Unterwegs im Magicbus

Monat: Juli 2024 (Seite 2 von 3)

Regentage in Vålådalen

Zwei Regentage in Vålådalen – eine Pause, die wir nötig haben. Dankbar für den Regen. Denn wenn´s von oben schüttet, müssen wir unten nicht raus. Entsprechend schnell ist erzählt, was wir in achtundvierzig Stunden so trieben:

Am ersten Abend durch den mystischsten und beschützendsten Wald der Welt runter tapsen, um der Sonne beim Untergehen über dem wilden, einsamen Fluss zuschauen. Natürlich flüstert er.

Einen Berg Wäsche waschen – im Nahkampf mit der findigen, holländischen Nachbarin, die drei Mal unsere Maschine boykottiert, indem sie sich –stets fünf Minuten vor Ablauf– immer wieder vordrängelt. Bis abends aber schaffen wir es trotzdem: blütenfrische Klamotten um neun, deren Waschung insgesamt acht Stunden dauerte. Träumen in frischen Laken.

Im Bulli kleinschneiden, draußen unter der Plane im Regen kochen. Beide Mal sehr gut.

Wir lesen bei bollernder Bulliheizung – seit langer Zeit nicht nur Reiseführer, sondern echte Literatur.

Wir laufen nach Vallbo—über die Straße auf der uns Brutus erstmalig begegnete.

Wir bestaunen die unbändige Kraft des Vålånflusses am Fall.

Wir kaufen die Sauna des Campingplatzes: 5 Euro für eine Stunde. Die Hitze ist für mich ganz alleine.

Wir zünden ein Kerzchen an für den Wichtigsten in der Samenkapelle ums Eck. Unglaublich, dass das irreparable Loch in meinem Herzen genau heute vor einem Jahr gerissen wurde.

Wir lauschen dem Regen auf dem Magicbusfenstern; einer, der einfach nicht aufhören will.

Der Himmel weint. Heute hat er einen guten Grund dafür….

Magisch realistisch zurück nach Schweden

Wie sehr man sich doch täuschen kann, wenn man dem ersten Eindruck immer Glauben schenkt. Unser Abend an der Marina soll sich vollkommen anders entwickeln als erwartet.
Die vermeidlich knurrigen Wohnmobilisten –allesamt Einheimische—packen um acht die Gitarre aus und die Stimmung verzaubert sich. Johnny Cash-Songs wabern mit norwegischem Akzent über das stille Fjordwasser, man beginnt zu tanzen: mit einem Fußwippen – einheitlich.
Irgendwann gesellen wir uns einfach dazu (in Schlafklamotten und mit Decken um die Schultern) und sind plötzlich herzlich willkommen, mittenmang in einer Nordfeier, die einem regenfreien Sommertag gilt.

Ob wir Waffeln wollen oder Kaffee? „Bitte nehmen Sie Platz.“ Auf Plastikstühlen wippen unsere Füße nun mit im norwegischen Rhythmus.
„Get rhythm, when you get the blues…“ Vielleicht ist es manchmal ganz einfach?! Einfach hingehen… zu den Anderen. Und das fremdeln hört auf…

Im prallen Sonnenschein beginnen wir den heutigen Tag. Kaffeetrinken auf dem Bänkchen am Hafen, eine reine Mädchengang Enten leistet uns schnatternd Gesellschaft. Als unsere Nachbarn (Regenschirm und Wein) erwachen, empfehlen sie uns dringend zu bleiben: dieser Tag ist doch so wunderschön und wir alle stehen hier so nett beieinander. Wie schade, wir wollen weiter. Aber alle unsere neuen Freunde winken uns Adieu. Der gesamte Platz.

Mit Sommergefühlen fliegen wir vorbei an Seen und letzten Fjorden, dann hat uns die Bergwelt wieder. Irgendwo habe ich gelesen, dass über 80% der Norwegin*innen am Wasser leben. Wenn man durch die Mitte dieses Landes gondelt, lässt sich das unüberprüft so glauben: jenseits der Fjorde ist´s –außer ein paar Höfen und einer Kapelle– menschenleer. Zwischen Orkland und Orkanger.

Erstmalig fährt heute unser neues Teammitglied vorne mit. Für Spillopp ist dies alles Neuland. Neugierig schaut er in alle Richtungen. Mal starrt er Chouchou an, mal mich – ohne, dass einer von uns beiden ihn bewegt hätte. Man kann es sich nicht ausdenken, so trollig ist das –in einer Welt des magischen Realismus´, in der alles beseelt ist. Wie in der Globetrottelswelt, zum Beispiel.

Auf der Mautstraße geht’s in Richtung Trondheim. Die App zum Zahlen haben wir bereits, denn seit gestern sind wir etwas schlauer. Und wir wissen mittlerweile sogar, was uns die Fähren gekostet haben. Ferry-NO hat zackig und problemlos abgebucht: sechs bis neun Euro pro Bootsfahrt. Will sagen: Faire Fähre.

Trondheim.
Chouchou behauptet schon einmal hier gewesen zu sein: angereist über eine Schotterpiste. Es gab damals nur sehr wenige bunte Häuschen. So ist das wohl, wenn Methusalem reist. Damals, vor 970 Jahren, in der Hochzeit der Wikinger: Chouchou im tiefen Schnee auf einem Rentier reitend, das Peter auf einem Schlitten hinter sich her in die Stadt zog.
Die Kirche, die gab´s damals auch noch nicht. Ist klar, Chouchou. Denn die erste Steinsetzung für den Nidarosdom erfolgte erst 1090.

Der Nidrarosdom ist unser Heiliger Ort Nr 186. Pfarrer Engels scheint nicht ganz genau zu wissen, warum er ihn in seine 1000-Heilige-Orte-Liste mit aufgenommen hat, behauptet Chouchou. Der Schrein des Heiligen Olavs könnte ein guter Grund sein. Olav, Norwegens heiligster Heiliger, der sich als ehemaliger Wikinger taufen ließ und die Christianisierung im Land vorangetrieben hat. Damals, als Chouchou das erste Mal hier gewesen ist.

Am eigenen Leibe können wir die Heiligkeit des Ortes heute nicht erfahren. Der Dom ist wegen eines Begräbnisses nicht zugänglich, aber immerhin bimmelt die Glocke einmal nett für uns, als wir die Kirche umrunden. Das ist ja auch etwas. Auf dem Dach sitzt derweil ein menschlicher Gargoyle und isst in luftiger Höhe sein Mittags-Bütterken.

