Unterwegs im Magicbus

Monat: Juni 2024

Mit neuen Schlappen nach Mittelschweden

Thors Hammer schlug also über dem gestrigen Fussballspiel ein. Rudi, als alter Fußballfan, war hellauf begeistert, während unserem dänischen Teammitglied Brutus eine leise Träne übers zottelige Gesicht rollte. Sein erstes Fußballspiel – gleich verloren, das fällt einer sensiblen Moschusochsenseele nicht leicht.

Der Tag beginnt mit Nieselregen und einer vereitelten Dusche. Mit einem verträumten und voll shampooniertem Kopf, schaltet Annikas Hahn einfach aus. Ein viertel entsetzt, halb angezogen und komplett verstohlen bleibt nur, in den Spülbereich zu entwischen und schäumende „Wahre Schätze“ in einem Küchenabflusssieb zu versenken, das bisher nur Speisereste kannte. Sieb und Haar gemeinsam, vereint in einer neuer Erfahrung.

Bevor es heute weiter gen Norden, weiter gen Natur geht, müssen wir unsere Vorräte aufstocken.
Der Maxi-ICA –-vor Göteborgs Toren—hat auch am Sonntag geöffnet: ein weitläufiges Einkaufsparadies, in dem man problemlos verloren gehen kann. Neben frisbeegroßem Knäckebrot, Lasagne-Smoothies und kiloschwerem Käse in Konservenform finden wir endlich auch neue Schlappen. Eine Wohltat, nachdem sich einer der alten Birkenstocks an der dänischen Ostsee aus dem Staub machte und nur Plastikflipflops übrigblieben, die im nassen Gras und mit 300 Metern Laufstrecke zum WC nach drei Tagen eine wundtreibene Zwischenzehgeschichte erzählten.

Kurzum: alles da, was das Herz begehrt. Nur einen neuen Outdoorteppich und ein Kaltgerätesteckerkabel finden wir leider nicht – in diesem Herzen des schwedischen Vorstadtkonsums.

Über eine Wurschtelautobahn geht’s aus dem Großraum Göteborgs wieder heraus, vorbei an harten Schweden, die trotz des Regens Achterbahn nahe der Schnellstraße fahren.

Nach den ersten 50 Kilometern tauchen Riesenhasen auf den Feldern auf. Und Elchschilder, -übergänge und –zäune. Den König des nordischen Waldes persönlich bekommen wir leider nicht zu sehen.

Hinter Trollhättän steht ein welkender Midsommarbaum und der Wald nadeliger. Hallo borealer Nadelwald. Ab hier beginnt in unseren Herzen langsam der Norden.

Der letzte größere Ort auf unseren heutigen 290km ist Amal – mit zwei Kringeln überm A. Das Navi schickt uns links. Ab hier beginnt in unseren Herzen langsam die Wildnis. Die roten Häuser werden weniger, die Straßenränder von Lupinen geküsst. Danach: 30km Schotterstraße.

Die Anreise in den Glaskogen Nationalpark gestaltet sich deutlich abenteuerlicher als erwartet: der Magicbus wackelt sich tapfer über die –von ihm so verhasste—Schotterstraße, Menschen gibt es hier keine mehr, nur die Lupinen stehen noch einsam Wache – Blüte in Ast mit den Nadelbäumen.

Wir hatten möglicherweise viel erwartet, alleine nur nicht das: dass es 30km Schotterstraße sind, mitten hinein nach Kanada…

Unser Plätzchen für die Nacht liegt direkt am totenstillen See. In unserem Garten: eine Feuerstelle aus Stein, die Infotafel warnt, dass „in den letzten Jahren“ Wölfe und Bären gesichtet worden seien. Nun gut, lediglich das „in den letzten Jahren“ ist nicht ganz Kanada. Aber fast.

Es reicht, um das Herz weit aufgehen zu lassen. Nur nur wegen der neuen Schlappen und des Feuers…

Kulinarische Schwedenhits und hoffentlich keinen Strich durchs T(h)ør

Nach satten neun Stunden Schlaf behauptet meine Kontrolletti-Uhr, dass ich mit einer „body battery“ von 100 in den Tag starte. Genauso gut fühlt es sich an – insbesondere wenn man weiß, dass man deutlich weniger davon brauchen wird. Weil nichts an diesem Samstag, dem schwedischen »lördag« wartet.

Unser erster schwedischer „lördag“ ist ein Schwedenankommenstag. Wir nehmen uns Zeit für pures Leben:
Minisport auf Matte und im Stehen.
Frühstück mit einer kulinarischen Sonderentdeckung: vegane Kaviarpaste, der Hit!

