Kurz nach dem Erwachen beginnt es wie aus Kübeln zu gießen – just in dem Moment, da wir uns entscheiden das Bullidach einzufahren. Eine gute Entscheidung, wie uns die Wettervorhersage flüstert. Denn mal wieder ist uns ein Tornado auf den Fersen.
Über Tennessee kommt er angeweht, natürlich in Windeseile – ein Wort, was wohl für Tornados erfunden wurde, eigentlich müsste es „in Sturmeshektik“ heißen.
Bei diesen Aussichten fällt es leicht zu beschließen: dies war dann wohl unsere letzte Magicbusnacht in Nordamerika. Auf einmal ist alles sehr schnell da. Nicht nur der Tornado.

Die letzten Lebensmittel fliegen raus. Und meine Lieblingshose – Joggingbuxe im neonfarbenen Leopardenlook.
Mach es gut, bestes Büxken von Welt. Mit einem Loch am Popo so groß wie ein Wirbelsturm kann ich Dich leider wirklich nicht mehr tragen. Ich danke dir für die gute Zeit, die wir miteinander hatten. Du warst eine der besten Hosen der ganzen Welt. Sorry, dass ich dich kaputt gefressen habe, geplatzter Leo. Wir waren beide nicht auf das exzessive, amerikanische Essen vorbereitet.

Gewürze und Nudeln loszuwerden fällt nicht allzu schwer. Wohin aber mit dem Bärenspray, das wir –danke, liebe Bärlis—nie gebraucht haben? Ein Produkt, das wir auf Grund seiner Explosivität nicht ausführen und wegen Waffenscheinmangels nach Europa nicht einführen dürfen. Vielleicht kann Alan es gebrauchen?

Alan war noch nie außerhalb des Staates. Mit einem breiten Südstaatenakzent, den er selbst nicht erklären kann, hat er sich 62 Jahre nur durch North Carolina gequatscht, darüber hinaus ging es nie. Das Spray aber nimmt er gerne: vielleicht fährt er ja irgendwann mal nach Alaska. Mit seiner Chouchougedächtnisfrisur.
Die beiden sehen sich –zumindest Frisuren-technisch– so ähnlich, dass ich beim Einsteigen vor dem Rangerbüro lieber zweimal schaue, bevor es weiter gen Norden geht. Nicht, dass statt Chouchou gleich Alan am Steuer sitzt.

Wir fahren an Halifax vorbei. Halifax – auch hier ein weiterer Kreisschluss. Selbst, wenn dieses nicht in Nova Scotia liegt, wird auch die Vegetation dem netten Nachbarstaat im Norden langsam immer ähnlicher.

Noch abgeblasene Schneemänner in einem Vorgarten warten auf Weihnachten: ein schönes Bild kurz vor dem letzten Mal tanken.
Da der Magicbus so gut wie dieselleer auf die Fähre gehen muss, sind dies also unsere letzten 5 Gallonen Diesel in Nordamerika.

Die Grenze zu Virginia ist schnell passiert. Virginia is for lovers., behauptet das Schild am Welcomecenter. Am ehesten wohl eine jungfräuliche Liebe, sollte man dem Namen trauen können.

Über die Fernsehschirme neben den Restrooms flimmert eine Sondersonderung: der Tornado ist mittlerweile in South Georgia angekommen, er nimmt Kurs gen Norden. Wir müssen weiter.

Mit Wirbelsturm im Nacken werden wir flott auf den Landstraßen. Der nächste Staat Maryland ist zügig erreicht: byebye ehemals konförderierte Südstaaten, auf Wiedersehen bible belt.

Keine Ahnung, ob das Staatsmotto „Leave no one behind“ eigentlich ein Mittelfinger gen Süden sein soll!? Das nächste Schild: „religious freedom“ könnte es fast vermuten lassen.

In Waldorf kehren wir –nach Tacos und kurz vor dem großen Regen– für die Nacht ein. In Zimmer 219 des Quinta Inn – weder Waldorf, noch Astoria, aber immerhin mit einem trockenen Dach über dem Kopf.

Die ersten Bindfäden, die vom Himmel weinen, machen den Campingabschied nicht allzu schwer. Ein durchnässtes Bulli-Dachzelt einzupacken hätte auf der Fähre wenig gemacht, aber in Hamburg den Stockfleckenblues anzustimmen zu müssen, wäre dann doch irgendwie blöd gewesen.

Just in dem Moment, da wir Kaffee und frische Socken ins Zimmer tragen schrillen unsere Handys: „Disaster-alert“. Der Tornado ist mittlerweile in Virginia. In Waldorf setzt soeben der Starkregen, der bedrohlich auf das QuintaInn-Dach trommelt, Richmond –die nächste größere Stadt südlich von uns—erhält eine erste Flutwarnung.

Ein wenig verrückt fühlt es sich schon an. Mal wieder traben wir nach Norden von dem Tornado davon. Wie vor einer guten Woche in St Marys, als der Sturm Jacksonville –20 Kilometer südlich von uns– traf.
Wäre unsere innere Zeitachse nur schlappe zwei Stunden nach hinten verrutscht, hätten wir in den letzten acht Tagen zwei Tornados erlebt.
Nur zwei Stunden, die nach uns die Sintflut machen. Eine Schneise der Verwüstung hinter uns herziehend und no fear of missing out.

Ich glaube, da oben sitzt momentan jemand ganz dicht neben Petrus.
Kurz bevor der den Sturmhebel drücken kann, haut der andere ihm fest auf die Finger: „Jetzt noch nicht,“ zwei Stunden lang, bevor es erst dann –nach prüfendem Blick auf das Globetrottels-GPS– heißt: „So, jetzt kannste.“
Ich vermute, das ist derjenige, der auch die Nordlichter in Alaska anmachte. Derjenige, der den Kolibri schickte, die Orcas und den Buckelwal.
Aputschipaja. Wie gut, dass Du immer da bist!