Entlang der sehr wenigen, bunten Häuschen der Stadt und dem Kunstmuseum verlassen wir die Metropole auch schon wieder.

Zwei Abzweige und schon sind wir auf der lieblichen E14, die uns die letzten 140 Kilometer des Tages nur noch geradeaus führt. Meist am Fluss entlang durch leuchtend, grünes Land und wieder über eine „Riksgrense“ – die norwegisch-schwedische.

In Vålådalen werden wir heute Nacht bleiben. Ein Ort, der uns gut bekannt ist – 2021 war er der nördlichste Punkt unserer Schwedenreise. In diesen Wäldern haben wir damals Brutus getroffen. In diesen Wäldern haben wir uns in den Norden verliebt. Seither steht Vålådalen fest in der Liste meiner Wetterapp und ich checke regelmäßig die Temperaturen– so wie bei allen Orten der Welt, die mich besonders berührt haben.
Heute: Vålådalen, Sonne, 15 Grad.

Auf dem uns bekannten Platz Vålågarden parken wir mit Blick auf leuchtend pinke Weidenröschen ein. Zum Kaffee gibt es Toscabulle – ein schwedisches Hefe-Mandelgebäck, das einem die Schuhe auszieht, zum Abendessen Grünkohl. Dinge, nach denen der Körper im Sommer halt zu schreit…

Vielleicht werden wir später noch zum wilden Fluss runterlaufen und den Stromschnellen zuhören. Wie damals 2021. Vielleicht erzählen sie uns, wie es ihnen ergangen ist: in den Jahren, in denen wir nicht hier gewesen sind. Und ob sie Brutus vermissen.
In einer Welt des magischen Realismus´, in der alles beseelt ist, wäre das durchaus möglich. Warum auch nicht?
Man muss sich nur dafür entscheiden…

Hochsommer in Norge ist wie: Der König der Wälder auf pinken Wassern

Der Schatz von Runde soll sich an unserem letzten Abend auf der Insel direkt vor uns ausbreiten. Nicht in Form des gehobenen Goldes, sondern in den unglaublichsten Farben, die ein Sonnenuntergang zu bieten hat. Vor einem psychedelischen Meer in pink.

Wäre am Sundowner-Hotspot nicht das immerwährende Schweizer Geschwafel gewesen (das nicht einmal den Sonnenuntergang betraf, sondern –weggedreht von diesem– in Stadionlautstärke um „naturnahe und stille Plätze“ des Landes ging), man hätte weinen wollen vor lauter Schönheit.

Unser heutiger Tag wird zwangsläufig eine Fjordtour par excellence. Um in Richtung Trondheim zu kommen müssen –nach viel Küstenstraße–wir drei Linienfähren boarden.

Auf der ersten treffen wir den zweiten Deutschen, der sich für einen Norweger ausgibt. Genauso wie unser Witzkanonencampingwirt in Bunte, der eigentlich aus der Pfalz stammt und den Platz mit wütenden, deutschsprachigen Zetteln pflastert, um den kloakenartigen Geruch zu rechtfertigen. In sich ein eigensinniges Kunstwerk.

Mit dem angeblichen Norweger, der eigentlich Deutscher ist (seine Frau verrät ihn) und einer Gruppe mopedfahrender Zahnärzte aus Pinneberg boarden wir Boot Nr 1.
Keiner von uns hat eine Ahnung, wie man diese Dienstleistung bezahlen kann, denn niemand kommt kassieren und wir finden keinen Ansprechpartner.
Auf Boot 2 wird eine Webpage angeschlagen auf der steht: man zahlt die Fähren per Rechnung oder App, die Autokennzeichen würden digital eingelesen.

Auf Boot 3 haben wir immerhin schon einen Account – aber noch immer keinen blassen Schimmer, wie teuer eine Überfahrt nun ist. Bis zur Antwort müssen wir anscheinend noch ein bisschen warten. Spätestens, wenn im Herbst das Inkassounternehmen bei uns klopft, wissen wir es wohl.

Diese Fjorde sind schlichtweg unglaublich. Zerklüftetes Land, Wind, Wasser und Berge, einsame Inselchen im Nichts. Landfransen verbunden nur durch zahllose Brücken und unzählbare, kleine Fähren. Boote, die ausnahmslos nach Brühwurst riechen, deren Kaffee man nicht empfehlen möchte. Aber der Kakao ist super.

Diese Landschaft so zu fotografieren, wie sie auf einen wirkt, ist ein aussichtloses Unterfangen. Wo auch immer man den Kopf hindreht, zeigt sich ein neues Fotomotiv. Eindrücke, die sich in ihrer Gesamtheit nicht ablichten lassen. Es sind nur die Details, die man einfangen kann. So wie dieses – das Schönste des Tages. Stand plötzlich einfach auf der Wiese nahe des Straßenrands: unser erster, norwegischer Elch.

Auch wenn er nicht unser allererster Elch im Leben ist, fällt das Freudenfest, ihn sehen zu dürfen, nicht milder aus. Ein wunderschöner, halbstarker Elchbulle. Auf ein fröhlich gerufenes „Hej!“ hebt er seinen schweren Kopf und starrt uns neugierig an. Das aufgeregte Zuwinken aber wird ihm anscheinend zu bunt und er galoppiert von dannen, ins Dickicht davon. Bis zum nächsten Mal, König der nordischen Wälder! Es ist uns ein Vergnügen gewesen.

An der Marina von Kyrksæterøra (bitte merken, wird später abgefragt) parken wir für die Nacht ein, nachdem wir eine handvoll norwegische Kronen in einem (aus dem Infoblättchen eines katalanen Campingplatzes) selbstgebastelten Umschlag versenkt haben. Den gutbetuchten Wohnmobilisten hoch zu Rosse kommt der kleine Schmuddelbulli anscheinend nicht sehr gelegen: vielleicht liegt es an unserer Außenküche!? Aber unsere direkten Nachbarn sind freundlich. Und das ist ja schließlich das Wichtigste.

Mit Blick aufs Fjord und Hafen dürfen wir heute schlafen. Ein Satz so poetisch wie das Foto, das uns unsere Nachbarn etwas später dann noch liefern:
Ein norwegisches Paar in kurzen Hosen im Nieselregen mit einer Flasche Wein vor Fjord.
So, Sportsfreunde, geht Hochsommer in Norge.
Tak für dieses symbolisch-schöne Bild!

