Unterwegs im Magicbus

Monat: November 2023 (Seite 1 von 3)

Die guten, alten Zeiten von morgen — heute.

Über einem Buch eingeschlafen, von dem man weiß, dass jede Minute des Lesens ein Geschenk ist, da jede Zeile nur zum Positiven verändern kann. Auf den Spuren Martin Luther Kings… aus Gründen.
Ausgeschlafen erwachen in einem Karibik-Winter-Sonnenschein. Süßer Kaffee im Schatten unter dem Gesang der Vögel.
Durch den Dschungel zur Waschmaschine wandern und sich freuen, dass sie im zweiten Anlauf frei wird, wohlduftende Frische als Geschenk auswerfend, ohne dass man selbst einen Finger dafür krümmen müsste.

Ein Spaziergang am Atlantikstrand. Bloße Füße, grüne Früchtchen und Vögeltapser in weißem Pudersand, colle Rentner mit Offroad-Rollatoren: wir in 30 Jahren hoffentlich. 20 Grad und Wind, begreifend, dass wir nun wirklich vom Pazifik an den Atlantik zurückgefahren sind. Von einem Ozean zum anderen. Fast zu Hause.

Meeresschildkröten legen im Sommer hier ihre Eier ab. Wir sehen keine, sind aber glücklich genug zu wissen, dass sie hier ihren Wohlfühlort haben.
Bordeauxroter Vogel fliegt vorbei, sein Kompagnon mit gelbem Bauch. Florida weckt ungeahnte ornithologische Freuden – selbst bei Menschen, denen Gefieder vorher wenig sagte. Uns zum Beispiel.
Knallige, violette Beeren wie im Wunderland. Abseits der Straße durchs Unterholz.

Ein Babywaschbär im Baum, der herzzerreißend nach seiner Mama piept. Die sucht auf unserem Campingtisch später nach Angeboten. Niemand ist so alleine, wie er sich manchmal fühlt.

Restekochen im Sonnenschein – besser als jedes Sternemenü, wir sitzen unter Palmen.

Warme Wäsche aus dem Trockner, alles frisch. Und danach die beste Dusche von allen erwischen: sauber, heiß und kräftig – wie vorgezogener erster Advent.
Es gibt Tage an denen man bewusst erlebt, dass dies die guten, alten Zeiten von morgen sind.
Tage, von denen man nicht nur sagen kann, dass man sie hatte.
Man hat sie. Für immer. Unauslöschlich, keinen Moment verschenkt.
Wohl dem, der dies das echte Leben leben nennt.

Reste-Souvenir-Kratzen am St Augustine Beach

Und der Scooby Doo Van fliegt weiter.
Genauso hat gestern ein lebenslustiger Mensch am nobelsten Supermarkt Floridas den Magicbus bezeichnet: Die Globetrottels unterwegs in einer „mystery machine“. Eigentlich passt das noch besser als »der magische Bus«.
Vor allem, da das Original so aussieht:

Die Stiche haben über Nacht ein wenig an Quälgeistdasein eingebüßt.
Bedeutet: Das Kratzen löst zumindest keine unaufhaltsame Toxinkaskade mehr aus. Wenn man einem gesamtprickelnden Körpergefühl denn trauen kann!? Überlebt nach Nooseumangriff: eindeutig vergiftet durch panhundert Stiche. Der Brennstift und ich: wir waren beide am Ende.

Unsere Tour führt uns ab nun immer gen Norden. Heute: 400 Kilometer, immer an der Küste entlang, von der wir leider nur wenig sehen.
Es groovt sich einfach durch Floridas Osten, abseits des mautlastigen Turnpikes. Immer vorbei an Palmen und Örtchen, die eine Antwort darauf geben, wo das Geld der Amis eigentlich liegt: hier! In Villen am Straßenrand, inklusive Privatstränden und einer Weihnachtsbeleuchtung, die zweifelsohne teurer als die Jahresmiete unserer Wohnung ist.
Ein paar wilde Minischweinchen grasen an der Autobahn – vorbei, ohne sie zu knipsen.
Immerhin erwischen wir die wichtigste Prophezeien, die dieser Staat zu bieten hat: Jesus coming soon. Sehr wahrscheinlich als Blockbuster.

Ein Milchshake bei Starbucks: 500ml Vanilleeis gecrushed plus 200g whipped cream. Nach zwei Monaten Amiland sind wir körperlich so aus der Form geraten, dass es mittlerweile vollkommen wumpe ist, dass alleine die Getränke 600 Kcal haben. Ein überdimensionierter Hund (am ehesten Basset!?) mit Fliegersonnenbrille bestellt nach uns: er bekommt zwei Becher Sahne. Doggy, you name the game: Why not double it!? In einer Welt, die eh im Begriff ist unterzugehen…

Am bunten Gartencenter gehts rechts ab zum Anastasia Park: Welcome to St Augustine Beach.

Am Rande des Orts parken wir im Strandwäldchen wild, einsam und schön ein, so herzerwärmend, dass wir in den ersten 2 Minuten entscheiden: hier bleiben wir zwei Nächte zwischen Schildkröten.

Im Nordosten Floridas, zwischen bezahlbaren Palmen, 600 Kilometer entfernt von den Noseeums, bei freundlichen 20 Grad.
Hier lässt sich in Ruhe ein Tag rasten, Florida sacken lassen.
Und genüsslich Reste-souvenir-kratzen…

Fluch(t) der Karibik, Cambio de Aceite und Trump ohne Eier

Mückenterror auf Key Largo: Chérie zählt ungelogen 128 Einschläge von Mosquitos, No-See-Ums und Co. Fluch der Karibik? Definitiv Zeit, den Rückzug anzutreten…

Ölwechsel in Miami, nach 11.000km längst überfällig. Was heißt »Ölwechsel« nochmal auf spanisch?