Lesen im Sitzen und Atemübungen im Liegen, dann einen Spaziergang ans Meer mit einem nächsten Geschmacksexperiment: „Homie – wake up symbiotic“, der schwedischen Energydrink mit linksdrehenden Batterien und „Keishi“ – was auch immer das sein soll. Dank Google finden wir heraus: Keishi-cho ist das Polizeipräsidium Tokios. Jetzt, wo du´s sagst, schmeckt´s auch irgendwie nach Exekutive…

Die Kühe sind von ihrer einsamen Insel heruntergeschwommen und chillen heute am Strand. Mit fliegenden Hufen werden sich die Plätzchen fein gemacht, bevor es mit lautem Schnaufen mit dem Kuhpopo in den Sand geht. Und dann die Augen mit langen Wimpern zu: auch auf die Strandkühe wartet heute rein gar nichts zwischen Sonne und Wind. Nur die Schafe müssen arbeiten: die haben heute leider Satellitenwache.

Katastrophenküche im Wind: das Handling mit zwei Platten will nicht recht von der Hand gehen, die Blumenkohl-Kartoffeln mit Mango-Curry-Sauce und veganen Schnitzelchen, die etwas zu sehr in die unbeschichtete Pfanne verliebt sind, schmecken nichts desto trotz.

Das schwedische Schnäpschen danach – auf der Stenaline gekauft unter dem Deckmäntelchen des Integrationswillens—schaffen wir allerdings nur halb.

Mit einem viertel „Fläderschnaps“ im Kopp zum Spülen eiern, die Welt sehr ulkig finden und den Geschmack danach schnell mit Marabou-Schokolade übertünchen.

Heißkalte Wellnessdusche ohne triftigen Grund, einfach weil sie wohltuend ist in Annikas liebevoll dekorierten Bädern. Frisch für das abendliche Fußballspiel: Deutschland gegen Dänemark.
Wie gut, dass heute ein schwedischer „lördag“ und kein dänischer „lørdag“ ist.
Möglicherweise hätten uns die Gastgeber ansonsten einen Strich durch skandinavische T(h)ør gemacht…

Ein Wellness-Fredag für alle

Die Wettergötter meinen es gut mit uns: in der Nacht trifft ein dänischer Starkregen aufs Land. Schwere Tropfen auf dem Dach trommeln uns aus dem Schlaf vor Sonnenaufgang um vier. Sie kühlen das viel zu heiße Westschweden auf Normaltemperatur ab. Eine romantische Wohltat, wenn man eingemummelt in der Daunendecke diesem nächtlichen Regenlied zuhören darf.

Die Regengötter sind am Morgen noch nicht durch mit ihrer Arbeit. Noch immer schauert es: ein prima Grund, um langsam zu machen. Nach dem Frühstück setzen wir als Duo unsere Lesebrillen auf: endlich Zeit zu recherchieren, wie sich unsere nächste Etappe in Schweden gestalten kann; übermorgen.

Als wir Annika durch Zufall treffen, buchen uns für weitere zwei Nächte auf ihrer Wiese ein. Weil das Wohlfühlen sehr groß ist … und wir ab nun langsam: im Konsens entschieden.

Nachdem der Magicbus mit neuem Öl und frischem, pinken Kühlwasser gefüttert ist, eine Mücke im Closeup gefilmt und Chouchous zweiter Zeckenbiss (Chouchou-> Wildlifeopfer) kontrolliert wurde…

…zieht der Regen weiter und wir uns unsere Wanderschuhe an. Bis zum Meer ist es einen Kilometer durchs Naturreservat, vorbei an Seerosen und den gigantischen Satellitenschüsseln, die stumm über ein paar grasende Schafe wachen und leider nicht fotographiert werden durften.

Mit dem ersten Wellenrauschen in den Ohren, kommt die Sonne raus, sie scheint uns auf die erstaunten Gesichter. Und dann sehen wir die Ostsee hinter den »voll trolltollen« Felsen.

Wir kraxeln von Bucht zu Bucht. Mit uns sind nur ein paar Enten und Möwen hier. Und eine Bande Kühe, die auf der gegenüber liegenden, einsamen Insel hausen. Wie auch immer sie dort hin gekommen sind?! Eine von Kühen besetzte Insel in der Ostsee, ein Best-of-Kuhleben. Gefällt den Globetrottels sehr.

