Unterwegs im Magicbus

Monat: Juni 2023 (Seite 1 von 3)

Die Globetrottels: Shy dancers

Es gibt eine Sache, die beiden Globetrottels –bei allen charakterlichen Unterschieden—gleichsam schwer fällt: ein „bis drei Nachmittags nichts zu tun“. Heute stellen wir uns eben dieser Herausforderung, denn unser Programm soll an diesem Donnerstag vorher nicht losgehen. Füße stillhalten in der Wuselwelt. Einfach ist das für uns nicht.
Gespoilert darf werden, dass wir es trotzdem schaffen.
Zugegeben lag ein 6 Kilometer Spaziergang davor. Mit ganz viel auf gewidmeten Bänken sitzen und auf den Fluss starren und quatschen. Über die wichtigen Dinge im Leben. Über Bänke zum Beispiel, die meist sehr jungen Toten gewidmet sind. Im Yukon wird man nicht ganz so alt wie in unserer Rundumsorgloswelt mit Notarzt rund um die Uhr und einem Klima, das wir noch als „gemäßigt“ bezeichnen. Als männlicher Angehöriger der First Nations schafft man es im Yukon im Durchschnitt 67 Jahre am Leben zu bleiben. Ein sogenannter „non-aboriginal Yukoner“ schafft es 8 Jahre länger – und immer noch vier weniger als bei uns. Allein diese Statistik spricht Bände bezüglich der Gesundheitsversorgung und auch –probleme der Menschen der First Nations.

Um 15 Uhr geht dann endlich unser Programm los: Donnerstag ist Farmers Markt in Whitehorse.

Wir stürzen uns Hufen scharrend mittenmang, flanieren, spazieren, lustwandeln, schlagen uns die Bäuche voll und schlummern dann eine Runde im Schatten. Danach gibt es als Belohnung lokal gebrautes Bier („a beer worth freezing for“) und lokale Livemusik im Sonnenschein. Perfekt um einen Tag zu starten – mittlerweile nachmittags um halb fünf.

Die junge Musikerin ist engagiert, laut und leidenschaftlich. Obendrein meint sie es gut mit unserem Zeitplan. Um zehn vor sechs legt sie ihre Klampfe ins Gras, das passt, denn wir müssen weiter ziehen. Um sechs fängt die Eröffnungs-Zeremonie des Adäka Kulturfests – der hiesigen First Nation—an. Das kann natürlich nicht ohne die Globetrottels von Statten gehen.

Auf dem Adäka Kulturfestival feiert die in Whitehorse ansässige First Nation eine Woche lang den Reichtum ihrer Kultur. Eine gänzlich untouristische Veranstaltung, wie wir schnell herausfinden werden. Außer uns sind Hunderte von Menschen in einer abgedunkelten Halle zusammengekommen, außer ein paar augenscheinlich esoterischen Winnetoufreaks sind außer uns keine weißen Menschen dort. Auch Bände sprechend, diesmal bezüglich der Mischung aboriginaler und non-aboriginaler Lebenswelten vor Ort.

Für uns soll dieser Abend ein bewegender und berührender sein. Dreimal dürfen wir fernen Musiken lauschen – von modern interpretiert über rockig bis traditionell.
Innerlich mit allem mitgehen, das geht. Nur mittanzen, das trauen wir uns dann leider doch nicht.

Fischtreppe, Keller-Trevor und ZZ Top als Nachbarn

Mittwoch, 28.6., weit nach Mitternacht:
Es ist so schön, wenn die Sonne gar nicht mehr untergeht. Wenn man gar nicht mehr schlafen möchte. Weil der Tag endlos erscheint. Oder ist. Und das Leben dahinter genauso…
Wie sehr würde ich mir wünschen, dass es ganz genauso wäre: Endlos. Dieses Leben. Für all meine Liebsten und manchmal auch für mich selbst. Weil die Welt so voller Wunder ist – und alle wollen gesehn werden. Endlose Weite, Bären in freier Wildbahn, Mitternachtssonne… zum Beispiel.
Das Rad der Zeit aufhalten, indem man einfach nicht mehr schlafen geht…das wäre doch was! Und so fällt es mir Tag für Tag schwerer einfach ins Bett zu gehen. Es gibt keine Nacht mehr. Wir alle wachen unter dieser Sonne. Und das, was bleibt, ist endloses Leben. Mit geöffneten Augen.

Mittwoch, 28.6., 08:30h:
Schlussendlich sind wir doch irgendwann ins Bett gegangen. Nachdem das Eichhörnchen im Bulli war. Und die ersten Seelen an einem neuen Tag zum Arbeiten nach Whitehorse mussten. Irgendwann, vielleicht kurz nach drei, als die Sonne schon wieder vollendend aufgegangen war.

Nach dem ersten Kaffee spüren wir, wie gut die gestrigen 15 Kilometer zu Fuß getan haben. Sich endlich wieder ausgiebig bewegen nach 10000 Kilometern Magicbus fahren. Also machen wir das heute nochmal. Nur auf etwas abgewandelten Wegen. Und einen Hauch verkatert.