Palm Beach, Mar-a-Lago, Trumps Golfclub: »Nein, Chérie, Du darfst nicht mit den Bioeiern werfen…!«

Eincampen in Jupiter. Also das nördlich von Miami, nicht hinter Mars und Venus.

Derreck, der Drache von Flow-Rider

Ein Sommertag, der schnell verweht.
Auf Englisch könnte es sich fast reimen: One day past – that was fast.

Nach einer durchjuckenden Nacht hilft nach dem Kaffee nur, sich zügig ins Wasser zu flüchten: Stiche abkühlen, müde Köpfe wecken. Selbst Chouchou tapst fluchend in die Fluten und kann seine Fassade nur schwerlich aufrecht erhalten: als würde er sich mitten in seinem persönlichen Fluch der Karibik befinden. Worst case Wasser.

Die Hornhechte sind wieder da – laut Chouchou perfekt portionierte Fischstäbchen und auch die Manatis schwimmen am Morgen wieder durchs Hafenbecken. Es ist schön zu erleben, dass wir dieses Meer heute morgen miteinander teilen dürfen: Seekuh neben Globetrottels.

Die Checkout-Zeit nutzen wir gnadenlos bis zum letzten Moment aus. Erst kurz nach Mittag fliegen wir wieder zurück: über 110 Kilometer Straße über dem Meer. Kristallblaues Wasser rechts und links, Sommersonnenschein und leichte Brise. Erneut vorbei an den Flamingo-, Delphin, und Seekuhbriefkästen, die auf Flaschenpost von weit her warten, Pelikan mit Fisch im Schnabel, Turtlehospital, ein paar Pfauen am Wegesrand. Und Drachen.

Erst trauen wir unseren Augen kaum: genüsslich kauende Urviecherchen im Gras, so schnell vorbei geflogen, dass wir sie nicht knipsen können. Zwei, drei, vier, fünf bis zum John Pennekamp Coral Reef Park. Auch hier ist noch ein Plätzchen in der Nacht für uns frei. Teil 2 der Saga: „Am Strand Floridas findet ihr nie und nimmer etwas.“

Die Lady am Checkin ist schlecht gelaunt, die Belgier vor uns hingegen volleuphorisch. Erst gerade beginnt ihre große Amerikarundtour, der große Zauber eines jeden Anfangs, ansteckend sie zu erleben.
Vom John Pennekamp Park aus kann man das einzige lebende Korallenriff der Festland-USA besichtigen. Wenn man früher da ist. Und tauchfreudig. Wir sind spät und wasserscheu, die abgesenkte Jesusstatue kann heute also nicht nach schnorchelnden Globetrottels greifen, wir bleiben den Rest des Nachmittags an Land.

Ein Gang durch die Mangroven – Weg mal wieder weg, ein Besuch der algigen Strände, an denen Ibisse mit starrem Blauaugenblick versuchen einem menschliche Leckrigkeiten aus der Hand zu starren. Leider sind nicht allzu viele vertreten.

Und dann taucht endlich ein naher Drachen auf. Unser Derreck.

Derreck juckelt bequem und grasgrün hinter den Ohren am Ufer entlang, erst als ich zur Begrüßung aufstehe wird er flott. Ein Sprung in das Mangrovengestrüpp, perfekte Beingrätsche auf dem Ast, bevor er in Richtung offene See davon klettert. Ein echtes Fabelwesen, das bestimmt auch Feuer spucken kann, wenn keiner hinschaut. Unser Derreck, erster grüner Leguan der Globetrottels.

Die Flordianer finden die eingeschleppten Drachen nicht ganz so toll wie wir. Weil sie wie wild buddeln, an den Pools koten (und manchmal auch Salmonellen als Geschenk da lassen) und mittlerweile sogar einheimische Schmetterlinge bedrohen. Nicht durch Feuer spucken, sondern durch banales wegfuttern: im Bahia Honda State Park haben sie eine gefährdete Schmetti-Art schon leer gefressen.
Daher sind die Drachen mittlerweile zum Abschuss frei gegeben. Wenn Derreck nicht so schnell gewesen wäre, hätten wir ihn also in den Magicbus retten müssen.
Er hätte es sich neben Karl, dem Kaktus, Panzerklaus, dem Gürteltier, der grauen Mississippipupskatze, TF 23, Sir Hilly und Rudi (seinem Kompagnion) gemütlich machen können, aber Derreck wollte ja nicht. Schade. Für ihn und uns.

Am Abend unterliegen wir einem kläglichen Versuch, unser Mückennetz elegant aufzuspannen.
Vor dem Magicbus hängt er nun: ein hässlicher, grüner Sack, unter dem wir uns verzweifelt zusammen kruschen, um irgendwie den wilden Moskitos und unsichtbaren Nooseeums ein Schnippchen zu schlagen. Und Thermacell an.

Mit viel Phantasie könnte man sagen: es sieht ein wenig nach Himmelbett aus. Mit sehr viel Phantasie.
Ein Himmelbett über dem die vogelgroßen Mücken uns ein GuteNachtLied summen.
Ach, wenn Derreck jetzt doch hier wäre! Er könnte sich einfach an den gedeckten Tisch setzen. Und nach dem Essen würden wir ihm eine Zigarre anbieten: grüner Drache mit Havanna im Mundwinkel. Der Drache von Flow-Rider…
Nur das Feuer, das müsste er sich selber geben…

Caribbean Keys, honey! (oder: Karibische Schlüssel, Honig!)

