Manchmal ist´s schwer zu erklären, warum der eine Draufblick mehr berührt als der andere. Bei North Carolina ist es so. Wir mögen diesen Staat sehr: er fühlt sich ein wenig nach zu Hause an. Wieso auch immer…

In Hans´ Wäldchen ließ sich ausgezeichnet schlafen. Unter großen Bäumen, die behutsam über unsere wilden Träume wachten, gleichzeitig unterwegs in einem ziemlich bunten Lummerland – mitten in Zauberforst.

Nachdem Hans uns gestern mit seiner Alienseegeschichte große Ohren gemacht hat, ist unser erster Anlaufpunkt heute Morgen logisch: über die Sweet home church road rollen wir nach acht Kaffee direkt zum kreisrunden, ominösen Jones Lake. Am ehesten erschaffen durch die Druckwelle eines landenden Ufos, hier kann TF 23 endlich mal wieder heimische Luft schnappen.

Der See ist genauso bezaubernd wie Hans schwärmte. Ein spiegelglattes, rundes Wunder mitten im nebeligen Wald hätten auch wir sehr gerne vor der Haustür, es ist verständlich, warum Hans Dortmund verlassen musste.

Wir werfen TF 23 in Richtung Himmel, seine Eltern aber wollen ihn anscheinend nicht abholen. Ein wenig darüber enttäuscht darf er als Trostpflaster den Rest des Tages vorne im Fahrerhäuschen mitfahren.

Weiter geht es über die Dörfer abseits der Hauptroute: 250 Kilometer über Landstraßen, an denen Herrenhäuser und Marodes sich die Waage halten. An der Nordgrenze des Staates steht es ziemlich genau 50 – 50.

Mitten hier im bible belt–wen wundert´s—stehen eine Menge Kirchen. Meist protestantisch streng und stumm mit Werbetafeln vor den Toren. Mein Lieblingsschäfchenlockspruch des Tages klebt in vergilbten Lettern kurz vor Goldsboro:
„We are as full with holy spirit as we want it to be.”
Also: Wir wollen. Einmal volle Kanne bitte.
Sonnige, goldene Herbsthügel bei 24 Grad – heute fühlt es sich so an, als gäbe es auf der Welt nichts Schöneres als durch ein verträumtes North Carolina zu fahren. Die Seele kommt mit. Anders als gestern, da sie sich erst kurz vor Mitternacht in unsere Träumen zurück klopfen konnte – ganz außer Atem und allein vor der Magicbustür. Erst danach legte sich der Wald in seinen echten Zauber. Quasi: ein Seelen – late check in.

Goldsboro fliegt vorbei: bekannt für seine große Psychiatrie, die hier freundlicherweise nach Kirschen benannt ist (da bekommt „cherry coke“ eine ganz neue Bedeutung) und abgestürzte Wasserstoffbomben.
In Mount Olive –capital of pickles– fliegen Doktorhüte in die Luft: Graduation, Uniabschluss. Ganz am Anfang eines Lebens, das sich noch zu träumen wagt. Hoffentlich auf immer as full with dreams as they want it.
Kurz vor Wilson ein bunter Friedhof, Flohmarkt und flemmbrennen im Vorgarten, dahinter der Ort. Hier müssen wir unbedingt anhalten.

Mitten in der Stadt, die sich unheimlich vertraut anfühlt – so, als könnte man hier ohne Probleme ein Haus bauen, da das Heimatgefühl nicht trügen kann –hat Herr Simpson in den 80ern begonnen einen Park zu bauen. Was sollte er mit 65 nur auf dem Sofa sitzen und Fernsehen schauen? Besser wäre es doch für alle, er entwürfe lieber überdimensionale, bunte Windräder, die so aussehen, wie Herr Simpson sich immer einen LSD-Trip vorgestellt hat. Und da stehen sie nun bis heute:
Dutzende von Rädern, auf denen sich anachronistische Szenen abspielen, laut schnarrend sich drehend in einem goldenen Frühherbstwind. Darunter spielende Kinder, daneben eine marode Fabrik, darüber eine kostenlose WiFi-Verbindung, um die ganze Sache zu recherchieren und Updates zu machen.

Bestimmt gefällt das Herrn Simpson sehr, wenn er lächelnd aus den Schäfchenwolken auf sein spätes Lebenswerk hinunter blickt. Und all die Menschen, die sich über seine farbig verrückten Ideen so sehr durch den Wind freuen können wie wir.

In Rocky Mount gehen wir einkaufen. Mitten im adventlichen Hutzelhausen.
Grell flackernde Lämpchen über dem Eingang, die Dame an den Tüten säuselt fröhlich come in and have fun!, während die chinesischen Tannengirlanden aus Plastik über jedem Regal eher kreischen.

Durch die Obstabteilung fährt gerade der Märklin-Weihnachtsexpress. Er bringt leider keine frischen Sachen: das Gemüse ist welk, die Zitrusfrüchte maximal nur noch abriebfähig oder in Platten pellbar.
„All I want for christmas“ dröhnt in der Lautstärke eines sinkenden Düsenjets durch die schmalen Gänge, es geht nicht anders, da die Stammkundschaft meist Hörgerät trägt.
Eine Dekoration, über die man stolpert, bei der Schweine eindeutig blind werden würden, lägen sie nicht als Sparerips im Angebot in einem knüsseligen Einkaufswagen. In Smith´s „pork center“ – steht draußen ganz stolz dran.

Sie führen auch Gelantin-Regenbogen-Torten. Wer eine kauft, dem winkt der Glitzerpfau hinter der Kasse bestimmt auf Wiedersehen. Uns gegenüber bleibt er leider stumm.

Kurz vor der Grenze zu Virginia kehren wir für die Nacht ein. Nahe Hollister, weit ab von allem.
Nach einem schrillenden Silveralarm verabschiedet sich auch das Netz, es wird eine ruhige Nacht werden.
Unsere letzte in North Carolina. Diesem Staat, der sich ein bisschen wie zu Hause anfühlt.
Wieso auch immer….