Kurz hinterm Staudamm liegt die größte Fischtreppe der Welt, vor allem bekannt für riesige Königslachse, die im Herbst stromaufwärts wollen. Im späten Nordfrühling sind vor allem kleine Forellchen vor Ort, die allerdings müssen sich richtig Mühe geben, die lange Leiter gegen den kräftigen Strom hoch zu kommen. Wackere Schwerstarbeit ohne zu Murren, die wir hier durch die Aquariumsscheiben beobachten dürfen. Hut ab, ihr fleißigen Fischchen. Wir sind froh, nicht tauschen zu müssen.

Danach spazieren einmal den Milleniumtrail ab – immer am Fluss entlang, der heute deutlich wilder als gestern fließt.

Fünf stramme Kilometer, dann gibt es als Belohnung erstmal bestes Katerfrühstück: Pizza und Donuts. Obwohl es deutlich nach Mittag ist. Anyway. Hauptsache alles für die Linie. Danach treffen wir Trevor.

Trevor arbeitet in einem Kellerverschlag. Als mehr kann man das dunkle, hutzelige Räumchen wirklich nicht bezeichnen. Trevor sitzt hier tief vergraben unter USB-C Kabeln und alten Ipads und wartet auf Kunden, die sich die steilen Treppen hinab trauen. Er ist genau der richtige Experte für das vor Wochen zerdepperte Apfeltelefon von Chouchou. Keller-Trevor, der erste, der bereit ist zu versuchen, das bunte Display (und alles dahinter) zu retten. Zu Applepreisen.
Trevor ist Großmeister im Multitasking. Beziehungsweise im „eine Sache anfangen, noch eine Sache anfangen, noch eine Sache anfangen…. und wo war ich jetzt stehen geblieben!?“
Neben der Bearbeitung der Zugangsdaten von Chouchous Telefon, dem Einpflegen des Auftrags in ein nur schleppend laufendes System, kann Trevor gleichzeitig mit Witzen um sich werfen und 100 Jahre europäischer Geschichte mit abhandeln. Dann ruft Dan an, dessen Tochter ihre Airpods verloren hat. Dan wird in einem Zug über Lautsprecher mit abgehandelt, neben Scherzen und History und Daten irgendwo einpflegen. Trevor ist anscheinend nicht nur auf vielen Hochzeiten gleichzeitig unterwegs, sondern nebenbei auch in allen Iclouds der Stadt. Unser Mann für digitales Fallobst.

Zurück in unserem Camp hat die Nachbarschaft mittlerweile gewechselt. Die Hells Angels aus Ohio haben mit ihren Harleys neben uns eingecheckt.
Das ist gut. Dann kann uns heute Nacht nichts mehr passieren. Beschützt von nachbarschaftlichen ZZ-Top-Bärten, die alles Böse fernhalten können.

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist …

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist:
…meist am sagenumwobenen türkisgrünen Yukonriver entlang . Eigentlich dachten wir, ab Whitehorse wäre der Yukon eher noch ein Flüsschen, müssen aber lernen–mit Nichten! Also doch kein ungeführtes Kanufahren für uns als blutige Anfänger. Erste Erkenntnis des Tages und ein Strich, statt Haken, auf der Löffelliste.

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist:
unter vollkommen angstbefreiten Möwen zu wandern, die als Bande einen Adler angreifen.Ich überlebe einen Winter bei minus 40 Grad ohne Jacke. Dann krieg ich jawohl auch den Eagle platt.

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist:
…einmal die Klippen hoch zum Ausguck, sich an den Drop-offs verlaufen, von einem Fuchs verfolgt und von Jerry aus Manitoba wieder auf den rechten Weg gebracht zu werden. Jerry trägt einen weißen Rauschebart und eine mit Panzertape geflickte Hose; in der einen Hand einen Stock gegen die Kojoten, in der anderen eine Leine, an der ein winziges Hündchen hoppelt. Jerry ist seit 1967 in Whitehorse: „I came young and foolish. And never left. As they say: If you once come to the Yukon, you might stay forever.” He did.

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist:
…die SS Klondike von außen zu bestaunen, wegen des SS hat sie bei uns allerdings bereits verschissen. Auch wenn das eine mit dem anderen rein gar nix zu tun hat.

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist:
…besonders in den indigenen Communities erneut zu bemerken, wie groß das Drogenproblem ist.
Junkies an den Ecken, schmuddelige Flyer mit Hilfsangeboten, die „Community health center“ brechend voll mit taumelnden Menschen. Stecknadelpupillen, Schlafzimmerblick, Benzobeugung. Der Supermarkt am Ortsende wirbt mit Naloxon-Kits unter der Ladentheke. Wenn wir wollten, hätten wir hier sofort sehr viel Arbeit.

Whitehorse in 15 Kilometern zu Fuß ist:
…trotz allem eine sehr menschenfreundliche Stadt zu genießen nach so vielen Tagen (wenn nicht gefühlten Wochen) der endlosen Einsamkeit. Es gibt Rad- und Fußwege, ein lottriges Kino, regenbogenfarbene Zebrastreifen und eine Transgender Flagge vor der Cityhall, bepflanzte Blumenkübel in der Fußgängerzone, liebevoll gestaltete Cafés, bunte First nations Grafittis an blättrigen Mauern und eine wirklich hilfreiche Lady in der Visitor Office, die obendrein eine Fuchsflüsterin ist. Aber psssst.