Beginnen wir den Tag mit einer Binsenweisheit. Es war einmal ein Cowboy, der nach einem Teller Bohnen, Marlboro rauchend unter einem klaren Sternenhimmel der weiten Prärie behauptete, dass Lagerfeuer gegen Mücken hülfen. Howdy Cowboy: das ist sowas von falsch.

Am Morgen nach dem glorreichsten Feuer, das die Everglades je gesehen haben, sieht Chouchou aus wie ein Vanilleeis. Wenn die Samen der Schoten denn rot wären. Die Noseeums haben angegriffen – ungesehen, so wie es ihr Name verspricht. Attacke am Feuer, ein Souvenir der ewigen Lichtungen.

Der Morgen beginnt juckend um halb sieben: mit einem rötlichen Sonnenaufgang über den Sümpfen – und natürlich sind auch die Mücken schon wach. Den ersten Kaffee gibt es daher drinnen, Ausblick durch eine tropfend nasse Scheibe.
In der Nacht hat es gesprüht. Regen darf man es nicht nennen, erhöhte Luftfeuchtigkeit von oben eher, gefühlt liegt sie mittlerweile bei 150%. Nach drei Tagen Everglades ist es Zeit, schwitzend weiter zu ziehen.

Wir schüttelten die letzten Cucarachas aus den Getränkeboxen, die unterm Bulli lagern. Wie vermutet haben sie sich tatsächlich hierher verkrochen: versteckt zwischen Coladosen im Umkarton, in großer Hoffnung auf einen free ride und eine neue Zukunft im Magicbus.
Bei aller Tierliebe – das aber geht nicht, ihr kleinen Überlebenskünstler. Die Globetrottels werden ohne euch weiterreisen. Schüttel und ab.

Bevor es auf die nächste angebliche Traumstraße der Welt geht, müssen wir erstmal stargebacken frühstücken. Fruchtjoghurt und Cappuccino für Chouchou, Impossible Breakfast und Chestnut Praline Latte für mich und der Malteser der Kaffeenachbarn auf unserem Schoß. Frauchen macht das ein wenig betroffen: Betty ist eigentlich ein so personenbezogenes Hundchen, sie versteht gar nicht, warum sie plötzlich so treulos ist. Mit der impossible Wurst hat das natürlich rein gar nichts zu tun.

Traurigen Herzens lassen wir Betty zurück: die Florida Keys rufen hundefrei, dazu gehören leider auch Malteser. Die Kette aus über 200 Koralleninseln zwischen dem Golf von Mexiko und dem Atlantik, verbunden über eine Straße, beginnt gleich hinter dem Starbucks. Es soll unser Kurzausflug in die Karibik werden.

Eine Blechlawine rollt uns entgegen: Sonntag, Wochenende-Ende, eine Blechlawine ziehen wir hinter uns her: Wochenendausflügler mit Zeitdruck. Dazwischen die Globetrottels mit 80km/h, denen im Florida Welcomecenter prophezeit wurde, dass sie am Strand Floridas nie und nimmer einen bezahlbaren Stellplatz finden werden.

Die Keys. Ein Landstrich, der umgeben von türkisem Wasser, ausschließlich von Tourismus lebt.
Zumindest solange die Pole noch da sind.
Eine Straße geradeaus – verfahren kann man sich schwerlich– an der Resort an Resort hängt, an Nippesshop, an Tauchschule, an Resort, an Fastfoodkette, an Resort, an Wellnesstempel und Resort natürlich.

Eine Welt in pastell: Candycotton Keys. Mit Flamingo- und Delphinbriefkästen, einem „Alles wird gut“-Spirit und einem Schildkrötenhospital. 7 Meilen übers Meer parallel zur maroden Eisenbahnbrücke. Touristisches Angebot: Haie per Hand füttern, *hand feed sharks.* Sehr wahrscheinlich zwei Versuche, danach geht nur noch *feet feed*. Warum nicht — wer es mag!?

Wie so oft war es bei den Globetrottels mehr Glück als Verstand, dass eine einzige Partei auf dem –für Monate im Voraus ausgebuchten Statecampground– Bahia Honda abgesprungen ist. Diesen Platz haben wir gestern durch Zufall gesehen und sofort fest festgehalten. Weil „nie und nimmer“ nicht immer nimmer und nie sein muss.
Mona empfängt uns amerikanisch wie im Bilderbuch: honey bekommt die Campinformationen ausgehändigt, inklusive Warnhinweis wegen der „Waschbären“. Das Wort kennt Mona auf deutsch und grinst glücklich und braungebrannt honey an: mich.
32 Grad Außentemperatur, Wasser 26 Grad: Willkommen in der Karibik. Honey.

Unseren karibischen Nachmittag verbringen wir –natürlich—am Golf von Mexiko. Chouchou schreitet zum Äußersten und zieht sich eine Badehose an. Später soll er tatsächlich bis zu den Knien ins Wasser gehen– wofür er zwar keine Badehose gebraucht hätte, fürs aufmerksame Baywatch allerdings schon. Denn lange bevor ich Angsthase mich ins Wasser traue, muss Chouchou Ausschau nach Finnen halten. Die „Hauptstadt der Haiangriffe“ liegt zwar nicht direkt ummeEcke, in diesen wilden Gewässern aber weiß man ja nie.

Die Finnen lassen sich nicht blicken, auch andere Badende werden nicht gerissen, also trau ich mich schlussendlich rein. Mit Blick auf die alte Eisenbahnbrücke dümpeln lediglich ein paar needle fish mit im blauen Nass: Krokodil-Hornhechte, transparente, lange Pfeile.

Einige weiße Ibis probieren ihr Glück und schauen mit ihren strahlend blauen Augen bettelnd nach Krümeln, Sandpiper flitzen über den weißen Strand, Minileguane mit Schweineschwänzchen auf den Steinen.

