Unterwegs im Magicbus

Feuer in Bärenland

Heute ist der große Tag, an dem es endlich losgehen soll: unser AlaskaHighway. Ein wenig Respekt haben wir ja schon: zwei Trottel in einem alten Klapperbus auf einer der abgelegensten Straßen der Welt, das trägt eine Menge Potential an Chaos in sich. Um nicht allzu sehr ins Grübeln darüber zu geraten, argumentieren wir hier frei nach Nietzsche: „Man muss noch Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern zu gebähren.“
Man kann es aber auch einfach „bekloppt“ nennen.

Unsere Abfahrt lässt sich noch etwas hinauszögern, in dem wir das vor unserem Camp liegende „Pioneer Village“ besichtigen. Dadurch gewinnen wir Zeit. Und können uns nebenbei als ein wenig kulturell interessiert verkaufen: Ja, die Globetrottels machen auch mal einen auf Kultur.
Dass sich hinter dem Museum lediglich der Aufbau eines hundert Jahre alten Dawson Creeks verbirgt, lässt sich ja verheimlichen.
Ich persönlich mag solche Orte ja, in denen man ein wenig Zeitsprung spielen darf. Einzutauchen in eine Welt, wie sie vor hundert Jahren hier ausgesehen hat. Ein kleines Dorf, in das eine überschaubare Welt auch passt. Eine Welt, durch die lediglich ein paar Pferdekarren hoppeln, deren aufregendsten Gäste undurchsichtige Fremde sind, die einem Goldrausch im Norden hinterher jagen. Und Träumen, von denen sie weitweitweg von irgendeinem anderen Undurchsichtigen am Lagerfeuer gehört haben. Typen, die nichts zu verlieren haben, denen man aber durchaus mal die Bärte gegen Kleingeld stutzen kann. Daher gibt es in diesem Dorf natürlich einen Barbier. Und einen Arzt – Geburtshelfer, Schlachter und Scharlatan zugleich. Und einen Kaufladen, der Opium unter der Ladentheke führt. Und einen Schmied, der abgehalfterte Gäule neu beschlägt, damit die Reise nach Norden weiter gehen kann. In dieser nachgebauten Stadt gibt es alles. Nur das Bordell ließ man prüderweise unter den Tisch fallen.

Um 11h lässt es sich nicht mehr vermeiden. Wir müssen los. Auch die Mädels vom Nachbarplatz drängeln schon: sie müssen heute auf unser Plätzchen wechseln. Kennen wir ja auch alles schon: Campinghopping an den Hotspots, weil so vieles bereits ausgebucht ist. Kanadacamping an Hotsports ist nix für spontane Seelen.

Als Startschuss dieser gigantischen Straße müssen wir von unserem Campground erstmal die drei Kilometer in Richtung Nuller-Meilenstein zurück.
Gestern sind wir bereits zu Fuß hier gewesen, heute zerren wir den armen Magicbus unter das Schild am Ortseingang. Muss sein, geht nicht anders.
Heute ist hier nicht mehr so viel los wie gestern, die Gopro-Aufnahme aber gleicht trotz allem mehr einer Kriegsphotographie, denn einem Touri-Schnappschuss. Nur knapp verfehlt ein roter US- Jepp die kleine, wacker filmende Kamera auf der Straße. Aufnahme im Kasten. Jetzt kann es wirklich losgehen.

Die ersten 80 Kilometer gestalten sich unspektulär.
Im Walmart in einem bereits sehr diesigen Fort St John decken wir uns nochmal ordentlich mit Vorräten ein und nutzen ein letztes Mal das Internetz auf den –jetzt noch—geplanten 150km bis zum Pink Mountain. Dort hat´s einen vollausgestatteten Campground, den einzigen in hunderten Kilometern Umkreis mit Internet. Dazwischen kein Netz, kein Telefon, kein Mensch. Der Pink Mountain soll –jetzt noch—unser Tagesziel sein.

Die Diesigkeit im Ort ist´s, die uns dazu bringt, dass wir im Walmart ein erneutes Mal die Brand-App von British Columbia checken. Ein guter Gedanke, denn –wenn wir ganz ehrlich sind—riecht es bereits hier ein bisschen zu sehr nach Lagerfeuer. In British Columbia, in dem wegen der hohen Waldbrandgefahr seit Anfang Juni ein genereller „Fireban“ besteht. Kein Campfire mehr für Bocholter Pfadfinderinnen in diesem Landstrich, es brennt hier überall seit Wochen schon genug. Ein guter Gedanke, bei Feuergeruch also wirklich noch einmal die Warn-App zu checken.