Der Rest des Tages kann in einem Satz zusammengefasst werden:
Langsam Videos schneiden (Chouchou), langsam tippen (ich), langsam die Powerstation aufladen (Chouchou in Zusammenarbeit mit Annikas Strom), langsam kochen (ich), langsam essen (wir beide).
Wenns gut läuft hängen wir später noch ein „langsam Film gucken“ dran. Wellness für alle.
Ein guter, schwedischer „fredag“…

Mit dem Wissen um die wahre Größe nach Schweden

Der sich ständig verändernden Farbe des Sonnenuntergangs hinterher schmachten bis um halb zwölf nachts, so ging es gestern. Farbentaumelnd dann der kurzzeitige Gedanke: „Den Sonnenaufgang will ich auch sehen,“ weil Sonnenaufgangsseite, weil noch nicht verstanden, dass bereits hier die Tage um so viel länger sind. Ein Blick auf die App flüstert: Gerne. Sonnenaufgang um 4:22h. Ach, dann vielleicht lieber doch nicht…

Die Sonne brennt uns um halb acht aus den Federn. Angesagte 27 Grad im nördlichen Dänemark heißt „garen hinter grauen Zeltwänden schon vor acht“. Erster Kaffee im Morgensonnenschein mit Blick auf die Ostsee, während in den großen WoMos um uns herum noch wohltemperiert geschlummert wird.

Wir können uns mit dem Frühstück Zeit lassen bis elf. Erst dann müssen wir langsam in Richtung Fähre bummeln. Die Stena Jutlandica fährt erst zum Highnoon tutend und schäumend aus dem Hafen. Farwel Danmark. Du hast Dich für uns von Deiner wunderschönsten Seite gezeigt. Tak dafür.

Und dank Dir lernen wir heute obendrein, dass der Bulli nicht 2,05m hoch ist, sondern lediglich 1,98m. Den Aufpreis „Höhe bis 4m“ hätten wir uns also sparen können. Sadly no refund, sagt die Dame am Schalter. Aber immerhin ist das Wissen um seine wahre Größe Gold wert. Nicht nur beim Magicbus, sondern generell im Leben.

Bötchen fahren ist immer toll. Besonders, wenn das Meer ruhig und der Himmel strahlend ist. In den ersten zwei Stunden kundschaften wir das gesamte Schiff aus: Reling und Restaurant, Sun deck Bar und Shoppingmeile, Bistro und Passierservicepunkt, dystopischer Raucherbereich, Café und Relaxsessel.

Beim lecker Essen auf dem Sonnendeck kämpfen wir erst mit den Haaren, die nicht in den Mund sollen und dann mit einer Möwe, die nicht an den Burger darf. Die erste „Fika“ (schwedische Kaffeepause) wird mit blauem Ausblick (heute marine) und trockener Zimtschnecke zelebriert.

Im Duty free dieselen wir uns einmal von oben bis unten mit kostenlosem Parfum ein und kaufen dann zehn Pinnekes schwedischen Schnaps. Botten upp! Und dann kommt auch schon Göteborg mit seinen tausend vorgelagerten Inselchen in Sicht.

Die Einreise läuft zügig: Knattern und ab. Ganz anders als 2021, als wir das erste Mal hier waren und die Schweden einen hochaktuellen PCR-Test und Perso von uns sehen wollten – mit Maske. Oh baby, baby, how times are changing. Nur Göteborg war damals ganz genauso schön wie heute.

Unser erster Orientierungsstopp in diesem Land soll 40km südlich der Stadt sein: in Onsala, nahe dem Svängehallar-Fjärehals Naturreservat.

Weil es hier ruhiger ist und grüner, die Ostsee noch ums Eck, allerdings von der Sonnenuntergangsseite.

Auf Annikas grüner Wiese dürfen wir zwischen den Zelten stehen.

Passend, da der Magicbus kein Wohnmobil ist, sondern lediglich ein pupsnormales, altes Auto mit 1,98m Höhe (wie wir heute gelernt haben) und Dachzelt (das wussten wir schon länger). Es hat über eineinhalb Jahre gebraucht, bis wir es endlich begreifen: wir leben nicht in einem komfortablen WoMo, nicht mitten im stylischen „vanlife“. Wir schlafen momentan in einem ollen Auto, das kleiner als ein SUV ist.
Und kochen, lachen, essen und leben unter einem Himmelszelt, dem das Wissen um seine wahre Größe nie abhanden kam: Gold wert!

Von Wikingern, dualen Wellen und sehr viel buntem Blau

Unseren Public viewing-Spot fanden wir gestern tatsächlich noch: am anderen Ende des Hafens, drum herum um einen bunten Street food-Markt, von dem wir gar nicht ahnten, dass es ihn gibt. Welch ein Reiseführerversäumnis.
Der Markt ist pickepackevoll mit Menschen in roten Trikots. Neben zahlreichen Studentenmützen, trägt der fussballaffine Däne heute Häubchen mit rotweißen Hörnern – „vikinger fodbold“ 2024, dazu gibt’s lauwarmes Bier aus Plastikbechern.

