Unterwegs im Magicbus

Monat: Dezember 2023 (Seite 1 von 2)

Den Globetrottels ihre Nordamerikastatistik

  • 29.598 Kilometer
  • 190 Tage
  • 115 Stationen
  • 91 Breitengrade (W60.3° Norse Cove – W151.8° Alaska)
  • 39 Längengrade (N63.3° Alaska – N24.7° Florida Keys)

Dem Bulli sein Durst:

  • 2.179 Liter Diesel
  • 45 Liter Motoröl
  • 1 Liter Kühlwasser
  • 3 Liter Scheibenwischwasser

Dem Bulli seine Problemchen:

  • 2 neue Reifen
  • 3 Ölwechsel
  • 1 platter Reifen
  • 1 neuer Keilriemenspanner
  • 1 Keilriemen
  • 1 Luftfilter
  • 2 neue Achsmanschetten
  • 1 neuer Lichtmaschinenspannungsregler
  • 2 Blinkerbirnchen
  • 2 Steinschläge geflickt, 6 Glaser involviert

Kaufaufrausch:

  • jede Menge Aufkleber
  • TF23
  • Sir Hilly
  • 1 Paar Pummys (Chouchous alte Crocs blieben in Las Vegas)
  • 3 Alien-TShirts
  • 1 Cowgirl-Dress komplett ohne Schuhe
  • ca. 20.000 M&Ms

Kaputtenes:

  • 1 zerdeppertes iPhone
  • 1 von Karl-dem-Kaktus gefressener Flipflop
  • 4 verlorene Ohrringe
  • 1 geplatzte Leopardenhose
  • Chouchous Jeans ist um
  • 2 Regenschirme

Den Globetrottels ihre Tierwelt

  • Schwarzbären, bei 20 aufgehört zu zählen
  • 1 Grizzly
  • 2 Elche
  • 1 Buckelwal
  • 3 Orkas
  • 4 Grauwale
  • 2 Gürteltiere
  • Delphine
  • Manatis (Seekühe)
  • Koyoten
  • Waschbären
  • Seehunde, -löwen und -ottern
  • Präriehunde
  • Columbiaziesel
  • 2 Herden Bisons
  • 1 Krokodil
  • 1 Alligator
  • 1 Drachen
  • 2 Kolibris
  • Adler (andauernd)
  • Pelikane
  • Amerikanische Großschaben (mehr als uns lieb sind)
  • Hörnchen (ganz ganz viele)
  • Gabelböcke
  • Bergziegen
  • und der ganze Rest…

davon zu Besuch im Magicbus:

  • 3 Hörnchen
  • 1 Katze
  • Panzerklaus
  • viele viele Noseeums und Mosquitos

Zur Crew gehören:

  • Rudi
  • TF23
  • Sir Hilly

Kosten:

  • so viel, daß kein Geld für Regenbogenschaum mehr bleibt

Heilige Orte:

  • Sleeping Giant am Lake Superior (Nr. 178)
  • Wrengel Saint Elias Nationalpark (Nr. 179)
  • Hazleton-Totems (Nr. 180)

Multimediagedöns:

  • 15.302 Photos
  • ca. 152.000 Wörter Blog
  • ca. 215 Gigabyte mobile Daten
  • 6:36 Stunden Instagram-Stories

Baltimore: Kein Geld mehr für Regenbogenschaum

Seltsame Träume in der Nacht – was auch immer dafür verantwortlich war. Es muss am ehesten das Sturmtief gewesen sein, das hinter unserem Rücken davon düste. Oder der wagemutige Verzerrsprung aufs Bett – ein Reminder, dass die Knochen nicht mehr 15 sind und Betthüpfen mittlerweile zu Extremsport zählt.
Vielleicht aber war es auch das Fernsehprogramm!?
„Ghosts caught on camera“ ist möglicherweise nicht das perfekte Lullaby für Menschen, die zu magischem Denken neigen. Hundemüde war ich leider irgendwann so angegruselt, dass ich weder einschlafen, noch weggucken konnte. Eine Pattsituation.

Beim Frühstück jedenfalls sind wir die besten Opfer für lauwarmen Kaffee und die in Schleife laufende Matratzenwerbung: Rechts warm, links kalt, bei Bedarf wird der Schnarcher automatisch in die Senkrechte gefahren. Ein Top-Produkt, das wir plötzlich unbedingt haben müssen. Eine geisterabweisende Oberfläche kann man bestimmt als besonderen Specialeffect gleich mitbestellen.
Call now for: NO-SNORE-DREAM-MAT, die Ghostbusterversion.

Über Nacht hat der Winter zugeschlagen: auf dem Magicbusdach liegen gut 7 Zentimeter Neuschnee.
Ein Tusch: dies ist der Moment, da wir wirklich drei Jahreszeiten durchfahren sind. In einer Woche.

Durchs Tabakland geht’s wieder weiter gen Norden. Upper Marlboro fliegt vorbei und wir grübeln, wie sie wohl aussehen, diese teuflisch guten Pflanzen, von denen man kaum die Finger lassen kann. Chouchou tippt auf ein Mais-ähnliches Äußeres, ich würde etwas Bärlauchartiges vermuten. Schlussendlich haben wir beide Unrecht.

Pipipause im Baumarkt. Damit wir so einen in Amiland auch mal gesehen haben. Vorbei an exzessiven Kühlschränken –alle mit Ice machine– sehr bad und sehr toll. Die gigantischen, aufblasbaren Weihnachtsmänner und Grinches lassen wir nur schweren Herzens in der Auslage liegen. Die Magicbuscrew ist leider voll besetzt, Panzerklaus würde –auf Grund des Platzmangels– mit seinen zwei langen Fingerchen seinem Namensvetter Santa nur ein Loch in den Bauch pieksen. Und das will ja niemand. Wolken wir gemalt über einem eiskalten Adventshimmel.

Baltimore ist bald in Sicht. Wir landen mitten in Downtown und kurz darauf mitten im Ghetto. Alles in allem wie in einem zauberhaften Gangsterfilm, hoppeln wir über die schlechtesten Straßen seit sehr langem: hallo Baltimore, letztes Ziel unserer jetzigen Reise. Unglaublich.

Die City ist heute aber noch nicht dran. Wenn sie als City überhaupt irgendwann dran ist, wir sind ja lediglich hier, um den Magicbus einzutüten. Also rollen wir erstmal durch und vorbei. Um das Meer zu sehen. Den Ort, auf dem der Bulli bald alleine reisen muss. Nur mit TF 23 (spaceshuttle-erprobt) und Sir Hilly (magenfrei, er kann gar nicht brechen) als Beschützer im Laderaum. Die restliche Crew fliegt auf Grund mangelnder Seetauglichkeit mit uns.

Der Blick aufs Meer gestaltet sich schwerer als gedacht. Der North Point Grünstreifen östlich der Stadt ist gesperrt, das nahe Örtchen Edgemere steht einigermaßen unter Wasser – neben sehr viel Privatstrand, gehobenen Booten und der ernst gemeintesten Weihnachtsgrinchfamilie des gesamten Staates Maryland.

