ihm vergönnt: die endlose Freiheit im Norden und nie mehr getreten werden in diesem Schuhleben.
Im Sand ist sein Abschied nicht allzu dramatisch für mich, auf dem folgenden Kies aber vermisse ich ihn bereits sehr.
Machs gut, oller Birkenstock. Wir beiden sind weit miteinander gegangen…

Am Abend parken wir am Hafen von Frederikshavn ein.

Erste Reihe an der Ostsee, kobaltblau.

Nach einem Tag, den Dänemark nicht schöner hätte malen können. Für niemanden.
Eine Perfektion in kobalt und azur, in marine und türkis, indigo und lapislazuli.
Vor allem aber in bunt.

2 Kommentare

  1. Klaus

    Hallo ihr beiden, ohhhh wie schön es gibt wieder Beiträge von Euch. Ich freue mich riesig und schicke euch herzliche Grüße aus Dangast am Jadebusen, wo wir gerade einspannen und Ferien machen.

  2. Joana

    Lieber Klaus!
    Gleich drei schöne Dinge auf einmal:
    zu lesen, dass Ihr am Meer die Seele baumeln lasst;
    zu wissen, dass Du uns weiter begleitest (und ich den Blog nicht nur für „globetrottelsintern“ schreibe ;-));
    zu lernen, wo Dangast und der Jadebusen sind — ich musste auf der Karte nachschauen.
    Die Welt ist so groß und wir so klein.
    Wie schön, dass wir uns in diesem Gewirr nicht verlieren.
    Sei umarmt,
    vom Kattegat an den Jadebusen,
    Deine Joana

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