Papageientaucher in der Zwischenwelt

Natürlich konnten wir uns nicht gedulden. Natürlich mussten wir gestern Abend schon auf den Berg vor unserer Haustür. Das Versprechen war einfach zu verlockend: Wer abends geht, der sieht sie besser: die Papageientaucher von Runde.
Zweihundert Höhenmeter geht es steil bergauf, an den Schafen vorbei, durch den Nebel ins Marschland. Dank freundlich-neuer Trittsteine verliert man den Weg nur selten: eine Schutzmaßnahme, damit die Norweger nicht täglich im Dunst verschollene Vogelfreunde von den Klippen picken müssen. Oder von darunter.

Obwohl es bereits neun Uhr ist, ist der Felsen noch immer gut besucht. Mit ungeeignetem Schuhwerk kraxeln wir an den Klippen entlang, im Rücken ornithologischer Enthusiasten, die ihre Poolposition nur ungern aufgeben. In erster Reihe ein handfester Ehestreit: Er, der Döspaddel, hat die Kamera nicht scharf gestellt und wird von ihr mit zischenden ASMR-Lauten vor allen Leuten flüsternd gerügt. Die Vögel interessiert das nur wenig. Nur mich stört das wütende Klicken der unscharfen Highendkamera, die die entrüstete Ehefrau trotzdem wie eine Waffe auf die Puffins hält. Nicht einen Millimeter zur Seite rückend, den Vogel aus zwanzig Zentimetern mit einem Monsterobjektiv abschießend.

Die lustigen Papageientaucher gehören zu den Regenpfeifferartigen. Ausgestattet mit den schönsten Schnäbeln der Welt wirken sie wie eine Kreuzung aus Papagei und Pinguin, mit der Start- und Landeleganz eines Albatrosses.

Die gefährdeten Vögelchen leben an diesem Felsen zusammen in monogamen Saisonehen und wenn man sie länger beobachtet, ist es vollkommen logisch, dass sie die einzigen Vögel der Welt sind, die Werkzeuge aus reinen Wellnesszwecken benutzen. Mit Stöckchen den Rücken kratzen tun in der Vogelwelt nur die Puffins.

Nach einem beseelten Schlummer erwachen wir auf unserem letzten, rundischen Campingplatzeckchen, das über Nacht die Charme eines Schrottplatzes nicht verloren hat.
Eines aber bleibt der unübertroffene Luxus der Welt: Mit Möwen und Meeresrauschen im Ohr einzuschlafen, wieder aufzuwachen und so lange still liegenbleiben zu dürfen, wie man zuhören will.
Selbstbestimmte Zeit im Angesicht mit dem europäischen Nordmeer.

Nach einem opulenten Frühstück machen wir uns auf den Weg zu einem Klippenspaziergang. Mit besserem Schuhwerk, Gott sei Dank. Denn mal wieder schliddern wir mitten hinein in ein Abenteuer, das so nicht geplant war.

Dass es nebelig sein würde, wussten wir. Dass wir oben auf den Klippen, an den Steilhängen, die komplette Sicht verlieren sollen, war aus dem Tal so nicht zu ahnen.

Mit teilweise nur zehn Metern Sicht wehen uns die Böen nach wahlweise nach vorne, hinten oder zur Seite. Einsames Marschland im Wind. Traumschemenhaft – wie in einer Zwischenwelt, in welcher Felsen Gesichter haben.
Willkommen in Walhalla.

Einmal verlieren wir den Weg –die freundlich-neuen Trittsteine liegen lange hinter uns, die Wegweiser ein Rätsel.

Ein guter Moment über sein Vertrauen in die Götter zu meditieren: Möge dieser Weg bitte nicht direkt an den Hang der Steilklippe führen. Mögen die Böen uns in die richtige Richtung stoßen. Schritt für Schritt den Dunst anbetend, wallender Nebel aber antwortet leider nicht.

Schlussendlich laufen wir zwölftausendfünfhundertachtunddreißig Schritte mitten durch Walhalla. 7,8 Kilometer verloren im Dunst, zu zweit in einer Zwischenwelt des Übergangs, die nordischen Götter anrufend: sie aber bleiben für die Ohren still. Die Winde aber schieben sie – in unsere sichere Richtung, weg von den Klippen, heil zurück zum Magicbus.

Ob es das wirklich gibt? Windschiebende Nordgötter?
Wer weiß es schon.
Auf jeden Fall fühlt es sich im Auge des Sturms recht seelenfreundlich an, ein „Hvorfor ikke?“ nicht auszuschließen:
Ein großes, vertrauenvolles „Warum nicht“? im nebeligen Wikingerland…

Von sieben Schwestern, die nein sagen und einem zu hebenden Schatz in Runde

Am Morgen glauben wir noch, dass wir mit einem sehr großen Boot weiterfahren werden. Die Fähren, die aus dem Fjord hinaus in tausend weitere Fjorde tragen sind alles andere als klein. Wir haben sie die letzten Tage bereits beobachtet, wie sie mit ihrem geöffneten Mäulchen geirangerische Autos am Steg verschluckten und hinfort in die weite Welt trugen. Als Neunautiker rechnen wir in „Das Bøøt- Einheiten“. Die Fähren hier sind entsprechend mindestens 1111mal das Bøøt-groß.

Wenn wir im gestrigen Hochsommer die Fähren noch für groß hielten, werden wir heute –beim zweiten Kaffee im Frühherbst– eines Besseren belehrt.
Ein Koloss schiebt sich plötzlich ums Bergeck bei Homlong.
Stillschweigend und ohne Wellen zu schlagen drückt sich ein Monstrum durch den Fjord; nur möglich, da es im Geiranger einen Tiefgang von 270 Metern hat. So kann selbst die Aida Perla mit ihren 3286 Passagieren kurz vor Hafen bei Ebbe anlegen.
Beim Campabbau haben nicht nur wir viel zu staunen. Ganz Geiranger schaut zu, während die Aida mit einer Seelenruhe landet.

Zur Fähre sind es für den Magicbus 500 Meter, warten auf Lane 1. Wir beobachten, wie der Landungssteg für den perligen Tagesgast ausgefahren wird. Wie sich das Monstrum human in den Ort erbricht, sehen wir leider nicht mehr. Unsere Fähre tutet und legt vorher ab.

