Unterwegs im Magicbus

Monat: November 2023 (Seite 2 von 3)

Willkommen im Sonnenscheinstaat

Wir verlassen Mississippi nach einem Morgenspaziergang durch die Marsch. Denn zu den Toiletten ist´s einen Kilometer über den Steg. Und Nebel auf dem Wasser. Ein Sonnenaufgangsspaziergang der anderen Art.

460 Kilometer gen Osten. Sweet Home Alabama fliegt –abseits einer Tanke und einem Subway– ungesehen an uns vorüber. Sonnenschein. Und wir sind das Fahren heute satt.

Welcomecenter Florida: Man reicht uns Orangensaft und eine Karte der State Parks. Bezüglich der komplizierten Buchungen aber kann man uns leider nicht helfen. Und auch nicht wegen der Mautgebühren: The system doesn´t like foreign people. Welcome to Florida, the sunshine state in dem so viel Angst herrscht, dass man die Autobahnrasten mit bewaffneter Security ausstattet.

Falls wir an die Strände der Halbinsel wollten, können wir das gleich vergessen: die Plätze sind seit einem Jahr ausgebucht. Wegen der snow birds aus dem Norden. Was bliebe, wären private RV-Parks: ab 100 Dollar pro Nacht. Die haben wir genauso satt wie´s fahren – und außerdem kein Geld dafür.

Florida. Rein politisch vergleichbar „sympathisch“ mit Texas. Gouverneur ist seit 2018 Ron DeSantis. Den kennt man, weil er 2024 für die Republikaner bei der Präsidentschaftswahl antreten will. Und für sein „Don´t say gay“-Gesetz, das nur die Spitze des Eisbergs seiner durchweg gestrigen, menschenverachtenden und ultrakonservativen Politik ist.
In Florida ist´s eine Stunde später auf der Uhr, das politische Denken eher vorsintflutlich.
Kurz hinter der Staatsgrenze beschließen wir, uns in diesem Staat auf Flora, Fauna und das Wetter zu konzentrieren. Ansonsten hätten wir jetzt schon den Papp auf.

Am See südlich von Tallahassee landen wir für die Nacht an „Halls landing“ an. Außer uns sind nur Moose, der Camphost, seine Frau Pixie und ein knutschendes, pubertäres Pärchen wegen des Sonnenuntergangs da. Moose begrüßt uns persönlich per Handschlag: es hat hier selten Gäste, er fühlt uns also direkt mal auf den Zahn. Vielleicht, weil er selbst keinen einzigen mehr hat.
(Auch ein wichtiges US-Thema: Zähne. Denn zwischen „viel zu weiß und viel zu viel“ und „keine“ gibt es nur sehr wenig.)

Schnell sind wir uns einig: Politik ist ein schlechtes Thema. Sprechen wir lieber über die Bärenmama, die hier am See ihre drei Jungen spazieren führt und über die heißen Duschen, die goddamn hot showers.
Auf dem Steg, den Moose uns wärmstens für den sunset empfiehlt, sehen wir einer roten, unpolitischen Sonne hinterher. Angeblich geht sie hier zweimal unter, sagt Moose, einzigartig auf dieser Welt. Was genau er damit meint, lässt sich nicht eruieren, aber das Licht ist wirklich sagenhaft. Und in den Mangroven raschelt es unheimlich.

Florida. Da sind wir also.
Mittlerweile ziemlich weit östlich auf der Karte. In den letzten 14 Tagen haben wir 3735 Kilometer hinter uns gebracht. Kein Wunder, dass das Fahren sich langsam ein wenig anstrengend anfühlt.
Es ist dringend Zeit, sich auf Flora, Fauna und das Wetter zu konzentrieren. Und nicht auf Politik … oder die Straße.

Besser sumpfen geht nicht

Eine unglaubliche Wohltat: einen Tag nicht fahren. Oder genauer gesagt: nur einen Kilometer rollen.
Denn wegen Dixies alternativer Denke dürfen wir ja noch einen Tag bleiben. In Wunder-Marsch-Land – auf dem Papier heute als »Zeltende«. Ohne Zelt, zwei Hektar Land weiter, auf den schönsten Stellplatz seit langem – alleine unter Bäumen nahe des Alligatortrails..

Wir genießen diesen Tag mit und aus jeder Pore:
24 Grad Sonne unter Sechszehnblatt-Farnartigen verbringen.

