Everglades = deutsch: Sumpfwald.
Noch schöner wäre die Übersetzung, wenn man das Wort einfach auseinander zöge:
Die Ever-Glades = Ewige Lichtungen.
Dort also stehen wir: auf einer ewigen Lichtung. Durch die wollen wir heute wandern.

Dafür braucht es drei Anläufe.
Auf dem ersten Trail landen wir –kurz hinter dem Schild: „Entering wilderness“—direkt im Wasser. Weg weg: überflutet. Wir sind am Ende der Regenzeit mitten in einem Grasfluss, was will man anderes erwarten. Also retour, während das feuchte Dickicht klebrig nach uns greift.

Zurück am See geht’s auch nicht weiter: Pfad umspült, also erneut return to sender. Mit Moskitogesurre im Ohr.
Auf dem nächsten Trail ist es das gleiche Spiel. Wie war das noch!? 60 Kilometer Grasfluss. Er fließt durch jede Ritze, ohne Gummistiefel geht hier gar nichts weiter. Also ein weiteres Mal auf dem Absatz kehrt.

Ein Specht und sein rostroter Kompagnon bestaunen unser Pfützengetapse mit unaufgeregten Äuglein: Pech, wenn man nicht fliegen kann. Oder: Touristen zu Sommerbeginn…tschirptschirp. Ein leichtes Köpfchengeschüttel, mehr haben sie nicht für uns. Und weiter picken.

Auch der bunte Riesengrashüpfer guckt entsetzt: Genauso Pech, wenn man nicht pfützenhüpfen kann.

Nach viereinhalb Kilometern sind wir bis auf die Unterwäsche nassgeschwitzt. 28 Grad und eine gefühlte Luftfeuchte von 100% – mindestens. Wir verstehen etwas retardiert, dass es wirklich Zeit zum Aufgeben ist. Ohne Rüdiger Nehberg-Gene und Anglerhose schaffen wir es nicht, also zurück zum Magicbus. Und als erstes unter die kalte Dusche. Mit Klamotten.
Damit aus matschig-feuchten zumindest ganz kurzzeitig kalt-nasse Globetrottels werden. Es dauert allerdings nicht lang: der tropisch-heiße Luftumschlag lauert wartend hinter der Badezimmertüre.

Act as the locals do –wir schnappen uns also den Bulli.
Autotour: eigentlich ist es logisch, dass bei diesem Wetter nichts anderes in Frage kommen kann. Wie so oft brauchten wir für diese Erkenntnis etwas länger. Viereinhalb Kilometer und eine kalte Dusche, genau genommen. Was nicht heißt, dass wir deshalb automatisch das Dachzelt abbauen, bevor wir losdüsen.
Tropendunst im Kopf – da war doch etwas!? Ach ja, genau. Die Globetrottels mit geistigem Dengue-Fieber…

Mit dem Bulli gemeinsam ist es besser: Fenster auf, wir fliegen mit Fahrwind durch die Feuchtschneise, selbst die Straßen sind teilweise geflutet. Die Wanderwege mit Steg aber größtenteils nicht. Obendrein sind sie längenmäßig genau für das Wetter ausgelegt: länger als 800 Meter müssen wir auf keinem der Stege schleichen und bekommen trotzdem das Gefühl, etwas gesehen zu haben.
Everglades-Park entworfen von kühlen Köpfen aus dem schwülen Florida. Sehr, sehr gut gemacht.

Auf dem ersten Steg –dem Pa-hay-okkee Overlook– geht’s durch so genannten „fresh water slough“: den Frischwassersumpf.

Geflutete Prärie, Wassergras, Aussicht, Orchideen und natürlich massenweise Silberreiher. Sie bleiben die Könige der Everglades, es gilt hiermit als geprüft. Meinen sogar der storchartige Pelikan oder der pelikanartige Storch. Und das Schleichhuhn.

Geier warten am Straßenrand auf Ertrunkene. Oder Dichtgummi von Autoscheiben.
Weil sie es zum Hobby auserkoren haben: Touristen die Windschutzscheibengummis auspicken.
Die Gummigeier der Everglades.

Der zweite Steg führt durch Kiefernland, der dritte durch Zypressenwald mit Hornissen.

