Las Vegas, Tag 2.

Heute soll Downtown dran sein: quasi die Altstadt – was man hier so alt nennen kann. Nur dahin muss man erstmal kommen.
Unser erster Bus – zu erreichen über einen Kilometer Wüstenfußstrecke—fällt aus. Immerhin lernen wir dank der Wartezeit eine Schweinerei namens „Pumkin iced latte“ kennen: Kürbis Chaitee auf Eis mit massenweise Zucker. Ein „Mama´s little helper“ gegen eine Laune, die bereits jetzt im Sinkflug ist.

Den nächsten Bus –entsprechend überfüllt—fährt der übellaunigste Busfahrer der Welt. Beim Einstieg kassiert jeder erstmal einen Anschiss, zur Strafe, dass man nicht mit dem Auto in die City fährt. Ab nun beginnen eineinhalb Stunden Tiefkühlfahrt, die ein Paradebeispiel für passiv-aggressives Verhalten sind. Von Station zu Station füllen sich die Reihen zunehmend, kurz vor dem Südstrip kann man die Fahrgäste quasi stapeln. Dem Miesepeter am Steuer soll es Recht sein: so hat er noch mehr Leute zum zusammenscheißen. Die Bordansage geht am laufenden Band.
Ab jetzt wird an jeder Haltestelle –aus vollkommen unersichtlichen Gründen– kategorisch 15 Minuten gehalten. Just for fun. Genauso, wie die Klimaanlage an jedem Stopp noch einen Tick mehr aufgedreht wird. Step by step – wie in einem perfiden Milgramexperiment.
Und die Tiefkühlklapse wird immer lauter.
Für die 8 Kilometer bis Downtown lässt sich der fiese Möpp –schlechter Tag, längerer Hebel– so viel Zeit, wie er will: ist ja alles bezahlt. Eineinhalb Stunden für 8 Kilometer – ohne ersichtliche Stausituation. An der Endhaltestelle werden die menschlichen Eiswürfel endlich lächelnd ausgespukt: verächtlich. Hedonistisches Drecksvieh, und jetzt raus mit Euch.
Bibbernd stehen wir an einem Bussteig der Fremont Street, die Laune zutiefst im Eimer.
Gemein war das.

Downtown gibt sein Bestes uns mental wieder zusammen zu setzen: mit einer öffentlichen Waage, die Menschen über 350 Pfund kostenloses Essen anbietet („Fighting anorexia“), „Bier trinken und Axt werfen“ und laut fluchenden Seelchen, die am Straßenrand vor sich hinvegetieren. Ein anderes Gesicht der Stadt.

Die Spielhallen haben deutlichen Spelunkencharakter, Menschen ohne Wohnsitz bieten auf der speckigen Vergnügungsmeile geflochtene Trockenblumen an. Besoffene fliegen in Superman-Pose über den Strip hinweg, der Ausschuss der Chippendales und Federgirls feilscht darunter um Fotogäste. Puffatmosphäre und all you can drink. »Happy hour« den ganzen Tag in „gar nicht mehr ganz so happy –Vegas“.

So hart es klingt: dieser Teil der Stadt wirkt authentischer. Weil er nicht vorgibt, etwas anderes zu sein, als er ist. Weil der Glanz schon lange abgeblättert ist.
Hier: in Ballermann auf Amiland.

Die Wedding Chapels findet man in diesem Teil der City. Vielleicht weil das ganze Leben ein Fest ist –inklusive dem Kater danach.

In der Gracelandchapel platzen wir mitten in die Zeremonie. Das knitterige Elvisdouble wartet gerade auf ein „Yes, I do“, das auch Jon Bon Jovi bereits in dieser Kapelle an die Wände gehaucht hat. Nicht für immer, versteht sich. Und rosa Cadillacs in Warteposition, um jeden, der zahlt, gen vermeidlich ewige Liebe zu cruisen.

