Nach einer heißen Außendusche geht es für uns heute hinaus aus unserem Apfelgärtchen.

Über Litauens größte Autobahn A1 düsen wir weiter in Richtung Südosten. Eine äußerst professionelle Autobahn, 200 Kilometer lang. Eine ziemlich langweilige.

Das einzige, das auf dem Weg innerlich bewegt ist ein wilder Fluss zur Rechten, der so schnell vorbeifliegt, dass ich es nicht schaffe, ihn zu fotografieren, riesige Vögel auf Wiese, die ich mit der Linse erwische und unser Kaffeestopp.

Eine mürrische Dame serviert hier den unterhemdentragenden Fahrern der donnernden LKWs dicke Linsensuppe mit Einlage und Tomatensaft mit Schuss. Wir nehmen mit einem Kaffee vorlieb und können ihr mit viel Einsatz ein sehr zaghaftes Lächeln entlocken.

Kaunas.

Litauens zweitgrößte Stadt, Litauens ehemalige Hauptstadt, von der ich –-bis vor zwei Tagen– noch nie in meinem Leben gehört habe.
Da wir es auf dieser Reise nicht bis Vilnius schaffen, aber trotzdem etwas litauisches Stadtleben einatmen wollen, muss es also Kaunas für uns rocken: das urban lithuanian feeling.
Wie schon in Tallinn und Riga, gönnen wir uns auch hier ein Appartement. Weil Stadtcamping doof ist und baltische Preise für uns gerade noch erschwinglich:
Unsere Bleibe heißt „Observation deck“. Dem Namen nach ein Etablissement für Spanner oder Spione, möglicherweise wird aber auch nur ganz harmlos auf die Aussicht vom Balkon Bezug genommen. Von unseren zwei Schlafzimmern können wir über die Neustadt schauen. Getrennt.

Nach vielen Monaten des Reisens kommt man ja auf einiges, auf eines aber wären wir wohl nie gekommen: dass ein Appartement für 2 auch mal zwei Schlafzimmer à zwei Einzelbetten bedeuten kann.

In Kaunas also wird getrennt geschlafen. Es sei denn, wir machten uns beide ganz, ganz klein. Nach fast neun Jahren Ehe und über einem Jahr Magicbusmatratze ist das leider unmöglich. Also heißt es nun zwei Tage: Globetrottels Einzelhaltung.

Unsere initiale Absprache, dass wir die Stadt erst morgen besichtigen, wird nach zwanzig Minuten Kaunas gebrochen. Weil in der Neustadt Herbstfest ist.

Bei unserer wilden Anfahrt haben wir durch Zufall die Stände gesehen, natürlich hält es eine im Globetrottelsteam danach nicht aus, den Nachmittag nur drinnen zu verbringen. Und schlussendlich müssen wir auch nur einmal am Elefanten vorbei, durch den Hinterhof und sind ja auch schon da. Ist gar nicht weit, Chouchou…

Auf der längsten Fußgängerstraße Osteuropas –fünf Minuten zu Fuß von unserem „Spanner-schläft-alleine-Loft“– finden wir (unübertrieben) mindestens hundert Stände mit litauischem Kunsthandwerk, Nippes und Köstlichkeiten.
Wohlgedresste Menschen flanieren vor der Erzengel-Michael-Kirche der Stadt auf und ab – in großer Hoffnung, auch wirklich von allen gesehen zu werden.

Ein gänzlich anderer Chique als der, den wir aus Mitteleuropa kennen. In Estland und Lettland ist uns das nicht aufgefallen, hier aber ist die Fremde und die doch noch weite Entfernung von zu Hause plötzlich unübersehbar.

Auf einer Bühne wird Heimatfolklore zum Besten gegeben. Die Zuhörenden sind meist Frauen um die 70, die beschwingt mitgehen – in den Texten ihrer Kindheit.

Ein Paar tanzt, eine Lokalpolitikerin schreitet durch die Reihen, schüttelt Hände und verteilt ihr Wahlprogramm. Wie schade, dass sie bei uns nicht Halt macht: ich hätte gerne ein Selfie mit ihr gehabt.

Mit einem paar Ohrringen reicher verlassen wir den Markt.

Um morgen genauso wohlgedresst wie die Kaunaserinnen die Welt zu erobern.
Ich bin gespannt, was wir sonst noch so finden werden – in Litauens ehemaliger Hauptstadt.