Beim Wassereis taucht eine Seekuh auf – sie kann allerdings länger die Luft anhalten als ihre Freunde in Flamingo und wart nicht mehr gesehen.
Ein Boot in LKW-Optik lässt sich in den kleinen Hafen spülen und düst wieder ab, weil kein Truckstop vorhanden ist. Auch die Turtelambulanz hat nichts zu tun.

Ein Strandtuch fällt erst ins Wasser und dann in den Sand: wessen wohl!? Ein Grund mehr, später mit viel Stoff unter die kalte Dusche zu gehen.
Um kurz nach fünf senkt sich eine Sommersonne in bizzarsten Farben über zwei Brücken. Eine kaputt, eine intakt. Ein Pelikan, der ihnen entgegen fliegt, das LKW-Boot hat seinen Flammenwerfer gestartet, die Nachbarn entzünden die Weihnachtsdeko, ein runder Vollmond geht über der Szenerie auf.

Über sieben Brücken musst du gehen … über die Seven Mile Bridge kann man fahren.
Coz this is america, honey.
Kein Grund, zu Fuß unterwegs zu sein…

Flamingo: Von Manatis und einem Spitzkrokodil

Unser Morgen beginnt mit einem Besuch der Könige dieser Welt.
Über Nacht haben es sich einige amerikanische Großschaben unter unserem Kocher gemütlich gemacht. Amerikanische Großschaben, die flinken La Cucarachas, Freunde der Dunkelheit, Resteesser und eindeutig eine der resilientesten Spezies, die diese Welt zu bieten hat.

Kakerlaken zum Frühstück, fünf an der Zahl: Kann man machen, wenn man eine Lektion in Sachen Widerstandsfähigkeit benötigt. Da schmeckt der Kaffee gleich ganz anders. Und gut, dass der Kocher draußen stand…

Unsere heutige Magicbustour –ja, wir haben gelernt!—soll uns über ein paar Stegewege bis Flamingo am anderen Ende des Nationalparks tragen.
Vorab lassen wir den „Snake Bite Trail“ links liegen. Auch, weil wir Gruselviercherchen bereits zum Frühstück hatten und momentan wirklich keine invasive Python brauchen.

Schätzungsweise kriechen eine Millionen quer durch Florida. Eine Millionen, die für einen 99%tigen Rückgang der Waschbären, Opossums, Karnickel, Lüchse und Füchse verantwortlich sind. Das muss man sich mal auf der zweigeteilten Zunge zergehen lassen…

Wir wandern durch Mangrovenwälder und an Mahagonibäumen vorbei.
Mahagoni – den Klang des Namens mochte ich als Kind schon sehr. Klingt so edel wie das Holz, wir halten also Ausschau nach einem piekfeinen Gewächs. Als wir es –dank eines Infoschildes—endlich finden, staunen wir nicht schlecht. Mahagoni: ein lebender Baumbeweis, dass vor allem innere Werte zählen. Dass unter jeder unscheinbaren Oberfläche unentdeckte Schätze liegen können.

Mittag. Als wir in Flamingo einrollen, herrscht schon wieder Bruthitze.
Am Hafen warten die Geier auf frisches Gummi, ein paar weiße Ibis picken mit ihren überdimensionalen Schnäbel in einem Rasen, der dampfend auszuatmen scheint.

Im Visitor Center wollen wir uns nach den Seekühen erkundigen, die dann und wann durch die „Coastal marsh“ der Everglades schwimmen und geraten an einen Ranger, der den Manatees wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Mit freundlich-warmen Augen und einer runden Gesamterscheinung ist alles an diesem Mann gutmütiger Kreis.
Einen Halbkreis weiter sind wir an der Marina und finden sie sofort: die Seekühe.

Seekühe, Manatis. Wieder mal ein Geschöpf, das der liebe Gott so gerne haben muss.
Nächste Verwandte der Elefanten, bis zu eineinhalb Tonnen schwer, besitzen Seekühe –im Verhältnis zu ihrem massigen Rumpf—eines der kleinsten Gehirne, das man unter den Säugetieren findet. Stattdessen aber besitzen in ihren Vorderflossen fünf knöcherne Fingerstrahlen, deren Gelenke sie einzeln bewegen könnten. Brauchen sie zwar nicht, aber ist ja gut zu haben: Fingerkraft, wenns Hirn klein ist.
Sechs bis acht Stunden sind die Manatis mit Fressen beschäftigt, 90 Kilo Pflanzen muss man ja auch irgendwie täglich in den Bauch bekommen. Im Durchschnitt werden sie um die 40. Also wie alt wie ich, die –würde man Chouchou fragen—ebenso sechs bis acht Stunden täglich mit Essen beschäftigt ist. Und auch meine fünf Fingerstrahlen kann ich ziemlich gut bewegen – es gibt durchaus Ähnlichkeiten.

Es sind gefährdete Schnäuzchen, die wir nur kurz an der Wasseroberfläche Luft holen sehen. Der gewaltige Körper wird vom dunklen Nass der Küstenmarsch verschluckt. Ein wenig unheimlich ist das schon: wissend, dass ein massives Etwas unter der Oberfläche schwimmt, man selbst aber sieht nur die Barthärchen. Und hört: das rührigste Schnaufen der Welt.

Wir stehen am Bootssteg und scannen das Wasser. Da eine Seekuh – und dort. Und da!
Die Manatis müssen mindestens zu acht da sein, denn überall im Hafen erheben sich immer wieder mehrere Schnäuzchen. Ein rundes Rudel. Und dann tauchen aus der dunklen Brühe plötzlich Zacken auf…

Was wir als nächstes sehen ist mal wieder ein Gefährdeter. Kein Alligator, von denen es in den Everglades schätzungsweise 200.000 gibt. Das Zackige ist größer. Und gefährlicher. Und so viel seltener.
Mitten im Hafenbecken schwimmt plötzlich ein Spitzkrokodil.