Wir fühlen uns sehr wohl in diesem Örtchen am Ende der Welt. Der Yukon hat knapp 40000 Einwohner auf einer doppelten Fläche von Großbritannien. In Whitehorse lebt die Hälfte der Gesamtbevölkerung.
Eine Ansammlung von 20000 wetter- und lebensgegerbten Menschen, die hart kämpfen und hart leben können. Menschen, die ihre Pforten der Welt gegenüber offen halten, trotz aller Beschwerlichkeiten. Selbstverständlich ist das nicht.

Obendrein sind wir auf dem Wohlfühlcamp Nr 1 gelandet.
Vor den Toren des Orts gibt es einen Platz, an dem eigentlich nur Zelte sein dürfen. Weil wir ein wenig raus aus der Monster-RV-Welt wollten, haben wir es trotzdem hier probiert. Einfach mal fragen. Und erneut Glück haben.
Weil wir so klein sind –und eigentlich auch nur ein Auto mit Zelt obendrauf– dürfen wir hier bleiben. Und weil die Stadt so nett ist, werden wir das für insgesamt drei Nächte tun.
Neben uns checken gerade die drei Mopedfahrer aus Illinois ein: laute Stimmen, lustige Geschichten im Gepäck und zum vierten Mal unterwegs nach Alaska.
Daneben steht Hans in seinem Zelt. Mit seinen knappen 70 wartet er auf seine Kumpels aus Süddeutschland, um vierzehn Tage den Salmon River zu erpaddeln. Danach geht’s ab zum Paragliden.
Ein freches Eichhörnchen tanzt auf dem Tisch und möchte Krumen vom Schweizer Sauerteigbrot haben.
Wir sind alle schon jetzt verbunden.

Whitehorse. Es ist ein nettes Zurückkommen in einen Hauch dessen, was wir einmal kleine Zivilisation nannten. Heute aber fühlt es sich wie die große, weite Welt für uns an.
Eine große, weite Welt nach 100 Jahren Einsamkeit…

Positionsbestimmung im Yukon

»74 Prozent US-Amerikaner, 10 Prozent deutschsprachige, 10 Prozent andere und nur ganz wenig Kanadier« sind hier unterwegs auf dem Alaska-Highway, so Steve, unser fröhlicher Caribou-Campgroundbesitzer – in seinem bisherigen Leben war er Banker in Luxemburg und hieß vermutlich Stephan, mit Zahlen müßte er sich also auskennen.
Und ungefähr so fühlen sich die letzten 1403 Kilometer trotz endloser Einsamkeit und grandioser Naturspektakel irgendwie auch an: Wir stecken in einem riesigen Treck von Lower-USA nach Alaska-USA, und alle Infrastruktur ist darauf ausgelegt, die riesigen Wohnmobile, oft größer als jeder Bus oder LKW bei uns zu Hause und meist noch mit einem größeren SUV um Schlepptau, hier unterzubringen. »Pull-Through«: Vorne reinfahren, hinten raus, größere Wendemanöver sind bei den Gefährten nicht drin. Unsere Nachbarn auf den Campgrounds daher meist Rentner, aus vermutlich sämtlichen US-Staaten kommend, wahlweise auf eigene Faust oder in geführten Gruppen reisend.

Die 10 Prozent deutschsprachigen Individualreisenden: Mit ihren hypermodernen Expeditionsmobilen (meist mit schweizer Kennzeichen) und offroad-getunten Land-Rovern auf der Suche nach dem großen Backcountry-Abenteuer, augenscheinlich jederzeit bereit, die Kettensäge rauszuholen und sich den Weg quer durch Sumpf und Wald zu schlagen – auf Expeditionsreise eben.

Und dann noch die Kanadier, von denen ist gar nichts zu sehen, die fangen vermutlich wirklich mit bloßen Händen den Grizzlys die Lachse weg und nehmen Wege, die uns nicht mal im Alptraum einfielen…

Und wo passen da die Globetrottels mit dem Magicbus rein, dem am wenigsten luxuriösen, abenteuerlichen oder gar geländegängigsten Gefährt weit und breit? Als die gefühlt Einzigen hier, die nicht jederzeit jedem mit den wichtigsten Reisetipps und -ratschlägen weiterhelfen und noch nicht einmal mit einer Axt umgehen können? (Letzteres kann zumindest unser süddeutscher Nachbar, selbsterklärter irischer Fallensteller und Outlaw, der sich von niemandem etwas sagen läßt – außer vielleicht dem Guide seiner geführten WoMo-Gruppe).