Im Dunst segeln wir aus Geiranger hinaus. Der Kahn: altbacken wie in einem Piratenheftchen, mit uns sind vor allem lustige Koreaner an Bord, die YumYum-Nudeln löffeln und sich von der Szenerie lauthals begeistern lassen.
Im Kajütenshop gibt’s Elch-, Rentier- und Walsalami zu kaufen, wir flüchten uns schnell auf Deck.

Unser Tageshighlight empfängt uns bereits zwei Fjordkurven weiter:
die Sieben Schwestern, die sich im Nebel –melancholisch wie unaufhörliche Tränen—aus dem Berg ergießen: ein Fjordhang, der weint, aus zweihundertfünfzig Metern Höhe. Ihm gegenüber der Freier-Wasserfall.

Die Sage besagt, dass der Freier (Fall) jede der gegenüberliegenden Schwestern (Fälle) heiraten wollte. Alle sieben aber wiesen ihn ab. Aus Gram wurde Freier Alkoholiker, sein Wasser fiel hinab in Form einer Flasche. Armer, zurückgewiesener Kerl.
Hält sich die Regenmenge (oder Schneeschmelze) in Grenzen, zeigen sich nicht alle der sieben Mädels, wir aber haben mal wieder Wetterglück und können auf Auge nachzählen: einszwodreivierfünfsechssieben. Alle da!

Am Rande der Wasserfälle, in schwindelnder Höhe, steht der verlassene Berghof Knivsflå – einst der ertragreichste Hof des Geirangerfjords. Auf Grund von Steinschlaggefahr wurde er 1898 verlassen, bis heute ist jedoch kein einziger gekullert.

Die Fähre trägt uns bis ins sonnige Hellesylt: wir tanken unsere heutigen zehn Minuten Sonne ein und entschwinden über die Berge.

Durch diesige Bergwelten geht’s bis Volda, wo wir das Unmögliche versuchen: günstig einkaufen in Norwegen. Denn nicht nur landschaftlich schlägt dieses Land dem Fass den Boden aus, auch die Preise haben sich ziemlich frisch gewaschen. Das angeblich einzige günstigere Produkt im Vergleich zu Deutschland soll Fisch sein, wir sparen also nirgends. Preislich gesehen kann sich Norge fröhlich die Kronenhand mit dem Frankenhändli unserer südlichen Nachbarn schütteln.
Norwegen, die „dyr skjønnhet“: die teure Schönheit.

Mit vollen Taschen und deutlich leerem Portemonnaie geht’s weiter, nicht mehr weit. Nur einmal noch müssen wir durch einen der tiefsten Straßentunnel der Welt: den Eiksundtunnel.
Der Eiksundtunnel liegt 287 Meter unter der Erde. Bis 2019 war er der tiefste Straßentunnel der Welt, bis zu dem Zeitpunkt, da jemand woanders noch weitere fünf Meter tiefer buddelte und den Minusrekord aufhob. Uns reichen die 287 Meter unter Null vollkommen.

Knappe 4 Kilometer geht’s bergab –ausreichend Zeit sich vorzustellen, wieviel Wasser das über einem bedeutet—und knappe 4 Kilometer mit einer Steigung von fast 10% wieder bergauf. Der Magicbus ackert ordentlich beim wieder Hochschrauben in Richtung Erdoberfläche: 30km/h im zweiten Gang, wo 80 erlaubt sind. Ausreichend Zeit sich vorstellen, wie hier ein Auffahrunfall im Dunklen aussehen könnte.

Auf der Insel Runde ist heute für uns Schluss: im Auge des Sturms der Ornithologen.

Bekannt für seinen Vogelfelsen hat´s hier wenig außer Meer. Wir Vögelchen aber kommen gerade deshalb: um andere Vögel zu gucken.

Leider hat´s auf diesem winzigen Eiland mit seiner Einspurkstraße kaum Möglichkeiten zu übernachten. Es gibt lediglich einen Campingplatz, der pickepackevoll ist. Am Tresen arbeitete –Gott sei dank—ein gnädiger Spaßvogel, der sich mit Aquavit bestechen lässt. Er quetscht uns ins allerletzte freie Eckchen. Schräg, aber mit Meerblick.

Morgen gehen wir also schräge Vögelchen schauen. Und vielleicht den Rest des Schatzes heben, der angeblich noch vor der Küste liegt.
Die 1725 gesunkene Akerendam hatte 230000 Dukaten à 3,5g Gold geladen haben, von denen in den 70ern lediglich 57000 Münzen geborgen wurden. Vor unserer Küste liegen demnach noch satte 600 Kilogramm Gold. Bei einem Kilomarktwert von 70000 Euro sprechen wir von 42 Millionen Euro – abgerundet.
Es ist wohl an der Zeit, die Taucherbrille rauszuholen. Die runde.

Zwei Tage Geiranger

Zwei Tage verbringen wir in dieser unfassbaren Szenerie, die nur von Göttern oder Trollen geschaffen sein kann. Im kalten Nebel, der über dem Fjord hängt, wandern wir donnerstags auf den einen Berg, um am Freitag im Sonnenschein auf den nächsten zu steigen.

Donnerstags liegt Dunst über dem Fjord.

Auf nassem Fels glitschen wir bergauf und bergab, eine halsbrecherische Aktion. Nur die Johannisbeeren am Wegesrand retten uns durch dieses Abenteuer und der Blick vis-s-vis aufs Dorf, der für alle ausgestandenen Ängste entschädigt.

Vorbei an Schäfchen, die unterm Wasserfall grasen und behangenem Apfelbaum unter Kirche.

Im Donnerstagdorf ist nicht allzu viel los, wir checken die Trolleinkaufsmöglichkeiten zwischen tief stehenden Wolken, während eine schwedische Männergruppe neben uns die Partyzeit einläutet.

Am nächsten Tag, Freitag, ist plötzlich Sommer. Wo auch immer der auf einmal herkommt!? Über der ersten Fähre zieht der Nebel ab und macht einer nördlichen Julisonne Platz. Die Luft riecht vollkommen verändert an diesem Morgen: sommersonnenaufgangskühl mit einem Hauch von Meer – eine Frische, die ich selten so gerochen habe. Ein Aufbruchsgeruch, ein heilender, ein olfaktorisches »Da geht noch was«, das durch die Haut geht. Und unter.