Das Spiel gestaltet sich mäßig spannend und die Dänen sind so groß, dass man von der Leinwand kaum etwas sieht auf Grund zahlreicher Hünenrücken. Nach der ersten Halbzeit rücken wir ab – 0:0– und erfahren später, dass auch die zweite kein verändertes Ergebnis ergab. Stimmung eingeschnappt und sonst nix verpasst: wir haben´s gut abgepasst.
Nächste Spiel: Dänemark gegen Deutschland. Da werden wir allerdings schon über alle Berge sein…

Den ersten Kaffee am Morgen gibt’s an der Hafenkante. Außer zwei älteren Herren kommt niemand an der einsamen Bank vorbei. „Go morn,“ brummeln sie; ein verschlucktes „God morgen“. Wie herzig kann eine Sprache sein, die wie eine Mischung aus betrunkenem holländisch, faulem englisch und übermüdetem Deutsch klingt!? Mein neues Lieblingswort lautet übrigens: „gammeldags“, ich werde es in Zukunft in meinen Wortschatz einbauen: „Dein Vintage, Liebling, ist mein gammeldags“.

Wir verlassen den Aalborger Hafen mit Erwartungen. Nur sechs Kilometer weiter wartet unser größtes, geplantes Dänemark-Highlight. Mit entsprechend euphorischer Vorfreude und lautem Tuckern wackeln wir um Punkt zehn Uhr an: in Lindholm Hoje.

Das Erste, was wir hören sind blökende Schafe, die sogleich den Hügel hinunter in unsere Richtung traben als wir parken – mit springenden Lämmchen im Schlepptau. Eigentlich reicht das bereits, um diesen Ort zum höchstpersönlichen Favoriten zu erklären. Und wir sind noch lange nicht die Anhöhe hochgekraxelt…

Lindholm Hoje ist Dänemarks größtes Gräberfeld. Vor der Christianisierung wurden an diesem Ort Steine für die Verstorbenen gesetzt –in Form von Ovalen (für die Frauen), in Form von Schiffen (für die Männer). Die Wikinger glaubten, dass die Toten nach ihrem Ableben ins geheime Thule reisen würden: ein mystisches Land im äußersten Norden, jenseits der bekannten Welt, tief im ewigen Eis, nur mit Booten zu erreichen. Daher die Schiffsetzungen.

Dieser Ort berührt uns sehr. Vielleicht weil er etwas Archaisches und gleichzeitig sehr zartes hat. Zauber in den alten Baumen am Hügelrand, ein mystischer Hafen, aus dem man ins Ungewisse aufbricht. Ein perfekter, heiliger Ort; unser 185.

Ins Museum wollen wir eigentlich gar nicht rein. Im Wikingershop aber geraten wir an eine blonde Hünin, die so tief eingetaucht ist in die Sagen des Nordens, dass diese dringend wieder raus wollen. Mit unserer Frage nach der Bedeutung der Schlange auf einem Armreif zieht sie uns in die Ausstellungshallen hinein: einmal durch Midgard im lebendigen Sprudeln, während derweil die Götter in Asgard chillen.
Ein viertelstündiger, ungeplanter Ritt durch die nordische Sagenwelt. Natürlich kaufen wir den Armreif. Und Thors Hammer gleich dazu.

Die Sonne steht noch hoch an einem strahlend blauen Mittagshimmel, der Tag ist noch jung, also geht es weiter nach Skagen.

Durch die Dünen sind wir flotten Reifens am nördlichsten Punkt des dänischen Festlands: Grenen.
Neben Kopenhagen ist dies –will man dem Andrang glauben—sicherlich der meist besuchte Ort des Wikingerstaats. Hier, wo an der sandigen Spitze Nord- und Ostsee aufeinandertreffen.
Und ich will sagen: er ist es zurecht.

Während Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, zu Hauf mit dem Traktor an die Landzunge karrt werden, schleichen wir uns durch weißen Pudersand an. Über die Ostseeseite, kobaltblau.
Am Hotspot heißt es „hinten anstellen“, das tun wir brav, indem wir uns erstmal in den warmen Sand setzen. Hinten ansetzen, also – mit Blick auf Nord- und Ostsee gleichermaßen. Ein guter Ort zu warten.

Als der Traktor wieder ablegt, lichten sich die Reihen und wir tapsen mit den Füßen in die dualen Wellen. Chouchou in die Nordsee und ich in die Ostsee – Hand in Hand, zu jedem Sprung bereit.

Eine wunderbar verrückte Welt, wenn man von zwei Seiten den gleichen Punkt ansurfen kann. Und genau in der Mitte: eine Mischwelle.

An der Nordsee spazieren wir barfuß zurück: azurblau. Über ihr sind die Möwen zu Hause, während im Osten die Quallen schwimmen.
Endloses blau in blau im höchsten Norden Dänemarks: kobalt, azur, marine, türkis, indigo, lapislazuli. Und oben drüber der Himmel – natürlich in himmelblau.

