Eine prima, erste Zeltnacht in Sabines Zaubergarten, den wir auch am Morgen noch immer ganz für uns alleine haben.
Alles bestens, mehr als das! — wenn denn meine Nebenhöhlen nicht wären.
Alle finden Zelten super, nur die empfindlichen Höhlchen mochten die 8 Grad nachts anscheinend gar nicht.
Mal wieder machen sie dicht. Nach acht Wochen Ruhe. Eine sehr, sehr nervige Aktion von ihnen. Aber eine wirkungsvolle.

In den letzten Monaten haben wir auf die harte Tour gelernt, wie mächtig so Hohlräume im Kopf sein können. Und dass kleine Beschwerden ganz schnell zu ganz fiesen Großen werden können, wenn man nicht auf sie hört.
Schweren Herzens also entscheiden wir uns, in der nächsten Nacht wieder auf feste vier Wände umzusteigen. Einzig und allein fürs Riechhirn: das älteste von allem. Doofkopp. Mächtiger.

Mit dieser Entscheidung wird unsere Strecke gleich fünf Kilometer kürzer. Bis zum nächsten Camp wären es 28km gewesen, so laufen wir heute also nur 23km bis zum Chambre d‘Hôtes in Miradoux. Immerhin bei 27 Grad. Und die meiste Zeit ohne Schatten. Eine ganz neue Herausforderung: am lebendigen Leibe gebrutzelt werden. Ist fast wie Hummer ins kochende Wasser zu werfen. Wir laufen heute also in Gedenken an alle armen Lobster der Welt.

Kurze Runde durchs nette Auvillar:
Ufolandestation mitten im Ortskern (getarnt als „Kornkammer“), kleine Figürchen wachen über enge Gassen. Großer Uhrenturm am Ende der Uhrmachergasse. Frühstück holen wir uns um 11h aus dem Supermarkt: eindeutig zu spät an einem Grillsamstag.

Auf dem Weg (meist schattenfreier Asphalt) treffen wir eine Familie mit Esel.
Sie sind erst heute losgestartet: hochmotiviert. Mit sechs Kleinen, einem Kinderwagen und eben diesem Esel.
Wir staunen mit großen Augen. Herzen öffnen sich: Wie toll ist es bitte mit einem Esel zu pilgern!? Herzliche Glückwünsche wechseln den Besitzer.
Der Neid hält jedoch nicht allzu lange an.
Nach einer Kaffeepause hoch oben über den ersten Wellenzügen der „französischen Toskana“ geht’s runter auf den Acker, dann rein ins Gras, dann in den Matsch, bevor ein Flüsschen den Weg versperrt. Selbst ohne Kinderwagen eine Herausforderung. Geschweige denn mit Esel…

Nachdem Chouchou leichten Fußes über glitschige Baumstämme das andere Ende des Bachs mühelos erreicht, ziehe ich lieber die (erneut komplett eingesauten) Ons aus, werfe sie rüber und passiere beherzt durchs Wasser mit Plastikschlappen.
Die Kinder staunen nicht schlecht, der Sechsjährige greift den Zweijährigen aus dem Kinderwagen und rettet ihn —schlecht gegriffen, aber immerhin trocken—barfuß übers Nass. So schweben noch drei weitere kleine Menschen über den Fluss, nur einer, der bewegt sich keinen Zentimeter. Der Esel.

Um allen Beteiligten die Schmach des Zuschauens zu ersparen gehen wir nach (zugegeben)!sehr glotzendem und verzögertem Schuhe-wieder-Anziehen langsam weiter. Neugierige Pause nach zwei Minuten im sparsamen Schatten muss dann trotzdem sein: doch die Eselfamilie ward nie mehr gesehen.
Ich stelle mir vor, wie sie noch immer dort unten an der Furt stehen (die Sonne ist lange untergegangen) und sich so langsam beginnen zu fragen, ob die Sache mit dem Esel wirklich eine so gute Idee gewesen ist…

Stopp in Saint Antoine um kurz vor zwei (Antoine: in Gedenken an den unvergessenen König des Milchtritts aus Banyuls).
Wir bekommen die besten, kalten Colas der Welt. Die Hitze hat mittlerweile ein Großteil des Frontallappens kleingeprügelt. Wir sind fertig mit den Nerven und die Temperatur steigt noch immer. Wer aber kommt locker wippend ums Eck!? Genau. Die Wickelkindbande ist zurück. Incroyable….

Die letzten Kilometer bis nach Miradoux sind wie Taumeln auf Herdplatte:
Der Asphalt ist vom Tag nun gänzlich hitzeaufgesättigt. Niemand Lebendes bezweifelt ab nun mehr, dass dieses glühende Gestirn am Himmel wahrhaft töten kann. Die Globetrottels geröstet in den französischen Toskana. Durch, aber nicht mehr knusprig. Feuermelderköpfe, verzweifelt mit einer weißen Salbe beschmiert, die mittlerweile nur noch bröckelt.
Selbst die perfekte Pusteblume an Wegesrand hat eigentlich keine Kraft mehr ihre Schirmchen zu halten. Da aber kein einziger Windhauch geht, bleibt das Federbüschel aus purer Hitzelethargie einfach stehen. Kann nicht mehr, will nicht mehr. Unter dieser Sonne wird heute nicht mehr geflogen, mein Löwenzahnbürschchen.

Nach 23 Kilometer klingeln wir knallrot bei Marilyn und Michel.
Wir fassen zusammen: Nase will zelten nicht mehr, der Rest von uns will kein Gîte, Hotel gibt es weit und breit nicht, also bleibt uns nur noch eins: abbrechen oder „Chambre d‘ Hôtes“. Heute also letzteres bei Marilyn und Michel— gleich neben ihrem Wohnzimmer.

Oft sich ja die Partys die besten, auf die man am Anfang so gar keinen Bock hatte.
Ähnlich ist es heute hier.
Wir sneaken uns zum „Abendessen“ ins Dorf: die „Restaurants“ auf MapsMe gibt es natürlich nicht, so dass wir Brot mit Käse auf dem Supermarkt neben der toten Kirche mümmeln müssen. Egal.
Hauptsache, es macht satt und hält die Übergangsfigur.
Als wird zurück kommen, stellt Marilyn und ein Bier in die Aussicht: französische Toskana in sanftes Abendlicht getaucht. (Allerdings hat es —verglichen mit Italiens süßer Hügelwelt— das zehnfache an Insekten hier.)
Die Hitze lässt langsam nach und tatsächlich landen wir abends dann doch noch auf ihrem Sofa.

Das, was sich in der Vorstellung erstmal so schwer anfühlte, kann plötzlich ganz federleicht sein. Manchmal nicht so viel denken…
Wie gerne würde ich das jetzt dem Esel flüstern, der bestimmt noch immer am Bächlein steht ohne auch nur einen schnöden Gedanken daran zu verschwenden, einen Huf vor den anderen zu setzen: „Federleicht? Ich bin doch keine Pusteblume.“
Unter dieser Sonne kann heute vielleicht doch noch geflogen werden, mein Löwenzahnbürschchen. Manchmal nicht so viel denken….