Den Magicbus einmal auf links drehen und jede Ecke so sauber putzen, dass man problemlos an Ort und Stelle eine offene Hirnoperation durchführen könnte. Danach baden in Mücken-Ex.

Die Krokos lassen sich auch heute nicht blicken. Stattdessen beobachten wir stundenlang Sumpfgase beim Aufsteigen und reden uns ein, dass es Krokoblubber seien. „Alligatorhalluzinationen“ nennt man das wohl im Fachjargon.

Auf unserem Spaziergang entlang des Sumpfs treffen wir aber unser zweites Gürteltier: Panzerklaus – heute in der Sportvariante. Im Affenzahn galoppiert er vor uns davon, versteckt sich (sehr auffällig) raschelnd in einem Erdloch, das er mit seinen zwei langen Vorderfingerchen mühsam gebuddelt hat und fühlt sich allerbestens versteckt. Obwohl Nase und die zwei Fingerchen noch extrem weit aus dem Löchlein ragen. Die Augen aber hat er ganz fest zugekniffen.
Die Eleganz der Gürteltiere: ich kann mich problemlos damit identifizieren. Laut polternd Im Unterholz verschwinden, Augen zu und vollkommen überzeugt davon zu sein, dass niemand den Abmarsch mitbekommen hat.
Reste Essen von gestern: die Bolognese ist heute perfekt durchgezogen. Ein Stück Zitronenkuchen zum Abschluss und das war es auch.
Ein globetrotteliger Tag im Marschland.
Besser sumpfen geht nicht.

Mississippi: Von einem Gürteltier namens Panzerklaus

Heute verabschieden wir Louisiana endgültig. Nachdem wir gestern bereits kurz unser Näschen nach Natchez ausgestreckt hatten, lassen wir die Staatsgrenze heute ein für alle Mal hinter uns:
Hallo Mississippi!

Wie bereits geschrieben, belegt Mississippi den letzten Platz der USA, wenn es um Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohlstand und Lebenserwartung geht. Knapp 40 Prozent der 3 Millionen Einwohner sind Afroamerikaner und Schwarze: der Staat in den USA mit den meisten „people of color“.
20% der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. In manchen Countys sind es sogar die Hälfte.
Insbesondere auf Grund des Films „Mississippi burning“ erlangten die sogenannten „race riots“ des 20. Jahrhunderts traurige, internationale Berühmtheit. Fast jedem sagt das heute etwas.
Weniger bekannt aber war –zum Beispiel mir–, dass Mississippi bis Mitte 2020 eine Staatsflagge besaß, die noch immer die Kriegsflagge der Konförderierten Staaten von Amerika enthielt. Ergo: bis 155 Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs. Samma Kinnas…
Erst in Folge der Rassismusdebatte um den Tod von George Floyd hat man sich entschieden, dieses Thema doch mal anzugehen. Seither heißt´s auf der Fahne Magnolie, statt Kriegsverlustbedauerung. Frei nach dem Motto: Besser spät als nie…

Das erste, was wir in Mississippi sehen ist ein Jeep mit dem Kennzeichen „I LOVE“.
Das zweite ist die Küste des Golfs von Mexiko: mit zuckerweißem Sand, Palmen, endlosen Piers, rosa Mülleimern. Zwei Urlaubsörtchen –Gulfport und Biloxi–, die ganz auf amerikanische Bedürfnisse ausgerichtet sind: Hard Rock Casinos, *barbeque for butts*, ein Souvenirgeschäft, das man durch das Maul eines Megahais betritt.

Das dritte ist der schwer eingezäunte Shephard State Park. Wegen des nahenden Wochenendes eigentlich campingtechnisch ausgebucht. Wäre da nicht Dixie. Dixie aus Dixieland.

Im freundlichsten Überschwang seit Kanada empfängt Dixie uns so herzlich, dass wir uns für eine Umarmung bereit halten.
Ausgebucht!? Das wollen wir doch mal sehen, sagt Dixie und klemmt sich sogleich hinter´s Telefon.
Leider geben die heute abgereisten Camper von Platz 5 ihren Platz nicht frei. Also findet Dixie eine andere Lösung: Heute dürfen wir auf Platz 18 halten, danach macht sie einfach eine große Ausnahme für uns. Im Wildtierbereich sind eigentlich nur Zelter gestattet, aber egal, my German friends, ab morgen seid ihr auf dem Papier dann eben diese. Wochenende und wir dürfen bleiben! Mitten zwischen Alligatoren und auf dem wildesten und schönsten Campground seit langem.
Wie unbeschreiblich wohltuend menschliche Freundlichkeit ist.