Nach einem obstlastigen Frühstück sind wir bereit für kleine Fußtaten, bereit für einen echten Ortsrundgang.
Am grandiosen Wasserfall in unserem Rücken beginnen wir auf griffigen Stufen bergan. Donnerndes Wasser brettert den steilen Fels bergab, das sich am Magicbus erstaunlich besänftigt in den Fjord ergießt. Sonnenglitzer auf Schaum und Regenbögen auf den Kronen. Warum auch immer wir ihn nicht in der Totalen fotographieren, wissen nur die Trolle.

An der Kirche des Orts –leider geschlossen für die Globetrottels– gibt’s die Postkartenaussicht hinein in den Fjord.

Die Hurtigruten schiebt sich soeben in den kleinen Hafen und kündigt –im Echo tutend—ihre Ladung an: „Geschmuggelter Snaps ist da,“ das Pilotboot hat nun durstige Eile zum Andocken.

Am Hafen schießen wir ein Foto mit Troll neben einer schlafenden Inderin, die die Umgebung anscheinend umgehauen hat.
Eine norwegische Dame ruft uns zu: „Das reiben der Nase bringt Glück,“ also schubbern wir als nächstes den Gumpel. Neben Trollhäuschen, in die nicht mal die Nase gepasst hätte.

Im großen Tourishop erliegen wir der Liebe und unserem guten Geschmack.

Ein weiteres Wesen schummelt sich erst ins Herz und dann ins Globetrottelsteam. Wir taufen ihn auf den Namen „Spillopp“, ab nun Familienmitglied und zuständig für den Bereich „magische Begebenheiten“ rundherum um den Magicbus.

Den restlichen Tag spielen wir mit allen anderen Menschen in Geiranger gemeinsam Sommer:
Eis essen im Sonnenschein, mutige Kinder beim Baden im Fjord anfeuern, bis zu den Waden schaffen auch wir es ins eiskalte Wasser, um beinahe auszurutschen.

Erdbeeren am Nachmittag, die nächste Fähre verlässt weich schwankend den Hafen, die Schafe auf den Steilwiesen hinter uns blöken, um letzte Bestellungen für das Postschiff aufzugeben.
Menschen in Badedress, Summervibes im Fjord. Das erste Mal wieder seit Dänemark.

Wie es sich für einen Sommerferientag gehört, passiert heute nicht mehr viel.
Nur einmal noch –kurz vor Outdoorkatastrophenküche: ich brenne fast den Campingplatz ab– schrillt unsere NINA-Warnapp: Achtung, Achtung! Stromausfall in Bonn. Und Spillopp grinst verwegen.
“Spillopp, lass es sein! Nur um den Magicbus herum, haben wir gesagt.“ Und dabei ganz vergessen, dass das –genau genommen—auch die ganze Welt sein könnte. Und Spillopp zwinkert.
„Um den Magicbus herum die ganze Welt. Zu Hause überall!“, trollt es unter langer Nase.
Wir spüren: wir haben uns genau den richtigen Player ins Team geholt.

Patschnass ans Geirangerfjord

Wie immer im Leben der Globetrottels ist der nordische Wettergott gnädig mit uns: im Trockenen packen wir ein. Der Sturzregen beginnt erst bei Abfahrt und dauert just bis zu dem Moment, an dem wir an unserem heutigen Tagesziel wieder einparken. Hoch lebest Du, großer Thor. Womit auch immer wir das verdient haben…

Unser Weg führt uns über eine verregnete Hochebene, die irgendwann zur Passtraße wird.
Gigantische Berge mit schneebedeckten Gipfeln, Sturzbäche aus den Steilwänden, baumlose Weiten, Seen und Flüsse – unzählbar. Das wetterbeständige Grau und die tiefen Wolken malen diese Gegend noch magischer, als sie es ohnehin schon ist. Eine Schönheit, die ans Unbegreifliche grenzt, für die es keine Worte gibt.

Gestern noch dachten wir, dass Norwegen möglicherweise mit unserer Schwedenliebe nicht ganz mithalten kann. Heute sind wir zweifelsohne eines Besseren belehrt.
Sollte es in dieser Gegend jemals zu regnen aufhören, kann er nur so aussehen: der Himmel.

Wir rollen durch das Örtchen Lom: ein alpin anmutendes Dorf mit Holzgesicht in norwegischbraun. Im Zentrum steht eine der größten erhaltenen Stabkirchen des Landes: die „Lom stavkyrkje“, erbaut 1158.

Bereits beim Anhalten ist es uns ein Rätsel, warum wir eigentlich nicht reingehen in dieses imposante Bauwerk? Der Regen wird es nicht sein, irgendetwas Unbestimmtes zieht uns weiter.

Über einen nächsten Pass schrauben wir uns wieder hoch, um uns 20 Kilometer vor unserem Tagesziel eine fast lächerlich atemberaubende Straße wieder herunter zu schrauben: der Anfang des Trollstigens nach Geiranger.

Wahrlich kein Geheimziel, gilt der UNESCO geschützte Fjord doch als einer der schönsten weltweit. Wir rechnen daher nicht damit, zur Hauptreise überhaupt noch ein Plätzchen auf dem Camp im Ort zu finden.

Mit dem letzten Tröpfchen von oben melden wir uns an der „Resepsjon“ des Campingplatzes – wenig hoffnungsvoll und trotzdem grinsend wie Honigkuchenpferde. Weil alleine die Umgebung so unfassbar schön ist, dass es bereits ein Gewinn ist, überhaupt angereist zu sein in diese Szenerie. Weil die Fahrt an und für sich schon endlos beschenkt hat, dass man mehr nicht wollen kann.

Die enthusiastische Rezeptionistin begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln: Ja, es gibt noch Platz für uns. Wenn wir möchten: den allerletzten direkt am Fjord.
Ob wir möchten?!? Als nächstes möchte ich vor allem erstmal weinen vor Freude!

Den Rest des Tages lassen wir diese gigantische Welt einfach auf uns wirken. Möwen kreischen über uns, vor uns schwimmt einmal die Hurtigruten durch den kleinen Hafen und eine Fähre legt ab ins ruhige Fjord, während hinter uns riesige Wasserfälle ins Tal donnern.

Und beim Kaffee weiß ich plötzlich, welches Unbestimmte es war, dass uns magnetisch weiterzog.