Ungefähr 3000 Spitzkrokodile leben im südlichen Florida, weltweit sind es schätzungsweise noch 5000. Sie werden deutlich größer als ihre urechsigen Alligatorfreunde: teils bis zu 6 Meter. Der Freund der hier im Hafen schwimmt sei –so weiß die Lady, die uns Eis verkauft– mit seinen gemessenen 4,5 Metern das größte Spitzkroko in den gesamten USA. Lerne: „Höher, schneller, weiter“ macht auch vor Urechsen nicht halt. Im Vergleich: ein Alligator wird maximal 3,35m.

Recht unbeweglich, aber sehr aufmerksam gleitet das Krokodil durchs trübe Gewässer. Es fixiert uns, starrt teilweise direkt in meine Linse. Wir setzen uns ans Hafenbecken und schauen ihm lange beim Nichtstun zu. Bewegung kommt erst ins Spiel, als plötzlich ein Paar mit Welpe neben uns steht.
Das Krokodil visiert den Hund an und schwimmt geradewegs auf uns zu. Nun ist´s Zeit zackig weiterzuziehen: Hoch und ab! Bei 10 Metern Abstand und einer Schwimmgeschwindigkeit von 32km/h ist es womöglich deutlich schneller da, als uns (und der Welpe) lieb wäre…

Mit Krokobegeisterung im Herzen düsen wir über ewige Lichtungen beseelt zurück zum Camp. 89 Silberreiher am Wegesrand nicken freundlich – ich habe sie gezählt, die Nicker. Bei einer Messungenauigkeit von 11% also waren es glatte hundert.

Die mexikanischen Nachbarn feiern Fiesta, Krähen in den Bäumen, Cucarachas im Unterholz und alle tanzen zu den Salsarhythmen, die über den Platz wabern.
Eine schlierige Sonne geht langsam unter, sie nimmt ihre Schwüle mit sich. Was für ein Tag.
Zwischen großen und kleinen Tieren, zwischen Hitze und Wasser, zwischen Mangroven und Mahagoni geht nicht mehr sehr viel.
Aber ein kleines bisschen Demut und Dankbarkeit passen immer noch rein…

Von Krokos, Gummigeiern und Genmücken

Everglades = deutsch: Sumpfwald.
Noch schöner wäre die Übersetzung, wenn man das Wort einfach auseinander zöge:
Die Ever-Glades = Ewige Lichtungen.
Dort also stehen wir: auf einer ewigen Lichtung. Durch die wollen wir heute wandern.

Dafür braucht es drei Anläufe.
Auf dem ersten Trail landen wir –kurz hinter dem Schild: „Entering wilderness“—direkt im Wasser. Weg weg: überflutet. Wir sind am Ende der Regenzeit mitten in einem Grasfluss, was will man anderes erwarten. Also retour, während das feuchte Dickicht klebrig nach uns greift.

Zurück am See geht’s auch nicht weiter: Pfad umspült, also erneut return to sender. Mit Moskitogesurre im Ohr.
Auf dem nächsten Trail ist es das gleiche Spiel. Wie war das noch!? 60 Kilometer Grasfluss. Er fließt durch jede Ritze, ohne Gummistiefel geht hier gar nichts weiter. Also ein weiteres Mal auf dem Absatz kehrt.

Ein Specht und sein rostroter Kompagnon bestaunen unser Pfützengetapse mit unaufgeregten Äuglein: Pech, wenn man nicht fliegen kann. Oder: Touristen zu Sommerbeginn…tschirptschirp. Ein leichtes Köpfchengeschüttel, mehr haben sie nicht für uns. Und weiter picken.

Auch der bunte Riesengrashüpfer guckt entsetzt: Genauso Pech, wenn man nicht pfützenhüpfen kann.

Nach viereinhalb Kilometern sind wir bis auf die Unterwäsche nassgeschwitzt. 28 Grad und eine gefühlte Luftfeuchte von 100% – mindestens. Wir verstehen etwas retardiert, dass es wirklich Zeit zum Aufgeben ist. Ohne Rüdiger Nehberg-Gene und Anglerhose schaffen wir es nicht, also zurück zum Magicbus. Und als erstes unter die kalte Dusche. Mit Klamotten.
Damit aus matschig-feuchten zumindest ganz kurzzeitig kalt-nasse Globetrottels werden. Es dauert allerdings nicht lang: der tropisch-heiße Luftumschlag lauert wartend hinter der Badezimmertüre.

Act as the locals do –wir schnappen uns also den Bulli.
Autotour: eigentlich ist es logisch, dass bei diesem Wetter nichts anderes in Frage kommen kann. Wie so oft brauchten wir für diese Erkenntnis etwas länger. Viereinhalb Kilometer und eine kalte Dusche, genau genommen. Was nicht heißt, dass wir deshalb automatisch das Dachzelt abbauen, bevor wir losdüsen.
Tropendunst im Kopf – da war doch etwas!? Ach ja, genau. Die Globetrottels mit geistigem Dengue-Fieber…

Mit dem Bulli gemeinsam ist es besser: Fenster auf, wir fliegen mit Fahrwind durch die Feuchtschneise, selbst die Straßen sind teilweise geflutet. Die Wanderwege mit Steg aber größtenteils nicht. Obendrein sind sie längenmäßig genau für das Wetter ausgelegt: länger als 800 Meter müssen wir auf keinem der Stege schleichen und bekommen trotzdem das Gefühl, etwas gesehen zu haben.
Everglades-Park entworfen von kühlen Köpfen aus dem schwülen Florida. Sehr, sehr gut gemacht.