Auf Platz 18 parken wir rückwärts ein. Beinahe. Denn erst müssen wir ein mississippisches Wunder bestaunen.
Direkt neben unserem Nachtplätzchen knabbert ein gepanzertes Etwas. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir: es ist ein Neunbinden-Gürteltier!

Zwei Globetrottels mal ein Neunbinden-Gürteltier macht ….. 2×9= 18. Wie herrlich ist das denn bitte!? Wir sind genau am richtigen Ort!
Das faszinierende, letzte überlebende Säugetier der gepanzerten Nebengelenktiere (ja, natürlich alles im Kopf gehabt) lässt sich erstmal gar nicht von uns stören. Erst als ich die Kamera holen will, wird es ihm zu bunt und es marschiert geräuschvoll ins Unterholz.
Unfassbar, wie ein so kleines Etwas so polternd abdüsen kann. Beim Nachlesen entdecken wir, dass Neunbindengürteltiere die „geräuschvollsten Waldbewohner“ der Welt sein sollen.
Sehr sympathisch: Ein tapsiger Panzersäuger mit einem Schwanz, der fast so lang wie sein Rumpf ist, endlos langer Nase, riesigen, beweglichen Ohren und vier Vorderfußzehen, von denen zwei enorm hervorragen. Der liebe Gott muss wirklich einen sehr guten Tag gehabt haben, als er die Gürteltiere schuf. Siehe: die Globetrottels sind schon wieder verliebt. Diesmal in Panzerklaus.

Und weil Liebe durch den Magen geht, wird erstmal gekocht: eine Stunde für die leckerste Bolognese seit Ewigkeiten – das ist keine Minute zu viel. Da muss ich mich selbst mal loben.

Und dann geht in spektakulär geschecktem Rot auch noch die Sonne über dem Sumpf unter.

Heute Nacht werden wir den geräuschvoll singenden Zirkaden lauschen und den wild-polternden Gürteltieren im Unterholz. Wenn´s gut läuft, locken wir den kleinen Panzerklaus morgen in den Magicbus und nehmen ihn einfach mit.
Wir wurden vor der grauen Mississippipupskatze gewarnt: Vorsicht wegen Flöhen und Toxoplasmose. Gürteltiere können angeblich Lepra übertragen.
Wer sich unsererseits deshalb Sorgen machen sollte, der muss gewarnt sein. Die größte Gefahr geht in diesen Breiten nicht von
gepanzerten Nebengelenktierchen aus und auch nicht von Alligatoren. Sondern –ganz profan– von kolibrigroßen Mücken, die laut über den Sümpfen surren, auf der Suche nach frischem Blut.
Und noch darüber steht der gefährlichste Räuber von allen.
Der Spezies gehören wir selber an.

Ein trauriger Tag

Wie wir in den letzten Monaten gelernt haben, gibt es 1001 Wege, uns auf den Magicbus –diesen hier so exotischen Wagen—anzusprechen. Den Kreativsten aber hören wir heute Morgen, zugerufen aus einem vorbei pesenden Golfcaddy: „Where are you goin´ with THAT small cage??“
Eine wirklich gute Frage: wohin wollen wir eigentlich mit diesem kleinen Käfig?

Zu allererst wohl erstmal bis Natchez. Einmal über die Brücke, einmal über den Mississippi – nach Mississippi. Unser Ausflug in den nächsten Staat wird heute zwar nur ein kurzer, allerdings ins angeblich „diverseste Dörfchen“, dass Amerikas ärmster Staat zu bieten hat.
Natchez hat sie alle gesehen: die Indigenen, die Spanier, die Franzosen, die Jazzer, die Blueser, die Plantagenbesitzer und vor allem die traurige Sklavengeschichte.
Ein uriges Örtchen direkt am Mississippi, auf dem ein letzter Dampfer seiner Art auf Touristen wartet. Ein knuffeliges Dörfchen, das knallhart mit der Weihnachtsdeko beginnt: inklusive Drive-through am Ufer des Flusses. Ein pfiffiges Städtchen, das sogar in HopOn-HopOff-Busse investierte – selbst, wenn die Kutschen nicht belegt sind. Und in der katholischen Kirche gibt es ein Geburtstagskerzchen mit der Hoffnung, dass im Himmel heute Streuselkuchen serviert wird.

