Wir lassen uns beim Auszug aus unserem „Spanner-schläft-alleine“-Appartement sehr viel Zeit. Auch die zweite Nacht ohne einander war nix. Um halb eins habe ich das zweite Buch angefangen, um zwei dann Feuerwerk vom Balkon aus geschaut, da ich einfach nicht einschlafen konnte.
Um elf müssen wir raus. Und haben so sehr im Tran getrödelt, dass wir tatsächlich etwas von unseren wenigen Habseligkeiten vergessen. Das ist noch nie passiert. Nun werde ich bis zu Hause keine Gesichtscrème mehr haben: die heilige Paste, die Spuki extra für mich im Flieger nach Tromsø importiert hat. Im Endspurt wird es damit möglicherweise auf diesem Blog noch einen Facemorph zu erleben geben: Trockener Gesichtsfrankenstein kehrt heim. Wie gut, dass wir keinen Spiegel im Magicbus haben.

Um Kaunas zu verlassen müssen wir einmal noch über die Memel. Der Magicbus kreischt sich tapfer über die Brücke. Wie immer sind seine ersten fünf Tagesminuten die schlimmsten. Wer kennt es nicht?! Vor Schreck, wider Erwarten doch noch am leben zu sein, fährt er –quasi postbrückal—erstmal in den Gegenverkehr. Zu Recht werden wir damit auf den letzten Kaunaskilometern bösartig ausgehupt von allen Entgegenkommenden.
Aber nicht nur der Magicbus hat heute Morgen Probleme, angemessenes Verhalten im Straßenverkehr zu mimen. Die Litauer*innen fahren auch wie die Berserker.
Vielleicht liegt das ja am Katholizismus? Je gläubiger die Menschen, desto dynamischer fahren sie Auto!? Siehe Indien.
Vielleicht lässt die Hoffnung auf ein Jenseits grundsätzlich etwas wagemutiger leben?! Das wäre doch mal ein guter Werbeslogan, wenn man als Glaubensgemeinschaft um neue Schäfchen wirbt…

Nach achtzig Kilometern Autobahn erreichen wir die polnische Grenze mit sehr vielen Straßenlampen.

Erste Hügel wellen sich, ein paar gutmütige Kühe liegen wiederkäuend auf saftigen Wiesen. Hübsch hier, richtig „Landschaft“.

Wir biegen von der Autobahn ab und pesen weitere hundertfünfzig Kilometer auf polnischen Landstraßen vor uns her. Durch sehr viele kleine Dörfer – ein jedes mit geschmücktem Wegekreuz am Ortseingang–, …

…an sehr vielen leeren Storchennestern vorbei – wo auch immer die alle hin sind?!

Dafür, dass wir (mit Verlaub) am „Arsch von Polen“ sind, ist es hier ziemlich dicht besiedelt.
Stundenlange Dörfchendurchfahrten, in denen wir aber keinerlei Menschenseele sehen.

Es folgen weich geschwungene Alleen, ein wenig wie in einer östlichen Toskana.

Erste Seen tauchen auf und wir lernen, dass Polen –nach Finnland—die größte Seenlandschaft Europas besitzt.

Hinter dem Bauerndorf Harsz müssen wir links: Wellblechpiste auf Asphalt. Das gibt es nur in Polen.

Unser erstes polnisches Camp liegt in der Woiwodschaft Ermland-Masuren. Natürlich am See.
Die Campingeltern sind erst ab 18h erreichbar, was nicht heißt, dass wir nicht empfangen werden.
Ein sächsischer Blockwart verfolgt uns über den gesamten Platz mit misstrauischen Blicken, als wir uns ein feines Plätzchen suchen, es würde mich nicht wundern, wenn er sich heimlich Notizen macht. Meine erhobene Hand zum Gruße erwidert er nicht. Es braucht drei fröhliche Hallos in Crescendo bis er mürrisch nickt. Unsere Platzwahl scheint ihm trotzdem nicht zu gefallen, dem Kapitän der Sachsentaxe.

Ach Heimat, wie nah du plötzlich bist. Auch alle anderen Gäste sind ausnahmslos deutsche Volksgenossen.

Der Platz selbst aber ist sehr schön. Unter sanft wiegenden Bäumen stehen wir auf weicher Wiese, ein Minisalamander kommt uns besuchen, die Sonne scheint, der See schwappt leise in vierzig Metern Entfernung.

Das Wasser ist pipiwarm, klar und flach: erst nach hundert Metern Watschelwatgang ist der Bauchnabel unter Wasser, die Füße im weichen Sand und man sieht immer, was unter einem ist.

Unser erstes Mal Polen. Wir freuen uns.