Um Punkt sieben werden wir zum Frühstück erwartet. So läuft der Hase in der Pilgermassenhaltung: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Die Ultreia-singende Truppe von gestern sitzt schon lustig schnatternd am Tisch, wir werden freudig und lautstark begrüßt. Vor dem ersten Kaffee.
Nur unsere Zimmernachbarin sieht etwas fertig aus. Weil ich heute Nacht geschnarcht habe — meint Chouchou. Da hätte auch jegliches rütteln am Stockbett nix gemacht….
Vor lauter Scham traue ich mich nicht dreimal nach der Kaffeekanne zu fragen. Unzureichende Betankung. Das sollen wir im Laufe des Tages noch merken.

Punkt 8:00 Uhr: Check out.
Unsere Spende fürs Frühstück landet im Körbchen, wir kriechen erstmal zum Bäcker: Kaffee holen.
Jim und Chang sind Lustigerweise auch schon da. Und die wackeren, campierenden Jungs, die vom Herbergsvater weggeschickt wurden. Sie mussten ihr Zelt hinterm Fussballplatz aufschlagen, nachdem die Sonne unterging.
Alle Pilger sind gleich, aber manche sind halt gleicher als andere.

Am kältesten Tag des gesamten Pilgerwegs geht’s heute für uns weiter durch grüne Tunnel, vorbei an Kühen, die genauso müde sind wie wir, bis zur ersten Kapelle. Ein kalter Pyrenäenwind fegt bereits ab acht: Handschuhe tragen. Auch das erste Mal auf dem Weg.

Wunderschöne, schlichte Kapelle im Nirgendwo. Heißt: St Jacques. Wie sonst!?
Klaus Jakobsjunge war natürlich auch schon hier. Mittlerweile hat er vier Wochen Vorsprung. Wir werden ihn nicht mehr einholen.
Im Hinterzimmer könnte man nachts —als verlorene Pilgerseele— unterkommen, wenn man keine Angst vor Geistern hat. Ein alter Schrank rechts, dessen Türen knirschen, ein spinnwebenumarmter Tisch in der Mitte. Links gab es vor hundert Jahren mal einen Kamin, der frisch angekokelt ist. Ein Findiger, der einen Zettel hinterließ:
„An alle Idioten: Bitte kein Feuer machen!“

Erster Stop nach 10 km in einem Örtchen mit dem lustigen Namen Pimbo. Mittendrin — in einer alten Scheune, vollkommen unerwartet — ein Feelgoodcafe, wie man es auch in Prenzelberg finden könnte.
Die Ultreia-singende Truppe ist auch schon da und umfängt uns freundlich winkend und schnatternd. Ach, Du Zauber des Anfangs…

Wir bestellen herrliche Waffeln und den besten Kaffee seit langem. Zu kaufen gibt es außerdem alle lokalen Produkte, die im Umkreis von 15 Kilometern hergestellt werden: Rilette, diverse Weine, artisanale Biere, CBD-versetzte Tees, handgerührtes Shampoo. Einzig nicht einheimisches Produkt: Nag Champa Räucherstäbchen.

Nur mühsam raffen wir uns nach zwei Kaffee und einer Stunde wieder auf. Zwischen eiskalten Wind fällt mittlerweile Nieselregen. Nicht die beste Werbung zum Weitergehen.
Trotzdem soll’s jedem mal empfohlen werden: in Eiswind und Nieselregen weitere 9 Kilometer mit Gepäck meist bergan zu laufen, setzt ungeahnte Emotionen frei! Nicht immer nur die schönsten.

Etappenziel ist heute Arzacq-Arraziguet — ein Ortsname, den sich nicht mal die Einheimischen merken können. Den Rest muss man sich auch nicht merken.
Die kommunale Herberge sieht aus wie ein Zentrum für Abschiebehaft, meint Chouchou. Immerhin hat’s dort heute —Gott sei dank— ein Zweibettzimmer für uns.

Ob wir abends um „Punkt sieben“ mit Abendessen wollen, fragt die städtische Mitarbeiterin. „Nein, danke,“ sagen wir. Denn nebenan hat es eine Pizzeria.
Eigentlich hatten wir für morgen Frühstück mitgebucht, ab wann es das denn gäbe, fragen wir.
Ab wann? Das gibt es hier nicht. Kein „von bis“, sondern nur ein „pünktlich um sieben!“ sagt die städtische Mitarbeiterin:
Ob das „d’accord“ für uns sei?
Äh. Ob wir auch um viertel nach kommen könnten?
„Non!“
„Non?“
„Non!“
Ehrlich gesagt ist das nicht so komfortable für uns. Also: Non. Aber herzlichen Dank fürs Angebot.

Ein deutscher Pilger hinter uns schüttelt verständnislos den Kopf.
Was wir denn bitte hätten? Frühstück gibt es überall in Frankreich um sieben.
Er weiß ganz genau Bescheid, er ist nämlich schon durchs gesamte Land gepilgert. Mit sechs Jakobswegaufnähern auf der Jacke und seiner fußkranken Frau, die er heute mit dem Bus weggeschickt hat. Selbst schuld, wenn die Alte mit Fersensporn nicht mehr laufen kann. Im Notfall muss sie zurück nach Witten, wenn’s nicht besser wird, dann läuft er halt alleine weiter.

Hinter ihm steht der nächste Profi: ein Nordlicht mit Ziehwagen. Der hat genauso viel Ahnung, wie sein Kompagnon mit Aufnäher. Neben Frühstück im sieben ist ein Ziehwagen viel besser als ein Rucksack. Weiß er, weil er nämlich ein echter Pilger ist und nicht nur ein „zwei Wochen Wanderer“. Da braucht es halt etwas mehr als nur im Urlaub.
Aber wem erzählt er das?
Blutigen Anfängern, die um acht frühstücken möchten und noch lange nicht verstanden haben, dass „Pilgern nicht immer eine Freude bedeutet. Aber das versteht ihr vielleicht ja auch später mal.“

Ja, vielleicht. Bis dahin wird bei den Globetrottels halt nicht um sieben gefrühstückt, eher getragen als gezogen. Ohne Aufnäher auf der Jacke.
Es ist aber mal gut, kostenlos von Profis beraten zu werden…