Dass wir mitten auf der ehemaligen Plantage von Natchez landen, war eigentlich nicht geplant. Wir fahren diesen Ort lediglich an, da unsere Karte weiß, dass sich hier eine öffentliche Toilette befindet. Wer kann schon etwas mit dem Namen „Melrose“ anfangen?
Vollkommen unverhofft stehen wir plötzlich knietief in einem sehr dunklen Teil der amerikanischen Geschichte.

Historisch und auch architektonisch ist dies sicherlich ein spannender Platz. Mein 6-jähriges Ich wäre außer sich: mitten in „Fackeln im Sturm“ und Patrick Swayze macht mir einen Heiratsantrag.
Damals schon habe ich vor dem Fernseher aber verstanden, dass die Sklaverei etwas zu tiefst Unrechtes ist. Nun zwischen Wänden zu stehen, die Originalschauplatz dieses Grauens sind, macht sprachlos. Nicht nur, weil es so nicht geplant war.
Noch sprachloser aber macht, dass der dunkle Teil der Plantagenwirtschaft weitestgehend ausgeblendet ist. Die Sklavenbehausungen sind nett zu Recht gemacht, so dass der Eindruck entstehen könnte: Jo, was hamm´s denn!? Ist doch alles geräumig und frisch gestrichen.
An der Infowand steht nicht, wie viele Menschen hier als Leibeigene hausen mussten. Lediglich, dass das Sklavenleben ein wenig „harsh“ gewesen sei. Ein bisschen rau also.
Es erübrigt sich an diesem Punkt zu schreiben, dass –nach Abschaffung der Sklaverei– jegliche Ausgleichszahlen oder Entschädigungen bis heute auf sich warten lassen. In den Rezessionen bei Google wird der architektonische und historische Wert dieser Anlage herausgehoben. Vom Unrecht, das hier so lange geschehen ist, kaum ein Sterbenswörtchen.

Passend zu diesem Thema ist auch, dass wir punktgenau am 63. Jahrestag der Einschulung von Ruby Bridges nach Louisiana eingereist sind.
Ruby Bridges war 1960 das erste schwarze Mädchen, das auf eine –damals neuerdings erlaubte– „gemischtrassige Schule“ eingeschult wurde. Alle (!) weißen Kinder wurden daraufhin am 14.11.1960 von ihren Eltern aus der Schule abgemeldet, bis auf eine Lehrerin weigerte sich das gesamte Kollegium zum Unterricht zu erscheinen. Ruby musste auf dem Schulweg ein Jahr lang von vier Marshalls begleitet werden, um sie vor dem tobenden Mob zu schützen, der Position bezogen hatte, um sie zu beschimpfen und mit Unrat zu bewerfen.
Über Monate wurde Ruby alleine von der einen Lehrerin unterrichtet, es dauerte ein Jahr bis sich der Schulalltag wieder „normalisierte“. 1960 – gar nicht lange her. Und bis heute hat sich in der Rassismusfrage noch ganz Vieles nicht „normalisiert“. Was auch immer dies in dem Zusammenhang bedeuten mag. Eher im Gegenteil: siehe „Black life matters“. Hier in Mississppi und Louisiana wird das schmerzlich deutlich.

Kurz vor Saint Francisville (wieder Louisiana) halten wir –da wir in diesem dunklen Kapitel nun eh schon drin sind—kurz an der ehemaligen Myrtle Plantage, heute ein Bed and breakfast. Alles wunderschön gemacht. Doch den so bitteren Geschmack kann auch eine sauber geputzte Fassade nicht vertreiben.

In Saint Francisville landen wir auf dem episkopalen Friedhof. Gefallene aus dem Sezessionskrieg liegen hier unter neuen Toten zwischen Moos und unter verwitterten Mausoleen. Ein beruhigender, mystischer Ort. Auch, da man hier erleben kann, dass zumindest auch die Unrecht-Tuenden irgendwann gehen müssen. Leider nehmen sie das Unrecht nicht mit ins Grab. Alles ist halt nicht vergänglich.

Vorbei an der Hauptstadt Louisianas –Baton Rouge, deren weitsichtbares Aushängeschild ein Ghostbustersturm ist– kommen wir heute Nacht in Fountainebleue an.
Plaudrige Ranger, ein paar Rehe im Sonnenuntergang, mit Geistern im Gepäck.