Aber wir schaffen es:

Next Stop: Micky´s Carwash.
Der Magicbus soll glänzend aufs Meer, da trifft es sich gut, dass Micky, anscheinend der König von Edgemere, der über ein Reich von Autowäsche, Markt, Liquorstore und Tanke herrscht, am Rande des schwimmenden Dorfes eine Self wash-Anlage installiert hat. Mit allem Pipapo. Schade nur, dass wir kein Geld mehr für Regenbogenschaum haben.

Beim Einchecken ins Best Western am knüsseligen Stadtrand glauben wir noch, den Großteil der Tagesaktivitäten hinter uns gebracht zu haben. Anscheinend aber haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ohne uns.

Was auch immer uns reitet: plötzlich fangen wir unabgesprochen an, was wir eigentlich für morgen liegen lassen wollten: die Bombe im Magicbus einschlagen lassen. Und das geht so:
Mit einem rollenden Gepäckwagen im Schlepptau schleichen wir uns auf Zehenspitzen an den Magicbus an, reißen bei drei die Seitentür auf und werfen in Windeseile den gesamten Bulliinhalt der letzten 7 Monate auf den armen Kofferkuli, der kippelnd im Winterwind schlackert.
Nur mit vollem Körpereinsatz lässt sich das Biest über den Parkplatz schieben – hey, how´re you doin´?, was guckst Du denn so? Unser Check-in im Hotel sieht immer aus.

Unauffällig knarzend schieben wir uns freundlich lächelnd an der Rezeption vorbei, ein kläglicher Versuch, den Kuli mit unseren Körpern vor Blicken abzuschirmen. Zwei Tüten flüchten vom Wagen durch die Lobby, kullern aber nicht allzu weit. Nur zwei Meter, einmal zehnter Stock bitte.

Auf zwei Betten lässt sich super ausbreiten. Chouchou rechts, ich links. Auf den Wusel, fertig, los. Wer als erster schnarcht wird gnadenlos in die Senkrechte gefahren.

Nach drei Stunden haben wir die ersten Häuflein sortiert: das geht mit auf die See, dies hier darf fliegen, der Rest kommt in den Müll. Letzte Wäsche waschen in der Badewanne – leider wieder ohne Regenbogenschaum. Ein Tanz mit Hut, eine Anprobe: der Flatterrock aus Tombstone sieht eigentlich doch ganz gut aus – vor einem leicht nach hinten geneigten Mogelspiegel. Mit cottonfields at home auf den Ohren und nach Sonnenuntergang.

Da sind wir also: Baltimore.
Nach einer Reise, deren GPS-Logs –würde man sie wie bei Malen-nach-Zahlen verbinden—aussehen wie ein Flamingo ohne Beine.

Das also sind die Fakten:
Ein Flamingo-ohne-Beine- Roadtrip, kein Geld mehr für Regenbogenschaum und niemand, der einen schnarchend in die Senkrechte stellt.
Den Globetrottels ihren Best-of-Trip durch Nordamerika…

Mit Tornado im Nacken nach Maryland

Kurz nach dem Erwachen beginnt es wie aus Kübeln zu gießen – just in dem Moment, da wir uns entscheiden das Bullidach einzufahren. Eine gute Entscheidung, wie uns die Wettervorhersage flüstert. Denn mal wieder ist uns ein Tornado auf den Fersen.
Über Tennessee kommt er angeweht, natürlich in Windeseile – ein Wort, was wohl für Tornados erfunden wurde, eigentlich müsste es „in Sturmeshektik“ heißen.
Bei diesen Aussichten fällt es leicht zu beschließen: dies war dann wohl unsere letzte Magicbusnacht in Nordamerika. Auf einmal ist alles sehr schnell da. Nicht nur der Tornado.

Die letzten Lebensmittel fliegen raus. Und meine Lieblingshose – Joggingbuxe im neonfarbenen Leopardenlook.
Mach es gut, bestes Büxken von Welt. Mit einem Loch am Popo so groß wie ein Wirbelsturm kann ich Dich leider wirklich nicht mehr tragen. Ich danke dir für die gute Zeit, die wir miteinander hatten. Du warst eine der besten Hosen der ganzen Welt. Sorry, dass ich dich kaputt gefressen habe, geplatzter Leo. Wir waren beide nicht auf das exzessive, amerikanische Essen vorbereitet.

Gewürze und Nudeln loszuwerden fällt nicht allzu schwer. Wohin aber mit dem Bärenspray, das wir –danke, liebe Bärlis—nie gebraucht haben? Ein Produkt, das wir auf Grund seiner Explosivität nicht ausführen und wegen Waffenscheinmangels nach Europa nicht einführen dürfen. Vielleicht kann Alan es gebrauchen?

Alan war noch nie außerhalb des Staates. Mit einem breiten Südstaatenakzent, den er selbst nicht erklären kann, hat er sich 62 Jahre nur durch North Carolina gequatscht, darüber hinaus ging es nie. Das Spray aber nimmt er gerne: vielleicht fährt er ja irgendwann mal nach Alaska. Mit seiner Chouchougedächtnisfrisur.
Die beiden sehen sich –zumindest Frisuren-technisch– so ähnlich, dass ich beim Einsteigen vor dem Rangerbüro lieber zweimal schaue, bevor es weiter gen Norden geht. Nicht, dass statt Chouchou gleich Alan am Steuer sitzt.

Wir fahren an Halifax vorbei. Halifax – auch hier ein weiterer Kreisschluss. Selbst, wenn dieses nicht in Nova Scotia liegt, wird auch die Vegetation dem netten Nachbarstaat im Norden langsam immer ähnlicher.

Noch abgeblasene Schneemänner in einem Vorgarten warten auf Weihnachten: ein schönes Bild kurz vor dem letzten Mal tanken.
Da der Magicbus so gut wie dieselleer auf die Fähre gehen muss, sind dies also unsere letzten 5 Gallonen Diesel in Nordamerika.

Die Grenze zu Virginia ist schnell passiert. Virginia is for lovers., behauptet das Schild am Welcomecenter. Am ehesten wohl eine jungfräuliche Liebe, sollte man dem Namen trauen können.

Über die Fernsehschirme neben den Restrooms flimmert eine Sondersonderung: der Tornado ist mittlerweile in South Georgia angekommen, er nimmt Kurs gen Norden. Wir müssen weiter.

Mit Wirbelsturm im Nacken werden wir flott auf den Landstraßen. Der nächste Staat Maryland ist zügig erreicht: byebye ehemals konförderierte Südstaaten, auf Wiedersehen bible belt.

Keine Ahnung, ob das Staatsmotto „Leave no one behind“ eigentlich ein Mittelfinger gen Süden sein soll!? Das nächste Schild: „religious freedom“ könnte es fast vermuten lassen.

In Waldorf kehren wir –nach Tacos und kurz vor dem großen Regen– für die Nacht ein. In Zimmer 219 des Quinta Inn – weder Waldorf, noch Astoria, aber immerhin mit einem trockenen Dach über dem Kopf.