Es war dort oben jemand, der uns das Plätzchen freigehalten hat bis zum Schluss. Weil die Verbindung zur Regenbogenbrücke hier –in Geiranger– um so viel deutlicher ist, als in irgendeiner Kirche.
Selbst der in Lom.

Folge den Rens nach Norge

Beim zu Bett gehen wünschen sie uns eine süße Nacht, indem sie noch einmal eine Runde übers Camp galoppieren, nachdem sie Chouchous Nähkünste bestaunt haben: eine weitere Bande Rentiere.

In der Nacht hören wir ein leises Klingeln: das Rentierglöckchen.
Die meisten Rentiere in dieser Gegend –so lernen wir—sind nicht gänzlich wild. Zwar streifen sie unbeaufsichtigt durch die Wälder, gehören aber zu einer Zucht der Samen, der südlichsten der Erde. Damit man die unbeholfenen Sprinter wiederfindet, trägt der Leithirsch Glöckchen. Es ist das gleiche, das Weihnachten einläutet.
Außer klingeln nix gewesen, schliefen wir wie Adventsengelchen in dieser Nacht.

Am Morgen –der erste Kaffee ist bereits getankt—wackelt es sich mit halboffenen Äuglein selig ins Bad. Puttenartig verschlafene Augen, denen man für einen Moment nicht ganz trauen mag: die Rentiere sind noch immer da!
Schnarchend liegen sie in der Wiese neben dem Camp. Ein Bild, das sich tief ins Herz einbrennt. Eines der friedlichsten, das ich jemals in meinem Leben gesehen habe: zwanzig schlafende Rentiere im Gras.

Fast zeitgleich brechen wir alle auf. Allerdings sind die Rens einen klitzekleinen Moment früher abreisebereit als wir (wohl weil sie nicht mehr die Zähne putzen mussten!?) und blockieren erstmal unsere Fahrbahn.
Ein lohnenswerter Grund, um einen Hauch länger in Schweden zu bleiben. Wir rollen gemächlich erst nach elf aus diesem Zauberland hinaus, hinein ins nächste: Hei Norge! Hallo Norwegen.

Norwegen. Gilt –neben der Schweiz—als das höchst entwickelteste Land der Erde und laut der Zeitschrift „The Economist“ als demokratischster Staat der Welt mit einem der großzügigsten Sozialsysteme weltweit.
Europaweit ist es das dünn besiedelteste Land, 50% der Gesamtfläche fallen auf Gebirge, Hochebene oder Moor, 37,4% auf Wald, 7% auf Süßgewässer oder Gletscher. Da bleibt nicht mehr allzu viel Platz für Urbanisierung. Sehr schön.
Die Gesamtküstenlinie hat eine Länge von insgesamt 100.000km. Wollte man die abfahren, wäre man zweieinhalb mal um den Äquator gedüst.
Wir beide sind noch nie hier gewesen; wir beide sind sehr, sehr gespannt, was uns hier; in Norge oder Noreg oder (samisch) Norga, Nöörje oder Vuodna erwartet.

Das Erste, das wir sehen ist Sonne. Sonne, die uns den Großteil des Tages nicht mehr verlässt. Wir sehen Wald und Berge – auch die werden uns heute treu bleiben.

Der Magicbus kämpft sich tapfer auf 1100 Meter hoch, tiefer geht’s für ihn und uns heute nicht mehr. Ein Kirchlein am Wegesrand, ein Zwerg, die größte Spitzhacke der Menschheit, Skiabsprungschanze, mehrere kleine Siedlungen.

Auf den ersten Blick wirkt dieses östliche Mittelnorwegen tatsächlich „voller“ als der schwedischen Mittelwesten – wobei das eigentlich nicht sein kann.

Wir gleiten am ersten Ort vorbei: Røros.

Laut UNESCO stehen in dieser ehemaligen Kupfererzstadt massenweise denkmalgeschützte Häuser. Einen denkmalgeschützten Parkplatz finden wir auf Anhieb nicht, der Touristenrummel ist dafür unübersehbar. Nach einem flotten Drivebyshot der durchaus hübsch anzusehenden Kirche drehen wir also ab. Weiter geht’s in den Dovrefjellnationalpark.

Angeblich sollen hier –auf dem Dovrefjell– ein paar von Brutus´ freien Brüdern und Schwestern leben. Sagt man.
Angeblich sähe man diese am besten, von einem gut zu Fuß erreichbaren Aussichtspunkt. Wird behauptet.
Ein Ort, der anscheinend alle Moschusochsenfans der Welt anzieht. Das zumindest ist keine Legende: der Parkplatz ist voll bis oben hin, ein Reisebus sucht soeben noch ein freies Plätzchen.

Über einen ausgetretenen, 2 Kilometer langen Pfad geht es mit allen anderen Moschusfreund*innen steil bergauf bis zu einer verglasten Hütte. Die braucht es auch dringend, da es auf der Hochfläche an allen Ecken zieht.

Wir kuscheln uns zwischen die anderen Touristen und starren angestrengt in die Weite: ein durchaus wunderschöner Ausblick über das Hochland. Allerdings ganz ohne Moschusochsen in jedweder Sichtweite.

Unser erstes norwegisches Camp liegt am Pilgerweg. Wie passend.

Ein knurriger Nordmensch checkt uns ein, ohne die Nase zu rümpfen, als wir die vier Minuten – Dusche für zehn Kronen ablehnen. Hinstellen könnten wir uns, wo immer wir Platz fänden, brummt er. Warum auch immer alle anderen Vans an der Straße stehen?! Wir finden ein Plätzchen für uns direkt am lieblichen Bergfluss.

Thermacell an, die Haut satt eingesprüht mit Spukis Zauberspray aus Costa Rica kann der Abend kommen.
Zwischen Bachplätschern und Sonnenschein drehen die Mücken nun gnadenlos ab gen die Berggipfel.
Auf der verzweifelten Suche nach den ominösen Moschusochsen des Dovrefjells. Da diese zweifelsohne milder riechen als ein schwer eingedieselter Globetrottel.

Fahrlässige Tötung am Wasserfall bei Wetter: wechselhaft

Der heutige Bericht ist schnell erzählt, es täte grundsätzlich ein Zweizeiler.
Im schwedischen Schweinebergwetter sollte es eigentlich ein reiner Planungstag werden:
Welche Etappen wollen wir als nächstes in Angriff nehmen? Am besten der Wetterkarte nach.
Die allerdings verrät uns, dass der gesamte Norden die komplette nächste Woche Thors Regenhammer zu spüren bekommen soll.
Gut, damit sind wir also vollkommen frei: es kann überall hingehen.