Dieser Tag ist ein bewegender gewesen, ein nachdenklich machender, ein sehr trauriger.
Vor allem, da mein dePabels heute 73 geworden wäre –und niemals hast Du mehr gefehlt als heute.

Doohakedoodl am Mississippi

Nach der knallhärtesten Dusche der Welt (ein Strahl, der obere Hautschichten abpeelt und Knasttätowierungen auswaschen könnte) startet unsere Louisiana-Dörfchentour „Von Lake Charles an den Mississippi“. Unter einem grauen Himmel: feinstes Novemberwetter.

Auf dem –gestern vom netten Welcomemenschen empfohlenen- Highway 90 geht’s zuerst durch Welsh.
Erste filmische Veranden im amerikanischen Großgrundbesitzerstil – Schaukelstühle vor der Tür neben lottrigen Mobilheimen. Auf großen Plakatwänden fordert Kyle Miers Ivy Woods bei der Wahl zum Sheriff heraus: Kyles Gesicht an jeder Straßenecke, Ivy kennt man, der kommt mit einem knappen „Re-elect“ aus.

Next Stop: Jenning – Bulldoggenstadt.
Worauf sich die hündischen Plattnasen beziehen bleibt unklar. Möglicherweise auf die knallharten Dinge, die hier hinter gepflegten Häuschenfassaden heimlich vor sich gehen. Zwischen 2005 und 2009 wurden in diesem betulichen Örtchen 8 Prostituierte ermordet und im Sumpf versenkt– bis heute ist unklar durch wen. Steckten die Cops mit drin? War es Gang-intern? Niemand weiß es oder will es wissen: 9697 Einwohner, die sich in Schweigen hüllen.
Im Juli diesen Jahres gab es in einer Sechswochenserie wöchentlich offene Schießereien unter Gangmitgliedern – Deontrae Edwards hat´s im zweiten Anlauf erwischt. Sehr wahrscheinlich war es ein Zwanzigjähriger, der ebenso wie Deontrae zur Gang der „Four babies“ gehörte. Trotz allem wird Jennings als „safer than 95% of U.S. neighborhoods“ gruppiert. Was auch immer in den anderen Kleinstädten los ist!?

Knappe 60 Kilometer weiter östlich liegt Crowley.
Hier gibt´s Cappuccino mit Hafermilch für uns an der historischen Hauptstraße. Eigentlich wäre Reismilch passender gewesen, denn Crowley selbst bezeichnet sich stolz als Reis-Hauptstadt des Landes. Reis, der hier auf platten, überfluteten Äckern statt Terrassen überall um die Stadt herum angebaut wird.

Der historische Neuanstrich der Hauptstraße ist in vollem Gange, erzählt uns Tracy Jones, die uns aus ihrem flotten Ferrari heraus anspricht. Gesprayte Fönfrisur, perfektes Makeup, verspiegelte Sonnenbrille, eindeutig eine Frau, die in Crowley die Hosen an hat: „You are from outta town?“ „Quite,“ sagen wir und Tracy Jones legt los:
Ein zackiger Überblick über die Stadtgeschichte, eine Einladung zum Bürgermeister –„my friend“. Fragt nach Tessa, die gibt Euch eine Stadtführung, sagt, Ihr kommt von Tracy. Das nächste B&B ist da vorne an der Ecke –„a nice one. Hope to see you the next days in the streets”. Zweimal Kusshand und ab. Welcome to Crowly.
Den Cappucchino, der eigentlich Reismilch enthalten sollte, genießen wir mit der 60er-Jahre-Musikuntermalung des abgehalfterten Gitarrenladens gegenüber: „Modern music … er“, die Letter C, E, N und T sind abgefallen. Wird noch gemacht, meint Tracy. So wie die Fassade nebenan und die Tochterfiliale der Louisiana Land Bank. Wir mögen Crowly wirklich sehr.

Hinter den Reisfeldern steht Zuckerrohr. Meilenweit. Ein Haus mit Kleiderschrank draußen. Im nächsten Örtchen Rayne scheinen Frösche eine zentrale Rolle zu spielen, sie stehen an jeder Straßenecke. Und wir lernen, dass hier –dank der französischen Vergangenheit—Froschschenkel durchaus auf der Speisekarte stehen.