Die ersten Bindfäden, die vom Himmel weinen, machen den Campingabschied nicht allzu schwer. Ein durchnässtes Bulli-Dachzelt einzupacken hätte auf der Fähre wenig gemacht, aber in Hamburg den Stockfleckenblues anzustimmen zu müssen, wäre dann doch irgendwie blöd gewesen.

Just in dem Moment, da wir Kaffee und frische Socken ins Zimmer tragen schrillen unsere Handys: „Disaster-alert“. Der Tornado ist mittlerweile in Virginia. In Waldorf setzt soeben der Starkregen, der bedrohlich auf das QuintaInn-Dach trommelt, Richmond –die nächste größere Stadt südlich von uns—erhält eine erste Flutwarnung.

Ein wenig verrückt fühlt es sich schon an. Mal wieder traben wir nach Norden von dem Tornado davon. Wie vor einer guten Woche in St Marys, als der Sturm Jacksonville –20 Kilometer südlich von uns– traf.
Wäre unsere innere Zeitachse nur schlappe zwei Stunden nach hinten verrutscht, hätten wir in den letzten acht Tagen zwei Tornados erlebt.
Nur zwei Stunden, die nach uns die Sintflut machen. Eine Schneise der Verwüstung hinter uns herziehend und no fear of missing out.

Ich glaube, da oben sitzt momentan jemand ganz dicht neben Petrus.
Kurz bevor der den Sturmhebel drücken kann, haut der andere ihm fest auf die Finger: „Jetzt noch nicht,“ zwei Stunden lang, bevor es erst dann –nach prüfendem Blick auf das Globetrottels-GPS– heißt: „So, jetzt kannste.“
Ich vermute, das ist derjenige, der auch die Nordlichter in Alaska anmachte. Derjenige, der den Kolibri schickte, die Orcas und den Buckelwal.
Aputschipaja. Wie gut, dass Du immer da bist!

North Carolina: von einem Aliensee, LSD-Windrädern und einem Schweinezentrum in Advents-Hutzelhausen

Manchmal ist´s schwer zu erklären, warum der eine Draufblick mehr berührt als der andere. Bei North Carolina ist es so. Wir mögen diesen Staat sehr: er fühlt sich ein wenig nach zu Hause an. Wieso auch immer…

In Hans´ Wäldchen ließ sich ausgezeichnet schlafen. Unter großen Bäumen, die behutsam über unsere wilden Träume wachten, gleichzeitig unterwegs in einem ziemlich bunten Lummerland – mitten in Zauberforst.

Nachdem Hans uns gestern mit seiner Alienseegeschichte große Ohren gemacht hat, ist unser erster Anlaufpunkt heute Morgen logisch: über die Sweet home church road rollen wir nach acht Kaffee direkt zum kreisrunden, ominösen Jones Lake. Am ehesten erschaffen durch die Druckwelle eines landenden Ufos, hier kann TF 23 endlich mal wieder heimische Luft schnappen.

Der See ist genauso bezaubernd wie Hans schwärmte. Ein spiegelglattes, rundes Wunder mitten im nebeligen Wald hätten auch wir sehr gerne vor der Haustür, es ist verständlich, warum Hans Dortmund verlassen musste.

Wir werfen TF 23 in Richtung Himmel, seine Eltern aber wollen ihn anscheinend nicht abholen. Ein wenig darüber enttäuscht darf er als Trostpflaster den Rest des Tages vorne im Fahrerhäuschen mitfahren.

Weiter geht es über die Dörfer abseits der Hauptroute: 250 Kilometer über Landstraßen, an denen Herrenhäuser und Marodes sich die Waage halten. An der Nordgrenze des Staates steht es ziemlich genau 50 – 50.

Mitten hier im bible belt–wen wundert´s—stehen eine Menge Kirchen. Meist protestantisch streng und stumm mit Werbetafeln vor den Toren. Mein Lieblingsschäfchenlockspruch des Tages klebt in vergilbten Lettern kurz vor Goldsboro:
„We are as full with holy spirit as we want it to be.”
Also: Wir wollen. Einmal volle Kanne bitte.
Sonnige, goldene Herbsthügel bei 24 Grad – heute fühlt es sich so an, als gäbe es auf der Welt nichts Schöneres als durch ein verträumtes North Carolina zu fahren. Die Seele kommt mit. Anders als gestern, da sie sich erst kurz vor Mitternacht in unsere Träumen zurück klopfen konnte – ganz außer Atem und allein vor der Magicbustür. Erst danach legte sich der Wald in seinen echten Zauber. Quasi: ein Seelen – late check in.

Goldsboro fliegt vorbei: bekannt für seine große Psychiatrie, die hier freundlicherweise nach Kirschen benannt ist (da bekommt „cherry coke“ eine ganz neue Bedeutung) und abgestürzte Wasserstoffbomben.
In Mount Olive –capital of pickles– fliegen Doktorhüte in die Luft: Graduation, Uniabschluss. Ganz am Anfang eines Lebens, das sich noch zu träumen wagt. Hoffentlich auf immer as full with dreams as they want it.
Kurz vor Wilson ein bunter Friedhof, Flohmarkt und flemmbrennen im Vorgarten, dahinter der Ort. Hier müssen wir unbedingt anhalten.

Mitten in der Stadt, die sich unheimlich vertraut anfühlt – so, als könnte man hier ohne Probleme ein Haus bauen, da das Heimatgefühl nicht trügen kann –hat Herr Simpson in den 80ern begonnen einen Park zu bauen. Was sollte er mit 65 nur auf dem Sofa sitzen und Fernsehen schauen? Besser wäre es doch für alle, er entwürfe lieber überdimensionale, bunte Windräder, die so aussehen, wie Herr Simpson sich immer einen LSD-Trip vorgestellt hat. Und da stehen sie nun bis heute:
Dutzende von Rädern, auf denen sich anachronistische Szenen abspielen, laut schnarrend sich drehend in einem goldenen Frühherbstwind. Darunter spielende Kinder, daneben eine marode Fabrik, darüber eine kostenlose WiFi-Verbindung, um die ganze Sache zu recherchieren und Updates zu machen.

Bestimmt gefällt das Herrn Simpson sehr, wenn er lächelnd aus den Schäfchenwolken auf sein spätes Lebenswerk hinunter blickt. Und all die Menschen, die sich über seine farbig verrückten Ideen so sehr durch den Wind freuen können wie wir.

In Rocky Mount gehen wir einkaufen. Mitten im adventlichen Hutzelhausen.
Grell flackernde Lämpchen über dem Eingang, die Dame an den Tüten säuselt fröhlich come in and have fun!, während die chinesischen Tannengirlanden aus Plastik über jedem Regal eher kreischen.

Durch die Obstabteilung fährt gerade der Märklin-Weihnachtsexpress. Er bringt leider keine frischen Sachen: das Gemüse ist welk, die Zitrusfrüchte maximal nur noch abriebfähig oder in Platten pellbar.
„All I want for christmas“ dröhnt in der Lautstärke eines sinkenden Düsenjets durch die schmalen Gänge, es geht nicht anders, da die Stammkundschaft meist Hörgerät trägt.
Eine Dekoration, über die man stolpert, bei der Schweine eindeutig blind werden würden, lägen sie nicht als Sparerips im Angebot in einem knüsseligen Einkaufswagen. In Smith´s „pork center“ – steht draußen ganz stolz dran.