Vier Blocks weiter liegt der Art´s district. Ein Graffiti erinnert an den Anschlag in Vegas vor knapp sechs Jahren, auf einem anderen hat Johnny Depp keine Angst mehr vor Vegas, aber vor Covid. Die Freiheitsstatue liegt geknebelt über einem Streifenwagen der Einwanderungspolizei und Frida Kahlo – geht ja immer.

In den bunten Gassen wird vor allem Second hand und Antikes angeboten – wir sind leider zu spät für den Ausverkauf, was schade ist. Denn abgehalfterten Glitzer hätte es hier zu Hauf gegeben: ein Inbegriff der City. Leider noch immer gänzlich unfunkelnd besteigen wir den nächsten Bus in Richtung South Strip.

Bus fahren in Las Vegas ist –zieht man die Touris ab– Bus fahren mitten in der Unterschicht.
Hinter uns beginnt ein breiter Typ gegen eine ihm unbekannte, aber augenscheinlich toughe Lady zu krakeln, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Starker Typ Frau à la: von dir habe ich schon zu viele gesehen, mein Junge, mit dir werd ich auch noch fertig.
Wir alle rücken zusammen gegen den Jecken, doch die Situation wird immer bedrohlicher. Die Lady zückt irgendwann ihren Tazer und ruft die Busfahrerin, die es gerade noch schafft, den ungetazerten, ungehobelten Kerl hochkant aus dem Wagon zu schmeißen.
Toughe Frauen in einer knallharten Welt – so viel Hüte, wie ich ziehen möchte, habe ich gar nicht. Und bin endlos dankbar, in einer so viel sichereren Umgebung aufgewachsen sein zu dürfen.

Auf dem South Strip hauen wir uns –noch immer sehr beeindruckt– gigantische Sushirollen am Stück rein: Sushi Burritos wird das hier genannt. Sushi Burritos für die Nerven. Danke lieber Lachs, dass Du heute vegetarisch bist. Ich muss gestehen: Du schmeckst leider wunderbar.

Vorbei an einem gefakten buddhistischen Mönch, der Armbänder verteilt, vorbei an Spiderman, der sterbend auf einem Rollbrett liegt, vorbei am schwebenden Engel, Chackys Mörderpuppe, Mickey Mouse, Dominas, Jack Sparrow, Roboman, Federgirls, Besoffenen, einer Prinzessin in Tüll und ziemlich hoch gelegten Autos geht’s mal wieder totmüde zum Bus – einer, der als letzter des Tages ohne besondere Vorkommnisse fährt.

Zurück am Magicbus reflektieren wir, was heute eigentlich „echt“ gewesen ist. Die bedrohliche Bussituation zweifelsohne. Dazwischen jede Menge Schein und Illusion.
Der Kolibri, der am Morgen über den Pool flog war auch echt. Und unsere schlechte Laune am Mittag. Und sonst?

Es wäre ein Leichtes, über diese Stadt zu urteilen. Immer wieder hört man, dass man Las Vegas hasst oder liebt. Dazwischen scheint es wenig zu geben.
Wir enthalten uns –so gut es geht—der Aussage. Las Vegas ist Las Vegas ist Las Vegas.
Das gibt es so kein zweites Mal.

Nach zwei Tagen sind wir endlos geschafft. Voll – ohne je voll gewesen zu sein. Vielleicht ist auch das eines der Geheimnisse: Am besten wohl muss man sich Las Vegas erträglich saufen und spielen.
Beides haben wir nicht getan und sind daher wohl nur auf der Oberfläche geschwommen.
Auf der Oberfläche einer Stadt, von der gar nicht klar ist, ob irgendwas darunter liegt.
Schein und Illusion.
Eine Stadt, der es wohl auch reichlich wumpe ist, wie wir sie eigentlich finden. Oder sonst wer.
Und weil jede Wertung ebenso eine Illusion ist.
Nicht nur in Vegas, Vegas, Vegas…