Auf dem ersten Steg –dem Pa-hay-okkee Overlook– geht’s durch so genannten „fresh water slough“: den Frischwassersumpf.

Geflutete Prärie, Wassergras, Aussicht, Orchideen und natürlich massenweise Silberreiher. Sie bleiben die Könige der Everglades, es gilt hiermit als geprüft. Meinen sogar der storchartige Pelikan oder der pelikanartige Storch. Und das Schleichhuhn.

Geier warten am Straßenrand auf Ertrunkene. Oder Dichtgummi von Autoscheiben.
Weil sie es zum Hobby auserkoren haben: Touristen die Windschutzscheibengummis auspicken.
Die Gummigeier der Everglades.

Der zweite Steg führt durch Kiefernland, der dritte durch Zypressenwald mit Hornissen.

Den vierten hatten wir gestern bereits besucht: den Anhingatrail. Heute wollen wir dort erneut unser Glück versuchen.
Denn der Anhingatrail bleibt –abseits des Shark Valleys im Norden—der heißeste Tipp für Menschen, die auf der Suche nach ihrem Krokoglück sind.

Und dann bekommen wir ihn geschenkt:
Direkt hinter dem kleinen Geländer am Weg liegt er still im Sumpf: der schönste Teeniealligator der ganzen Welt. Vollkommen unbeweglich, nur die Äuglein ragen über die Wasseroberfläche. Im tiefdunkel anmutenden Wasser zwischen den Seerosen kann man ihn kaum erkennen, so sehr ist er eins mit der ewigen Lichtung, den Everglades.

Eine lange Zeit stehen wir dort bei ihm. Genauso unbeweglich wie er. In tiefe Meditation versunken, der Teenie – wir nicht. Wir müssen Fotos machen und den Moment ganz tief in uns aufnehmen. Keine Ruhe im Geist, sondern buntblendende Euphorie. Und der Alligator blinzelt weise – uns nicht aus den Augen lassend, der Welt gegenüber einigermaßen indifferent. Er ist schon seit Jahrtausenden hier, was jucken ihn schon zwei entzückte Globetrottels!?

Glücklich schweben wir von dannen. Als hätten wir ein Stück vom zauberhaften Saurierkuchen genascht. Einen Alligator in seiner eigenen Welt erleben – ohne Zaun, nicht in einem abgegrenzten, menschengemachten Becken, sondern frei – es ist ein Wunder in dieser so gefährdeten Welt.

Weniger wunderbar –aber genauso wichtig—sind die Moskitos, unter denen wir den ganzen Tag hinwegzutauchen versuchen. Manchmal erwischen sie uns und hinterlassen riesige, rote Souvenirflatschen auf Oberschenkel, Fußknöchel, Arm und Popo, die ermahnen, niemals die Macht der Kleinen zu vergessen. Die Genmoskitos der Everglades.

Vor zwei Jahren ließ man in einem Feldversuch die genveränderten Mücken in den Florida Keys ausschwärmen, in der Hoffnung die Ausbreitung der Ägyptischen Tigermücke (die 4% der hiesigen Mückenpopulation ausmacht) einzudämmen, potentieller Träger des Zika-, Dengue- und Gelbfiebers. Und das soll so gehen:
Die Firma Oxitec „entwickelte“ gentechnisch veränderte Mückenmännchen, die sich mit den krankheitsübertragenden Mückenmädchen paaren, allerdings selbst nicht stechen können. In sich tragen die Jungs ein Gen, das sie ihren Sprösslingen vererben und das alle Mädels bereits im Larvenstadium tötet. Quasi ein Femizid an der ägyptischen Tigermücke. Die neugeborenen Jungs sterben nicht, geben das Gen aber weiter.
Laut Oxitec ließ sich in diesem Feldversuch ein Tigermückenrückgang von 96% verzeichnen, valide Daten hierzu zu finden, scheint allerdings allzu nicht leicht. Die letzte Projektphase habe man 2022 in Florida angetreten, was dabei raus kam: ich hab´s nicht herausfinden können.
Ob dies ein vielversprechender Ansatz bei der Bekämpfung der invasiven Art ist? Ich weiß es genauso wenig. Oxitec aber macht weiter. Neuerdings auch Malaria.

Um sechs geht –über den ewigen Lichtungen– ein schwüler Tag langsam zu Ende.
Die Mücken haben bei Sonnenuntergang nochmal alles gegeben und legen sich surrend schlafen. Die Gummigeier sind satt, die Rotköpfchen picken nicht mehr, der bunte Grashüpfer hat sich das Schlafmützchen aufgezogen, auch er geht gleich ins Bett.
Nur der Teenie im Sumpf wird heute Nacht kein Auge zu tun. Wie es sich für einen ordentlichen Jugendlichen gehört, fängt in Krokoland die Party nun langsam erst richtig an.
Geduldig und still wartet er im schwarzen Wasser auf seinen nachtaktiven Freund, den Florida Panther. Damit sie endlich ein Fläschchen öffnen können, wenn alle anderen träumen.
Und Diskokugel an! Die übernehmen die Genmoskitos – mit einem fluoreszierenden Markergen.
Was für eine rauschende Party im Land der ewigen Lichtungen…

Thanksgiving im Grasfluß ohne toten Truthahn

Nach einem schwül-drückenden Fahrtag, der mit einem kühlen Dip in der Quelle begann, mit einem sportlichen Kojoten weiterging bis nix mehr weiterging (dank Endlosstau auf der Landstraße), erwachen wir an diesem Morgen in Kissimmee.