Auf dem Rückweg verliere ich in den Dünen meinen Schuh, er flüchtet vollkommen unbemerkt aus der Tasche. Wohl ein Seesüchtiger, es sei ihm vergönnt: die endlose Freiheit im Norden und nie mehr getreten werden in diesem Schuhleben.
Im Sand ist sein Abschied nicht allzu dramatisch für mich, auf dem folgenden Kies aber vermisse ich ihn bereits sehr.
Machs gut, oller Birkenstock. Wir beiden sind weit miteinander gegangen…

Am Abend parken wir am Hafen von Frederikshavn ein.

Erste Reihe an der Ostsee, kobaltblau.

Nach einem Tag, den Dänemark nicht schöner hätte malen können. Für niemanden.
Eine Perfektion in kobalt und azur, in marine und türkis, indigo und lapislazuli.
Vor allem aber in bunt.

Menschenfreundliches Aalborg

Geschmeidig kommen wir um 10h los, die Altstadt Ribes winkt uns von weitem „farwel“. 270km weiter gen Norden durch sonnig-grünes Hügelland mit Herzkirsche bis Aalborg.

Am Yachthafen parken wir für die Nacht ein, einen Steinwurf von der Stadt entfernt. Strom können wir für 3 Euro zapfen –ein gänzlich undänischer Preis—problemlos: sehr dänisch. Nur an den Toilettentüren zappeln wir uns doof, also müssen wir uns durchs Hafenviertel fragen. Nach zwanzig Minuten kennen wir die Hälfte der Skipper und wissen zumindest, wie wir in die Toiletten 300 Meter weiter mit einem Code gelangen. Schiff ahoi, jetzt können wir die Stadt besuchen.

Stadtbeschreibungen sind langweilig, daher nur so viel:
Aalborg ist aufregend unaufgeregt und menschenfreundlich. Der Blick aufs Wasser für Wohnungen, statt Startup-Unternehmung, an der Hafenpromenade ist das Kopfsteinpflaster für Menschen mit Rollstuhl, Kinder-, Bollerwagen oder Rollator begradigt. Die Innenstadt ist weitestgehend autofrei: der Verkehr wird großzügig um den Ortskern herumgelenkt.

Menschen flanieren zur besten Arbeitszeit gemütlich im Sonnenschein oder sitzen in den Cafés, ein freier Platz schwer zu finden. Die Aalborger*innen sind ein buntes Völkchen, herrlich heterogen. Was aber vereint sind die roten Trikots fürs heutige Dänemarkspiel und die Studentenhüte der Schulabgängerinnen, die sich eine Woche lang für ihren Erfolg öffentlich feiern lassen. Zu Recht.

Kleine Boote dümpeln auf dem Wasser, die Brücken heben sich gemächlich jede halbe Stunde zur Durchfahrt der größeren Schiffe.

Ein Kreuzfahrtschiff liegt gegenüber des Utzon-Centers: letztes Projekt des Architektens Jorn Utzon, der auch die Oper von Sydney entwarf. Schönheit vs Gigantomanie.

Wir tippeln den gesamten Nachmittag durch die Stadt, schlecken Eis und schauen den Möwen hinterher. Sommer in Aalborg und wir sind mittendrin.
Jetzt müssen wir nur noch eine Bar auftreiben, die um neun Public-viewing veranstaltet…

Ein dänischer Moschusochse kommt nach Hause

Am Morgen wird um uns herum jongliert, geturnt und Einrad gefahren. Der Jugendzirkus ist schon lange wach oder noch immer, wer weiß es genau!? Wenn einem Keulen beim ersten Kaffee um die Ohren fliegen weiß man: es ist Zeit weiter zu fahren. Ab gen Dänemark.

Die erste Grenze unserer Reise passieren wir noch vor Mittag, der Zollbeamte weist uns anhand einer explodierenden Handbewegung darauf hin, dass ab nun Tagfahrlicht gilt, ein entgegen knatternder Bulli winkt fröhlich. Velkommen til Danmark – bei den glücklichsten Menschen der Welt!

Unser erster Anlaufpunkt im Land der unendlichen Hyggelichkeit ist Ribe: älteste Stadt des Landes mit ebenso ältester Domkirche und einem Kopfsteinpflaster, das seit 1100 Jahren unverändert zu Füßen der Ribenenser*innen liegt.

Ansgar von Bremen, der angebliche „Apostel des Nordens“, gründete 860 hier die erste Domkirche Skandinaviens – den heutigen Dom. Und was für einer…

Mittendrin im kirchlichen Mittelalter Ribes, zwischen Heiligenbildchen und Taufbecken, prangern trollartige Fresken, Glasfenster und Mosaike. Hier hat ein Träumer gewerkelt: Bunte, nordische Koboldträume in die Apsis gezaubert.