In Lafayette gehen wir im unterhaltsamsten Walmart seit langem einkaufen.
Die Walmarts der USA: ein prima Ort für sozialwissenschaftliche Studien. Überall gleich aufgebaut, überall mit (fast immer) den gleichen Produkten in gleicher Sortierung, unterscheiden sich die Märkte von Staat zu Staat trotzdem maßgeblich. Und geben –dank der Kunden– einen feinen Querschnitt der Bevölkerung.
Hier in Lafayette –„The heart of Acadiana“ aka Cajun Country—stehen wir an der Kasse mit MrCool, der Spacesonnenbrille und Mini-Zwirbeldreads trägt. Dahinter drei Generationen an schwergewichtigen Ladies (Oma, Mutter, Kind), die allesamt elektrische Einkaufswagen fahren müssen, da sie zum Gehen zu schwer sind. Sie kaufen drei Strohhüte für je 3 Dollar, Hundefutter und allen Süßkram, der gerade im Angebot ist. Dahinter eine Dame, die für ihr Frisurenstyling in die Steckdose griff und just in dem Moment das Haar mit ultrastarkem Haarlack konserviert haben muss. Dahinter wir: mit Cowboyhut und Mütze.
Flott noch vollgetankt bei Love´s – mit einem Tanknachbarn, der zahnlos rauchend und wild am Zapfhahn gestikuliert: manchmal ist halt auch ein bisschen Russisches Roulette, ob´s weiter geht oder eben nicht. Heute geht’s, also ab in Richtung Mississippi River über die Brücke.

In Morganza – erster Ort auf der angeblichen „Scenery Road“ am Fluss entlang—fahren wir guter Dinge unser potentielles Nachtörtchen an: den Maxey Care RV Park.
Der Platz hat anscheinend keine Gäste. Lädierte, alte Wohnwägelchen rosten auf wasserdurchsogenen Wiesen still vor sich hin. Nur an einem arbeitet emsig ein Einäugiger, der mich bis zum letzten Moment nicht anpoltern hört, um eine Information einzuholen. Nichts sehen, nichts hören, vielleicht kann er uns zumindest etwas sagen.
Bleiben heute Nacht? Jo, sehr wahrscheinlich könnten wir das wohl, wir müssten mal im Officehäuschen gucken. Also machen wir das.
Das Officehäuschen ist ein pelziger Raum. Die Bäder dahinter sind aus den 60ern, auch Datum der letzten Reinigung womöglich. An der Wand klebt ein Zettel: diejenigen, die nicht zahlen werden daran erinnert, dass wir uns mitten in „Voodoo-country“ befinden. Daneben die Anschläge der ortsansässigen Sexualstraftäter:
6 Männer mit Foto, vollständigem Namen, Alter, Adresse, besondere Merkmale (Tattoos oder Narben), sowie exaktes Delikt mit Datum der Tat werden aufgelistet. Unter ihnen ein Herr, heute 70, der 1991 verurteilt wurde. Lebenslänglich auf freiem Fuß – für immer denuziert und geächtet. Ein System, in dem es weder Freispruch, noch ein Ende von „Strafe verbüßt“ gibt. Plötzlich wirkt der Pranger des Mittelsalter fast wie eine moderne Institution.

Morganza wird es heute Nacht also lieber nicht werden. In großer Erwartung fahren wir die „Scenery road“ also weiter gen Norden: ab hier immer am Mississippi entlang. Zumindest auf der Karte.
Wie sehr habe ich mich gestern auf diese Strecke gefreut: 150 Kilometer freie Sicht auf den sagenumwobenen Fluss. Aber nix is.
150 Kilometer geht es an Ackerland und Deich entlang. Nur einmal sehen wir den Mississippi kurz –in der Ferne. Und wieder Deich. Der Himmel beginnt zu weinen. Wir müssen unsere Vorfreude also noch ein wenig bei uns halten.

In Vidalia aber finden wir den richtigen Ort: ein Plätzchen direkt am Mississippi. Rufus – ein Knuffellamm an Hund—begrüßt uns. Er riecht nach einer Mischung aus Weichspüler und nassem Köter und ist ein ungekrönter Schmusekönig.

Das Schmusen aber geht noch weiter. Die Nacht senkt sich über den Fluss, der Himmel sprüht noch ein wenig, als hoher Besuch vor der Tür steht. Ein nasses, graues Mississippikätzchen steht maunzend vor dem Magicbus und bittet herzzerreißend um Einlass. Also gut: komm rein.