Egal, wir sind halt die Globetrottels und nehmen das mit den »Trottels« auch sehr ernst. Vielleicht staunen und freuen wir uns einfach weiter durch den Yukon, genießen die wunderschöne Weite, die Tierwelt und das Schauspiel der Mitreisenden. Und vielleicht machen wir uns auch auf die Suche nach dem Yukon abseits der Touristenprogramme – aber … das liegt vermutlich da, wo selbst der Schotter, und damit den Globetrottels ihr Mut und dem Bulli seine Offroadfähigkeit endet…

Soweit Chouchous kleine Gedanken zum Montag. Ansonsten geschah heute das:

  • 0:30 Uhr: Mit dem Bonner Amtsgericht telephoniert. Chouchou, kann seiner Ladung als Zeuge nächste Woche wohl eher schlecht nachkommen…
  • 1 Uhr: Schlafengehen obwohl taghell
  • 7:30 bzw. 9 Uhr: Aufstehen, Kaffetrinken, ins Internet gucken (Luxus!)
  • 10 Uhr: Umzug von Platz 22 auf 28 wegen alles ausgebucht hier
  • 11 Uhr: Im Bulli kramen, auf- und umräumen, nächste Reiseziele recherchieren, was Globetrottels halt so tun.
  • 13 Uhr: Chérie gibt Vollgas: Nochmehr Wäschewaschen und Bulli-Großputz – alles muss raus, alles wird sauber
  • 15 Uhr: Bulli wieder einräumen
  • 15:30 Uhr: Chouchou muß schwören, nicht mehr in den Bulli zu krümeln
  • 16 Uhr Mittagessen: Cheddar-Nüdelchen
  • 17 Uhr: Das übliche Nachmittagsgewitter zieht auf, ab jetzt Chillen im Magic-Bus

Shower – greater than Feuchttücher

Yukon: larger than life. Es ist nicht ganz unbescheiden, wie dieser Teil der Erde um sich selbst wirbt. Größer als das Leben selbst. Das Selbstbewusstsein muss man erstmal haben. Der Yukon hat es. Zurecht.

Tatsächlich sprengt unser erster Tag hier alle Dimensionen.
In den Prärien fühlten wir uns bei der Tornadowarnung ganz weit draußen, weit weg von allem, dabei lag die nächste Siedlung nur dreißig Kilometer weiter. In Waterton empfanden wir es als extrem weit, 120km zum Einkaufen fahren zu müssen.

Mittlerweile sind wir von der letzten Krankenstation 1200 Kilometer entfernt. Die lag in Dawson Creek. Das sind mit dem Magicbus drei Tagesreisen – wenn wir flott fahren.

„Emergency service“ gibt es im Yukon lediglich in der Hauptstadt Whitehorse – und 50 Kilometer drumrum. Ansonsten ist man in diesem Teil der Erde vollkommen auf sich alleine gestellt.

Diese Erkenntnis macht was mit einem. Was genau, weiß ich noch nicht. Ich werde es niederschreiben, wenn´s in Worte gefasst werden will.
Momentan ist es vor allem überwältigend. Mal wieder.
Chouchou sagte heute: Dieses Gefühl ließe sich kaum beschreiben, es ließe sich nur er-fahren. Ich glaube, das trifft es ein bisschen.

Auf den heutigen 450 Kilometern in Richtung Whitehorse schweigen wir sehr viel. Ruhiges und auch ehrfürchtiges Er-fahren dieses gigantischen Erdteils, larger than life.
Nur zweimal unterhalten wir uns etwas länger: einmal darüber, was es zu tun gäbe, wenn wir hier eine Panne haben sollten (beten?). Und einmal über die Diskrepanz mit dem eigenen Auto durch Indien –am dichtesten besiedelter Teil der Welt—zu reisen oder durch den Yukon –eine der entlegensten Gegenden dieser Erde.
Unglaubliche Glückspilze, beide Extreme erlebt haben zu dürfen.
Wir sind uns noch nicht sicher, welche Variante die abenteuerlichere ist…

Vorbei am Schwarzbär Nr 17, über die nächste Kontinentalscheide: die einen Wasser bitte gen Nordpolarmeer, die anderen bitte gen Pazifik. Danke. Einziges Nest auf der heutigen Strecke ist Teslin, das mit einer sehenswerten Kunstausstellung und Coffee to go wirbt. Nehmen wir beides. Die Kunstausstellung entpuppt sich als eine Ansammlung ausgestopfter Tiere, der Kaffee kommt günstig und tiefschwarz aus überdimensionalen Bottichen. People of First Nations an Tresen und Tischen, irgendwie riecht es hier bereits nach Beringstraße.

Am Highway Kilometer 1111 bittet ein Schild darum, keine Grizzlys aus dem fahrenden Wagen zu schießen. No Grizzly hunting 100m from highway. Oder sollte es heißen: Liebe Grizzlys. Bitte keine Touristen jagen im Umkreis von 100 Metern der Straße!? Wir werden es wohl nie erfahren.

Nach mittlerweile sehr vielen Tagen ohne Dusche gönnen wir uns heute einen echten Campingplatz. Mit Wasserclosets (nicht falsch verstehen: Pitstoiletten sind schön und gut, man muss ein sonores Fliegensummen als akkustische Untermalung allerdings auch lieben), Dusche, Strom und einem Hauch WLAN. An der Rezeption steht Steve aus Luxemburg. Er hat sich vor ein paar Jahren aus dem Bankenbusiness abgeseilt und ist nun Herbergsvater eines Campgrounds am AlaskaHighway. Lebensgeschichten gibt’s…
Mal wieder bekommen wir den allerletzten freien Platz (fürs Phantom: Platz 22). Wie immer: Sonntagskinder auf großer Tour.

