Nachdem wir beide seltsam schliefen – ein jeder im seinem Bett—und zur gleichen Zeit mitten in der Nacht wach wurden, muss es am Morgen zumindest ein ausladendes Frühstück sein.
Getrennte Schlafzimmer in der Ehe –nee, dat is nix für die Globetrottels.
Wassermelone zum Frühstück hingegen schon.

Gucken wir uns heute also mal die City an. Hier dargestellt in kaunas´schen Blitzlichtern:
Das Herbstfest ist noch immer und schon wieder im vollen Gang. Die Litauer*innen essen rechts und links Schlachtplatte und Nutella- Fettbällchen zum Frühstück und trinken Bier aus überdimensionierten Reagenzgläsern dazu.

Über die längste Fußgängerzone Osteuropas flanieren wir in Richtung Altstadt.

Wie menschenfreundlich so etwas ist: zweieinhalb Kilometer lediglich Menschen, die zu Fuß unterwegs sind. Kein Autolärm, keine Straße dazwischen, an der man –dem Autoverkehr gegenüber Rücksicht nehmend– halten muss, statt Parkplätzen gibt es Cafés mit Außengastronomie. Autofreie Innenstadt ist ganz und gar nicht woke oder grün – sie ist (wie banal!) ein philanthroper Akt.

Bevor wir zu den kulturellen Highlights der Altstadt stürzen, muss ich zuerst im Secondhandshop „Gausa“ Halt machen. Angefixt in Helsinki von wild-verrückten Altkleidern, kann ich ein solches Geschäft in Litauen nicht einfach links liegen lassen. Weil vielleicht ein Kleidchen mit Geschichte dort drinnen auf mich wartet, mit der Bitte, ihm ein neues Leben zu schenken.
Und tatsächlich werde ich fündig. Sehr sogar!

Innerhalb von dreißig Minuten bin ich stolze Besitzerin einer neuen Handtasche (orange), eines Wollpullovers (graubraungelb), einem Blusenkleid (mit dem tiefsten Ausschnitt, den ich jemals getragen habe) und eines Tüllrocks (natürlich rosa!). Macht 34 Euro insgesamt, bitte. Und Chouchou bekommt eine Medaille: als geduldigster „Mitshopper“ von Welt.

Weiter die Fußgängerzone hoch in Richtung Zusammenfluss von Neris und Memel liegt die Kathedrale St. Peter und Paul.

Ein katholisches Prunkstück, das von außen eher unspektakulär daherkommt, im Inneren aber lange seines Gleichen suchen muss. Der Innenraum gleicht einem barocken Wimmelbild – mit einem gigantischen Hochaltar, der unter den donnernden Klängen einer überdimensional lauten Orgel den Kopf einzieht.

Himmlischen und Irdischen wird hier gleichermaßen gedacht: für Johannes Paul, den II., gibt es nicht nur ein Gemälde, man hat auch eine seiner Reliquien ausgestellt.

Und: in dieser Kathedrale wird äußerst ernsthaft gebetet. Und das nicht nur als Einzelerscheinung.
Auf dem Hinweg hören wir die besagte Einschüchterungsorgel und sehen eine Taufvorbereitung.
Auf dem Rückweg platzen wir mitten in eine Trauung, an der eine von uns natürlich dringend teilnehmen muss.

Während mir vor Rührung Freudentränen in die Augen schießen, erhält Chouchou die zweite Medaille des Tages: als geduldigster „Mithochzeitsgucker“ von Welt.

Weiter geht’s am Rathaus und der Jesuitenkirche vorbei.

Dahinter liegt ein beschranktes Gelände, auf dem wir uns unbefugt verirren.

Wer sich einmal auf dem Hof des Priesterseminars von Kaunas verliert, kommt nimmer wieder raus. (Fast!)
Kurzzeitig erwägen wir, über einen Zaun zu fliehen, dessen Pfosten aber sind so brutal scharfkantig, dass wir es doch lieber sein lassen. Geläutert schleichen wir am imposanten Außenkreuz vorbei,

…zurück durchs beschrankte Eingangstor, unter den Augen sehr vieler Sicherheitskameras, die uns schon die ganze Zeit moralisch beäugen: Freunde, hier gehört ihr ganz und gar nicht hin!

Kurz hinter der Statue von (mal wieder) Papst Johannes Paul, dem II. stehen wir im letzten Stadtpark der Stadt.

Hier fließen Neris und Memel ineinander, hier wird gejoggt, geskatet und wild geklettert auf dem coolsten Kletterparcours, den ich je gesehen habe.
An der Spitze der Landzunge wartet ein einsames Boot auf Passagiere, der Fährmann aber schwebt in anderen Sphären.

Wir setzen uns auf einen Stein und schauen dem fließenden Wasser hinterher, das unbeeindruckt um die kunstvolle Memelstauung herum fließt.

Halbzeit. Von hier aus geht den gleichen Weg wieder zurück nach Hause.
Auf dem Rückweg schlappen wir noch an Kaunas´ Burg vorbei…

…einem coolen Zwerg, der müde-verdrieslich aus der Wäsche schaut,litauischen Lebensweisheiten hinter Glas, tierischen Grafittis und Kunst anhand von Massen-Fisch-Köpper auf Platte.

Noch tausend Schritte weiter gehen wir essen: Quesadillas, Burritos, Salat und Cheesy Fries. Fast bis zum Platzen.

Das einzige, das für den Rest des Tages noch reinpasst, ist augenscheinlich nur noch ein starker Espresso pro Bauch. Mehr geht nicht.

Die Trauung kommt noch – siehe oben. Und ein zweites Fest: das Fest der Kulturen am ehemaligen Präsidentenpalast.

Menschen aus aller Herren Länder kommen hier zusammen, um ihre Diversitäten zu feiern.
Wir hören undefinierbaren Klagegesang, sehen mexikanische Schönheiten in Vollmontur, sind Gast in einer usbekischen Jurte.

Eine Dame aus Syrien malt Vorbeiflanierenden Hennatattoos auf die Pfoten. Eine von uns will das natürlich auch. Und Chouchou erhält die dritte Medaille des Tages: als geduldigster „Mitinterimstätowierter“ von Welt.

Kaunas ist eine herrliche Stadt zum draufschauen. Quirlig, bunt, lebendig, international.
Von allen drei Städten des Baltikums, die wir besuchen durften, gefällt Kaunas uns am allerbesten.
Vielleicht, weil hier unaufgesetzte Bewegung zu herrschen scheint, weil der spärliche Tourismus in einer alltäglich lebendigen Masse untergeht. Möglicherweise wirkt es dadurch echter!?
Viel Welt in einer kleinen Stadt, in der –im Gegensatz zu Tallinn und Riga– keine Kreuzfahrtschiffe einlaufen können. Sondern nur kleine Memelkreuzer.
Das hat durchaus auch Vorteile…