Unterwegs im Magicbus

Der, der nicht mehr blinkt auf Manitoulin

Gestern schrieb ich noch –ganz nostalgisch– von der Eisenbahn, die so nett tutet auf einer sehr, sehr hohen Brücke, hier in Parry Sound. Gestern um halb zehn wusste ich noch nicht, dass es genau diese nette Bahn sein wird, die uns die gesamte Nacht über den Kopf fahren wird. Und uns mitten im süßen Traum direkt ins Ohr tutet. Selbst Oropax halfen rein gar nichts, denn das Anrollen spürte man im gesamten Körper – bebend zwischen Daunen nachts um halb vier. Transcanadian railway – the real experience.

Immerhin hat´s im ansonsten wirklich sehr netten Parry Sound öffentliche Waschräume – supersauber und für alle: Arbeiter, Muttis, Opiatgeschädigte, die Globetrottels. Ein Klatsch kaltes Wasser ins Gesicht muss es um 7 Uhr richten: Good morning Georgian bay. Eigentlich seh ich besser aus, aber sei´s drum. Ich bleibe dabei: Parry Sound ist ein guter Ort, nachts vor allem für Taube.

Die Spannkraft im Gesicht nimmt auch nicht zu durch zwei Cappuchino (Cappuchini?) und Bosten Creams bei Tim Hortons. Kompensatorisch gibts bestes Internet vor Ort. Zu Hause anrufen, Tatort runterladen, der Bulli bekommt einen Schluck buntes Kühlwasser. Immerhin sind wir nun Walmart-klar. Will sagen: ich trage Socken in Birkenstocks und fühle mich angemessen gekleidet. Stop. Das stimmt nicht. Ich fühle mich schick. Auch wegen des unübertroffenen Urigkeitsniveaus der Kanadier, an dem ich mich nicht satt sehen kann. Ich finde es liebenswürdig bis in die Haarspitzen.

Über eine südfranzösisch anmutende, felsige Landschaft –Steinmännchen überall– rollt der Magicbus uns mit ein wenig Anzugproblemen mittags bis nach Sudbury: weltgrößter Nickelproduzent, für den der Lonely Planet folgende Sätze bereithält:
Sudbury hat eine Menge aus nichts gemacht – wirklich nichts. Oder: Bis 1920 hatten Industrieabfälle … die Bäume getötet, den Boden vergiftet und Sudbury zu einer Einöde mit geschwärzten Felsen gemacht.
Oder: Die Gegend war so kahl, dass in den 60ern NASA-Astronauten hier trainierten.
Wir halten am Großversorgungspunkt mit Tankstelle, JunkFood und Tim Hortons: das Urigkeitsniveau erhält hier einen beige, hustende Rußfärbung.
Hart arbeitendes Volk, teils mit wenig Zähnen bei billigem Kaffee, Möwen kreischen über der trostlosen Szenerie.
Fast wäre man versucht zu bleiben. Weil auch dies Kanada ist. Ein von Touristen gänzlich unentdecktes, abseits der Hochglanznaturfotographie, genauso echt wie alle Nadelbäume und Seen hier.
Trotzdem fahren wir nach einem Kaffee weiter. Ist ja kein Gonzotrip. Zumindest momentan nicht.

Außerdem heißt unser heutiges Ziel Manitoulin Island, nochmal 100km weiter, auf denen wir –Gott sei Dank– bemerken, dass der Magicbus doch nicht schlecht zieht, sondern lediglich ein scharfer Gegenwind bließ – im ockerfarbenen, trostlosen Sudbury. Wetter: rußiger Wind von vorne. Das passt ja auch zu Orten wie diesen.

Die Manitoulin Halbinsel zwischen Georgian und Huron Lake soll fest in indigener Hand sein. Wir hoffen so sehr, hier einen Hauch modernen, indigenen Lebens miterleben und obendrein zwei heilige, First-nations- Orte besuchen zu können. Orte, die sich nicht leicht recherchieren ließen.