Jetzt sind wir also zu sechst: Chouchou, Rudi, TF 23, Sir Hilly, das Kätzchen und ich – Doohakedoodl.
Das Mädchen, die allen heimatlosen Tieren in der Garage ein Zuhause gibt:
Doohakedoodl am Mississippi.
Weil manche Dinge niemals aufhören zu sein……

Nach Louisiana mit einem Lächeln, das nichts aufhält

Wir wollen Texas nicht Unrecht tun. Uns ist vollkommen klar, dass das Erlebte (wie so oft) mehr mit uns, als mit dem Staat selbst zu tun hat. Vielleicht machen wir es uns auch passend, ums für uns passend zu haben!?
Höchste Exekutionsrate der USA –die letzte vor 5 Tagen, die siebte in diesem Jahr, stramm republikanisch, laxeste Waffengesetze des Landes, aggressiver Autoverkehr – das alles sind trotzdem Fakten. Fakten, die uns die heutige Weiterreise nicht allzu schwer machen.

Sonnig und grün werden wir aus Austin verabschiedet. Man sieht, dass die Wüste ab nun ein wahres Ende findet. Auf dieser Reise werden wir ihr nicht mehr begegnen, was äußerst bedauerlich ist. Es war ein letztes Lagerfeuer als Adieu, das wir gestern Abend entzündeten und zum dem Chouchou herzzerreißend Mundharmonika spielte.

Austins Suburbs lassen wir schnell hinter uns. Eine Cowboychurch, Zebras und Büffel auf der Koppel, dubioser Pfeiler auf Truck, ein Krankenhaus, das mit „Unicorns do exist“ wirbt, Kreuze an der Raststätte — das texanischste unter ihnen eine Hut-Colt-Variante. So vergeht die Zeit bis Houston im Flug.

Houston. Auch das durchqueren wir problemlos –allerdings mit vier Augen. Denn vier Glupscher braucht es, um im Autobahndreieckschaos den Überblick zu behalten, selbst die billige Kopie der MountRushmore-Präsidenten schaut entgeistert.

Eine Straßenführung, die nicht für Fremde gemacht ist. Braucht es auch nicht, weiterhin sehen wir keine außerstaatlichen Kennzeichen – geschweige denn ausländische. Außer einem einzigen, das sich direkt an uns dranhängt: ein rostbrauner Jeep, der ab nun hundert Kilometer gemütliche 80km/h am Schwänzchen des Magicbus mit uns fährt.
Beim Abbiegen auf den Rastplatz sehen wir: er kommt aus British Columbia und die Jungs drinnen winken zum Abschied freundlich – fast dankbar, da wir als lahmer Schicksalskonvoi nun gemeinsam sagen können: Houston, we didn´t have a problem. Sänk ju for träveling texicän haiwäi tugäser.

Der nächste Staat ist Louisiana – zweiärmster Staat der USA. Nur Mississippi geht es noch schlechter. Fast jeder fünfte muss hier unter der Armutsgrenze leben, ein Drittel der Bevölkerung ist schwarz – nach Mississippi der Staat mit den meisten Afroamerikanern; viele Nachkommen derer, die bis zum Sezessionskrieg brutalst versklavt worden sind. Ab hier beginnen sie richtig: die grauenvollen Geschichten der Plantagenwirtschaft vor dem Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten. Und die Alligatoren.

Ein zahnloser Durchreisender aus Tennessee heißt uns am „Welcome in Louisiana“-Visitorcenter überschwänglich Hallo. Wenn wir ihn denn richtig verstehen – wir verstehen nämlich gar nichts.
Der ältere Herr brabbelt freudig in einem Kaudawelsch drauf los, das für uns genauso gut Farsi oder Suaheli oder Marsianisch sein könnte. Erst als er augenscheinlich auf eine Antwort zu warten scheint –man beachte die fragenden Augen und das hoch endenden Satzende—muss ich ihm gestehen: „Sorry, I am not used to your accent.“ „Shitty accent,“ sagt er mit einem Lachen, das nichts aufhält, dreht sich weg und brabbelt mit den Infoblättchen weiter.
Der Mitarbeiter des Willkommenszentrums (mit Zähnen) versorgt uns mit Material und guten Tipps: Straßenkarten, Infozetteln, Restaurantempfehlungen – hard for vegetarians over here. Als wir gehen, gesteht er uns, dass übrigens auch er kein Wort des enthusiatischen Tennesseers verstanden hat. Läge aber nicht am Akzent, sondern lediglich am zahnlosen.
Bevor es für die letzten 50 Kilometer wieder in den Magicbus geht, laufen wir zur Einstimmung auf dieses neue Land noch flott den liebevoll angelegten Nature-trail entlang:
Stege durch Marschland und Sumpf. Ein Reiher in Seerosen, Orchideen, Zottelbäume, Luftwurzeln, ein Hörnchen mit Nuss. Nur die Alligatoren, die man bitte nicht füttern soll, sind noch nirgendwo zu sehen.

