Unterwegs im Magicbus

Digitales Fallobst

Im Oberstübchen des Magicbus hört man alles. Eigentlich ist es wie draußen zu schlafen – nur die Psyche hat eine kleine Barriere als Zeltwand vorgebaut bekommen, so dass man sich seiner nächtlichen Umwelt nicht ganz so ausgeliefert fühlen muss. Antiangstwändchen. Im Oberstübchen des Magicbus gibt es –wenn man ehrlich ist– keinen großen Unterschied zwischen innen und außen. Man schläft –oder schläft eben nicht– mittendrin in der Welt.

Gestern Abend wollte ich nicht einschlafen. Es war zu schön, der Geräuschkulisse zuzuhören: in einem Meer von Nichts ein vereinzeltes Zirpen unsichtbarer Zikaden, ein Restknistern des Feuers, mehr Welt war da nicht fürs Ohr. Schlafbadend in einem Meer von Stille. Die Sterne klingen ja nicht. Sonst wäre es laut gewesen.

Schlussendlich aber hat die Müdigkeit dann doch gesiegt. Bemütztes Ohr auf dem Kissen bis halb acht. Kaffee, anrufen, Dinge bestätigt bekommen, weinen, hoffen, den Tag starten. Heute werden wir die Insel erkundigen. Jackie nennt es “going for an adventure”. Meinetwegen.

Die Breidl Veil Falls stehen als erstes auf dem Programm: Manitoulins hochgerühmter Wasserfall – kanadisch bequem per Auto zu erreichen. Vom Parkplatz drei Schritte, fällt der Fall gute 20 Meter tief ins Becken. Das ist unser Niagara. Wir sind begeistert, snacken einen Creamcheese-Bagel und düsen weiter.

Nächster Halt: Cup and saucer-Trail. Manitoulins hochgerühmter Trail. Zurecht.
Durch ein sonnendurchtupftes, frisch geborenes Ahornwäldchen geht es gut ausgelatscht und stetig bergan durch steiniges Gebiet. Surrealer Traumforst, so lange bis spektakuläre Weitsichten an steil abfallenden Klippen warten. Kristallblaue Seen, bunte Wälder, rosefarbene Orchideen und erneut keine Zivilisation so weit das Auge reicht.

Per Stativ wollen wir ein Foto von uns am Abgrund machen, den Moment festhalten. Irgendjemand anders aber wollte das anscheinend nicht.

Von einer der wenigen Windböen erfasst, kippt das Stativ in Zeitlupe. Markerschütterndes Klirren, als Glas auf Fels knallt. Sofortiger seelischer Schmerz als Übersprungsemotion: dem Geräusch nach zu urteilen, muss man sich das Handy nicht mehr anschauen, um zu wissen: so klingt Exitus. Wir schauen trotzdem.

Wäre es ein echter Apfel gewesen: es hätte nur eine Delle gegeben. Leider aber funktioniert Fallobst noch nicht digital. Sterbend bunte Schlieren auf dem Display, das Apfeltelefon ist hinüber. Byebye Instagramstories. Wir wollten sie eh zurückfahren. Wenn auch nicht so….

Man könnte es als Trostpflaster verstehen, dass Providence Bay als letzter Programmpunkt heute auf unserer To-want-Liste steht.
Nach Providence Bay: rechts am indigenen Friedhof (geht dank Blinker wieder), vorbei an amish-anmutenden Höfen, die nur per Pferdekarren angefahren werden, an der Vereinigung aller Häuptlinge der First Nations auf Manitoulin links, dann nochmal rechts nahe der First Nations Polizei und 25 Kilometer schnurtracks geradeaus.

Dort liegt sie: Eine goldene, einsame Sandbucht am Lake Huron. Bei 20 Grad und Sonnenschein. Ein Trostpflaster, wenn man kein Strandmupfel ist: Providence Bay.

Und so endet unser Tag auf Manitoulin Island weitestgehend undigital. Chouchou wird nun erstmal mehrere Tage versuchen müssen, irgendwelche Backups und Daten zu retten. Um dann zu schauen, wie er wieder überhaupt wieder erreichbar werden kann.
Und so endet unser Tag auf Manitoulin Island, dokumentiert nur durch die schwersteingeschränkten Möglichkeiten, die mir digitaler Legasthenikerin bleiben:
Ein paar verblichene Handyfotos und wolkige Rauchzeichen. Wer ganz genau hinschaut, erkennt oben am Himmel vielleicht einen angebissenen Apfel!? Wohlwissend, dass die wichtigsten Infos auf internen Festplatten gespeichert sind, die -Gott sei Dank- vollkommen unauslöschbar sind.

Weil unsere Erinnerungen vieles sein können:
Weitsichten über Klippen zum Beispiel.
Oder sonnendurchtupfte Ahronwälder.
Oder sterbend bunte Schlieren.
Aber niemals nie Fallobst. Im Frischekorb des Großhirns.

6 Kommentare

  1. Nicole (schlafdose)

    Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm🙈 Passt gut auf euch auf.

    • Joana

      Liebe Nicole!
      Wie gut, dass ich eh eher der Gemüsetyp bin.
      Liebe Grüße,
      Deine Joana

  2. das Phantom

    Ahhhh – der arme Apfel!
    Ihr seid aber auch solche Obstquäler – kein Schutzmäntelchen angehabt? 🙂

    • Joana

      Liebes Phantom!
      Das Schutzmäntelchen hatte Sommerpause. Jetzt haben wir den (Obst-)Salat…
      Entsetzt ,
      Das gemüseaffine Schnuffpuff

  3. Dagmar

    Ojeeee ,da müsst ihr ggf auf prepaid Handy und Kompass zurückgreifen?
    Möge eure Grosse Rinde immer fest und unverbeult bleiben.
    Old School macht auch Spaß,
    Falls nicht, in der Zivilisation zurück, gibt’s Ersatz
    Aber erstmal genießen, mental- nicht digital

    • Die Globetrottels

      Liebe Dagmar,
      wie gut, dass an Deinen Bändern der Kompass war. So halten wir wenigstens Kurs.
      Weiterhin Nordwest,
      Deine Globetrottels

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