Unterwegs im Magicbus

Sicher durch den Tornado in und Dank St Marys

Unser Morgen beginnt bei 100% Luftfeuchtigkeit mit dampfendem Kaffee, den man eigentlich nicht hätte erhitzen müssen und sorgenvollen Nachrichten aus der Heimat.
Es könnte kaum einen besseren Zeitpunkt geben, als dass nun auch der Magicbus direkt nach Abfahrt mit erneutem Kreischen beginnt. Lediglich, weil er gerade mal nicht die erste Geige spielen sollte.
Also: gutschigutschi, lieber Bulli, bitte lass sein.
Es ist reine Nächstenliebe, dass er es nach 4 Kilometern nassem Sand dann wirklich lässt. Am ehesten hat sich lediglich matschiger Sand –mit Steinchen gespickt– im Radkasten festgesetzt. Das zumindest reden wir uns beruhigend ein. Uns und vor allem unseren Nerven. Anders geht nämlich gerade gar nicht.
Nach 20 Kilometern warm fahren und mit sehr offenen Ohren, die selbst ein kalifornisches Kreischen orten könnten, trauen wir uns endlich auf den Highway gen Norden. Noch 100 Kilometer Florida…

Auf den letzten Metern dieses Staates fliegen kurz vor Jacksonville erneut aggressiv beworbene Pecan-Buden vorbei.
Gestern haben wir Labelingopfer an einer solchen gehalten und eine riesige Tüte für einen knackigen Preis gekauft, die heute schon halb leer gefuttert ist.
Das kreischend bunte Straßenrandbüdchen führte neben den Nüssen noch Florida-Busentassen, effektive Feuerwerkskörper, pralle Orangen und Alligatorköpfe aus Plastik. Dachten wir zumindest.
Dank der heutigen Werbeschilder lernen wir: nee, aus Plastik waren die nicht.
Florida, wir verlassen dich mit gemischten Emotionen.

Dieser Staat ist wohl der zwiespältigste Landstrich aller für uns gewesen:
Politisch unterirdisch, Wetter lecker sommerlich, mit den gemeinsten Mücken ever. Zauberhaftes Tierleben, knallharte Schere zwischen reich und arm, zwischen schwarz und weiß. Dazwischen die freundlichsten Winker der gesamten USA und geschmacklos zur Schau getragener Reichtum.
Florida: ein wunderbares Beispiel, dass es Dinge gibt, die weder glatt gut, noch blande böse sind. Beides kann sehr wohl gleichberechtigt nebeneinander stehen, in einem großen Ganzen.

Auf Florida folgt Georgia. Ein Staat der um sich wirbt, indem er sich dafür bedankt, dass man ihn überhaupt auf dem Schirm hat. In etwa so, als wenn man als letzter beim Sport in die Mannschaft gewählt wird. „We are glad Georgia is on your mind.“ Wie schön, dass ihr mich noch ins Team holt…

Erste rote Bäume am Straßenrand, die uns plötzlich schmerzlich bewusst machen, dass wir in den nächsten zwei Wochen am ehesten drei Jahreszeiten im Schnelldurchlauf erleben werden. Der Herbst ist hier zum Greifen nah und doch noch nicht ganz da. Es regnet in einem schwülen Restsommer.

Im ersten Örtchen hinter der Grenze wollen wir heute Nacht bleiben: in St. Marys. Angeblich lässt es sich am dortigen Hafen problemlos über Nacht campieren. Wir haben die Rechnung ohne den Advent gemacht.

Das pittoreske, historische Dörfchen quillt über vor Gästen. Die Straßen verstopft mit sehr großen Autos, die kreuz und quer vor Häusern parken, die so in jedem meiner kindlichen Amerikaträume standen: mit Holzveranden davor und Schaukelstühlen darauf.

Am Hafenpark findet ein quirliger Adventsmarkt für Kinder statt und alle sind da: Santa Klaus und seine Elfen, der Grinch, mehrere Weihnachtsbären, Lebkuchenmänner und Schneefrauen. Ein Eisprinzessinnenballett tanzt im warmen Regen – der Traum von Schnee schlappe 24 Grad entfernt.

Leider ist die Schlange beim Weihnachtsmann zu lang, der Grinch aber bekommt schnell einen Kuss, bevor wir mit unserer Rentierkutsche wieder von dannen ziehen: nach einer Übernachtungsalternative suchen.
Und Chouchou kommt auf eine großartige Idee!

