Nachts zwischen Mäuschen geschlafen, ihr quieken direkt neben unseren Ohren: der Soundtrack eines Sonnenaufgangs über Hügeln, auf die wir unverbaubaren Zeltausblick haben. Dieses eines der besten Argumente fürs Zelten schlechthin:
Mitten drin in der Natur, ohne Schutzschild und in erster Reihe Weltaussicht.
Was vollkommen chillig und entspannt beginnt, soll in einem Tag enden, der den Ausspruch: „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht,“ erfunden haben könnte.
Wir starten um 10h, nach vielen Kaffees (endlich mal wieder mit Gaffeegochkas gekocht) und einem netten Plausch mit unseren Paderborner Campingnachbarn. Jedem, der im Mai in Andalusien gedenkt fernwandern zu gehen, dem soll gesagt sein: das ist eindeutig zu spät, wenn man über tausend Höhenmeter vor sich hat.
In Orgiva ist Halbmarathoneinmarsch. Wir kommen pünktlich zum ersten Zieleinlauf mit dem George Clooney der Alpujarras — möglicherweise der schnieke Bürgermeister von Orgiva!?
Wir hocken uns ins Café und lassen erstmal die anderen laufen: eine weitere Stunde Prokrastination unseres Weges. Eine weitere Stunde, in der es immer heißer wird.
Passend zur Hitze des Highnoons laufen wir los. Wohlwissend um die Höhenmeter, die vor uns liegen. Es gibt also nicht mal eine Entschuldigung: die Globetrottels trappeln sehenden Auges ins Verderben.
Bis ins erste Dorf— Soportuja— können wir den Weg noch als „sportlich“ abtun. Diesen angeblichen GR 7, den es nur noch auf den Karten zu geben scheint. Meist geht’s für uns über enge Trampelpfade, die zunehmend zuwachsen, weil kein Mensch hier mehr geht. Furten durch Bachläufe, die aus dem Berg herausdonnern, gerne an ungesicherten Hängen entlang und immer steil. Einmal müssen wir auf allen vieren klettern, um einen weiteren Höhenmeter nach oben zu kraxeln. Unter der brütenden Sonne Südspaniens. Nur letzteres nicht unerwartet.
Mit hoch rotem Kopf nach den ersten 10km rein nach Soportuja. Hier ists lustig. Im gesamten Dorf wird einem okkulten Hexenglauben gefrönt, den niemand so genau erklären kann. Zaubererfiguren an den Ecken, Hexen —als Graffiti, als Statue, als Malerei, als Puppen— überall. Ein Drachenbrunnen, dem Wasser aus dem Intimbereich sprudelt — man kann es sich nicht ausdenken.
Nach einer Cola kühlt unsere Farbe von kirschrot auf blassrosé runter. Wir sind motiviert und guter Dinge die fehlenden Kilometer in Angriff zu nehmen.
Es endet in einem Fiasko.
Das, was vor Soportuja noch als Trampelpfade zu identifizieren waren, löst sich nach dem Ort ganz langsam vollendest im Nichts auf:
Aus Feldweg wird erst Einfraupfad wird Trampelpfad, wird Einspurgang wird zunehmend zugewachsen, wird Weg komplett weg.
Unser Tagesziel in Sichtweite wollen wir eigentlich nicht aufgeben, irgendwann aber müssen wir. In dem Moment, da wir am Steilhang zur linken im Berg hängen, der Tritt noch knappe 30cm breit, vollkommen überwuchert von Gestrüpp, das den Abhang hinabdrängt. Und ein rechter Wanderstock, der plötzlich nur noch ins Leere stochert.
Ein sehr spannender Moment, wenn man plötzlich merkt: rechts unter den Blümchen kommt ja nix mehr. Hier gehts nur noch sehr viele Meter, plötzlich sehr steil bergab.
Im allerletzten Moment machen wir kehrt, uns am Gestrüpp zur Bergseite hin festhaltend, am ehesten am Hang taumelnd, viel Freude beim Umdrehen mit einem dicken Rucksack auf einer solchen Schneise.
GR7: offizieller, europäischer Fernwanderweg? Wann auch immer das mal war, 2024 ist es definitiv nicht mehr so.
Und was übrig blieb war nur noch ein blumengesäumter Suizidtrail. Und die ganze Zeit so angespannt, dass tatsächlich kein Foto geschossen wurde….
Nach einer halben Stunde Suche auf dem Berg nach einer alternativen Runde geben wir auf. Wir müssen zurück, runter zur engen Schnellstraße. Pampaneira vom Berg aus in Sicht: gäbe es den GR7, es wären nur noch drei Kilometer. Retour über die Schnellstraße werden es schließlich sechs sein. Eine sehr spannende Übung hinsichtlich der eigenen Frustrationstoleranz….
Vollkommen erschöpft und mit knallroten Köpfen erreichen wir nach 1100 Höhenmetern und knappen 20km insgesamt kurz vor sechs abends Pampaneira.
Die steilen Straßen mit Wasser inneMitte kann ich leider nicht mehr vorwärtsgehen, ich muss rückwärts die Gassen hoch. Alles egal, Hauptsache irgendwann da. Und diesen Tag: überlebt nennen.
Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht.
Heute war es wirklich fast so weit.
Die Fersen meckern abends ernsthaft: Bürschchen, so geht’s nicht mehr lang!
Wir fallen in einen unruhigen Schlaf. Weil unsichtbare Hexen aus Soportuja an den Zehen ziehen ….





