Und so endet unser erster echter Tag im Yukon mit einer langen, heißen Dusche – mit Haare waschen. Und Haare weichspülen. Und Haut einseifen. Und Haut eincremen. Und Nägel knipsen. Und alles frisch waschen und frisch anziehen. Und schlussendlich wie sauber geschrubbte Bisonkälbchen duften. Bisonbärenwunderbar.

Der Yukon mag ja größer als das Leben selbst sein.
Eines der größten darin aber ist und bleibt – heiß duschen nach gefühlten Ewigkeiten.

Yukon – larger than life.
Shower – greater than Feuchttücher!

Yukon. Greater than life.

Am 24.Juni knacken wir die 10000 Kilometer Marke: zehntausend Kilometer Kanada. Insbesondere die letzten eintausend im kontinuierlichen Dauerstauen und –wundern über diese so unbegreifbar wunderschöne Welt im Urzustand. Wald, Straße, Bär, See, Himmel, Nichts und Niemand.
Wird das nicht irgendwann mal langweilig? Endlose Weite, endloses Nichts, tagelang. Nach 10000 Kilometern dürfen wir für uns erkennen: Nein, ganz und gar nicht! Nicht mal einen Moment lang. Auf den allermeisten dieser 10000 Kilometer lief für uns nicht einmal Musik. (Und Hörbücher oder Podcasts sowieso nicht.) Wir haben zehntausend Kilometern einfach nur Kanadas Straßen zugehört. Und den wildwechselnden Geräuschen des Magicbus natürlich. Von Halifax bis in den Yukon. Im singenden, fast dreißig Jahre alten Wunderbulli.

Nova Scotia, New Brunswick, Québec, Ontario, Manitoba, Saskatchewan, Alberta, British Columbia. Ein bisschen unglaublich ist das ja schon.

Wir wollten mit dem Magicbus bis in den Yukon. Heute tatsächlich hier einzurollen fühlt sich surreal an. Irgendwie unecht und von jemandem anderes erlebt. Heute habe ich mich dabei ertappt, dass ich unsere Nachbarn im Knutschkugelwohnwagen, der uns seit dem Icefield Parkway immer wieder begegnet, ein bisschen um ihre Reise beneide. Um dann zu merken, dass wir es ja ganz genauso sind, die eine so unglaubliche Reise unter die Räder gebracht haben. Dass ich uns selbst ein bisschen beneide, um diese Erlebnissse, die tief hinein ins Herz gesunken sind und noch immer sinken– das lässt sich zweifelsohne spüren. Der Kopf aber, der versteht die ganze Kiste noch gar nicht. Sind wir tatsächlich mit dem Magicbus in den Yukon gefahren? Ich glaube schon.

Passend zu unserer Yukoneinreise begleiten uns heute 6 Schwarzbären am Wegesrand (mittlerweile insgesamt 16) und eine große, wilde Herde von Waldbisons – es mögen um die 50 Tiere mit ihren Jungen sein. Auch daran werden wir uns nicht satt sehen: an Schönheit und Eleganz. Und der Faszination der Unverfälschtheit, der Ursprünglichkeit in einer Welt, die sich so oft in Künstlichkeit flüchtet. Wie unnötig eigentlich.

Das erste Haus im Yukon ist Contact Creek. Dort tanken wir wie bei Großmuttern. Der Tanksäule nach zu urteilen ist der Goldrausch vor nicht allzu langer Zeit vorbeigerauscht.

Das erste Dorf im Yukon ist Watson Lake mit seinem berühmten Schilderwald. Da wir gerade kein Ortsschild von Bonn zur Hand haben, lassen wir zumindest einen Aufkleber dort. Globetrottels had been here. Im Yukon – unglaublich.

Und dann einen schnellen Sturz aufs Internet im Visitor Center: einziges Netz in hunderten Kilometern Umkreis. Tatsächlich sind wir schneller fertig, als gedacht. Ohne Internet, das hat durchaus auch seine Reize. Digital detox und die Welt dreht sich auch ohne gut weiter.

Unsere erste Nacht im Yukon verbringen wir tief im Wald kurz hinter Watson Lake. Und wie jeden Abend kommt das Gewitter, und wie jeden Abend ist das nur ganz kurz.
Wir lauschen den Tropfen auf dem Bullidach. Nordischer Regen über dem Magicbus. Im Yukon.
Wo es Ende Juni keine Nächte gibt und Raben in blauem Gefieder über unseren Schlaf wachen. Es wird ein heller sein…

Von heißen Quellen und durchgeknallten Sicherungen

Heute geht es –nach einem Frühstücksplantsch im spiegelglatten Lake Muncho—für uns nur einen Tatzelsprung weiter. Knappe einhundert Kilometer hinter dem Munchosee, der uns heute Nacht, ganz zauberhafte Szenerie gewesen ist, liegen die heißen Quellen am Fluss Liard: die Liard River Hot Springs.
Über den nördlichen Rockies scheint die Sonne, der kanadische Sommer schleicht in Schritten herbei. Um 11h machen wir uns langsam los für weitere 100 Kilometer Alaskahighway. Mal wieder at its best…in Sommerklamotten.

