Wie immer später Abgang aus Moissac mit Ei zwischen den Zähnen und geschmierten Baguette in der Tasche. Heute meint es der „Chemin“ sehr gut mit uns:
24 Grad und Sonnenschein, 22km ohne einen einzigen Höhenmeter, 20,8km davon auf asphaltierem Radweg immer am Nebenkanal der Garonne entlang.
Man könnte beim gehen fast die Augen schließen.

Erinnerungen werden wach: an den Canal du Midi irgendwann in den 90ern. DePabels an der Schleuse, zwei Hollandräder in Carcasonne, verwaiste Städte, Essen von Welt, ein Nagel der eingeklemmt wurde und lange nicht zurück kam.

Heute gibt es den ganzen Tag nur ein einziges Flussboot. Wehmütig schaue ich ihm nach. Voraus gesegelt, – wir laufen mit wehen Füßen hinterher .
Irgendwann m, Kapitän, werden wir einander Wiedersehen. Spätestens im Hafen.

Irgendwann tapst Claire vor uns. Sie hat ihre Schuhe nicht reparieren lassen und wird nun bis Lectoure schlappen müssen. Eine Entscheidung, die auf dem Radweg bei jedem Schritt knallt.
Sie habe über meine Worte nachgedacht, sagt sie. Dass alle Religionen doch eigentlich ein und das Selbe eines großen Ganzen seien.
(Am Rande: das ist übrigens auch kein Top-Gesprächseinstieg in Pilgerherbergen: alle Religionen als einen Brei zu bezeichnen. Es folgt als großes No-Go-Thema gleich nach Napoleon. Ich habe es selbst getestet.)
„Non!“ sagt Claire, ich täusche mich. Denn nur die Christen würden die Nächstenliebe in den Mittelpunkt stellen.
Wie gerne hätte ich nicht nur jetzt so viel mehr französische Worte.

Als Nächste treffen wir die Wickelkindfamilie wieder. Natürlich sind wir wieder vor uns. Es ist unglaublich: eine Rasselbande Superhelden. Die Pampers wird heute auf dem Radweg gewechselt, Muschel um Kinderhals klackert und ab.
Ein Minidrachen flitzt vorüber, zartrosa Blüren sind auch da.

Irgendwann erreichen wir dörrobstgleich Auvillar. Genau genommen nach 22 Kilometern, die letzten vier davon im prallen Sonnenschein auf Landstraße. Zwei Türme des Atomkraftswerks zaubern einen Hauch Dystopie: Sonnenstrahletag in der Heimat der Gönsestopfleber.

Da erste mal auf dem Camino dürfen wir heute zelten. Bei Sabine im Hippiegarten mit Aussicht auf Garonne und die Türme.
Sabine ist eine Zauberfrau. Sie hat hier in Auvillar einen Ort kreiert „den ich als Zeltende immer gerne gehabt hätte“.
Ein Ort, der nicht nur alles hat, was Zeltende gerne hätten, sondern obendrein einen ganz hervorragenden Spirit. Wie man ihn selten noch findet. Ein Traumcamp.

Heute haben wir den gesamten Garten für uns alleine. Mit offener Küche und Dusche und eigenem Toilettchen. Auf Vertrauensbasis.

Unser Tütenzelt im Look von Plastiksack steht schnell. Jetzt braucht es nur noch etwas zu essen im Paradies. Dabei stellen wir uns an, als seien wir das erste Mal außerhalb von Bonn. Alle Details hierzu sollen verschwiegen bleiben, damit die Fremdscham nicht allzu sehr überhand nimmt.
Verraten werden darf eins: nach zwei Stunden bekommen wir das einzig vegetarische Essen im Ort. Verpackt und schon fast wieder kalt.
Nicht, dass wir es hätten mitnehmen wollen, aber sei es drum. So geht es manchmal,
„Wenn jemand eine Reise tut
so kann er was erzählen,
drum nehm ich meinen Stock und Hut“
und schweig. Ich kann’s ja wählen.