Sie führen auch Gelantin-Regenbogen-Torten. Wer eine kauft, dem winkt der Glitzerpfau hinter der Kasse bestimmt auf Wiedersehen. Uns gegenüber bleibt er leider stumm.

Kurz vor der Grenze zu Virginia kehren wir für die Nacht ein. Nahe Hollister, weit ab von allem.
Nach einem schrillenden Silveralarm verabschiedet sich auch das Netz, es wird eine ruhige Nacht werden.
Unsere letzte in North Carolina. Diesem Staat, der sich ein bisschen wie zu Hause anfühlt.
Wieso auch immer….

Von South nach North Carolina: Nur ein Lehrling

Dieser Tag ist ein wunderbares Sinnbild für eine Reise dieser Art.
Nach einem ausgiebigen Sonnenfrosterwachen –wir lassen uns viel Zeit—fahren wir heute nicht auf den Highway gen Norden. Heute soll es für uns über die Dörfer gehen. Um wenigstens einen kleinen Einblick in South Carolina zu bekommen. Oder sollte ich Draufblick schreiben?

Abseits der großen Straßen rollen wir durch Summerton, Manning und Gable. Verwaiste Innendörfchen mit kaum Infrastruktur, die Kirchen wirken fein saniert und lebendig.

Nur wenige herrschaftliche Südstaatenvillen, meist ärmliche Mobilehouse-Communities am Straßenrand– teils mit viel Gerümpel im Vorgarten neben der obligaten Weihnachtsdekoration. Bilder, die man nicht schießt; Bilder, die mich ein wenig traurig machen, da Müll im eigenen Gärtchen –zumindest für mich– ein Bild fortgeschrittener Verwahrlosung darstellt. Die allermeisten Tierchen schaffen es –trotz des ganzen Futterbesorgungs- und Begattungsstresses—ja meist trotzdem, ihr Nest sauber zu halten. Was muss passieren, dass dieser Instinkt gänzlich wegbricht? Oder: was muss nicht passieren!?

Turbeville, Olanta.
Müll an den Wegen, die Schilder „Littering 1000 Dollar and prison“ greifen nur wenig. Auch ansonsten viel kaputt, am weniger Kaputten aber steht auch hier die Weihnachtsdeko…

In Florence gibt es erstaunlicherweise ein veganes Café. Hier kocht Eliza – lecker. Wir bleiben die einzigen weißen Gäste, satt geht’s weiter.

In Dillon wird gerade ein frisches Grab ausgehoben, die City hat immerhin ein wenig Geld für eine stadtweite Christmas-Beleuchtung übrig. South Carolina abseits der Hauptroute scheint es nicht allzu gut zu gehen.

An einem See kurz vor der Grenze zu North Carolina wollen wir heute Nacht bleiben, die zuständige Rangerin, die möglichweise nicht ihren besten Tag hat, will dies anscheinend nicht. Obwohl ein Großteil des Platzes frei ist, besteht sie auf eine Zahlung von zwei Nächten. Da Wochenende ist. So seien halt die Regeln. An die wollen wir uns als Gäste natürlich halten – und bleiben daher nicht. North Carolina ist damit schneller da als wir geplant hatten.

Wir rufen Lisa an. Lisa ist für den Staatswald nördlich von Elizabethville verantwortlich. Natürlich können wir mitten im Wald heute Nacht bleiben: sie braucht dafür nur unsere Namen und ein paar Fakten zum Magicbus. Damit gehört das Wäldchen heute uns – eingeladen. Wir müssen nur noch über ein paar Dörfchen fahren, bei den Regenbogenbäumen links und eineinhalb Kilometer in den tiefen Forst hinein. Noch 60 Meilen durch North Carolina.

Bereits in den ersten Dörfern dieses Staates bilden wir –erstmal auf dieser Reise– eine deutliche Minderheit. Bisher sind wir lediglich durch ein sehr weißes Amerika gefahren, es ist schön, dass sich das jetzt ändert.
Weitläufige Farmen, Baumwollflocken liegen über dem Land, sie wehen bis in die Orte hinein, in denen Hühner in den Gärten wohnen. Die Schulbusse sammeln gerade die Kinder ein und ich würde gerne wissen, was die zwei alten Herren in ihren Rollstühlen an der Kreuzung wohl zu plauschen haben.
Kurz dahinter wieder Baumwolle und die Regenbogenbäume, an denen wir links müssen.

Im Staatswäldchen bleiben wir nicht sehr lange alleine: Hans kommt vorbei. Er hat von Lisa gehört, dass wir heute Nacht hier sein würden und möchte ein kurzes, deutsches Hallo loswerden.
Seit 32 Jahren lebt er hier und kümmert sich um den Wald, eine Fläche, die Dortmund anscheinend nicht bieten konnte. Hans erklärt uns, warum die Flüsse hier schwarz sind (Tannin) und dass die anliegenden Seen möglicherweise von einer Druckwelle landender Aliens erschaffen wurden. Zumindest ist dies seine Lieblingsentstehungsgeschichte, wir können da durchaus emotional mitgehen unter hohen Bäumen.

Von South nach North Carolina:
Die Welt zieht an den Bullifenstern vorbei. Seit Monaten unsere Welt, in der sich die Bilder ständig ändern. Das, was wir hier machen, ist ein draufschauen. Kein Rein-schauen. Obwohl wir schon so lange hier sind, obwohl wir die Sprache sprechen, obwohl wir zeitweise so etwas wie „normale“ Lebensbereiche streifen: Apotheke, Supermarkt, Mechaniker, verstehen tun wir von all dem trotzdem nur sehr wenig.
Es ist seltsam, je länger wir reisen, desto deutlicher wird, wie beschränkt der eigene Horizont doch ist. Je weiter wir fahren, desto weniger schnackelen wir, was eigentlich abgeht.
Es ist faszinierend, wie viele Menschen nach einem zwei Wochen Spa-Aufenthalt in Südostasien plötzlich Thailandexperten sind.
Wir rollen nun seit Monaten durch ein Land, dessen Kultur uns sehr viel ähnlicher ist, mit Menschen darin, mit denen wir uns –rein sprachlich—sehr gut verständigen können und surfen trotzdem nur die Oberfläche.
Man kann unendlich viel sehen und unendlich wenig verstehen. Vor allem, wenn man das Gesehene einfach nur in seine starren Denkmuster einklickern, durch sein vorgebautes Hirnlabyrinth oben rein fallen lässt und die Denkkügelchen unten in nur einem von zwei Bechern wieder rausfallen können: richtig oder falsch, gut oder böse.
Man kann die ganze Welt bereisen – und genau dort wieder raus kommen, wo man angefangen hat. Unverändert und nix gerafft.