Kurz vor Sonnenuntergang waren wir eingerollt: weit ab von nichts.
Angeblich „dry prairie“ in Florida, im Halbdunkel sahen wir vor allem Marsch. Und Vögel – viele Vögel, Wasservögel.
Vom „klarsten Sternhimmel Floridas“ allerdings sahen wir nichts, da Wolken vor dem Himmelzelt standen – dicht, wie wir es gerne gewesen wären. Stattdessen aber haben wir Feuer gemacht.

Mit einem wunderbaren Spirit erwachen wir bei klarem Sonnenaufgang, der kurz über der gar-nicht-so-trockenen-Prärie aufgeht – klar, wie ein Sommermorgen, die Schwüle ist über Nacht abgezogen. Immerhin bis Mittag. Ein Tag zum Küssen – quasi „Kissi me“ in Kissimmee.

Zum Frühstück besuchen uns wilde Truthähne: die letzten ihrer Art. Denn heute an Thanksgiving landen 46 Millionen ihrer Vetter in den Bratöfen der Amis. Sie sind also Überlebende, ein paar Rehe glotzen deshalb mitfühlend und lieb.

Dann kommt der lustige Camphost vorbei mit seinem Chihuahuahundchen, das heute Gebrechen hat. Trotzdem teilen wir ein Lachen, das über diese Wiese kaum abzieht. Fast schade, dass wir weiter müssen.

Wir rauschen an riesigen Farmen vorbei. Kühe unter Palmen – wirkt wie ein Knick in der Optik. Hätte ich das im Kunstunterricht so gemalt, hätte mein Lehrer Herr Pohl mit rot daneben geschrieben: Falsch! Kühe stehen nicht unter Palmen. Herr Pohl ist anscheinend nie in Florida gewesen.

Südlich des Okeechobeesees (Florida= Held der Doppelbuchstaben) beginnen die Everglades. Zumindest auf dem Papier.

Wir sehen vor allem Obstplantagen: Papayas, Wein, Mangos und Undefiniertes zwischen Palmenalleen (Doppelkonsonanten, wir können sie auch!): es ist unübersehbar, dass wir im Obstkorb des Landes gelandet sind.

Mittelamerikanisch anmutende Menschen ackern auf den Feldern, fette Villen daneben, wohlsortierter Anbau in Reih und Glied, die Werbetafeln am Straßenrand sind auf Spanisch. Der Umstand, dass die Obststände am Wegesrand viel zu oft zwischen unerwartetem Müll liegen, schafft es kaum, die Lust auf Saftiges zu mildern. Wenn dauerhaft Orangen am Fenster vorbeifliegen.

Wie so oft aber, liegt auch hierhinter ein Drama auf den zweiten Blick.
Das Wasser, das für die Plantagen gebraucht wird, stammt aus den Everglades: diesem fragilen Ökosystem, das deshalb auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes geführt werden muss. Da die Trinkwassergewinnung dem Grasfluss die Lebensgrundlage entzieht.
Tatsächlich sind die Everglades genau das: ein Fluss. Einer, der 60 Kilometer breit ist, dessen Wasser allerdings nur einen Meter pro Stunde fließt. Aber immerhin.
Ich habe die Everglades immer als Sumpfgebiet verstanden – auch das ist falsch. Vielmehr sind sie eine Prärie, die den größten Teil des Jahres überschwemmt ist.
Bei feuchten 27 Grad rollen wir durch den Eingang des Nationalparks. Mitten rein in den trägen, breiten Grasfluss.

Wir schlagen uns unmittelbar auf den Anhinga-Trail – natürlich in der Hoffnung auf Krokos. Und natürlich finden wir keine.
Wie so oft, wenn man etwas zu angestrengt versucht. Auf dieser Reise war es bisher immer so, dass wir alle großen Tiere getroffen haben, wenn wir nicht mit ihnen rechneten. Vielleicht wir es auch mit den Alligatoren so sein!?
Immerhin sehen wir Seerosen auf glasklarem Wasser, eine Pumawarnung und endlos viele Vögel. Weißer Ibis, (natürlich) Anhingas und massenweise Silberreiher. Ich bin mir nicht sicher, glaube aber: sie sind die geheimen Könige der Everglades. Wir werden es in den nächsten Tagen prüfen.

Auf den Long Pine Key Campground haben wir ein Plätzchen reserviert. Wegen Thanksgiving und langem Wochenende.
Neben dem einzigen Generator des Parks parken wir ein, auf einem Platz über dem ansonsten wohltuende Stille liegt. Bewusst registrieren wir das erst, nachdem wir das gesamte Camp schon aufgebaut haben. Dann überlegen wir.

Eigentlich ist es so, dass wir –vor allem wenn das Camp schon steht— im Annehmen von Situationen einigermaßen ergeben sind. Man könnte auch sagen: faul. Insbesondere nach 300 Kilometern quer über feuchte, subtropische Landstraße – sind wir froh, einfach anzukommen. Heute aber rappeln wir uns nochmal auf. Frei nach dem Motto: Love it, change it or leave it, versuchen wir es erstmal zu ändern. Da das Lieben eines lauten Nachbargenerators „Annehmen für Fortgeschrittene“ wäre. Sollte es nicht klappen, kann man das mit der LOVE ja auch später noch probieren.
Schlussendlich müssen wir unsere Liebesfähigkeit nicht erproben. Die netten Ranger teilen uns einen neuen Platz zu. Mitten zwischen den Zelten, da sind wir eh besser aufgehoben.
Weil Dachzelt auch Zelt ist und der Magicbus eh kleiner als jeder normale Amischlitten, der mit tent anbraust.

