Unterwegs im Magicbus

Gewusst wie…nach Moissac.

Nachdem die Pilgerheuschrecken über das Frühstück hergefallen sind —gefühlt kurz nach Mitternacht — haben wir sehr großes Glück. Genug Kaffee ist noch da. Und ein Joghurt für zwei. Lernen, dankbar zu sein.

Mal wieder als allerletzte geht es für uns um kurz vor neun los. Persönlicher Frühstartrekord, trotzdem wieder Schwanz der Schlange.

Heute treffen wir sie alle wieder: Claire (die wir fast aus dem Matsch retten müssen), die Wickelkindfamilie (erstaunlicherweise immer vor uns), die belgischen Sozialarbeiter mit Hang zu Eklipse. Und wir lernen zwei neue Menschen kennen: die Allgäuer Dorfkinder (Typ: Studiosus-Reisende Lehrer a.D.), die uns ins Glockenalphabet einführen und mit ihrer Definition von Lebenssinn in der Einsamkeit zurück lassen: „lebenssatt den Löffel abgeben“.
Manchmal reicht das.

Lebenssatt den Löffel abgeben,
Auf diese messerscharfe Weisheit darf ich in der Kapelle läuten. Nur einmal.
Und lerne gleichzeitig: die Glocke ist nicht für den öffentlichen Gebrauch gemacht ist. Schade.
Für mich war der Bommel stets eine Einladung, mich dranzuhängen und zum Gruß an die Götter kräftig zu ziehen.
Ist wohl nicht so. Wieder was gelernt.

Ab hier geht langsam das Schlittern los. Die Wege werden immer schlechter, irgendwann kommt man nur noch mit der Wildschweintaktik weiter: Augen zu und durch. Eher Matschlanglauf als wandern. Kilometerweit (und so anstrengend, dass kein einziges Foto entsteht).

Bei Kilometer 20 geht uns die Lust aus. Wir alternativisieren den Weg über die Landstraße. Zwar fahren hier LKW ohne Seitenstreifen, unsere Geduld ist aber so aufgebraucht, dass wir die intermittiernden Schnellfahrwinden in Kauf nehmen. 5 Kilometer lang.

Über den Acker und ein Bächlein zurück auf den Jakobsweg. An einer Friedhofskirche mit Aussicht vorbei, an der wir endlich lernen, was genau denn nun drin steckt in den französischen Gruften.
Nach der Pause auf der Bank streiken die Fersen endgültig. Noch sechs Kilometer bis Moissac.

Nach Kilometer 26 kann man nicht mehr schön tun. Was beim Joggen im Park gut funktioniert (flotter Mensch kommt entgegen: plötzlich geht man locker, problemlos und deutlich schneller — bis der Passant endlich vorbei ging…), tut es hier nicht mehr.
Schmerzen, die man nicht mehr überspielen kann. Atmen in die Fersen, auspusten, zählen. Und beten. Bis das Ziel endlich da ist.

In Moissac haben wir für zwei Nächte ein Appartment gemietet. Um die 32km wieder aus den Gelenken zu schlackern. Gott sei dank in keiner Herberge.

Auf dem Jakobsweg gibt es —genau so wie im echten Leben— sehr viele Menschen, die ganz genau wissen, wie Pilgern und Leben richtig funktioniert.
„Du musst den Weg alleine gehen.“ „Wer nicht in Herbergen übernachtet, verpasst etwas wesentliches des Pilgerwegs.“
Da wir nicht diejenigen sind, die das alles verstanden haben, machen wir es (wenn’s irgend geht) anders.
De facto waren wir nie die Kegelclubtypen, nie die Gruppenmenschlein oder Vereinsfreunde. Warum sollte das auf diesem Weg nun anders sein?
Die Kontakte in den Herbergen kosten uns fast genauso viel Kraft wie das Gehen alleine.
Ausserdem mögen wir es nicht so gerne, wenn jemand uns die Essenszeiten vorgibt oder was auf den Teller kommt (—wird gegessen.)
Wir mögen es nicht so gerne, wenn ab 21h nur noch auf Zehnspitzen gegangen werden darf, weil alle schon schlafen wollen.
Wir mögen keine geschlossenen Fenster, wenn sechs Menschen nachts in einem Raum atmen — mit getragenen Socken über einer bollernden Heizung.

Manche meinen, wir beraubten uns einer Erfahrung, wenn wir die Herbergen meiden.
Manche meinen, dieses „über die eigene Komfortzone hinausgehen- Massenherberge“, gehöre auch mit dazu: zum Pilgerweg.
Manche meinen, es gibt nur den einen richtigen Weg. Den eigenen natürlich.

Wem dieser Typus Mensch begegne und in just dem Moment ein wenig der Humor fehle, dem darf eines geraten werden: am besten mit den eigenen Waffen zurück zu schlagen.
Ach, meinen Sie? Ich meine:
„Mille viae ducunt hominem per saecula Romam“.

Tausend Wege führen die Menschen immerfort nach Rom.
Ein Studiosisreisender braucht dafür nicht mal eine Übersetzung….


2 Kommentare

  1. Micky

    Liebe Joana,
    ehrlich, mir ginge es ganz genau so, ich kann Dich so gut verstehen! Ich habe schon nach euren ersten Berichten von den Herbergen zu Gerry gesagt, dass das für mich die größte Herausforderung wäre – oder schlicht nichts. Für mich waren schon Klassenfahrten der reinste Horror… Macht es weiter auf eure Art und bis bald vielleicht auf unserem Blog, wenn ich endlich mal Zeit finde ihn einzurichten… 🤗 Alles Liebe, Dunja

    • Joana

      Liebe Dunja!
      Wie wundervoll: Ihr steht nun am Anfang Eures großen Abenteuers!
      Eine Reise in den eigenen vier Wänden durch die Einsamkeit Nordamerikas ist tatsächlich das Pendant zu Elfbettzimmern. Ich freu mich riesig für Euch!
      Sollte der richtige Zeitpunkt kommen und Du einen Blog einrichten, würden wir uns sehr freuen, nun auch mit Euch „mitzureisen“. Schickst Du uns dann den Link?
      Das Wichtigste aber bleibt ja, dass als erstes Raum entsteht, alles Erlebte im Herzen sicher aufnehmen zu können. Anzukommen. Wenn das Schreiben dann dazu kommt, ist es ein schönes add -on.
      Liebste Grüße aus Granada nach…
      Halifax??
      Deine Joana

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