Nachdem wir unsere Ideen –nach sieben Kaffee– zusammengewürfelt und eine Richtung ins Auge gefasst haben, ist noch ganz viel Tag übrig. Und der Regen hält –entgegen der äußerst hartnäckigen Vorhersage—für einen Moment lang still.
Also werfen wir uns die Wanderschuhe an die Füße und stapfen los.

Die Gegend um Fjällnäs ist vor allem als Wintersportgebiet bekannt. Wir befinden uns mitten in den schwedischen Bergen, nahe der Grenze zu Norwegen, und wenn man den Winden trauen darf, ist selbst im Sommer der Schnee nicht allzu weit. Nächtliche Temperatur gestern: frische fünf Grad auf 800 Meter über null, den Windchill nicht mitgerechnet.
Direkt an unserem Camp führt auch der südliche Kungsleden vorbei: „der Königspfad“, Schwedens bekanntester Weitwanderweg.

Auch wenn wir noch immer die Hacken voll vom Pilgern haben, wollen wir heute ein paar Schritte auf dem Weg des Königs wandeln. Einen Spaziergang weit: 7km und 303 Stufen.

Mit dem Schirm geht’s im Niesel erst an der Straße gen Norwegen entlang, einmal über den Fluss, am Haus mit dem Grasdach und dem drölfillionensten roten Häuschen vorbei.

Nach einem Kilometer –wieder trocken– steigen wir am Wasserfall Anderssjöåfallet auf den Kungsleden ein. Bequeme Treppen, immer am donnernd rauschenden Wasser entlang, helfen bergan – so bequem, wie 303 Stufen eben sein können.

Ein etwas pustiger Anstieg, aber ein Traum, so lange man keine der kolibrigroßen Mücken verschluckt.
Auf Stufe 113 habe ich es probiert und kann nachdrücklich sagen: es ist nicht empfehlenswert. Sitzt lange quer, so ein armes Moskitochen.

Auf dem Hochplateau angekommen hat sich die fahrlässige Tötung in der Familie herumgesprochen.
Ein entzürntes Mückenvolk schwört Rache (wer könnte es ihm verdenken?!) und tut sich gegen die Mörderin zusammen. Es folgt ein gnadenloser Angriff der stechenden Zweifühler. Die Frage, ob schwitzend oder nicht, steht nun nicht mehr zur Debatte. Ein Tuareg-Outfit ist angesagt.Und danach Chouchou mit dem Schal mückenfrei prügeln.

Die Hochebene bleibt trotz Vollvermummung wunderschön.
Kleine Bächlein, die sich durch unangetastetes Grün schlängeln, gangbare Stege, die in der Marsch die Füße trocken halten. Dann und wann kommt der See, an dem wir übernachten – der Malmagen—in Sichtweite. Und es bleibt trocken. Vorerst, aber immerhin bis zu Hause, zurück am Magicbus.

Zurück am Camp schlagen wir uns ins ausgezeichnete „Servicehus“ zum Kochen. Hans und Winnifred, denen der Campingplatz gehört, haben für die spartanischen Camper mitgedacht und stellen eine hervorragende Küche zur Verfügung. Wenn es stürmt, windet, schneit und/oder die Moskitos sich gegen einen verschworen haben, ist hier der beste Zufluchtsort, wenn man die Pfanne länger als drei Minuten schwenken will.

Auf einem echten Herd, in einer gusseisernen Pfanne kocht es sich unter dem Rentierfell und neben den Blümchen ganz hervorragend.

Auch wenn Chouchou bis zum Schluss nicht weiß, was er da eigentlich zu essen bekommt: Pak Choi, kurz vor der norwegischen Grenze.

Und das Wetter wechselt wieder.
Und dann noch einmal.
Nach einem harten Schauer kommt die Sonne (warm), dann harter Wind und Niesel (kalt), danach ist´s eher wechselhaft.

Die schwedischen Berge im Sommer sind atemberaubend schön. Nur nichts für Wetterangsthasen oder plaudernde Vegetarier – sollten auch Insekten zur fleischfreien Diät zählen.

Die wunderschöne Geschichte von Brutus, dem Moschusochsen

Als unser Feuer brannte, kam unser Nachbar zu Besuch: ein deutscher Outlaw, der seit zwanzig Jahren in nördlichen Schweden lebt. Als erstes muss er seinen Frust über die Dortmunder rechts von uns abgelassen: Unmöglich, wie man das „Allemansrätt“ – das schwedische Jedermannsrecht—so missbrauchen kann! Während das bereitgestellte Holz eigentlich für alle sein sollte, die hier ein Feuerchen machen wollen, packt der Dortmunder sich den gesamten Wagen damit voll. Bis der Vorrät leer ist und ohne überhaupt ein Feuer zu machen.
Tatsächlich können wir diesen Ärger gut verstehen. Wer Lagerplätze leer räubert, sorgt auf Dauer dafür, dass diese freundliche,schwedische Freiheit irgendwann ein Ende haben wird. Weil Jedermannsrecht Gemeinschaftssinn voraussetzt, wo ein „Ich zuerst“ leider vollkommen fehl am Platze ist.
An uns hat der Outlaw –Gott sei Dank—Freude. Schlussendlich teilt er nicht nur seinen Ärger mit uns, sondern vor allem sehr viele inspirierende Ideen, wohin unsere Reise in Richtung Norden weitergehen könnte.Nach dem Sonnenaufgang um 2:49h.

Der ersten Empfehlung folgen wir an diesem Morgen sogleich: das Navi will uns 105 Kilometer über die „Hauptstraße“ schicken, der Schleichweg mittendurch aber ist 25 Kilometer kürzer.
Das sind fünfundzwanzig sehr abenteuerliche Kilometer, wie wir in den nächsten eineinhalb Stunden herausfinden werden: über jegliche Form von Schotter.

Auf dem einsamen Rappelweg kommen uns in der gesamten Zeit drei Autos entgegen. Asphalt wird erst zu leichtem Schotter, der sich irgendwann verliert. Lange zehn Kilometer rattern wir über apfelgroße, spitze Steine.

