Unterwegs im Magicbus

Zum Lake Superior

Den Abend haben wir mit Richard verbracht. Richard – ein zäher, kleiner, kompakter Mensch um die 70, der seine Bestimmung im Wald gefunden hat. Richard kann mit den Steinen kommunizieren und die Adler über Manitoulin mit ihm. Aus seinem Mund klingt das nicht spinnert, in Richards Welt ist das ganz und gar natürlich. Zumindest für Menschen mit Schwitzhüttenerfahrung oder solche, die die 1000 heiligsten Orte der Menschheit besuchen. Wer kann es nicht: dem Ruf der grauen Eule folgen? Laut Richard eigentlich jeder. Nachdem er auf dem Dreamers Rock war (war er), 7 Tage gefastet hat (hat er) und dann von einem Meteorschauer umarmt wurde. Richard hat einfach die Sterne zurück umarmt. Wer würde es auch nicht so machen? Oder sein ganzes bisheriges Leben hinschmeißen und mit 50 nochmal ganz neu anfangen. Dem Ruf der Eule folgend. Ein bisschen Mut gehört dazu und ein guter Glaube. Das hat ihn hier hergeführt. Und die Adler, die nach ihn gerufen haben. Also auch ein gutes Zuhören…

Ich weiß nicht, ob Richard uns aus reiner Menschenfreundlichkeit oder als Dank für unser Zuhören am Ende dieses Abends seinen selbstgezapften Ahornsirup vermacht. Mit dem Hinweis, der gehöre unbedingt in unseren morgendlichen Kaffee, danach sei man nie mehr der Selbe. Leider geht das Fläschchen heute morgen nicht auf. Als die Selben also reisen wir weiter. Die Selben, um einige Erfahrungen reicher. Und seit heute mit einem Fläschchen geheimnisvollem Ahornsirups im Gepäck. Vielleicht muss man es zum Öffnen reiben.

Das Frühstück on the road besteht aus einem Brot, dass uns die Dame im indigenen Supermarkt wärmstens angepriesen hat: der letzte Schrei, gebacken von der First Nation ummeEcke. Macht viel satter als das gängige Weiße und man kann es sogar einfrieren – “denn außer mir mag es keiner”. Stillschweigend genießen wir die Köstlichkeit: echtes Sauerteigbrot, das anscheinend erste und einzige seiner Art in Kanada. Wie gut, dass wir nichts einfrieren können. Und: Wie gut doch gutes Brot ist. Zu Hause würdige ich das viel zu wenig.

Wie viel haben wir schon geschrieben: von der Weite Kanadas!? Von seiner Wildnis und Einsamkeit. Unsere beschränkten Köpfe begreifen kaum, was der Reiseführer über unseren nächsten Reiseabschnitt zu schreiben weiß. Tatsächlich steht dort, dass wir erst ab heute die Zivilisation gänzlich verlassen. Denn erst Sault Ste-Marie sei “das inoffizielle Tor zu den entlegenen Regionen im nordwestlichen Ontario.” Ontario, auf dessen Autokennzeichen steht: “Yours to discover”…ab jetzt also wirklich einsam.

Abseits von Sault Ste-Marie (auch genannt “The Soo”) ist wirklich nicht mehr viel. Nur vereinzelt tauchen Farmen am transkanadischen Highway auf, auf dem jetzt nicht mehr viele fahren. Einmal sitzt eine alte Dame –augenscheinlich Mennonitin und circa 120 Jahre alt– am Straßenrand und verkauft Ahornsirup. An niemanden und sehr wahrscheinlich in Fläschchen, die nicht aufgehen.
See, See, Wald, See, Wald, Wald, See.
Gedanken fliegen vorbei, viele nicht greifbar. Einige schon.
Ein blaues Schild: “Please don´t feed the bears”.
Ein gelbes Schild mit einem Elch in Kampfhaltung.
Ein zotteliger Herr, der seinen Haushalt vor der Garage ausgekippt hat und Flohmarkt veranstaltet. Für niemanden und mit einem Fläschchen in der Hand, das sehr wahrscheinlich viel zu oft am Tag aufgeht. LCBO-Shops (Alkoholausschank) gibt es in dieser entlegenen Region dann doch erstaunlich viele.

Nachdem wir unser idyllisches Ökocamp am Morgen verlassen haben, rechnen wir an diesem Abend –nach 450 Kilometern Fahrt vorbei an See, See, Wald, See, Wald, Wald, See– am ehesten mit einem praktischen Stellplatz für die Nacht, bevor es Morgen ausgeruht weiter gen Westen gehen soll. Praktisch, legal, kostenlos, am Straßenrand. Wir haben die Rechnung ohne Manitous guten Geist gemacht, der etwas anderes für uns bereithält:

Abseits der Straße stehen wir auf einer Wiese (natürlich hinter See, See, Wald und See) direkt am Lake Superior.
Lake Superior: Heiliger See indigener Völker, Grenzsee zu den USA, größter Süßwassersee der Welt. DER See der Seen aller dieser tausenden von Seen, die wir heute gesehen haben. Er hat für uns ein nächtliches Heimatplätzchen in der allerersten Reihe reserviert. Mit Blick in Richtung Sonnenuntergang, Feuerstelle, einem endlosen Horizont am ersten wirklich warmen Tag in Kanada.
Ich bin mir nicht sicher, aber es würde mich nicht wundern, wenn heute Nacht ein Meteorschauer runterkäme.
Seit gestern wissen wir, was dann zu tun:
Im Zweifelsfall einfach die Sterne zurück umarmen.
Nur ein Eulenruftauber würde es nicht so machen…

2 Kommentare

  1. Hans-Jürgen Grundmann

    Wow! Nun seid Ihr in der Wildnis angekommen. Wenn wir in Deutschland stolz sind auf unseren größten See, den Bodensee, so ist es unvorstellbar, dass Ihr nun am Lake Superior seid, 160 mal so groß wieder Bodensee mit einer Fläche wie ganz Österreich ! Wasserqualität hervorragend. Also braucht Ihr keine Dusche. Let‘s go West! DeP.

    • Joana

      Wahnsinn! So groß wie Österreich. Und so viel schöner sogar…😍
      Die Dusche bleibt aus. Wenn Du mich suchst: ich bin im See.
      Deine Anelie

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