Unser Morgen beginnt mit einem Besuch der Könige dieser Welt.
Über Nacht haben es sich einige amerikanische Großschaben unter unserem Kocher gemütlich gemacht. Amerikanische Großschaben, die flinken La Cucarachas, Freunde der Dunkelheit, Resteesser und eindeutig eine der resilientesten Spezies, die diese Welt zu bieten hat.

Kakerlaken zum Frühstück, fünf an der Zahl: Kann man machen, wenn man eine Lektion in Sachen Widerstandsfähigkeit benötigt. Da schmeckt der Kaffee gleich ganz anders. Und gut, dass der Kocher draußen stand…

Unsere heutige Magicbustour –ja, wir haben gelernt!—soll uns über ein paar Stegewege bis Flamingo am anderen Ende des Nationalparks tragen.
Vorab lassen wir den „Snake Bite Trail“ links liegen. Auch, weil wir Gruselviercherchen bereits zum Frühstück hatten und momentan wirklich keine invasive Python brauchen.

Schätzungsweise kriechen eine Millionen quer durch Florida. Eine Millionen, die für einen 99%tigen Rückgang der Waschbären, Opossums, Karnickel, Lüchse und Füchse verantwortlich sind. Das muss man sich mal auf der zweigeteilten Zunge zergehen lassen…

Wir wandern durch Mangrovenwälder und an Mahagonibäumen vorbei.
Mahagoni – den Klang des Namens mochte ich als Kind schon sehr. Klingt so edel wie das Holz, wir halten also Ausschau nach einem piekfeinen Gewächs. Als wir es –dank eines Infoschildes—endlich finden, staunen wir nicht schlecht. Mahagoni: ein lebender Baumbeweis, dass vor allem innere Werte zählen. Dass unter jeder unscheinbaren Oberfläche unentdeckte Schätze liegen können.

Mittag. Als wir in Flamingo einrollen, herrscht schon wieder Bruthitze.
Am Hafen warten die Geier auf frisches Gummi, ein paar weiße Ibis picken mit ihren überdimensionalen Schnäbel in einem Rasen, der dampfend auszuatmen scheint.

Im Visitor Center wollen wir uns nach den Seekühen erkundigen, die dann und wann durch die „Coastal marsh“ der Everglades schwimmen und geraten an einen Ranger, der den Manatees wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Mit freundlich-warmen Augen und einer runden Gesamterscheinung ist alles an diesem Mann gutmütiger Kreis.
Einen Halbkreis weiter sind wir an der Marina und finden sie sofort: die Seekühe.

Seekühe, Manatis. Wieder mal ein Geschöpf, das der liebe Gott so gerne haben muss.
Nächste Verwandte der Elefanten, bis zu eineinhalb Tonnen schwer, besitzen Seekühe –im Verhältnis zu ihrem massigen Rumpf—eines der kleinsten Gehirne, das man unter den Säugetieren findet. Stattdessen aber besitzen in ihren Vorderflossen fünf knöcherne Fingerstrahlen, deren Gelenke sie einzeln bewegen könnten. Brauchen sie zwar nicht, aber ist ja gut zu haben: Fingerkraft, wenns Hirn klein ist.
Sechs bis acht Stunden sind die Manatis mit Fressen beschäftigt, 90 Kilo Pflanzen muss man ja auch irgendwie täglich in den Bauch bekommen. Im Durchschnitt werden sie um die 40. Also wie alt wie ich, die –würde man Chouchou fragen—ebenso sechs bis acht Stunden täglich mit Essen beschäftigt ist. Und auch meine fünf Fingerstrahlen kann ich ziemlich gut bewegen – es gibt durchaus Ähnlichkeiten.

Es sind gefährdete Schnäuzchen, die wir nur kurz an der Wasseroberfläche Luft holen sehen. Der gewaltige Körper wird vom dunklen Nass der Küstenmarsch verschluckt. Ein wenig unheimlich ist das schon: wissend, dass ein massives Etwas unter der Oberfläche schwimmt, man selbst aber sieht nur die Barthärchen. Und hört: das rührigste Schnaufen der Welt.

Wir stehen am Bootssteg und scannen das Wasser. Da eine Seekuh – und dort. Und da!
Die Manatis müssen mindestens zu acht da sein, denn überall im Hafen erheben sich immer wieder mehrere Schnäuzchen. Ein rundes Rudel. Und dann tauchen aus der dunklen Brühe plötzlich Zacken auf…

Was wir als nächstes sehen ist mal wieder ein Gefährdeter. Kein Alligator, von denen es in den Everglades schätzungsweise 200.000 gibt. Das Zackige ist größer. Und gefährlicher. Und so viel seltener.
Mitten im Hafenbecken schwimmt plötzlich ein Spitzkrokodil.

Ungefähr 3000 Spitzkrokodile leben im südlichen Florida, weltweit sind es schätzungsweise noch 5000. Sie werden deutlich größer als ihre urechsigen Alligatorfreunde: teils bis zu 6 Meter. Der Freund der hier im Hafen schwimmt sei –so weiß die Lady, die uns Eis verkauft– mit seinen gemessenen 4,5 Metern das größte Spitzkroko in den gesamten USA. Lerne: „Höher, schneller, weiter“ macht auch vor Urechsen nicht halt. Im Vergleich: ein Alligator wird maximal 3,35m.

Recht unbeweglich, aber sehr aufmerksam gleitet das Krokodil durchs trübe Gewässer. Es fixiert uns, starrt teilweise direkt in meine Linse. Wir setzen uns ans Hafenbecken und schauen ihm lange beim Nichtstun zu. Bewegung kommt erst ins Spiel, als plötzlich ein Paar mit Welpe neben uns steht.
Das Krokodil visiert den Hund an und schwimmt geradewegs auf uns zu. Nun ist´s Zeit zackig weiterzuziehen: Hoch und ab! Bei 10 Metern Abstand und einer Schwimmgeschwindigkeit von 32km/h ist es womöglich deutlich schneller da, als uns (und der Welpe) lieb wäre…

Mit Krokobegeisterung im Herzen düsen wir über ewige Lichtungen beseelt zurück zum Camp. 89 Silberreiher am Wegesrand nicken freundlich – ich habe sie gezählt, die Nicker. Bei einer Messungenauigkeit von 11% also waren es glatte hundert.

Die mexikanischen Nachbarn feiern Fiesta, Krähen in den Bäumen, Cucarachas im Unterholz und alle tanzen zu den Salsarhythmen, die über den Platz wabern.
Eine schlierige Sonne geht langsam unter, sie nimmt ihre Schwüle mit sich. Was für ein Tag.
Zwischen großen und kleinen Tieren, zwischen Hitze und Wasser, zwischen Mangroven und Mahagoni geht nicht mehr sehr viel.
Aber ein kleines bisschen Demut und Dankbarkeit passen immer noch rein…