Die gesamte Sachlage zu begreifen gestaltet sich schwierig und unsere Logistik verändert sich ab nun für die nächsten Stunden zehnminütlich.
Um es einigermaßen griffig zu machen:
150 Kilometer nordöstlich von Fort St John brennen mehr als eine halbe Millionen Hektar Wald (um genau zu sein, sind es 553.360 Hektar). Der Wind bläst gen Südwest. Daher ist die Straße, die vor uns liegt, für knappe 180km plötzlich zur potentiellen Evakuierungszone erklärt worden. (Selbsterklärend ist wohl, dass es keinerlei Ausweichstraßen gibt.) Das nächste Camp mit Kontakt zur Außenwelt in Pink Mountain (eigentlich unser geplantes Ziel) liegt genau am Anfang dieser Zone. Um aus dem potentiellen Evakuierungsbereich weg zu kommen, müssten wir also besagte 180km weiter durchs erneut absolute Nichts fahren. Danach kommt angeblich ein Ort, an dem man zwar Campen kann, außer Bären und Wald hat es dort aber rein gar nichts. Auch kein Internet, um die Feuerdynamik im Blick zu behalten. Prophet River.

Wir wälzen Gedanken hin und her und entscheiden uns, den weiter entfernten, brandsicheren Ort in Prophet River anzufahren. Plan: Pink Mountain wird über den Haufen geworfen. In einer verqualmten Zone zu nächtigen, die möglicherweise heute Nacht noch geräumt werden muss, ist uns dann doch etwas zu abenteuerlich.* Und dann springt der Magicbus nicht an.* Genau. Nee danke.

Überflüssig (und vollkommen textungriffig) wäre es nun zu schreiben, dass aus dem nächsten geplanten Camp in Prophet River auch nichts wurde. Nicht, wegen irgendwelcher Disaster, sondern lediglich deshalb, weil es dieses –übrigens offiziell ausgeschriebene!—Camp überhaupt nicht gibt. Nach 180 Kilometer Nichts war das tatsächlich schon eine kleine Überraschung. Der Tagestacho zeigte mittlerweile 378 Kilometer. Und die Uhr halb sechs. Also weiter… noch ein Stück.

Schlussendlich sind wir heute, statt der erstens geplanten 225 Kilometer bis Pink Mountain (Feuerschneise), statt der zweitens geplanten 378 Kilometer bis Prophet River (Camp gibt es nicht), 456 Kilometer gefahren.
Bis Fort Nelson. 456 unglaubliche Kilometer.

Der Lonely Planet weiß über unserer heutige Strecke zu berichten, dass es auf der langen Strecke nach Fort Nelson, kaum Hinweise auf die kommenden Wunder gäbe. Ernsthaft?
Denn abseits der logistischen Abenteuerlichkeiten wegen Feuer und nicht existierenden Camps haben wir den gesamten Tag über lediglich ein einziges Wunder gesehen.

Ein 466 Kilometer langes Wunder, dass aus endlosen Wäldern, Hügeln, Rehen, Kranichen und vor allem insgesamt fünf Schwarzbären (einer davon in braunem Fell) am Straßenrand bestand.

Es ist mir ein großes Rätsel, wie man auf dieser Strecke keine Wunder erleben kann. Der arme Autor.

Schlussendlich also wird alles gut.
Um kurz nach halb acht dürfen wir auf der Zeltwiese des zweiten, „fulls serviced“ Campingplatzes hinter Dawson Creek einparken. Ein Cowgirl um die 50 empfängt uns. Sie trägt den imposantesten Kajal, den ich je gesehen habe und lädt uns direkt in ihren Salon ein. Als erster Fun-Fact fällt auf, dass es keinerlei Bärenempfehlungen gibt. In Bärenland.

Nun also sind wir hier:
So tief in Bärenland wie noch nie. Und auf unserem Campingplatz gibt es –im Gegensatz zu wirklich allen anderen Camps seit New Brunswick (wie weit ist das: 8000 Kilometer?!)—weder bärensicheren Müll, noch irgendwelche Verhaltensempfehlungen.
Hier –so tief in Bärenland wie noch nie—braucht es vielleicht gar keinen sicheren Müll!? Hier wird vielleicht sofort geballert, ohne zu zögern. Passendweise tippte unser Nachbar soeben, dass unser Nummernschild am ehesten „military“ sei. Soviel dazu…
Und: weil Zögern in Gegenden wie diesen auch mal daneben gehen kann. Bei Bären und bei Abfahrten.
Gut also, dass wir heute Morgen in Dawson Creek aufgebrochen sind:

Unbewaffnet, bekloppt und mit vielleicht ausreichend Chaos im Herzen, um irgendwann mal einen Stern zu gebähren.
Zumindest, wenn man Nietzsche fragt.

3 Kommentare

  1. das Phantom

    Huhu ihr Feuerreiter,

    Ihr habt im Text einen Asterixstern (die heissen wirklich so!) gesetzt („Und dann springt der Magicbus nicht an.*“) – jedoch finde ich keine Erklärung zu diesem.
    Ist der Bus nun beim Drehen des Zündschlüssels sofort angesprungen oder nicht???

    Ihr macht es echt spannend 🙂

    das Phantom

    • das Phantom

      wer lesen kann ist klar im Vorteil….. ;-p

      Habe Eure Asterixsternsetzung verstanden

      • Die Globetrottels

        Liebes Phantom,
        der Asterix ist eigentlich gar kein Asterix sondern lediglich ein Formatierungszeichen im html-Editor und soll einen kursiven Text beginnen oder beenden. In dem Fall hat der Editor das einfach nicht kapiert. Ignorier das Ding, Asterix oder was auch immer bitte einfach.
        LG, der Chouchou

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