Kurz nach Mittag haben wir noch Glück und können im Provinzialpark eines der wenigen, freien Campingplätzchen ergattern. Zwei Stunden später ist bereits alles ausgebucht auf einem der am besten gesicherten Campingplätze der Welt. Ernsthaft abgeriegelt darf man das nennen. Mit Gattern und meterhohen Elektrozäunen. Anscheinend hat man hier die Nase voll gehabt von angeknabberten Touristen. Bei „hoher Bärendichte“ und zusätzlich Elchen und Bisons in den Wäldern.

Bereits der Weg zu den heißen Quellen ist eine kleine Reise wert. In frischestem Sommergrün leuchtet der Wald unter einem tiefblauen Himmel. Saftige Gräser statt Unterholz, Moskitotümpelchen mit lustigen Minifischchen drin. Nervösfröhliche Schmetterlinge flattern in der Luft, zu schnell, um sie fotographieren zu können. Wir erwischen sie aber im Pausemodus. Der Lone Pine Führer identifiziert sie als „Weidemeyers´s Admiral“ und „Anise swallowtail“, und den Langschnabel, der wild durchs Geäst turnt als „Spotted sandpiper“. Freundliche Stege führen durch unwegsames Gebiet, dem man ansieht, dass Elche es lieben. Nur die passenden Moose, die haben wir noch immer nicht getroffen.

Nach Schwefel müffelndes Wasser, das heiß aus der Erde brodelt mischt sich mit kaltem Bergwasser in diesen Pools, die kontinuierlich ihre Temperatur verändern. So bleibt das Plantschen eine dynamische Sache. Manchmal ist es im oberen Pool zu heiß, dann wechselt man in den unteren. Ist es dort zu kühl, wechselt man in den oberen zurück. Heißkalt zugleich – witzig, dass man das als Ganzes spüren kann, nicht nur als Welle.

Ich könnte das ja gnadenlos den ganzen Tag durchziehen. Wellness made by nature. Und selbst Chouchou als ausgewiesener Wellness- und Wassermüffel hält es für seine Verhältnisse ewig aus. Also 15 Minuten. Das wir heute zweimal zu den Pools tapern, ist dann aber trotzdem uneingeschränkter Liebesbeweis. Mit Bärenspray in den Taschen.

Und so war außer zweimal Schwefel plantschen heute nicht mehr viel. Außer, dass Chouchou in der Mittagspause flott noch die Zentralverrieglung reparierte, die vor dem ersten Pool in die Knie ging.
War nur die Sicherung. Durchgeknallt.
Gar nicht mal gänzlich unpassend – für die Globetrottels.

Nördliche Rockies

Viel zu oft habe ich hier schon geschrieben von endloser Weite, endloser Wildnis – ich würde es mir selbst kaum noch glauben, wenn ich heute erneut schriebe: Es ist noch wilder geworden, noch weiter, noch ursprünglicher. Ich würde es selbst nicht glauben, wenn ich nicht mit dabei gewesen wäre.

Mein Kopf kann sie nicht mehr greifen: die Schönheit unserer Erde an einem Stück. Wenn der Mensch nicht darin herum fuhrwerkt. Ein Waldbison steht im Gebüsch, ein entspannter Schwarzbär marschiert über eine einsame Straße, ein anderer grast Blümchen hinter dem Hügel. Eine Bergziege – die eleganteste ihrer Art—lässt sich in ihrer Schönheit ebenso wenig von uns stören. Schöner, wenn der Mensch nicht überall mit herum fuhrwerkt. Auch nicht die Globetrottels.
Das lässt sich konkret so festhalten.

Am Muncho Lake –mitten in den einsamen nördlichen Rockies– vor schweigenden Bergriesen und kristallklaren Wasser unter einem wechselhaften Himmel wird mir mein unglaubliches Privileg erneut bewusst: Some people wait a lifetime for a moment like this.
Mein Warten darf ein Ende haben. Ich bin hier.

In dieser Wildnis wird deutlich, wie eng und klein meine eigene Welt eigentlich ist. Wie wenig wild an mir noch ist. Gestutzt – angepasst – eingepasst in aufoktroyierte Konventionen, die möglicherweise nie meine eigenen waren.
Weniger Angst würde mir gut stehen. Und mehr Vertrauen und Abenteuerlust. Und manchmal auch ein bisschen mehr ausbrechen aus alten Mustern.
Diese Welt ist so groß, woher soll ich schon wissen, wie´s richtig geht!? Vielleicht passen alte Hüte nicht mehr – so wie meine Hosen. Aus der nächsten bin ich heute übrigens rausgeplatzt. Ein gutes Zeichen. Und jetzt den Spiegel wegwerfen.

Sich unwichtiger nehmen und dadurch mehr wagen dürfen– vielleicht ist das ja ein Stück Freiheit!?
Ich tanz mal eine Runde am Ufer des Sees drüber nach. Auf einer EinFrauParty mit illustren Gästen: Alles Ausgebrochene aus alten Mustern.
Es steht uns gut so.