Der heutige Tag: wie ein Sinnbild.
Häuser, Landschaften, Menschen fliegen verwackelt vorbei. Alles gesehen, die Baumwollflocken aber nicht angefasst. Nicht in den Mokassins der anderen gelaufen, nie Minderheit gewesen, immer die Zeit gehabt, zumindest den anfassbaren Müll aus dem Nest zu räumen.
Was weiß ich schon vom Leben in South oder North Carolina?
Nur drauf geschaut. Wie so oft im Leben.
Manchmal tut es gut zu erkennen, dass man kein Experte ist.
Sondern immer, immer, immer wieder — und immer weiter:
Nur ein Lehrling….

South Carolina: ein perfekter Herbstbeginn

Es sind zwei wunderschöne Tage am Fluss in South Carolina, der noch immer wie ein See aussieht, die entspanntesten seit langem. Mitten in einem sonnigen Herbst, in dem ein Hauch süßer Abschied liegt. Ohne es geplant zu haben, werden die Dinge langsam rund. Auch deswegen bleiben wir noch einen Tag länger: es darf, es soll genauso sein.
Über gefallenes Laub kilometerweit wandern durch einen einsamen Wald, Chouchou sagt es so schön: endlich eine Gegend, in der niemand einen fressen will. Wir haben sie auf diesem letzten Teil der Reise alle hinter uns gelassen: die Bären, die Elche, die Pumas, die Alligatoren, die Noeeseums und Mücken. Was bleibt sind nur noch Hörnchen, ein Reh und wir.Like home.
In der Nacht friert es, die Sonne geht wolkenlos über einem spiegelglatten Wasser bläulich auf und irgendwann pastellig wieder unter. Wir schlafen wieder mit Mütze, tagsüber ziehen wir die Icebreaker drunter und atmen fröstelige Luft ganz tief in uns ein.
Wir beginnen erste Reste zu kochen und dabei von Vollkornbrot, echtem Baguette und Käse zu träumen. Ja, ganz genau so darf es sein. Es soll. Ein wunderbarer Anfang des Endes einer intensiven Reiseetappe, die vollkommen anders als einst geplant verlief.
Dieses kleine Puzzleteil war das letzte Fehlende des großen Ganzens in der Mitte. Vor uns liegt nun nur noch, den Rand zu legen. Die Flocken in der Schneekugel sinken, das Bild darunter fast fertig und klar.
Das letzte Feuer unseres Nordamerikas, das nächste wird wohl erst in Schweden wieder sein, entzünden wir ohne Firestarter. Es brennt perfekt, mehr gibt es heute nicht zu tun.
An diesem perfekten Anfang eines Endes, das man schöner nicht malen könnte.

Ein Willkommen, das niemand zerstören kann

Über Nacht ist die Kälte über den Savannah River hoch gekrochen: er dampft des Morgens um halb acht bei sieben Grad und Sonnenschein.
Die neue Frische muss als Argument herhalten, dass ich mir –genau deshalb!– in der Lobby gleich zwei tieffrittierte Donuts zum Frühstück reinhauen muss. Bei Temperaturen wie diesen braucht es Biomasse, um nicht zu erfrieren … meint ein Fressmäulchen, das gerade noch in Florida unter Tropensonne briet und Hunger hat.

Wir verlassen die Hauptstadt aller Südstaatenmärchen über die phänomenale Brücke des Atlantic Coastal Highways, sie thront hoch über dem Savannah River. Große Schilder zur Suizidprävention prangern an der Straße. Doch wer hier hoch läuft, um wieder runter zu springen, der will am ehesten keinen Hilferuf mehr loswerden.

Im Schatten des großen Mutterflusses fließt der Little Back River: er markiert die Grenze zum nächsten Staat: South Carolina.

Ganz augenscheinlich sind wir nun im Herzen des bible belts angekommen. Natürlich stammt der Mensch nicht vom Affen ab, hier ist´s logisch, dass Gott die Erde in sieben Tag erschuf. Genauso wie es im Buch aller Bücher geschrieben steht.

Es rollt sich gut auf den Straßen des alten Testaments:
Choosawhatchie fliegt vorbei und wird direkt im Ideenbuch notiert. Sollte ich eines Tages doch endlich die Kindergeschichte von Popokatzepetel, dem gelben Fuchs niederschreiben wollen, hat der nun einen weiteren, guten Wohnort:
Popokatzepetel, geboren und aufgewachsen in Chilliwack auf großer Reise nach Choosawhatchie – ich finde, das klingt wunderbar.

Nach South Carolina einzureisen ist ein wenig, wie eine unsichtbare Schallmauer zu durchdringen. Plötzlich ist er Knall auf Fall da: der Herbst. Rotes und gelbes Laub in den Kronen einer geschichteten Vegetation. Oben mitteleuropäisch anmutend, unten weiterhin ein Traum an Marsch mit Sägepalmen-Shakehands.

Auf der Landstraße geht es an Plantagen vorbei, die bessere Zeiten gesehen haben –und sehr viel schlechtere–…

…bis nach Bowman: 968-Seelendorf mit immens hohem Leerstand, irgendwo verloren im Orangeburg County. Der Standort des UFO-Welcome-Centers von South Carolina.

1994 begann Jody Pendarvis seine Lebensvision zu bauen: eine 14 Meter große, fliegende Untertasse im eigenen Vorgarten. Falls Extraterrestrische zufällig mal in Bowman vorbei flögen, sollten sie sich zumindest willkommen und heimisch fühlen, meinte Jody. Also baute er nicht nur die Ufohülle aus Holz, Fiberglas und Plastik, sondern auch gleich eine Heberampe, Toilette, Farbfernseher und Dusche mit hinein. Der Komfort sollte ja schließlich auch stimmen.

Als wir an der verwitterten Tankstelle rechts abbiegen, sehen wir Jody schon von Weitem. Ein hutzeliges, altes Männlein, das in einem Trümmerhaufen herumturnt und dabei emsig bastelt, schraubt und bohrt.
Was einst als Untertasse begann, ist heute eher ausgebombter Krisenschauplatz: nicht nur die Außenbeschriftung des UFO-Zentrums ist längst abgefallen, eigentlich ist alles an dieser Installation in sich kollabiert, kein Teil mehr dort, wo es einst hingehörte.

Jody jedoch scheint das wenig zu stören: eifrig wuselt er in seinem Häuflein Schrott, höchst geschäftig, allzeit lächelnd und voll engagiert im eigenen Vorgarten, mitten in seinem Lebenswerk.

Ob Außerirdische schon hier waren, fragen wir. Vielleicht, meint Jody, vielleicht ja in just diesem Moment angereist in einem Magicbus?!
Wir sollen mal reinkommen und schauen – auf eigene Gefahr allerdings. Denn in diesen höchst einsturzgefährdeten Resten wird man möglicherweise schneller aus der Welt gebeamt als einem generell lieb wäre.

Das Eintrittsgeld sollen wir bitte stecken lassen, das nimmt er schon lange nicht mehr. Nicht mehr, nachdem ein Unbekannter 2017 in einer Nacht alles zerstörte, was Jody sich mühsam in 23 Jahren aufgebaut hat. Denn das Ufo sah so nicht immer aus.

