Unterwegs im Magicbus

Ein heißer Tag in Gers — irgendwo am Ende der Welt.

Ein magisches Entrée am Morgen: über der Weite von Marilyns und Michels Garten geht die Sonne mit großem Powwow auf. Mit ihr steigen die Mücken aus dem Gras: ein Sonntag morgen im Department Gers. Man kann die kommende Hitze des Tages bereits greifen.

Zum Frühstück gibt es „verlorenes Brot“: gebraten mit Milch und Zucker. Im Übernachtungspreis mit drin. Nicht mit drin: Marilyns Mitleid mit meiner triefenden Nase. Von irgendwo her kruscht sie alte Allergietabletten hervor — leider abgelaufen. Aber die ganze Rolle rosa Toilettenpapier als Tagbeigabe soll mir beste Dienste leisten. Am Nachmittag ist sie aufgeschnaubt.

Neuer Globetrottelsrekord: wir brechen um viertel vor neun auf. Und werden gleich wieder gebremst, denn der Supermarkt hat noch geschlossen.
Wir lernen: es gibt keinen Grund zu hetzen. Nicht mal, wenn die Monsterhitze des Tages auf einen wartet. Ab morgen also geht es wieder deutlich später los.

Neun Uhr: die Epicerie öffnet ihre Rollläden, ein Einbeiniger ist schneller als wir und als allererster im Laden: Höchstgeschwindigkeit mit Piratenfuss.
Er packt zwei Flaschen Pastis und zwei Flaschen Rosé in den Einkaufskorb: sein Sonntag kann kommen.
Für uns gibt es lediglich Perrier — auch zwei Flaschen — und die Caminoschirmmütze, die in der Auslage liegt. „Pour le soleil,“ mit Pilgermuschel drauf. Es fehlt nur noch der Tag #jesuslovesyou — dann ist der Jakobswegdeppenlook fertig. Mit Überlebensmützchen.

Die Sonne steigt, dieser Sonntag ist ein Tag der Tiere.
Frösche quaken, Vögel singen, Hummeln brummeln, ein Reh hüpft vorbei, ein Feldmäuschen piept. Alles super, solange eines der zahlreichen Insekten nicht Anflug auf die Pilgerohren nimmt.
Der Himmel scheckt sich: elfenbereit. Das mildert die Hitze allerdings gar nicht.

Natürlich holt uns dje Wickelkindbande wieder ein. Wir treffen die Absprache, sollten sie es heute ein zweites Mal schaffen, gemeinsam in der einzigen Whiskeybar von Lectoure ein Bier zu trinken. Sorry, dass ich spoilere: natürlich kommt es so…

Ansonsten hüpft uns heute nur noch ein australisches Paar über den Weg (sie finden es überhaupt nicht heiß, sagen sie, während sie wilden Spargel von Wegesrand futtern) und ein unheimlicher Typ (nennen wir ihn Hannibal), den wir seit zwei Wochen immer wieder sehen. Immer mit anderen Frauen, die ganz schnell Reißaus zu nehmen scheinen. (Hoffentlich nix schlimmeres…)

Dann kommt irgendwann Lectoure in Sicht. Auf der anderen Seite des Tals. Und kommt und kommt nicht näher….
Nach 21,6km aber sind wir dann trotzdem da. Mal wieder gar gebrutzelt.

In der Stadt der Thermen gönnen wir uns das Hotel am Platz. Wir haben Glück: die hundertzwanzig Zimmer scheinen schwer zu belegen, entsprechend günstig sind die Last-Minute-Preise, wenn man 24 Stunden vorher bucht.
Wir schießen ein Zweibettzimmer mit Kitchenette für den Preis einer Pilgerunterkunft und fragen uns, warum die anderen Fußkranken es nicht auch so machen!?

Nach einer sehr nötigen Dusche schlagen wir uns in den Ort. Statt richtigem Essen gibt es Eis — weil die wenigen Restaurants am Platz ausgebucht sind. Wohl dem, der sich mit vier Kugeln Schoko, Tiramisu, Johannesbeer und Zitrone durchschlagen kann. Wir gehören zu dieser Spezies. Immerhin hat die Sportbar geöffnet…

Was für ein Abend.
Man meint, dass der Herr neben uns alleine da ist. Ist er aber nicht. Er ist derjenige, der sich am angeregtesten von allen unterhält. Mit seiner Zeitung. (Es steht heut ja auch wirklich viel drin, zu dem man erschrocken sprechen kann.)
Der Checker mit Sonnenbrille und Bossköter kennt uns nach dem ersten Bier: „Ihr seid so Typen, die nur halbe trinken, oder?“ Genau so ist es.
Ein zutraulicher Salamander kommt auf dem Tisch vorbei, klettert erst auf meinen Arm und dann auf Chouchous Täschchen, von dem er wagemutig abspringt um auf Chouchous Hand zu landen. Schwanz um Finger — mein Revier.
Wir fühlen uns sehr zu Hause. Mitten in Bukowskiland mit dem gemütlichsten Wirt jenseits bretonischer Fischbuden.
Und dann steht plötzlich Pierre vor uns…

Wer Pierre vergessen habe sollte:
Pierre war derjenige, mit dem ich vor vielen Tagen in der Herberge in Moncuq versucht habe über Napoleon zu diskutieren. Ging schief.
Er ist derjenige, von dem wir dachten, er würde uns beim Abschied vor Verachtung am liebsten ins Ohr beißen. Derjenige, der still am Tisch sein Entenfleisch kaute.
Was auch immer Pierre hier macht (eigentliche war er auf dem Rückweg nach Marseille!?), er scheint sich sehr zu freuen uns zu sehen.

Dinge können sich ändern.
Also teilen wir uns heute mit Pierre ein Bier.
Der dicke Köter des Checkers chillt auf dem Bordstein, der Mann mit Zeitung neben uns verfällt in hitzige Diskussionen mit seinem unsichtbaren Begleiter, im Fernsehen läuft Pferderennen, der Wirt küsst eine Dame mit Rollator — einfach um ihr einen guten Abend zu machen. Und dann läuft Hannibal in kurzer Hawaiihose vorüber. Allein….natürlich.
Ein heißer Tag, der ausatmet. Hitze und Menschen. Irgendwo in Gers, am Ende dieser Welt.


1 Kommentar

  1. Souvanna

    Si vous passez par La Romieu, entrez dans le gîte, ‚Le refuge du Pèlerin‘, et nous pourrions prendre un café ensemble !

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