Mittsommer-Chillen

Mittsommer, internationaler Yogatag und Indigenous Peoples Day – gleich 3 Festivitäten, die für die Globetrottels heute ausfallen. Heute ist Chilltag. Das mit dem First-Nation-Fest haben wir zumindest probiert, 2 Kilometer nach Town gelaufen, und: Nix! Entgegen der Ankündigung wird nicht im der Friendship-Centre sondern draußen um Reservat getrommelt, für uns heute in unerreichbarer Ferne – große Enttäuschung.

Bleibt also nur noch, den US-amerikanischen Monster-Wohnmobilen beim Einparken zuzugucken, die hier in geführten Gruppen auf ihrem Weg nach Alaska Halt machen, den Campground-Saloon zu bewundern, ein kurzes Gewitter auszusitzen, die nächste Etappe planen und feststellen, in Dawson Creek völlig veraltete Informationen bekommen zu haben … und irgendwie den probiotischen Joghurt zu verdauen…

Den schönsten Mittsommer-Himmel aller Zeiten hatten wir im übrigen ja gestern schon, in der Dämmerung nach Mitternacht, so richtig dunkel wird es hier nachts gerade nicht.

Und mit mobiler Internet-Abdeckung ist’s jetzt wohl wirklich aus:

Feuer in Bärenland

Heute ist der große Tag, an dem es endlich losgehen soll: unser AlaskaHighway. Ein wenig Respekt haben wir ja schon: zwei Trottel in einem alten Klapperbus auf einer der abgelegensten Straßen der Welt, das trägt eine Menge Potential an Chaos in sich. Um nicht allzu sehr ins Grübeln darüber zu geraten, argumentieren wir hier frei nach Nietzsche: „Man muss noch Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern zu gebähren.“
Man kann es aber auch einfach „bekloppt“ nennen.

Unsere Abfahrt lässt sich noch etwas hinauszögern, in dem wir das vor unserem Camp liegende „Pioneer Village“ besichtigen. Dadurch gewinnen wir Zeit. Und können uns nebenbei als ein wenig kulturell interessiert verkaufen: Ja, die Globetrottels machen auch mal einen auf Kultur.
Dass sich hinter dem Museum lediglich der Aufbau eines hundert Jahre alten Dawson Creeks verbirgt, lässt sich ja verheimlichen.
Ich persönlich mag solche Orte ja, in denen man ein wenig Zeitsprung spielen darf. Einzutauchen in eine Welt, wie sie vor hundert Jahren hier ausgesehen hat. Ein kleines Dorf, in das eine überschaubare Welt auch passt. Eine Welt, durch die lediglich ein paar Pferdekarren hoppeln, deren aufregendsten Gäste undurchsichtige Fremde sind, die einem Goldrausch im Norden hinterher jagen. Und Träumen, von denen sie weitweitweg von irgendeinem anderen Undurchsichtigen am Lagerfeuer gehört haben. Typen, die nichts zu verlieren haben, denen man aber durchaus mal die Bärte gegen Kleingeld stutzen kann. Daher gibt es in diesem Dorf natürlich einen Barbier. Und einen Arzt – Geburtshelfer, Schlachter und Scharlatan zugleich. Und einen Kaufladen, der Opium unter der Ladentheke führt. Und einen Schmied, der abgehalfterte Gäule neu beschlägt, damit die Reise nach Norden weiter gehen kann. In dieser nachgebauten Stadt gibt es alles. Nur das Bordell ließ man prüderweise unter den Tisch fallen.

Um 11h lässt es sich nicht mehr vermeiden. Wir müssen los. Auch die Mädels vom Nachbarplatz drängeln schon: sie müssen heute auf unser Plätzchen wechseln. Kennen wir ja auch alles schon: Campinghopping an den Hotspots, weil so vieles bereits ausgebucht ist. Kanadacamping an Hotsports ist nix für spontane Seelen.

Als Startschuss dieser gigantischen Straße müssen wir von unserem Campground erstmal die drei Kilometer in Richtung Nuller-Meilenstein zurück.
Gestern sind wir bereits zu Fuß hier gewesen, heute zerren wir den armen Magicbus unter das Schild am Ortseingang. Muss sein, geht nicht anders.
Heute ist hier nicht mehr so viel los wie gestern, die Gopro-Aufnahme aber gleicht trotz allem mehr einer Kriegsphotographie, denn einem Touri-Schnappschuss. Nur knapp verfehlt ein roter US- Jepp die kleine, wacker filmende Kamera auf der Straße. Aufnahme im Kasten. Jetzt kann es wirklich losgehen.

Die ersten 80 Kilometer gestalten sich unspektulär.
Im Walmart in einem bereits sehr diesigen Fort St John decken wir uns nochmal ordentlich mit Vorräten ein und nutzen ein letztes Mal das Internetz auf den –jetzt noch—geplanten 150km bis zum Pink Mountain. Dort hat´s einen vollausgestatteten Campground, den einzigen in hunderten Kilometern Umkreis mit Internet. Dazwischen kein Netz, kein Telefon, kein Mensch. Der Pink Mountain soll –jetzt noch—unser Tagesziel sein.