Nach dieser Nacht im April vor sechs Jahren blieben nur noch Trümmer übrig. Und eine blutrote Schmiererei an der Mauer: „The whites has voted. Ufo moving good by.“

Und was macht Jody?
Jody fängt wieder an zu bauen. Nochmal von vorne. Ganz allein.
Mit seinen knappen 80 braucht er möglicherweise nun etwas länger, bis alles wieder steht – eins auf dem anderen, die Heberampe wird wohl nichts mehr– aber das macht nichts. Jody tut es trotzdem. Oder gerade deshalb.
Egal ob “the whites” oder sonst wer seinen Vorgarten missbilligt: seinen Lebenstraum, den lässt er sich nicht nehmen. Ebenso wenig wie seine Hoffnung. Bei der nächsten Bürgermeisterwahl wird er erneut als Kandidat antreten. Seit 25 Jahren erfolglos heißt nicht, dass es nicht doch noch irgendwann klappen kann.
Ach Jody, ein wenig von deiner Aufstehmentalität könnten wir alle sehr gut gebrauchen. Und nein, das ist kein Eintrittsgeld, das wir im Kästchen hinterlassen, sondern lediglich ein Willkommensgeschenk an die Aliens. Jody soll es bis dahin einfach nur verwahren.

Bis Santee ist es von Bowman aus nicht mehr sehr weit: zwei Landstraßen nach Norden, eine nach Westen, Landschaft in herbstlichem Dornröschenschlaf, danach wartet angeblich „das Paradies“ auf uns.

Am Santee River, der eher wie ein gigantischer See wirkt, heißt uns eine graugelockte Lady warm willkommen, wir parken mit Blick aufs Wasser ein. In einem herbstlichen Wald, erfrischend untropisch, die Luft so klar wie lange nicht. Für uns tatsächlich paradiesisch.

Der neue Herbst mahnt uns, dass diese Reise nun langsam wirklich zu Ende geht. Das heißt –neben vielem anderen—auch Reste essen. Eine Dose Spinat „southern style“ auf Schmetterlingsnudeln muss es heute tun. Das haben die Hörnchen von Santee noch nie gesehen, sie tanzen entsprechend aufgeregt um den Picknicktisch herum.

In unwirklichem Pastell geht die Sonne über dem See, der eigentlich Fluss ist, unter. Roséfarbenes Wasser – surreal, wie so vieles:

Der Anfang vom Ende dieser großen Reiseetappe, ein plötzlicher Herbst nach Tropensommer.
Spinat aus der Dose, ein Hutzelmännchen, das sich niemals seine Träume nicht nehmen lässt.
Ein totgesagter Magicbus, der eine 4x4Reise wacker hinter sich brachte, eine Rückkehr nach Hause ohne Papa. Gefühlt surreal, erlebt so echt.
Vielleicht ist es das, was wir meinen, wenn wir manchmal davon sprechen:
Ein Stück ganz normales Leben eben.

Unterwegs in einem Südstaatenmärchen

„I heard it throught the grapevine” schunkelt uns geschmeidig aus den Kissen: Guten Morgen Donnervogel Inn!
Bevor hier allerdings irgendwelche Weinreben zu flüstern gedenken, brauchen wir erstmal Kaffee. Vorher könnten sogar ganze Weinberge jodeln – das juckt uns ganz und gar nicht.
Drei Kaffee und zwei Donuts von der Rezeption später – jetzt können wir sprechen. Und zuhören. Meinetwegen auch Weinreben, wenn´s sein muss.
Unser Tag in Savannah kann also beginnen: mitten hinein in ein Südstaatenmärchen.

Machen wir es kurz und schmerzlos:
Savannah ist tatsächlich so schön wie alle sagen. Um nicht zu sagen: noch ein bisschen schöner. Ein „Chouchous ganz hübsch“ sogar – und das will wirklich was heißen.
Ergo: Savannah steht kurz vor Nominierung für unsere „Liste der potentiellen Lebensorte“. Eine Liste, die bekanntlich nicht allzu lang ist. Eher leer als lang.

Städtebeschreibungen sind öde und unnötig, wenn es tausend Fotos hat.
Daher beschränke ich mich auf ein paar innere Bilder, die kleben bleiben und solche, die heute sichtbar vor den Augen flackerten:

Unsere abgelebte Rock n Roll-Nachbarin, die –nur in Unterhose, Shirt und Tattoos gekleidet– auf der Balustrade ununterbrochen qualmt und bei jedem Vorbeigehen ihre Sportübung am Geländer unterbricht, um „Merry x-mas“ mit Reibeisenstimme zu wünschen.

Tausend grüne Plätze, ein Gitarrist um die 70 und mit Sonnenbrille aus den 80ern spielt herzzerreißenden Blues. Nur für sich. Und uns.

Parkaufforderungen am Straßenrand mit einem Yogiteespruch: „Remember your space“. Bevor man ganz verloren geht.

Der Geist von Forrest Gump, der auf dem Chippewa Square –an einer Bushaltestelle, die es nicht mehr gibt—auf ewig konstatiert, dass Mama immer sagte: Das Leben ist eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt.

Knorrige Bäume mit wildem Naturlametta neben einer Weihnachtsbeleuchtung, die wirkt, als sei sie mit einer Konfettikanone über die gesamte Stadt geschossen worden.

Kunststudenten, die dicke Eichhörnchen skizieren, die wie stumm an den Baum geklebt wirken. Kopfüber platziert zum lernen und bewundern.

Kunst, Fontäne und Mann mit Stuhl neben Brunnen im Forsythpark, ein Platz neben ihm ist frei. Für alle, die „deep talk and poetry“ benötigen.

Herzschlösser am Brückengeländer nahe des Flussufers: zwei Bären von Typen rücken ihnen mit brachialen Bolzenschneidern zu Leibe. Was bleibt sind zerbrochene Herzen auf Kopfsteinpflaster. So ist das im Leben. Dies ist nicht Paris, baby.

Backsteinerne Lagerhäuser –verwittert– und zwei Verwitterte, die davor gurken.

Zwei Kirchen, die gleichzeitig läuten – Glockenpingpong, ein vergessenes Geräusch.

Zu Tränen gerührt sein, weil rote Blätter von einem Baum fallen.

Eine Gedenkstatue für Florence Martus am Savannah River. 44 Jahre winkte sie jedem einzelnen Boot hinterher: tagsüber mit Tuch, in der Nacht mit Lampe, in der Hoffnung, dass ihre heimliche Liebe –ein Schiffer von jenseits des Wassers—endlich wieder zu ihr zurückkommt. Erfolglos. Sie starb an gebrochenem Herzen. Eines der tausend auf Kopfsteinpflaster, Bolzenschneider der anderen Art.

Ein Plätzchen für dePabel mit Blick auf den Dampfer.

Greek Revival Style, Geistertouren und verzierte Gusseisengeländer, die von einem New Orleans „es war einmal“ träumen. Flagge zeigen.

Schwein mit Nikolausmütze. Weil ein Schwein im Advent tun muss, was ein Schwein im Advent tun muss.

Kartoffelbowl im Studilädchen, die hochengagierte, junge Besitzerin freut sich wie Bolle über unser Trinkgeld: endlich kann sie sich neue Aufnäher für ihre Punkjacke kaufen. Das leckerste Essen seit San Francisco für einen Spottpreis.