Den vierten hatten wir gestern bereits besucht: den Anhingatrail. Heute wollen wir dort erneut unser Glück versuchen.
Denn der Anhingatrail bleibt –abseits des Shark Valleys im Norden—der heißeste Tipp für Menschen, die auf der Suche nach ihrem Krokoglück sind.

Und dann bekommen wir ihn geschenkt:
Direkt hinter dem kleinen Geländer am Weg liegt er still im Sumpf: der schönste Teeniealligator der ganzen Welt. Vollkommen unbeweglich, nur die Äuglein ragen über die Wasseroberfläche. Im tiefdunkel anmutenden Wasser zwischen den Seerosen kann man ihn kaum erkennen, so sehr ist er eins mit der ewigen Lichtung, den Everglades.

Eine lange Zeit stehen wir dort bei ihm. Genauso unbeweglich wie er. In tiefe Meditation versunken, der Teenie – wir nicht. Wir müssen Fotos machen und den Moment ganz tief in uns aufnehmen. Keine Ruhe im Geist, sondern buntblendende Euphorie. Und der Alligator blinzelt weise – uns nicht aus den Augen lassend, der Welt gegenüber einigermaßen indifferent. Er ist schon seit Jahrtausenden hier, was jucken ihn schon zwei entzückte Globetrottels!?

Glücklich schweben wir von dannen. Als hätten wir ein Stück vom zauberhaften Saurierkuchen genascht. Einen Alligator in seiner eigenen Welt erleben – ohne Zaun, nicht in einem abgegrenzten, menschengemachten Becken, sondern frei – es ist ein Wunder in dieser so gefährdeten Welt.

Weniger wunderbar –aber genauso wichtig—sind die Moskitos, unter denen wir den ganzen Tag hinwegzutauchen versuchen. Manchmal erwischen sie uns und hinterlassen riesige, rote Souvenirflatschen auf Oberschenkel, Fußknöchel, Arm und Popo, die ermahnen, niemals die Macht der Kleinen zu vergessen. Die Genmoskitos der Everglades.

Vor zwei Jahren ließ man in einem Feldversuch die genveränderten Mücken in den Florida Keys ausschwärmen, in der Hoffnung die Ausbreitung der Ägyptischen Tigermücke (die 4% der hiesigen Mückenpopulation ausmacht) einzudämmen, potentieller Träger des Zika-, Dengue- und Gelbfiebers. Und das soll so gehen:
Die Firma Oxitec „entwickelte“ gentechnisch veränderte Mückenmännchen, die sich mit den krankheitsübertragenden Mückenmädchen paaren, allerdings selbst nicht stechen können. In sich tragen die Jungs ein Gen, das sie ihren Sprösslingen vererben und das alle Mädels bereits im Larvenstadium tötet. Quasi ein Femizid an der ägyptischen Tigermücke. Die neugeborenen Jungs sterben nicht, geben das Gen aber weiter.
Laut Oxitec ließ sich in diesem Feldversuch ein Tigermückenrückgang von 96% verzeichnen, valide Daten hierzu zu finden, scheint allerdings allzu nicht leicht. Die letzte Projektphase habe man 2022 in Florida angetreten, was dabei raus kam: ich hab´s nicht herausfinden können.
Ob dies ein vielversprechender Ansatz bei der Bekämpfung der invasiven Art ist? Ich weiß es genauso wenig. Oxitec aber macht weiter. Neuerdings auch Malaria.

Um sechs geht –über den ewigen Lichtungen– ein schwüler Tag langsam zu Ende.
Die Mücken haben bei Sonnenuntergang nochmal alles gegeben und legen sich surrend schlafen. Die Gummigeier sind satt, die Rotköpfchen picken nicht mehr, der bunte Grashüpfer hat sich das Schlafmützchen aufgezogen, auch er geht gleich ins Bett.
Nur der Teenie im Sumpf wird heute Nacht kein Auge zu tun. Wie es sich für einen ordentlichen Jugendlichen gehört, fängt in Krokoland die Party nun langsam erst richtig an.
Geduldig und still wartet er im schwarzen Wasser auf seinen nachtaktiven Freund, den Florida Panther. Damit sie endlich ein Fläschchen öffnen können, wenn alle anderen träumen.
Und Diskokugel an! Die übernehmen die Genmoskitos – mit einem fluoreszierenden Markergen.
Was für eine rauschende Party im Land der ewigen Lichtungen…