Unterwegs im Magicbus

Von South nach North Carolina: Nur ein Lehrling

Dieser Tag ist ein wunderbares Sinnbild für eine Reise dieser Art.
Nach einem ausgiebigen Sonnenfrosterwachen –wir lassen uns viel Zeit—fahren wir heute nicht auf den Highway gen Norden. Heute soll es für uns über die Dörfer gehen. Um wenigstens einen kleinen Einblick in South Carolina zu bekommen. Oder sollte ich Draufblick schreiben?

Abseits der großen Straßen rollen wir durch Summerton, Manning und Gable. Verwaiste Innendörfchen mit kaum Infrastruktur, die Kirchen wirken fein saniert und lebendig.

Nur wenige herrschaftliche Südstaatenvillen, meist ärmliche Mobilehouse-Communities am Straßenrand– teils mit viel Gerümpel im Vorgarten neben der obligaten Weihnachtsdekoration. Bilder, die man nicht schießt; Bilder, die mich ein wenig traurig machen, da Müll im eigenen Gärtchen –zumindest für mich– ein Bild fortgeschrittener Verwahrlosung darstellt. Die allermeisten Tierchen schaffen es –trotz des ganzen Futterbesorgungs- und Begattungsstresses—ja meist trotzdem, ihr Nest sauber zu halten. Was muss passieren, dass dieser Instinkt gänzlich wegbricht? Oder: was muss nicht passieren!?

Turbeville, Olanta.
Müll an den Wegen, die Schilder „Littering 1000 Dollar and prison“ greifen nur wenig. Auch ansonsten viel kaputt, am weniger Kaputten aber steht auch hier die Weihnachtsdeko…

In Florence gibt es erstaunlicherweise ein veganes Café. Hier kocht Eliza – lecker. Wir bleiben die einzigen weißen Gäste, satt geht’s weiter.

In Dillon wird gerade ein frisches Grab ausgehoben, die City hat immerhin ein wenig Geld für eine stadtweite Christmas-Beleuchtung übrig. South Carolina abseits der Hauptroute scheint es nicht allzu gut zu gehen.

An einem See kurz vor der Grenze zu North Carolina wollen wir heute Nacht bleiben, die zuständige Rangerin, die möglichweise nicht ihren besten Tag hat, will dies anscheinend nicht. Obwohl ein Großteil des Platzes frei ist, besteht sie auf eine Zahlung von zwei Nächten. Da Wochenende ist. So seien halt die Regeln. An die wollen wir uns als Gäste natürlich halten – und bleiben daher nicht. North Carolina ist damit schneller da als wir geplant hatten.

Wir rufen Lisa an. Lisa ist für den Staatswald nördlich von Elizabethville verantwortlich. Natürlich können wir mitten im Wald heute Nacht bleiben: sie braucht dafür nur unsere Namen und ein paar Fakten zum Magicbus. Damit gehört das Wäldchen heute uns – eingeladen. Wir müssen nur noch über ein paar Dörfchen fahren, bei den Regenbogenbäumen links und eineinhalb Kilometer in den tiefen Forst hinein. Noch 60 Meilen durch North Carolina.

Bereits in den ersten Dörfern dieses Staates bilden wir –erstmal auf dieser Reise– eine deutliche Minderheit. Bisher sind wir lediglich durch ein sehr weißes Amerika gefahren, es ist schön, dass sich das jetzt ändert.
Weitläufige Farmen, Baumwollflocken liegen über dem Land, sie wehen bis in die Orte hinein, in denen Hühner in den Gärten wohnen. Die Schulbusse sammeln gerade die Kinder ein und ich würde gerne wissen, was die zwei alten Herren in ihren Rollstühlen an der Kreuzung wohl zu plauschen haben.
Kurz dahinter wieder Baumwolle und die Regenbogenbäume, an denen wir links müssen.

