7:00 Uhr: alle Pilger sitzen beim Frühstück . Alle, außer die Globetrottels. Die träumen noch und tapern erst 30 Minuten später —ganz alleine— in der Pilgerküche, den eigenen Krümelkaffee trinkend und beobachtend, wie die echten Profis dabei sind, hochengagiert loszuspurten. Mit Aufnäher und Ziehwagen.
Der absolut beste Start in einen neuen Pilgertag.

Tatsächlich haben wir im Nebenzimmer von Kim und Chang geschlafen. Die beiden düsen heute auch schneller los als wir: sie hatten bereits Frühstück um 7h. Und wir nehmen uns fest vor, sie in ein längeres Gespräch einzuspannen, wenn wir sie heute einholen werden. Schließlich begleiten sie uns nun auch schon locker eineinhalb Wochen und wir wollen seit Tagen dringend wissen, wie es sich eigentlich für Südkoreaner auf diesem Weg anfühlt. Noch mehr Aliens als wir.

Wir verlassen die Gîte auf den allerletzten Drücker, um kurz nach halb neun. Betten werden selbst abgezogen.
Beim Abmarsch erblicken wir einen Aufruf zum Jakobsweg-Fotocontest. Mit vier Themenbereichen:
1) Landschaften. 2) Freude. 3) Erkenntisse und 4)Schmerz.
Plötzlich fällt es uns wie Schuppen von den Augen: ein Viertel dieses Weges also soll der Schmerz sein!? Ganz offiziell deklariert.
Wie blöd muss man sein, sich das anzutun? Ganz ohne Gottgläubigkeit mitten rein in die alte Büßernummer? Transformation durch Leid und so einen Quatsch?
Entsprechend nachdenklich die ersten Kilometer.

Vorbei an „Bitte hier nicht defäkieren“-Schildern: die Nachdenklichkeit wird dadurch nicht weniger. Was musst passieren, dass der Bauer dieses Schild aufstellt?
Pause an einem Wunderbrunnen: hilft angeblich gegen offene Wunden. Über Moospfaden zu einsamem Kirchlein. Meist mit Blick auf die schneebedeckten Pyrenäen in der näher kommenden Ferne. Verkannter Wachhund, der nur schmusen will.

Wir treffen Kim und Chang wieder und setzen unseren Plan in die Tat um. Voller Spannung dreißig Minuten hören, wie man als Mensch aus Südkorea auf diesen Weg kommt, zurecht kommt, die Welt hier empfindet. Und finden obendrein heraus, dass sie nicht Kim und Chang heißen, sondern Kim und Kang.

Weiter geht’s: vorbei an einer die Gîte, die Kakao als Cappuccino verkauft und seltsamen Graffitis, die an ehesten als Antiwerbung fürs Pilgern fungieren. Ein Kälbchen mit Milchmäulchen, ein Schild —aus den Latschen gekippt- das vor „zahlreichen Pilgern“ warnt, ein liebevoll angelegter Rastplatz am Bächlein, verlotternd in die Jahre gekommen. Durchaus ein Bild, mit dem sich identifizieren lässt.

Nach 21 Kilometern endlich Ankunft im wundervollen Pomps: Bullerbü in Frankreich.
Die Gîte Communale hat noch zu, also wenden wir uns erstmal dem Tante Emma Laden zu. Mitten hinein gepurzelt in Pomps.

Mit den Hunden sind wir —wie zu erwarten— sofort beste Freunde: ein fettiger Labrador und eine Bulldogge, die Schweinchen-rosaschwarz gefleckt ist und nur einmal nachlässig weiß übergestrichen wurde. Dann spendiert uns Cathy einen lokalen, süßen Weißwein: aus reiner Freude und Freundlichkeit. Omi sitzt mit Freundin im Hof und werkelt dann im Garten, irgendwo springen Kinder rum.
Und wir sind heute Teil hiervon. Willkommen.
Lange vor dem Regen, der nicht mehr kommen soll.

Irgendwann eröffnet Stephane auch seine Gîte. Laut Internet hat’s hier nur 10BettZimmer, in unserem Gemach stehen elf Betten.
Und wir haben Glück:
Stephane ist ein bärig-fröhlicher Mann, den man schnell umarmen möchte. Außerdem hat er heute nur vier Betten vermietet. In einem Schlafsaal, der —wie früher in den Krankenhäusern— durch blickdichte Gardinen in einzelne Departments unterteilt ist.
Wir schnappen uns ein „Zweierabteil“ und schieben erstmal die Betten zusammen.

Was wie ein Horrorfilm beginnen kann, geht wunderbar zu Ende:
Wir duschen und schlupfen vor dem Essen nochmal zu Cathy: zweiter Apero und ein Plausch. Es stellt sich heraus, dass auch sie eine Herberge führt, heute mit zwei Gästen aus Korea: Kim und Kang.
Dann ist auch schon Abendessen bei Stephane.

Der Tisch für vier steht am Ende der Turnhalle. Annick und Pierre-Eve aus der Bretagne (eigentlich aus Belgien, das aber kommt erst nach Pierre-Eves dritten Wein raus) speisen heute mit uns.
Es ist nicht nur die Szenerie, die diesen Abend großartig macht. Es sind auch die zwei superfreundlichen Belgier-Bretonnen, Stephanes Liebe zum Essen, die beste Mayo der Welt und Isabelles (Stephanes Kollegin) Tänzeln bei jedem Wort der Zuneigung zu ihrem Hahn Olaf.

Oh Chemin de Compostelle. Immer wieder aufs Neue weißt Du zu überraschen. Und niemals weiß man morgens, was man kriegt.
Eines aber ist sicher: langweilig wird es nie.
Punkt 2) und 3) der Fotochallenge:
Freude und Erkenntnis.
Wen stört da schon der Fersenschmerz?