In die pittoresken, alten Gassen haben sich mittlerweile hippe Café und hyggelige Designläden gemogelt. Bunt verzierte Türen starren still auf einen kleinen Hafen, der vom Meer nur noch träumt, in der Gracht schaukeln Touristenbötchen, ein zauseliger Hund bellt Passanten hinterher.

Ribe riecht süß. Nach Waffeln und Softeis, der Odor des Meeres ist gänzlich abgeweht, hinweg über einen leidenschaftlich bimmelnden Kirchturm, der von einem Jediritter bewacht wird.

Wir finden Gabeln in einem schicken Haushaltsladen. Gut, da wir unsere aus unerfindlichen Gründen nicht eingepackt haben. Daneben winkt ein bunter Teeladen, auch in den müssen wir rein. Weil Ribe unbekannte Sehnsüchte weckt. Nach Besteck und Tee und einem Moschusochsen aus Plüsch…

Wir hätten uns das 10-minütige Zögern vor dem bunten Regal sparen können. Genauso wie das fünfminütige Streicheln und Halten, genauso wie den erneuten „Ich denk nochmal drüber nach-Gang“ um den Block. Es war von Anfang an klar, dass die Liebe siegen würden.

Am 24. Juni 2024 um kurz vor drei wächst das Globetrottels-Team um ein weiteres, sehr wichtiges Mitglied: Velkommen i familien, Brutus! Es ist schön, dass Du ab nun mit uns mitreist, knuffeligster Moschusochse von Welt, ein Globetrottel der zweiten Minute…

Da wir Brutus an seinem ersten Tag bei uns nicht allzu sehr schocken wollen, entscheiden wir uns für die Nacht gegen den asphaltierten Parkplatz vor den Toren der Stadt. Einen Kilometer weiter gibt es einen Fischteich mit Rasen, an dem ein Moschusochse artgerecht grasen kann. Die Entscheidung also fällt nicht schwer: Alles für Brutus! Auf zum Tümpelchen.

Die nette Dame an der Rezeption hat noch ein „Quick stop“-Plätzchen für uns direkt am Wasser.

Unverbaubarer Teichblick im Sonnenschein. Am Rande stehen maulfaule Alte und halten Angeln ins trübe Wasser. Eine Möwe fliegt vorbei, um mit einem untoten Fisch zu kämpfen: vergeblich. Das Schuppentier geht mit 1:0 aus der Begegnung hervor, kopfüber.
Beste Nudeln blubbern und könnten nicht besser schmecken als mit grobem Parmesan und gerösteten Pinienkernen. Ein zerknitterter Däne springt in den Magicbus, um das Geheimnis der Schlafkoje zu lüften. Alle Angler gehen leer aus.
Und am Rande der Szenerei steht still ein plüschiger Moschusochse, der zum zweiten oder dritten Mal das frische, grüne Gras kaut. Langsam und genüsslich. Er hat die Ruhe weg. Er weiß, dass er endlich dort angekommen ist, wo er immer hin gehörte: zu Hause.

An der Schlei … bin ich schon mal gewesen

Mit vollem Herzen haben wir gestern Hamburg verlassen.
Unterwegs gen Norden, ohne genaueren Plan. Es war eher ein Zufall, dass uns der Campingplatz an der Schlei über den Bildschirm hoppelte. Die Schlei?! In meiner Erinnerung bin ich dort noch nie gewesen…

Bereits kurz hinter Hamburg wird es deutlicher leerer. Blauer Himmel, weites Grün, altes Land.

Intuitiv hätte es uns eigentlich zum ersten Sortieren des Bullis (und unser selbst) an die Nordseeküste gezogen – weil Nordsee bekanntes Terrain, weil Husum geheime Lieblingsstadt ist, weil Wattenmeer wegen Schlamm und Wind etwas globetrottelig passendes hat.
Irgendetwas aber schlug die andere Richtung vor. An die Ostsee. Ans angeblich einzige Fjord Deutschlands. Unter einen Erdbeermond an der Schlei. Schlei!? Bin ich noch nie gewesen…

Der Campingplatz Wees liegt in Missunde, einem kleinen Dorf mit hutzeligen Reeddachhäusern, wilden Blumen und Schafen in den Vorgärten, einem Hünengrab und einer Fähre nach Brodersby.

Broders- bitte was? Brodersby?! Das kann doch nicht sein!?
Und plötzlich klappt eine Erinnerungskaskade im Kopf auf.