Im Staatswäldchen bleiben wir nicht sehr lange alleine: Hans kommt vorbei. Er hat von Lisa gehört, dass wir heute Nacht hier sein würden und möchte ein kurzes, deutsches Hallo loswerden.
Seit 32 Jahren lebt er hier und kümmert sich um den Wald, eine Fläche, die Dortmund anscheinend nicht bieten konnte. Hans erklärt uns, warum die Flüsse hier schwarz sind (Tannin) und dass die anliegenden Seen möglicherweise von einer Druckwelle landender Aliens erschaffen wurden. Zumindest ist dies seine Lieblingsentstehungsgeschichte, wir können da durchaus emotional mitgehen unter hohen Bäumen.

Von South nach North Carolina:
Die Welt zieht an den Bullifenstern vorbei. Seit Monaten unsere Welt, in der sich die Bilder ständig ändern. Das, was wir hier machen, ist ein draufschauen. Kein Rein-schauen. Obwohl wir schon so lange hier sind, obwohl wir die Sprache sprechen, obwohl wir zeitweise so etwas wie „normale“ Lebensbereiche streifen: Apotheke, Supermarkt, Mechaniker, verstehen tun wir von all dem trotzdem nur sehr wenig.
Es ist seltsam, je länger wir reisen, desto deutlicher wird, wie beschränkt der eigene Horizont doch ist. Je weiter wir fahren, desto weniger schnackelen wir, was eigentlich abgeht.
Es ist faszinierend, wie viele Menschen nach einem zwei Wochen Spa-Aufenthalt in Südostasien plötzlich Thailandexperten sind.
Wir rollen nun seit Monaten durch ein Land, dessen Kultur uns sehr viel ähnlicher ist, mit Menschen darin, mit denen wir uns –rein sprachlich—sehr gut verständigen können und surfen trotzdem nur die Oberfläche.
Man kann unendlich viel sehen und unendlich wenig verstehen. Vor allem, wenn man das Gesehene einfach nur in seine starren Denkmuster einklickern, durch sein vorgebautes Hirnlabyrinth oben rein fallen lässt und die Denkkügelchen unten in nur einem von zwei Bechern wieder rausfallen können: richtig oder falsch, gut oder böse.
Man kann die ganze Welt bereisen – und genau dort wieder raus kommen, wo man angefangen hat. Unverändert und nix gerafft.

Der heutige Tag: wie ein Sinnbild.
Häuser, Landschaften, Menschen fliegen verwackelt vorbei. Alles gesehen, die Baumwollflocken aber nicht angefasst. Nicht in den Mokassins der anderen gelaufen, nie Minderheit gewesen, immer die Zeit gehabt, zumindest den anfassbaren Müll aus dem Nest zu räumen.
Was weiß ich schon vom Leben in South oder North Carolina?
Nur drauf geschaut. Wie so oft im Leben.
Manchmal tut es gut zu erkennen, dass man kein Experte ist.
Sondern immer, immer, immer wieder — und immer weiter:
Nur ein Lehrling….

2 Kommentare

  1. Klaus

    Danke für diesen Betrag und wie recht Ihr habe mit dem „LEHRLING!!!!“
    Umarmungen von Klaus

  2. Micky

    Deine Melancholie ist ein bisschen ansteckend und macht auch mich traurig, dass eure Reise schon zu Ende geht. Vielleicht auch nur für mich „schon“, da ich deinen wundervollen Emo-Blog erst so spät gefunden habe. Aber in einem möchte ich Dir widersprechen, auch wenn ich sonst fast immer ganz (*ggg*) bei Dir bin (so sehr, dass Gerry und ich schon Wetten darauf annehmen, ob wir es wohl die geplanten 6 Monate in diesem gelobten Land aushalten, oder doch schon viel früher die Flucht nach Süden antreten müssen): kapiert habt ihr vielleicht vieles nicht, aber unverändert kommt ihr sicher nicht zurück!

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