Kutschen, deren Pferde keine Äpfel werfen. Wegen Apfelbeutel unterm Schweif. Passend zu alten Markisen.

13 Kilometer durch ein Südstaatenmärchen.
In dem Herzen brachial brechen und sanft wieder zusammengesetzt werden.
Ein Märchen, in dem für jeden, der es braucht, ein sanfter Blues erklingt. Weicher als jedes Glockenläuten.
Eine Fabel, in der sehnsuchtsvolles, stilles Winken neben gegrölten „Merry x-mas“ existiert.
Eine Geschichte, in der –natürlich!– Weinreben flüstern können. In deep talk and poetry.

Savannah: Antebellum mitten in den 60ern

Jetzt ist es passiert!
Nach einer luxuriösen Nacht in sehr weichen Kissen – draußen tobte harter, georgianischer Bindfadenregen, drinnen nur die Fernbedienung des Fernsehers—ist es um die Globetrottels geschehen.
Nur allzu gerne nehmen wir die Tatsache an, dass sich offizielles Camping in diesem Bundesstaat als sehr teuer erweist. Für State Park Camps wünscht man von uns eine Zahlung von 50 Dollar (zuzüglich Reservierungsgebühren und die so genannte „Utility Fee“), eine Buchung geht nur zwei Tage in Folge. Freies Campieren sieht man in den Städten nur äußerst ungern, alles in allem: wunderbar!
Somit können wir zwei weitere Luxusnächte sehr gut rechtfertigen.
Next stop: Savannah! Im Retro-Motel mitten inne City, günstiger Ort am Platz. Das Camping 20 Kilometer außerhalb der Stadt kostet nur unwesentlich weniger. Aber von vorne.

Zum Frühstück gibt es für uns Fox-News. Das haben wir uns so nicht ausgesucht, der Sender wurde vom Hotel gewählt. „Nachrichten“ statt „fake news“ – ein kluger Schachzug, damit die Hotelgäste nicht allzu viel vom Buffet wegfuttern, bei der „News-Qualität“ wird einem nämlich zügig schlecht.
Herr Donald Trump flimmert über die Mattscheibe. Er lässt sich –im Zuge seines Wahlkampfes in Iowa– ausführlich über den „Wahlbetrug“ von 2020 aus. Again and again and again.
Unfassbar: er bringt die Nummer noch immer und die Leute tun was!? Jubeln.
„Please do not put eggs in microwave they will explode….“ in einer Menge Plastik…

Da bleiben einem Rührei und FruitLoops fast im Halse stecken. Kinnas, ich brauch noch einen Cappuccino. Am besten mit Schuss. Doppelt!

Mit bunten Kringeln quer im Rachen geht es für uns heute weiter gen Norden.
Wolkenbilder am Highway 95, eine Werbung für das German restaurant: Zum Rosengarten – die Mädels servieren im Dirndl.
Über den Sumpfgebiete zur rechten platzt anscheinend plötzlich eine überdimensionale Methanblase: ein Geruch, der zügig berauscht. Selbst Kinder vom Lande, wie wir es sind. Durchaus Biowaffen-tauglich.

Am Raststopp baden Krähenartige genüsslich in einer äußerst ungesund aussehenden Brühe, aber egal: Krähen kriegt ja nix kaputt. Advents-Anbaden in Georgia.

Nach knappen 200 Kilometern passieren wir das Willkommensschild von Savannah – nach St Augustine in Florida und New Orleans eine der ältesten Städte der USA. Founded 1733. Und angeblich eine der schönsten. Das wollen wir doch mal sehen. Unbedingt.

Das Thunderbird Inn Motel kommt in gnadenlos-gutem Retrolook daher. Bunte Außenfassade, Popcorn all you can eat den ganzen Tag kostenlos, knallrotes Schnurtelefon mit Wählscheibe auf dem Zimmer, Dauerbeschallung mit Oldies aus den 60ern.
Kurzum: der ideale Platz für Globetrottels. Wir lieben es bereits beim ersten Augenklimpern.

Kurzer Orientierungsgang durch die historische Altstadt, die wahrlich ums Eck liegt, so wohltuend menschenfreundlich aufgebaut, dass es einem unbekannten, amerikanischen Segen gleichkommt:
Echte Fußgänger auf echten Trottoires. Verstreute, kleine Miniparks, in denen Menschen jeglicher Couleur dem nachmittäglichen Ausatmen der Stadt zuhören. Alte Dampfer am Savannah River, Flaneure, Musik zwischen alten Baracken und wunderschöner Antebellum-Architektur (ein Wort, das ich erst seit gestern kenne, das muss aber ja niemand wissen). Deswegen kann ich es nun schlau und klugscheißerisch erklären: Antebellum-Architektur ist ein klassizistischer, historischer Baustil der Südstaaten der USA, Hauptära zwischen 1803 und 1861.
Falls also jemand eine sehr intellektuelle Instagramfreundin braucht, einfach joanakatrin79 adden, ich akzeptiere großmütig.

Genaue Details schauen wir uns morgen an. Heute geht es lediglich darum, den Geist dieser Stadt erstmal einzuatmen, ein Gefühl zu bekommen. Wir lassen uns ziellos treiben. Es fühlt sich passend an, so warm und richtig.

Am Abend genießen wir die wieder auferstandenen 60er in unserem bunten Motel.
Elvis, Percy Sledge, die Beach Boys tönen ohrenbetäubend über die Außengänge, dreimal tapse ich groovend runter an die Eismaschine, bevor unter unserer Balustrade plötzlich intensives Blaulicht entlang düst. Kurzzeitig machen die dazugehörenden Sirenen selbst die ollen Beatles platt.
Was auch immer dort draußen geschehen ist: 2023, gefühlt ungefähr 60 Jahre nach unserer Echtzeit. Mitten in Globetrottels un den Beatles ihr „Yesterday“, irgendwo in Savannah, Georgia.
Es kann nur irgendetwas zwischen „Down let me down“ und „Here comes the sun“ sein.
Ich geh besser schnell noch Popcorn holen…

Sicher durch den Tornado in und Dank St Marys

Unser Morgen beginnt bei 100% Luftfeuchtigkeit mit dampfendem Kaffee, den man eigentlich nicht hätte erhitzen müssen und sorgenvollen Nachrichten aus der Heimat.
Es könnte kaum einen besseren Zeitpunkt geben, als dass nun auch der Magicbus direkt nach Abfahrt mit erneutem Kreischen beginnt. Lediglich, weil er gerade mal nicht die erste Geige spielen sollte.
Also: gutschigutschi, lieber Bulli, bitte lass sein.
Es ist reine Nächstenliebe, dass er es nach 4 Kilometern nassem Sand dann wirklich lässt. Am ehesten hat sich lediglich matschiger Sand –mit Steinchen gespickt– im Radkasten festgesetzt. Das zumindest reden wir uns beruhigend ein. Uns und vor allem unseren Nerven. Anders geht nämlich gerade gar nicht.
Nach 20 Kilometern warm fahren und mit sehr offenen Ohren, die selbst ein kalifornisches Kreischen orten könnten, trauen wir uns endlich auf den Highway gen Norden. Noch 100 Kilometer Florida…

Auf den letzten Metern dieses Staates fliegen kurz vor Jacksonville erneut aggressiv beworbene Pecan-Buden vorbei.
Gestern haben wir Labelingopfer an einer solchen gehalten und eine riesige Tüte für einen knackigen Preis gekauft, die heute schon halb leer gefuttert ist.
Das kreischend bunte Straßenrandbüdchen führte neben den Nüssen noch Florida-Busentassen, effektive Feuerwerkskörper, pralle Orangen und Alligatorköpfe aus Plastik. Dachten wir zumindest.
Dank der heutigen Werbeschilder lernen wir: nee, aus Plastik waren die nicht.
Florida, wir verlassen dich mit gemischten Emotionen.