Zwischen spanischsprechenden Zeltern, international zirpenden Zirkaden und ganz ohne Generator lässt es sich nun fein Thanksgiving feiern.
Ohne toten Truthahn für die Globetrottels…

BlauPausentag

Ein Tag wie in einem Traum:
Gestern noch ist an der Quelle die Hölle los gewesen: wilde Teenies, die bis in die Nacht schrien, Familien mit Kindern, die des lautstarken Ermahnens nicht müde wurden, ein lärmender Sommerbeginn in Florida, ein kollektives Loslassen. Und Rauch über dem Platz von zahlreichen Lagerfeuern.
Heute wirkt die Welt wie ausgewechselt. Die meisten Protagonisten sind abgereist. Die, die blieben, fühlen sich unecht an –»gemacht« und durchsichtig.
Die Sonne bricht sich keine Bahn durch einen drückend grauen Himmel, unter dem die Luft zu stehen scheint. Dicke Luft, die Ungewisses in sich trägt, subtropisch. Das merkt man auch den den unsichtbaren Kleinstfliegewesen, die in jede Ritze kriechen und kiebig beißen – mit den kleinsten Mündchen ever.
Es ist wie ein seltsamer Traum, aus dem wir nicht aufwachen. Ungreifbar, innerlich vernebelt, mit bleiernder Müdigkeit in den Knochen, die nicht zugehörig zu einem scheinen. Als sei irgendetwas Ungewisses im Anmarsch, Ruhe vor dem Sturm.
Wie in einem Roman von Boyle beobachten wir das wenige Treiben um uns herum wie auf einer Theaterbühne. Unsere heutige Rolle ist klein: Ein Wackelspaziergang durch den subtropischen Wald, ein Untertauchen in der türkisen Quelle, eine heiße Dusche, Unechtes snacken, ein Buch.
Neben uns. Ist auch viel Platz.
Gut zu wissen….

Wasser in Dunst-, Quellen- und Badezimmerform

„Smoke on the water“ wird möglicherweise unser floridensisches Motto.
Nach einer Nacht, die so ruhig war, dass man die Hörnchen husten hören konnte, in der nur Waschbären und kleine Chouchous nach Mitternacht unterwegs gewesen sind – Wege kreuzend–, liegt auf dem See mystischer Morgendunst. Der Sumpf erwacht im Nebel; smoke on the water eben, ein Wasservogel trocknet sich den Nachttau von feuchten Federn. Schön ist das schon – unpolitisch gesehen. Wir bleiben also dabei.

Nachdem wir die Geschichte des betagten Fischers am Bootssteg gehört haben, verlassen wir das Reich von Moose und Pixie: leider ohne einen Bernstein dalassen zu können. Pixie hat sie so gern – die Bernsteine, die in Deutschland an jeder Ecke liegen und nur noch gepflückt werden müssen. Wenn wir die Nase von der Psychiatrie satt hätten, sollten wir auf Bernsteinimport in Florida setzen, meint Pixie, damit würden wir hier ein Vermögen verdienen. Nach so einfacher Ernte in good old Germany.

Heute ausnahmsweise mal schlau, tippen wir vor Abfahrt den „Lahmen-Modus“ ins Navi ein: den „Vermeide Autobahn“-Kniff, den „Wie überlebt man in Florida bei 50Meilen pro Stunde“-Hack.
Vor uns liegen nun also einsame 250 Kilometer Landstraße. Surreal – alleine durch den Apalachicola-Wald. Ein grandioser Name – sehr passend auch zu den „Wakulla Springs“, an denen wir vorbeirollen. Namen können sie – die Floridasienser, das muss man ihnen lassen.

Auf der „Hurricane evacation route“ geht’s von „Liberty“ nach „LaFayette county” an Weihnachtsdeko, dem historischen Gericht Mayos und der berechtigten Frage: Heavon or hell? vorbei bis Perry: dort müssen wir einkaufen.

Im Walmart Perrys gewinnt Gestalt, was wir bereits gestern lasen: Die größte Einwanderungsgruppe in Florida besteht aus Rentern, die aus dem kalten Norden in die Wärme gespült werden. Hier sind sie alle, die fußlahmen Herren und perfekt geschminkten, älteren Damen aus wohlbetuchtem Hause, die sich die Körbe mit Pharmazieprodukten und Schönheitsgels füllen. Und ich beschließe, mich ab 80 endlich auch zu schminken. Weil´s schön anzusehen ist: dem Lebensabend die Stirn zu bieten, indem man sich jeden Tag wie für ein großes Fest zu recht macht. Weil´s ganz genauso ist: jeder Tag ein großes Fest. Viel zu oft vergesse ich das.

Vorbei an unzähligen Verbotsschildern, teils in neckische Reime verpackt, Niveau circa: „Wer an der Quelle pieselt, ist ein fieser Fieselt“ parken wir heute (und morgen) an den Gilchrist Blue Springs ein: Minicampground an einer türkisen Quelle, in der bei unserer Ankunft sehr viele, vitale Kinder plantschen.
Wenn man mehrere hat kann man sich das problemlos trauen: plantschen in Alligatorland. Ein bisschen Schwund ist ja schließlich immer.

Nach einer halben Stunde harten Überlegens, wie man den Magicbus auf einem 15 Grad-Gefälle wohl gerade bekommt, parken wir einfach schief. Nach Ewigkeiten hole ich mal wieder den großen Kocher raus, kurze Buxe an und Musik auf die Ohren.

Zwei Tage Urlaub machen, neben Washrooms, die zwängigen Gemütern die Schuhe ausziehen würden. Für uns bleibt Wasser Wasser — Hauptsache, es schwimmen keine Krokos drin.

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