Über Nacht ist die Kälte über den Savannah River hoch gekrochen: er dampft des Morgens um halb acht bei sieben Grad und Sonnenschein.
Die neue Frische muss als Argument herhalten, dass ich mir –genau deshalb!– in der Lobby gleich zwei tieffrittierte Donuts zum Frühstück reinhauen muss. Bei Temperaturen wie diesen braucht es Biomasse, um nicht zu erfrieren … meint ein Fressmäulchen, das gerade noch in Florida unter Tropensonne briet und Hunger hat.

Wir verlassen die Hauptstadt aller Südstaatenmärchen über die phänomenale Brücke des Atlantic Coastal Highways, sie thront hoch über dem Savannah River. Große Schilder zur Suizidprävention prangern an der Straße. Doch wer hier hoch läuft, um wieder runter zu springen, der will am ehesten keinen Hilferuf mehr loswerden.

Im Schatten des großen Mutterflusses fließt der Little Back River: er markiert die Grenze zum nächsten Staat: South Carolina.

Ganz augenscheinlich sind wir nun im Herzen des bible belts angekommen. Natürlich stammt der Mensch nicht vom Affen ab, hier ist´s logisch, dass Gott die Erde in sieben Tag erschuf. Genauso wie es im Buch aller Bücher geschrieben steht.

Es rollt sich gut auf den Straßen des alten Testaments:
Choosawhatchie fliegt vorbei und wird direkt im Ideenbuch notiert. Sollte ich eines Tages doch endlich die Kindergeschichte von Popokatzepetel, dem gelben Fuchs niederschreiben wollen, hat der nun einen weiteren, guten Wohnort:
Popokatzepetel, geboren und aufgewachsen in Chilliwack auf großer Reise nach Choosawhatchie – ich finde, das klingt wunderbar.

Nach South Carolina einzureisen ist ein wenig, wie eine unsichtbare Schallmauer zu durchdringen. Plötzlich ist er Knall auf Fall da: der Herbst. Rotes und gelbes Laub in den Kronen einer geschichteten Vegetation. Oben mitteleuropäisch anmutend, unten weiterhin ein Traum an Marsch mit Sägepalmen-Shakehands.

Auf der Landstraße geht es an Plantagen vorbei, die bessere Zeiten gesehen haben –und sehr viel schlechtere–…

…bis nach Bowman: 968-Seelendorf mit immens hohem Leerstand, irgendwo verloren im Orangeburg County. Der Standort des UFO-Welcome-Centers von South Carolina.

1994 begann Jody Pendarvis seine Lebensvision zu bauen: eine 14 Meter große, fliegende Untertasse im eigenen Vorgarten. Falls Extraterrestrische zufällig mal in Bowman vorbei flögen, sollten sie sich zumindest willkommen und heimisch fühlen, meinte Jody. Also baute er nicht nur die Ufohülle aus Holz, Fiberglas und Plastik, sondern auch gleich eine Heberampe, Toilette, Farbfernseher und Dusche mit hinein. Der Komfort sollte ja schließlich auch stimmen.

Als wir an der verwitterten Tankstelle rechts abbiegen, sehen wir Jody schon von Weitem. Ein hutzeliges, altes Männlein, das in einem Trümmerhaufen herumturnt und dabei emsig bastelt, schraubt und bohrt.
Was einst als Untertasse begann, ist heute eher ausgebombter Krisenschauplatz: nicht nur die Außenbeschriftung des UFO-Zentrums ist längst abgefallen, eigentlich ist alles an dieser Installation in sich kollabiert, kein Teil mehr dort, wo es einst hingehörte.

Jody jedoch scheint das wenig zu stören: eifrig wuselt er in seinem Häuflein Schrott, höchst geschäftig, allzeit lächelnd und voll engagiert im eigenen Vorgarten, mitten in seinem Lebenswerk.

Ob Außerirdische schon hier waren, fragen wir. Vielleicht, meint Jody, vielleicht ja in just diesem Moment angereist in einem Magicbus?!
Wir sollen mal reinkommen und schauen – auf eigene Gefahr allerdings. Denn in diesen höchst einsturzgefährdeten Resten wird man möglicherweise schneller aus der Welt gebeamt als einem generell lieb wäre.

Das Eintrittsgeld sollen wir bitte stecken lassen, das nimmt er schon lange nicht mehr. Nicht mehr, nachdem ein Unbekannter 2017 in einer Nacht alles zerstörte, was Jody sich mühsam in 23 Jahren aufgebaut hat. Denn das Ufo sah so nicht immer aus.

Nach dieser Nacht im April vor sechs Jahren blieben nur noch Trümmer übrig. Und eine blutrote Schmiererei an der Mauer: „The whites has voted. Ufo moving good by.“

Und was macht Jody?
Jody fängt wieder an zu bauen. Nochmal von vorne. Ganz allein.
Mit seinen knappen 80 braucht er möglicherweise nun etwas länger, bis alles wieder steht – eins auf dem anderen, die Heberampe wird wohl nichts mehr– aber das macht nichts. Jody tut es trotzdem. Oder gerade deshalb.
Egal ob “the whites” oder sonst wer seinen Vorgarten missbilligt: seinen Lebenstraum, den lässt er sich nicht nehmen. Ebenso wenig wie seine Hoffnung. Bei der nächsten Bürgermeisterwahl wird er erneut als Kandidat antreten. Seit 25 Jahren erfolglos heißt nicht, dass es nicht doch noch irgendwann klappen kann.
Ach Jody, ein wenig von deiner Aufstehmentalität könnten wir alle sehr gut gebrauchen. Und nein, das ist kein Eintrittsgeld, das wir im Kästchen hinterlassen, sondern lediglich ein Willkommensgeschenk an die Aliens. Jody soll es bis dahin einfach nur verwahren.

Bis Santee ist es von Bowman aus nicht mehr sehr weit: zwei Landstraßen nach Norden, eine nach Westen, Landschaft in herbstlichem Dornröschenschlaf, danach wartet angeblich „das Paradies“ auf uns.

Am Santee River, der eher wie ein gigantischer See wirkt, heißt uns eine graugelockte Lady warm willkommen, wir parken mit Blick aufs Wasser ein. In einem herbstlichen Wald, erfrischend untropisch, die Luft so klar wie lange nicht. Für uns tatsächlich paradiesisch.

Der neue Herbst mahnt uns, dass diese Reise nun langsam wirklich zu Ende geht. Das heißt –neben vielem anderen—auch Reste essen. Eine Dose Spinat „southern style“ auf Schmetterlingsnudeln muss es heute tun. Das haben die Hörnchen von Santee noch nie gesehen, sie tanzen entsprechend aufgeregt um den Picknicktisch herum.

In unwirklichem Pastell geht die Sonne über dem See, der eigentlich Fluss ist, unter. Roséfarbenes Wasser – surreal, wie so vieles:

Der Anfang vom Ende dieser großen Reiseetappe, ein plötzlicher Herbst nach Tropensommer.
Spinat aus der Dose, ein Hutzelmännchen, das sich niemals seine Träume nicht nehmen lässt.
Ein totgesagter Magicbus, der eine 4x4Reise wacker hinter sich brachte, eine Rückkehr nach Hause ohne Papa. Gefühlt surreal, erlebt so echt.
Vielleicht ist es das, was wir meinen, wenn wir manchmal davon sprechen:
Ein Stück ganz normales Leben eben.