Dieser Staat ist wohl der zwiespältigste Landstrich aller für uns gewesen:
Politisch unterirdisch, Wetter lecker sommerlich, mit den gemeinsten Mücken ever. Zauberhaftes Tierleben, knallharte Schere zwischen reich und arm, zwischen schwarz und weiß. Dazwischen die freundlichsten Winker der gesamten USA und geschmacklos zur Schau getragener Reichtum.
Florida: ein wunderbares Beispiel, dass es Dinge gibt, die weder glatt gut, noch blande böse sind. Beides kann sehr wohl gleichberechtigt nebeneinander stehen, in einem großen Ganzen.

Auf Florida folgt Georgia. Ein Staat der um sich wirbt, indem er sich dafür bedankt, dass man ihn überhaupt auf dem Schirm hat. In etwa so, als wenn man als letzter beim Sport in die Mannschaft gewählt wird. „We are glad Georgia is on your mind.“ Wie schön, dass ihr mich noch ins Team holt…

Erste rote Bäume am Straßenrand, die uns plötzlich schmerzlich bewusst machen, dass wir in den nächsten zwei Wochen am ehesten drei Jahreszeiten im Schnelldurchlauf erleben werden. Der Herbst ist hier zum Greifen nah und doch noch nicht ganz da. Es regnet in einem schwülen Restsommer.

Im ersten Örtchen hinter der Grenze wollen wir heute Nacht bleiben: in St. Marys. Angeblich lässt es sich am dortigen Hafen problemlos über Nacht campieren. Wir haben die Rechnung ohne den Advent gemacht.

Das pittoreske, historische Dörfchen quillt über vor Gästen. Die Straßen verstopft mit sehr großen Autos, die kreuz und quer vor Häusern parken, die so in jedem meiner kindlichen Amerikaträume standen: mit Holzveranden davor und Schaukelstühlen darauf.

Am Hafenpark findet ein quirliger Adventsmarkt für Kinder statt und alle sind da: Santa Klaus und seine Elfen, der Grinch, mehrere Weihnachtsbären, Lebkuchenmänner und Schneefrauen. Ein Eisprinzessinnenballett tanzt im warmen Regen – der Traum von Schnee schlappe 24 Grad entfernt.

Leider ist die Schlange beim Weihnachtsmann zu lang, der Grinch aber bekommt schnell einen Kuss, bevor wir mit unserer Rentierkutsche wieder von dannen ziehen: nach einer Übernachtungsalternative suchen.
Und Chouchou kommt auf eine großartige Idee!

Da den gesamten Tag weiterhin Regen angesagt ist, da wir bereits am Morgen schon müde von Nachrichten und Kreischen waren, da wir uns heute generell wie etwas über 40 fühlen, gönnen wir uns doch ausnahmsweise mal ein Motel!? Bei 20 Dollar mehr im Vergleich zum Campground muss man das eigentlich nicht zweimal fragen.

Im SureStay Motel ist Zimmer 122 für uns noch frei. Vorbei an der liebenswürdigen Pam, die uns mit ihren kölschen Tränengeschichten berührt, stiefeln wir mit Sack und Pack die nasse Treppe rauf in unser Eintagsfliegenparadies. Mit Badewanne, Kühlschrank, Mikrowelle, Kaffeemaschine und Fernseher direkt vor dem weichen, blütenreinen Bett. Der Pool ist viel zu kalt – das merke sogar ich nach zwei Zügen, also schnell unter die Decke mit Heizung und Glotze an.

Wir „kochen“ uns drei vegane Fertigmenüs aus dem Supermarkt ums Eck. Oder eher gesagt: die Mikrowelle kocht für uns. Ein Essen nach dem anderen, das erste schlimmer als das zweite als das dritte, aber immer noch um Ecken besser als jeder Burger. Pad Thai, Meetballpasta, Kichererbsen-Quinoa-Curry. Alles sehr heiß und scharf. Danach gibt´s Joghurt, Brownies und iced Honey Bun.
Bezüglich der hiesigen Kalorienzufuhr habe ich mich bereits vor drei Tagen geäußert. Es hat sich seither nichts geändert: es isst und bleibt wumpe.

Wir zappen uns durch die Programme: Football, Bibel-TV – heute wenden wir uns den Hirten und ihren Gaben zu–, eine hochtoupierte Dame um die 60 bewirbt Nahrungsergänzungspillen, die Kollegin auf dem Nachbarsender will hingegen Zahnaufheller an die Frau bringen.
Für uns ist die ganze Sache so spannend wie ein Museumsbesuch: Fernsehprogramme in Übersee geben sehr wohl einen intrakulturellen Einblick. Genauso rechtfertigen wir also unseren Nachmittag: äußerst bildendes Kulturprogramm. Und dann geht zwischen Vitaminpille, Zahnbleichmittel und dem neuen Testament plötzlich der Alarm los.

„Dies ist eine Tornadowarnung. Please seek shelter immediately!
In stürmischer Geschwindigkeit zieht ein Tornado von Westen an, in 15 Minuten trifft er Jacksonville. Das Jacksonville, durch das wir vor zwei Stunden gerollt sind, 40km südlich von uns.
Die Nachrichten gehen auf Sonderschaltung: Leute, ihr habt nicht mehr viel Zeit! Rein mit euch, geht in den Keller oder wenigstens von den Fenstern weg. Viel Glück!

Wir schauen aus dem Fenster auf den schnurrgerade fallenden Regen, in dem kein Lüftchen geht und können unser Glück nicht fassen. Weil wir drinnen sind, weil der Tornado unter uns hindurch taucht – ums Eck. Weil wir uns heute nicht für den Strandcampplatz in Jacksonville entschieden haben.

Heute Nacht fiel meine Kette ab, der Abschluss zerbröselte leider vollkommen irreparabel.
Am Morgen habe ich kurz überlegt, sie ins Portemonnaie zu legen bis sie wieder repariert ist. Es fühlte sich jedoch falsch an: nackt und ungeschützt. Also habe ich sie wieder angelegt: mit einem stümperhaften Doppelknoten.
Nun hängt sie also wieder dort, wo sie hingehört: Papas Madonna — holy Mary.
Vollkommen still – weil der Tornado vorbei zieht. In St Marys.
Mit einem Doppelknoten – weil sicher sicher ist, wenn auch unnötig:
Bei allseits präsentem Schutz von oben… .

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