„I heard it throught the grapevine” schunkelt uns geschmeidig aus den Kissen: Guten Morgen Donnervogel Inn!
Bevor hier allerdings irgendwelche Weinreben zu flüstern gedenken, brauchen wir erstmal Kaffee. Vorher könnten sogar ganze Weinberge jodeln – das juckt uns ganz und gar nicht.
Drei Kaffee und zwei Donuts von der Rezeption später – jetzt können wir sprechen. Und zuhören. Meinetwegen auch Weinreben, wenn´s sein muss.
Unser Tag in Savannah kann also beginnen: mitten hinein in ein Südstaatenmärchen.

Machen wir es kurz und schmerzlos:
Savannah ist tatsächlich so schön wie alle sagen. Um nicht zu sagen: noch ein bisschen schöner. Ein „Chouchous ganz hübsch“ sogar – und das will wirklich was heißen.
Ergo: Savannah steht kurz vor Nominierung für unsere „Liste der potentiellen Lebensorte“. Eine Liste, die bekanntlich nicht allzu lang ist. Eher leer als lang.

Städtebeschreibungen sind öde und unnötig, wenn es tausend Fotos hat.
Daher beschränke ich mich auf ein paar innere Bilder, die kleben bleiben und solche, die heute sichtbar vor den Augen flackerten:

Unsere abgelebte Rock n Roll-Nachbarin, die –nur in Unterhose, Shirt und Tattoos gekleidet– auf der Balustrade ununterbrochen qualmt und bei jedem Vorbeigehen ihre Sportübung am Geländer unterbricht, um „Merry x-mas“ mit Reibeisenstimme zu wünschen.

Tausend grüne Plätze, ein Gitarrist um die 70 und mit Sonnenbrille aus den 80ern spielt herzzerreißenden Blues. Nur für sich. Und uns.

Parkaufforderungen am Straßenrand mit einem Yogiteespruch: „Remember your space“. Bevor man ganz verloren geht.

Der Geist von Forrest Gump, der auf dem Chippewa Square –an einer Bushaltestelle, die es nicht mehr gibt—auf ewig konstatiert, dass Mama immer sagte: Das Leben ist eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt.

Knorrige Bäume mit wildem Naturlametta neben einer Weihnachtsbeleuchtung, die wirkt, als sei sie mit einer Konfettikanone über die gesamte Stadt geschossen worden.

Kunststudenten, die dicke Eichhörnchen skizieren, die wie stumm an den Baum geklebt wirken. Kopfüber platziert zum lernen und bewundern.

Kunst, Fontäne und Mann mit Stuhl neben Brunnen im Forsythpark, ein Platz neben ihm ist frei. Für alle, die „deep talk and poetry“ benötigen.

Herzschlösser am Brückengeländer nahe des Flussufers: zwei Bären von Typen rücken ihnen mit brachialen Bolzenschneidern zu Leibe. Was bleibt sind zerbrochene Herzen auf Kopfsteinpflaster. So ist das im Leben. Dies ist nicht Paris, baby.

Backsteinerne Lagerhäuser –verwittert– und zwei Verwitterte, die davor gurken.

Zwei Kirchen, die gleichzeitig läuten – Glockenpingpong, ein vergessenes Geräusch.

Zu Tränen gerührt sein, weil rote Blätter von einem Baum fallen.

Eine Gedenkstatue für Florence Martus am Savannah River. 44 Jahre winkte sie jedem einzelnen Boot hinterher: tagsüber mit Tuch, in der Nacht mit Lampe, in der Hoffnung, dass ihre heimliche Liebe –ein Schiffer von jenseits des Wassers—endlich wieder zu ihr zurückkommt. Erfolglos. Sie starb an gebrochenem Herzen. Eines der tausend auf Kopfsteinpflaster, Bolzenschneider der anderen Art.

Ein Plätzchen für dePabel mit Blick auf den Dampfer.

Greek Revival Style, Geistertouren und verzierte Gusseisengeländer, die von einem New Orleans „es war einmal“ träumen. Flagge zeigen.

Schwein mit Nikolausmütze. Weil ein Schwein im Advent tun muss, was ein Schwein im Advent tun muss.

Kartoffelbowl im Studilädchen, die hochengagierte, junge Besitzerin freut sich wie Bolle über unser Trinkgeld: endlich kann sie sich neue Aufnäher für ihre Punkjacke kaufen. Das leckerste Essen seit San Francisco für einen Spottpreis.

Kutschen, deren Pferde keine Äpfel werfen. Wegen Apfelbeutel unterm Schweif. Passend zu alten Markisen.

13 Kilometer durch ein Südstaatenmärchen.
In dem Herzen brachial brechen und sanft wieder zusammengesetzt werden.
Ein Märchen, in dem für jeden, der es braucht, ein sanfter Blues erklingt. Weicher als jedes Glockenläuten.
Eine Fabel, in der sehnsuchtsvolles, stilles Winken neben gegrölten „Merry x-mas“ existiert.
Eine Geschichte, in der –natürlich!– Weinreben flüstern können. In deep talk and poetry.