Hochmotiviert halten wir – ohne rechten Blinker, der ist leider heute ausgefallen, weil der Magicbus keinen Bock mehr drauf hatte – an der Administration Office der Whitefish River First Nation. Angeblich kann man hier lieb fragen, ob man –gegen eine kleine Spende– den Dreamers Rock betreten darf, einen hochspirituellen Felsen, an dem junge Männer Visionen empfangen können. Ergo: die Globetrottels nicht, da keine jungen Männer im Team, das macht uns natürlich gar nichts. Den Angestellten der Administration Office allerdings schon.

To cut a long story short:
Die Globetrottels blitzen gehörig ab.
Freundlich, aber bestimmt bietet man uns diverse Ausreden an, warum wir nicht auf den Fels können. Ansprechpartner gäbe es leider nicht, “busy at the moment”, man selbst weiß leider gar nichts, das Areal ist zu, wahlweise wegen Covid und keiner weiß wie lange.
Wir spüren, wir brauchen gar nicht ausholen zu erklären, dass wir doch alle heiligen Orte der Menschheit besuchen müssen. Und nein, keine Sorge. Auch wenn Cannabis in Kanada überall legal ist: wir kiffen beide nicht und planen auch keine esoterischen Orgien am Dreamers Rock, selbst wenn wir möglicherweise mit den Socken in den Birkenstock anders aussehen. So lieb wir auch mit unseren traurigen Äuglein klimpern: Die Peoples der Whitefish River First Nation wollen uns einfach nicht auf dem Dreamers Rock.
Das müssen wir akzeptieren.

Heute also kein Dreamers Rock für uns. Und auch nicht die Kirche in M’Chigeeng – die ist genauso gerammelt geschlossen.

Nach initialer Enttäuschung bin ich vor allem aber froh, dass Chouchou sich von einer zweiten Vorstellungsrunde bei den Chiefs der First Nation abhalten ließ.
Die Idee, bei einer wiederholten Begrüßung erst einmal das Eis zu brechen, indem man mit einem lauten “Howgh” in den Raum rein platzt, wäre womöglich auch nicht zielführender gewesen. Der, der im Porzellanladen tanzt und so.

Das letzte große Wasser, das wir heute sehen ist der See des großen Manitu. Dahinter biegen wir links ab und sind für die nächsten Tage zu Hause angekommen: Als einzige Gäste auf dem Ökocamp Dark Skys.

Da steht er nun, unser Magicbus:
alleine, tief im Wäldchen, am Schildkrötensee, neben dem ein paar verlassene Tipis auf Gäste warten, die wohl erst im Sommer kommen. Und blinkt nicht mehr.
Der, der nicht mehr blinkt.
Vielleicht einfach mal fest draufhauen!?
Drauf-„howgh“en….wenn man Chouchou fragt.

4 Kommentare

  1. Hans-Jürgen Grundmann

    Winnetou würde dem Magicbus einen Namen geben. The little White Bull und würde beschwörend auf ihn einreden. Und dann würde Little White Bull auch wieder blinken ! 🤣 deP.

    • Chérie

      Der Geist des Little White Bulls hat uns erhört: er blinkt wieder…

  2. Alexl

    Jetzt muss es einfach raus, nachdem ich euch schon länger heimlich beobachte;-): eure Berichte und Fotos sind echt klasse. Es macht echt Spaß euch zu folgen. All the best für euren Trip!

    • Chérie

      Liebe Alex!
      Wir freuen uns riesig über Deine Nachricht – auch, weil wir dank des Datenschutzes keinerlei Überblick haben, wer (oder wie viele) eigentlich mitlesen. Wie auch immer Du uns gefunden hast: es ist schön, dass Du mit dabei bist und uns ein Stück begleitest. Weil Geschichten geteilt noch schöner werden. Und der Magicbus Platz für viele hat.
      Welcome on the trip!
      Deine Globetrottels

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