Eins muss man sagen: dick eingemummelt im Zelt lässt es sich angeblich ganz gut schlafen. Chouchou hat am Morgen die höchste „Body Battery“ seit Monaten: mit angeblichen 97% starten wir in unsere letzte Etappe: einmal durch die Alpujarrasdörfer zu Fuß.
Ob es wirklich an der Zeltnacht liegt? Oder an den herzzerreißenden Rufen der Zwergohreule um Mitternacht? Oder am Espresso, den uns unsere Garmischer Nachbarn Michael und Nicole servieren — aus lauter Mitleid mit den Globetrottels in ihrem ärmlich wirkenden Plastikzelt. Eines des teuersten am Markt. Das verraten wir in dem Moment natürlich nicht, sondern sind einfach still und kaffeedankbar.

Wie immer spät, aber vermeintlich fit geht’s das allerletzte Mal nun also los: geplante 15km bis Trevelez, der höchsten Siedlung des spanischen Festlands.
Die ersten Kilometer —adieu Pitres, zum dritten Mal— bis Pórtugos gehen locker vom Fuß. Vorbei an einem Aussichtspunkt für Riesen. Wohnzimmer gigantus mitten in den Bohnen.

Die Bäckerei in Pórtugos hat am Sonntag geöffnet, wir decken uns mit Keksen ein und frühstücken am Dorfbrunnen. Gestern hat’s hier eine große Fiesta gegeben: die spanischen Flaggen an den Häusern, die vergessene Schale Rotwein am Kirchplatz, eine zurückgelassene Faust schwingen am Rande des Dorfes noch ihre Tanzbeine aus. Dieses Dorf wirkt, als sei es von der Tourismusbehörde willentlich vergessen worden, um den Einheimischen eine letzten Zufluchtsort in der südlichen Sierra Nevada zu lassen, in dem sie sich unbescholten zurückziehen können. Fern ab der fersenlahmen Touristen.

Hinter dem Dorf geht es nun stundenlang bergauf: hoch hoch hoch, immer an Wilddornen entlang, die die Beine kratzen, dauerbegleitet von Insekten, die pausenlos auf Mund und Ohren zielen. Wahrlich nicht schön, da ändert auch der Ausblick nix.
Ab Kilometer fünf treten dann auch noch meine Fersen in Generalstreik.
Letzter Wandertag in den Alpujarras: wir räumen heute noch einmal komplett ab.
Eine letzte Wanderung, die eine Zusammenfassung der „hardest of“ wird. Ein Endspurt, der es in sich hat.

Heute ist nochmal alles mit dabei: Drop-offs, ein verschütteter GR7, eine Straße, die sich in ein abwärtskullerndes Geröllfeld verabschiedet. Traumweg inmitten von Ginster, kleine Wasserfälle, Kuhweiden.
Die letzten acht Kilometer kann ich über die Fersen nicht mehr abrollen, unseren höchsten Punkt der gesamten Wanderschaft erreichen wir also per Plattfuß. 1817 Meter über null, die Baumgrenze in Sicht, die eigene schon lange aus dem Blickfeld verloren.

Nach 15km kommt endlich das rettende Trevelez in Sicht: 200 Höhenmeter unter uns im Tal, in das wir über ein belebtes Bachbett schliddern.

Maria schließt uns ein uraltes Hutzelhäuschen auf: 200 Jahre alt, Gott sei dank am obersten Ende des Dorfs: im barrio alto. Frisch gestrichen — riecht man leider, aber der Rest ist heimlig.

Hier also endet unsere Alpujarrasdörfchenrunde.
Nach 86,2 Kilometern, 5653 Höhenmetern und neun Dörfern. Wie passend!
Weil nicht nur die Planung, sondern auch der Geist und vor allem das Gerüst aus tiefstem Herzen heute sagen:
Nun sind wir wirklich genug gewandert.
So lange zu Fuß unterwegs gewesen, wie es uns möglich ist.

Hier, in Trevelez — letztes geplantes Örtchen unserer Wanderschaft, spüren wir: wie können einfach nicht mehr.
Wir wollen auch nicht mehr.
Ein ganz wesentlicher Punkt auf der Bucketlist: wir haben ihn bis zum bitteren Ende ausgewandert. Bis zum Showdown.

Nun ist Zeit, die Füße für etwas länger als nur 24 Stunden mal hoch zu legen. Und vor allem: stolz auf dieses Gerüst zu sein, das —uns ziemlich auf den Tag genau— nun zwei Monate durch die Welt getragen hat.
Einmal über den französischen Jakobsweg, einmal durch die Alpujarras.
Ein Chapeau also auf vier Füße, vier Fersen, vier Knie, zwei Becken, zwei Rücken, zwei Herzen und (vor allem) zwei Köpfe.

Die bleiben tatsächlich der wichtigste Motor für so eine Laufgeschichte mit Gepäck: „weitergehen auch wenn’s nicht mehr geht“.
Es geht. Eine sehr wichtige Erfahrung.