Die Diesigkeit im Ort ist´s, die uns dazu bringt, dass wir im Walmart ein erneutes Mal die Brand-App von British Columbia checken. Ein guter Gedanke, denn –wenn wir ganz ehrlich sind—riecht es bereits hier ein bisschen zu sehr nach Lagerfeuer. In British Columbia, in dem wegen der hohen Waldbrandgefahr seit Anfang Juni ein genereller „Fireban“ besteht. Kein Campfire mehr für Bocholter Pfadfinderinnen in diesem Landstrich, es brennt hier überall seit Wochen schon genug. Ein guter Gedanke, bei Feuergeruch also wirklich noch einmal die Warn-App zu checken.

Die gesamte Sachlage zu begreifen gestaltet sich schwierig und unsere Logistik verändert sich ab nun für die nächsten Stunden zehnminütlich.
Um es einigermaßen griffig zu machen:
150 Kilometer nordöstlich von Fort St John brennen mehr als eine halbe Millionen Hektar Wald (um genau zu sein, sind es 553.360 Hektar). Der Wind bläst gen Südwest. Daher ist die Straße, die vor uns liegt, für knappe 180km plötzlich zur potentiellen Evakuierungszone erklärt worden. (Selbsterklärend ist wohl, dass es keinerlei Ausweichstraßen gibt.) Das nächste Camp mit Kontakt zur Außenwelt in Pink Mountain (eigentlich unser geplantes Ziel) liegt genau am Anfang dieser Zone. Um aus dem potentiellen Evakuierungsbereich weg zu kommen, müssten wir also besagte 180km weiter durchs erneut absolute Nichts fahren. Danach kommt angeblich ein Ort, an dem man zwar Campen kann, außer Bären und Wald hat es dort aber rein gar nichts. Auch kein Internet, um die Feuerdynamik im Blick zu behalten. Prophet River.

Wir wälzen Gedanken hin und her und entscheiden uns, den weiter entfernten, brandsicheren Ort in Prophet River anzufahren. Plan: Pink Mountain wird über den Haufen geworfen. In einer verqualmten Zone zu nächtigen, die möglicherweise heute Nacht noch geräumt werden muss, ist uns dann doch etwas zu abenteuerlich.* Und dann springt der Magicbus nicht an.* Genau. Nee danke.

Überflüssig (und vollkommen textungriffig) wäre es nun zu schreiben, dass aus dem nächsten geplanten Camp in Prophet River auch nichts wurde. Nicht, wegen irgendwelcher Disaster, sondern lediglich deshalb, weil es dieses –übrigens offiziell ausgeschriebene!—Camp überhaupt nicht gibt. Nach 180 Kilometer Nichts war das tatsächlich schon eine kleine Überraschung. Der Tagestacho zeigte mittlerweile 378 Kilometer. Und die Uhr halb sechs. Also weiter… noch ein Stück.

Schlussendlich sind wir heute, statt der erstens geplanten 225 Kilometer bis Pink Mountain (Feuerschneise), statt der zweitens geplanten 378 Kilometer bis Prophet River (Camp gibt es nicht), 456 Kilometer gefahren.
Bis Fort Nelson. 456 unglaubliche Kilometer.

Der Lonely Planet weiß über unserer heutige Strecke zu berichten, dass es auf der langen Strecke nach Fort Nelson, kaum Hinweise auf die kommenden Wunder gäbe. Ernsthaft?
Denn abseits der logistischen Abenteuerlichkeiten wegen Feuer und nicht existierenden Camps haben wir den gesamten Tag über lediglich ein einziges Wunder gesehen.

Ein 466 Kilometer langes Wunder, dass aus endlosen Wäldern, Hügeln, Rehen, Kranichen und vor allem insgesamt fünf Schwarzbären (einer davon in braunem Fell) am Straßenrand bestand.

Es ist mir ein großes Rätsel, wie man auf dieser Strecke keine Wunder erleben kann. Der arme Autor.

Schlussendlich also wird alles gut.
Um kurz nach halb acht dürfen wir auf der Zeltwiese des zweiten, „fulls serviced“ Campingplatzes hinter Dawson Creek einparken. Ein Cowgirl um die 50 empfängt uns. Sie trägt den imposantesten Kajal, den ich je gesehen habe und lädt uns direkt in ihren Salon ein. Als erster Fun-Fact fällt auf, dass es keinerlei Bärenempfehlungen gibt. In Bärenland.

Nun also sind wir hier:
So tief in Bärenland wie noch nie. Und auf unserem Campingplatz gibt es –im Gegensatz zu wirklich allen anderen Camps seit New Brunswick (wie weit ist das: 8000 Kilometer?!)—weder bärensicheren Müll, noch irgendwelche Verhaltensempfehlungen.
Hier –so tief in Bärenland wie noch nie—braucht es vielleicht gar keinen sicheren Müll!? Hier wird vielleicht sofort geballert, ohne zu zögern. Passendweise tippte unser Nachbar soeben, dass unser Nummernschild am ehesten „military“ sei. Soviel dazu…
Und: weil Zögern in Gegenden wie diesen auch mal daneben gehen kann. Bei Bären und bei Abfahrten.
Gut also, dass wir heute Morgen in Dawson Creek aufgebrochen sind:

Unbewaffnet, bekloppt und mit vielleicht ausreichend Chaos im Herzen, um irgendwann mal einen Stern zu gebähren.
Zumindest, wenn man Nietzsche fragt.

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