Das kleine Bauerndorf Brodersby –nahe bei Schleswig, weit weg von allem anderen—ist für mich Schauplatz unvergesslicher Kindheitserinnerungen gewesen. Die schönsten Bauernhofgeschichten, die ich live erleben durfte; Erinnerungen, die bis heute jeder meiner Hofphantasien ein Gerüst geben, ein inneres Bild.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte der alte Hof der Familie Greve. Mama Frauke –viel eleganter, als man sich jemals eine Bauersfrau malen würde– bewarb sich in den 80ern bei Dieter-Thomas Hecks „Die Pyramide“. Sie wurde genommen und durfte spielen –gemeinsam mit der Stimme von Alf—gegen meinen Papa, der mit Schwester Elke aus der Schwarzwaldklinik antrat. Frauke gewann die Show und wir als Familie gewannen neue Freunde. Freunde im Norden, die auf einem alten Bauernhof lebten.

Bis heute rieche ich das frische Heu. Ich kann die Wärme der Eier in der Hand fühlen, die wir aus dem Hühnerstall klauten. Noch immer höre ich das Maunzen der kleinen Katzen im Ohr, die wir aus der alten Scheune retteten. Das pieksende Stroh unter nackten Füßen, der feuchtnasse Geruch des Schmutzfangs am Hintereingang, der Geschmack des „falschen Hasens“ im knorrigen Esszimmer, das Schnaufen der Bullen in der Scheune.
Es ist klar, wie wir diesen Tag gestalten…

Unser Weg führt uns zu Fuß mitten in die Vergangenheit. Wir nehmen die Fähre über die Schlei, Brodersby begrüßt uns mit einem kleinen Leuchtturm. Vorbei an Reeddachhäusern, über eine tiefgrüne Landstraße, an der Mitfahrbank weiter geradeaus über die welligen Felder.

Es sind 5km zu Fuß und über 35 Jahre zurück, um herauszufinden: Den Hof gibt es noch immer. Verkauft und saniert. Im alten Bullenstall befinden sich heute moderne Ferienwohnungen, der Heuboden aber atmet noch die gleiche Luft aus wie vor beinahe vier Jahrzehnten. Und auch ich habe mich kaum verändert – sagt mein Herz und läuft über.

Frauke können wir heute leider nur noch auf dem alten Brodersbyer Friedhof besuchen. Eine alte Dame führt uns zu ihr.

Danke, liebe Frauke, für diese wunderschönen Erinnerungen. Es war eine so schöne Zeit, damals. Vielleicht spielst Du mittlerweile ja wieder gegen Papa im Himmel … und dann lacht ihr beide wie verrückt, weil´s im Endeffekt ja immer ein Spielen mit- und niemals gegeneinander ist. Auch das ein schöner Gedanke. Ihr zwei zusammen dort oben, während wir anderen hier unten noch die Stellung halten.

Nach dem Friedhof gibt es für uns nur noch ganz viel Leben: in der Sonne über die Felder, die Schlei wirft windige Wellen. Ein Rhabarbarkuchen selbst gemacht mit Stangen aus dem Garten des „Geeler Kroogs“ mit ordentlich Sahne, danach Fischbrötchen, die hier natürlich als „vegan“ getaggt werden. Nur das Hünengrab am Rande von Missunde erzählt noch von gestern: ein vorvorgestern, das knappe 4000 Jahre alt ist. Das macht nicht mehr melancholisch, weil viel zu viel Auferstehungen zwischendrin passierten.

Zurück auf dem Campingplatz haben „Kuschelcamper“ neben uns eingeparkt. So nah, dass wir nicht mal mehr den Kofferraum öffnen können, auf einer leeren Wiese, die so groß wie ein Fußballfeld ist. Menschenherz – wie unterschiedlich kannst du sein.

Danach kommen die Zirkuskinder: ungefähr fünfzig an der Zahl. Wir wechseln den Ort, ohne uns bewegt zu haben: von der besinnlichen Schlei mitten hinein in ein wildes Jugendzeltlager.

Dank Telekomflatrate zur EM können wir das heutige Em-Spiel im Magicbus streamen. Wir freuen uns für die Schweizer Underdogs und die deutsche Mannschaft gleichzeitig und staunen darüber, dass für manche beim Sport der Spaß schmerzlich aufhört.

Ach Menschenherz – wie unterschiedlich kannst du sein.
Ein Sammelsurium aus Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen.
Und ich rieche den Heuboden der 80er.
Brodersby – hier bin ich schonmal gewesen…

Was in der Zwischenzeit geschah…

Aus der höchsten Ortschaft des spanischen Festlands geht es für uns fußfreundlich mit dem Bus zurück: einmal retour durch die weißen Dörfer der Alpujarras, einmal im Schnelldurchlauf unsere gesamte Wanderschaft zurück.Abschiedstage in Capileira: einen letzten Hauch der südlichen Sierra Nevada im Herzen einatmend, bevor schlussendlich das azurblaue Meer nach uns ruft.