Da den gesamten Tag weiterhin Regen angesagt ist, da wir bereits am Morgen schon müde von Nachrichten und Kreischen waren, da wir uns heute generell wie etwas über 40 fühlen, gönnen wir uns doch ausnahmsweise mal ein Motel!? Bei 20 Dollar mehr im Vergleich zum Campground muss man das eigentlich nicht zweimal fragen.

Im SureStay Motel ist Zimmer 122 für uns noch frei. Vorbei an der liebenswürdigen Pam, die uns mit ihren kölschen Tränengeschichten berührt, stiefeln wir mit Sack und Pack die nasse Treppe rauf in unser Eintagsfliegenparadies. Mit Badewanne, Kühlschrank, Mikrowelle, Kaffeemaschine und Fernseher direkt vor dem weichen, blütenreinen Bett. Der Pool ist viel zu kalt – das merke sogar ich nach zwei Zügen, also schnell unter die Decke mit Heizung und Glotze an.

Wir „kochen“ uns drei vegane Fertigmenüs aus dem Supermarkt ums Eck. Oder eher gesagt: die Mikrowelle kocht für uns. Ein Essen nach dem anderen, das erste schlimmer als das zweite als das dritte, aber immer noch um Ecken besser als jeder Burger. Pad Thai, Meetballpasta, Kichererbsen-Quinoa-Curry. Alles sehr heiß und scharf. Danach gibt´s Joghurt, Brownies und iced Honey Bun.
Bezüglich der hiesigen Kalorienzufuhr habe ich mich bereits vor drei Tagen geäußert. Es hat sich seither nichts geändert: es isst und bleibt wumpe.

Wir zappen uns durch die Programme: Football, Bibel-TV – heute wenden wir uns den Hirten und ihren Gaben zu–, eine hochtoupierte Dame um die 60 bewirbt Nahrungsergänzungspillen, die Kollegin auf dem Nachbarsender will hingegen Zahnaufheller an die Frau bringen.
Für uns ist die ganze Sache so spannend wie ein Museumsbesuch: Fernsehprogramme in Übersee geben sehr wohl einen intrakulturellen Einblick. Genauso rechtfertigen wir also unseren Nachmittag: äußerst bildendes Kulturprogramm. Und dann geht zwischen Vitaminpille, Zahnbleichmittel und dem neuen Testament plötzlich der Alarm los.

„Dies ist eine Tornadowarnung. Please seek shelter immediately!
In stürmischer Geschwindigkeit zieht ein Tornado von Westen an, in 15 Minuten trifft er Jacksonville. Das Jacksonville, durch das wir vor zwei Stunden gerollt sind, 40km südlich von uns.
Die Nachrichten gehen auf Sonderschaltung: Leute, ihr habt nicht mehr viel Zeit! Rein mit euch, geht in den Keller oder wenigstens von den Fenstern weg. Viel Glück!

Wir schauen aus dem Fenster auf den schnurrgerade fallenden Regen, in dem kein Lüftchen geht und können unser Glück nicht fassen. Weil wir drinnen sind, weil der Tornado unter uns hindurch taucht – ums Eck. Weil wir uns heute nicht für den Strandcampplatz in Jacksonville entschieden haben.

Heute Nacht fiel meine Kette ab, der Abschluss zerbröselte leider vollkommen irreparabel.
Am Morgen habe ich kurz überlegt, sie ins Portemonnaie zu legen bis sie wieder repariert ist. Es fühlte sich jedoch falsch an: nackt und ungeschützt. Also habe ich sie wieder angelegt: mit einem stümperhaften Doppelknoten.
Nun hängt sie also wieder dort, wo sie hingehört: Papas Madonna — holy Mary.
Vollkommen still – weil der Tornado vorbei zieht. In St Marys.
Mit einem Doppelknoten – weil sicher sicher ist, wenn auch unnötig:
Bei allseits präsentem Schutz von oben… .

2 Kommentare

  1. Grundmann, B.

    Karneval kann nicht besser sein 🤣. Der Tag eine Achterbahn der Gefühle. Liebe Grüße! Passend zum 1. Advent 🥰

    • Nani

      Liebe Bubu!
      Fröhlichen, ersten Advent auch Dir.
      Mit einem Kuss für den Grinch können auch Advent zwei, drei und vier nur gut werden…
      Und dann ist endlich Weihnachten…
      😘
      Deine Nani

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