Der Magicbus schüttelt sich tapfer mit 30km/h voran. Ein schwedisches Huhn am Straßenrand macht einen auf Roadrunner und glotzt dem ächzenden, stöhnenden Mobil mit großen Augen hinterher. Sowas hat es anscheinend noch nie hier gesehen. Während wir im Fahrerhaus beginnen, ungeplante Abenteuer auszuschwitzen.

An der Landstraße 311 kommt rettender Asphalt in Sicht. Und wir haben plötzlich Hunger: ein Post-Angst-Schlotter-Appetit. Sofort muss dringend Polarbröd her. Nach der nächsten Bande Rentiere im Sommerfjellfell, die die Straße blockiert, halten wir am Lichtfluss und frühstücken. Danach kann es entspannt weiter gehen – auf Flüsterasphalt.

Bis Tännäs ist es nun nicht mehr weit. Rechts ein Holztroll mit Sense, links ein Plastiktipi und schon sind wir da. An unserem Tageshighlight, auf das wir uns seit einer Woche freuen!

Um diese Geschichte zu erzählen, müssen wir etwas zurückgreifen; genau genommen drei Jahre.
Im späten Frühling 2021 sind wir das erste Mal in Schweden gewesen. An unserem damals nördlichsten Punkt unserer Reise haben wir uns zu Fuß in die Wälder geschlagen. Irgendwo hinter Vålådalen, in Richtung eines verlassenen Samendorfs kurz vor den Jämtlands Pyramiderna.
In diesen zwei Tagen ist uns keine Menschenseele begegnet. Wir trafen lediglich ein weiteres Wesen –und dieses gleich zweimal—das größer als ein Rennhuhn war. Und das war Brutus.

In Schweden leben insgesamt 12 Moschusochsen. Sieben davon in Obhut des Menschen, fünf in freier Wildbahn.
Zum wilden Fünfertrupp gehörte ursprünglich auch Brutus. Leider aber gab es in der Urviecherwelt irgendwann Zank, der unschön endete: Brutus wurde aus der Herde verstoßen.
Daraufhin irrte er viele Jahre alleine durch die Wälder um Vålådalen, auf der verzweifelten Suche nach neuen Artgenossen. Brutus wusste nicht, dass er außerhalb seines Trupps ziemlich alleine auf weiter Flur stand.
Einige Winter wurde er von niemandem gesehen: man glaubte schon, Brutus hätte sein einsames Dasein in den harten Wintern nicht überlebt. Aber Brutus war stark und widerstandsfähig. Er ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen, Brutus stand immer und immer wieder auf, moschusochsenstarrsinnig an seiner Suche festhaltend.
Seine Laune wurde über die lange Zeit der Einsamkeit –verständlicherweise– nicht besser.
Mal pflügte er ungefragt blumenreiche Vorgärten, mal hängte er die Wäsche bei den Nachbarn ab.
Als wir ihn erstmalig trafen, stand er ungefähr 200 Meter entfernt auf der Straße vor uns. Nicht wissend, dass es überhaupt Moschusochsen in Schweden gibt, hielten wir ihn zuerst für einen Bären und machten einen großen Bogen um ihn herum.
Eine Nacht senkte sich und fiel, wir bauten unser Camp im verlassenen Samendorf auf und wuschen uns in kalten Quellen am Morgen danach. Unser Weg zurück in die vermeidliche Zivilisation führte über Trampelpfade, rechts und links Blaubeersträucher, der Tritt ungefähr fünfzig Zentimeter breit, drumherum endloses Dickicht und Unterholz. Wir sprachen nicht viel in diesen Tagen. Bis zu dem Zeitpunkt, da Chouchou folgender Satz rausrutschte; ein Satz, der für die Globetrottels legendär wurde: „Das Tier steht auf dem Weg.“
Brutus war in unser Leben getreten – in zehn Meter Entfernung.

Die folgenden Minuten lassen sich nur stakkato abreißen: wir flüchten ins Unterholz, unmöglich uns zu verstecken, denn Brutus hat uns bereits erblickt. Alte Augen folgen uns, er ist derjenige, der hier nun die Hosen anhat und das zeigt er uns. Dickes Moschusochsenfell wird an einem Baum gerieben, der ächzend knarzt. Ein Moschusochse senkt den Kopf und macht sich auf den Weg in Richtung Dickicht. Dorthin, wo wir geflüchtet sind.

Schlussendlich ging alles glimpflich aus. Brutus drehte irgendwann ab als er spürte, dass von uns keine echte Gefahr ausging. Woher auch? Carbonwanderstöcke gegen Moschusochse?
Schlussendlich hat Brutus einfach Gnade mit uns gehabt…

Sommer 2024: Die Globetrottels sind unterwegs in einen skandinavischen Sommer. Natürlich kommt uns Brutus wieder in den Sinn. Was ist wohl aus ihm geworden?
Der Investigativjournalist im Team aka Chouchou wirft sich ins Internet und findet heraus:
2022 wurde es den Schweden zu bunt mit dem verzweifelten Moschusochsen. Brutus hatte es sich auf einem Pausenhof der lokalen Grundschule gemütlich gemacht, noch immer auf der Suche nach seiner Herde. So ging es natürlich nicht. Man entschied: Brutus musste aus der Wildnis „entnommen“ werden. Tot oder lebendig. Dem guten Herz einiger Tierliebhaber ist es zu verdanken, dass es –Gott sei Dank– zweiteres wurde.

Heute lebt Brutus im Wildreservat Myksoxcentrum in Tännäs.

Sein Beginn im Gehege: etwas holprig, aber Brutus wäre nicht Brutus, wenn die Geschichte kein Happy end fände. Zu lange hat er darauf hingearbeitet, zu lange hat er gesucht.

Erste, zarte Annäherungsversuche an die Weibchen wurden mit einer Geduld, die nur Stirnwaffenträgern der Urzeit inne wohnt, irgendwann erwidert. So erfolgreich, dass Brutus seit diesem Jahr sogar dreifacher Papa ist.

Es lässt sich kaum beschreiben, was durch unser Herz geht, als wir Brutus nach drei Jahren das erste Mal wieder sehen: Freude und Wiedererkennen, Verbundenheit und Erleichterung, Rührung und auch ein bisschen Stolz. Stolz darauf, dass Brutus nie aufgegeben hat.
Unser Moschusochse hat endlich seine Herde gefunden. Endlich ist er zu Hause.

Ein Tränchen ist hier durchaus angebracht. Auf beiden Seiten des Zauns – ich hab´s genau gesehen…

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