In Salobrena beziehen wir für eine Woche das höchstgelegenste Appartment der ganzen Stadt: 207 Stufen hoch, dafür mit einem grandiosen Ausblick über die ehemaligen Zuckerrohrfelder, die Bausünden der Costa del Sol fast außerhalb unserer Sichtweite. Kompensatorisch wird dafür direkt vor unserer Haustür gebaut. Die Treppe muss lautstark erneuert werden, harte Jungs schuften bei 27 Grad im Schatten, die Wände atmen tropische Feuchtigkeit aus. Und genauso riecht es.
Als eine der wenigen im azurblauen Meer baden, der Strand ist nur vorsaisonsbelegt. Chouchou holt Wassereis und hält einen Zeh ins Wasser. 90er Jahre Strandliegen und Aperol unter Palmen.

Den Vogel aber schießt schlussendlich unser nächster Halt ab: Torremolinos.
Auf der Suche nach einem flughafennahen Stopp finden wir die zahlreichsten Unterkünfte in diesem Dorf, das uns bis dato noch kein Begriff ist. Torremolinos. Erst bei Anreise lernen wir, dass wir mitten in der Bettenburg-Touri-Metropole der Costa del Sol landen: Der Strand zugepflastert mit grauen Hochhäusern, in den Kiosken wird 1€-Schröddel feilgeboten. In den 80ern gab es ein Computerspiel, dass sich „Terrormolinos“ nannte. Ziel: die Stadt so bald als möglich zu verlassen.
Terrormolinos: „wish you where here … instead of me.“

Trotz allem kommt alles natürlich gut. Weil die Globetrottels sonst nicht die Globetrottels wären. Unser Appartment ist eine unschlagbare „crème de la crème“, die Gastgeber charmant bis zum get-no. Wir kommen pünktlich zur Pride-week: Torremolinos bebt unter der Feierfreude der gay-community und wir stürzen uns mittenmang. Anfeuern beim Highheels-Wettlauf, schwule Hunde-Wettbewerb, Parade und Travestieparty am Abend. Ich verliebe mich in ein schwules Einhorn, die Welt ist gut zu uns.

Flug nach Basel, Zug nach Zürich zur best durchgeyogasten Frau von Welt: mein MukiSpuki. Ein erstes Nachhause-kommen. Weil Spuki immer zu Hause ist. Egal wo.

Weiter geht’s nach Basel zu Pia und Werner. Ein weiterer Besuch, der so überfällig war. Und genauso schön wie immer wird.

Der Zug in Richtung Bonn: eine Dauerwerbeveranstaltung für Autofahren, Fliegen, Radeln, Laufen und Paddeln. In Offenburg verweigert der Zugführer die Weiterfahrt, so lange nicht Menschen aus dem gnadenlos überfüllten Abteil wieder ausstiegen. Eine Klasse Kinder quetscht sich unter die Sitze, alle Menschen über 20 starren stoisch vor sich hin. Stillstand – so lange bis den ersten nach 45 Minuten die Puste ausgeht und der Viehtransport doch wieder ruckelnd anfährt. Der Herr hinter mir hustet Bröckchen, wer nun zur Toilette muss hat auf ewig verloren.

Bonn. Viele wichtige Menschen müssen nach drei Monaten dringend gedrückt und geknuffelt werden. Mama hat Geburtstag, wir machen Wellness für drei zusammen mit Tante Edi. Die Rosensauna gehört für diesen Tag nur uns und einem verlorenen Eishockeyspieler. Lecker Essen für sechs, Gesichtsmasken und Prosecco. Der Hase läuft, merkste wat?

Ich verbringe eine letzte Nacht in Aalten.

Bärbel hat die letzten Monate bestens auf unseren Magicbus aufgepasst. Strahlend nehmen wir ihn in Eitorf wieder entgegen. Chouchou hat meine Wellnessabwesenheit genutzt und derweil mal wieder die perfekte Organisation unseres letzten, großen Trips auf dieser langen Reise in die Hand genommen: Skandinavien, wir können kommen. Mit einem aufblasbaren, neuen Tussiboot, das jeglichen Platz wegnimmt, die Taschen fliegen erstmal im Innenraum rum, als es endlich wieder losgeht. Rudi steigt wieder mit ein und auch TF 23 hat nun monatelang geduldig gewartet, dass es endlich wieder weiter geht. Nur Sir Hilly wird von Chouchou aus dem Team gewählt. Armes, untotes Einhorn.

Im Kickstart geht’s nach Bremen: mit einem wunderschönen und spontanen Familientreffen am Abend.

In Hamburg krabbeln wir für eine Nacht bei Claire unter und erleben das Klavierkonzert eines aufstrebenden Genies.

Mit einem Herzen –vollbeladen mit Liebe—können wir uns nun ein letztes Mal loseisen: von Zuhause raus in die Welt. Mittendrin in Europas letztes, echte Wildnis.
Wir könnten nicht bereiter sein.

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