Ab nun fängt es ordentlich an zu regnen. Der erste, richtige Regen seit den Redwoods. Die letzten Kilometer im Zweilicht werden dadurch nicht einfacher oder schneller, nach insgesamt 520 Tageskilometern kommen wir trotzdem heil und happy an: kurz hinter Lake Charles.

Wir parken neben zahlreichen US-Flaggen ein, der staatliche Minicampground ist so gut wie leer. 12 Dollar für die Nacht inklusive Dusche und Strom: ein feines Schnäppchen, das wir nach dieser langen Strecke wirklich ersehnt haben. Und er Regen legt sich wieder.
Louisiana, da sind wir. Müde, aber mit einem Lächeln, das nichts aufhalten kann. Trotz Zähnen – und sind sehr, sehr gespannt auf Dich.

Das Beste an Texas: die Hüte!?

Der heutige Blog ist flott geschrieben. Weil wir die Hälfte der geplanten Dinge einfach nicht gemacht haben. Das hat einzig und alleine mit Texas selbst zu tun.

Unser erster Anlaufpunkt ist die „Cathedral of junk“: heute geschlossen. Damit hat sich dieses Thema schnell erledigt. Keine Schrottkathedrale für uns und weiter.

Das zweite Thema hat damit zu tun, dass ich mir leider selbst widersprechen muss. Ich tue es ungern, aber es geht leider nicht anders.
Gestern noch schrieb ich, dass der Verkehr in Texas gar nicht so schlimm sei. Heute nehme ich das absolut ausnahmslos wieder zurück.
Gestern war Sonntag, heute ist Montag: scheinbar in Austin ein „Fuck you all“-day, aggressivste Form des „Monday blues“ – das Blatt hat sich gewendet.
Auf den ersten fünf Kilometern nach der „Cathedral of junk“ werden wir angehupt, abgedrängt, gedrängelt, geschnitten – mehrmals als mehrfach. Riesige Pickups hängen –trotz freier Fahrbahn und mehreren Spuren– an unserer Stoßstange, scheren knapp aus und noch knapper wieder rein – nötigend, vollkommen unnötig und mit ausschweifenden „Arschlochgesten“ – so viele in so kurzer Zeit haben wir noch nie kassiert.
Es ist ja nicht so, dass wir (oder vielmehr Chouchou – da darf ich mich nicht mit fremden Federn schmücken, denn wenn´s auf den Straßen eng wird, muss Chouchou ran) in den letzten Jahren wenig Kilometer auf unterschiedlichsten Straßen gesammelt hätten. Wohl eher im Gegenteil.
Chouchou hat uns durch Rom und Paris im Feierabendverkehr kutschiert. Gemeinsam sind wir durch Teheran, durch Mumbai, durch Dubai, durch Istanbul, durch Delhi und selbst Haryana gefahren. Aber niemals, wirklich nie, haben wir so offensiv aggressive Autofahrer erlebt wie hier in Texas.
Kurzum: es macht keinen Spaß. Und bevor uns die Aggression ansteckt, entschließen wir uns noch auf dem Highway in die City rein, dass Austin uns mal kreuzweise kann.
Womit auch immer dieses Verhalten auf der Straße zu tun hat: es ist zutiefst unsympathisch.
Möglicherweise schmeckt den Leuten unser unbekanntes Nummernschild nicht? Vielleicht halten sie es für ein mexikanisches? Möglicherweise hat jemand zu viel Testosteron getankt? Whatever – es macht es nicht besser, sondern noch abstoßender.

Bevor wir aber zum Campground zurück fahren und Texas als abgehakt erklären, gibt es noch zwei Dinge zu erledigen.

  1. Die Blinkerreparatur unserer „Cathedral of junk“, dem Magicbus. Das machen wir routiniert auf dem Parkplatz eines mexikanischen Supermarkts. Und nein, ein kaputter Blinker ist nicht die Rechtfertigung für das assoziale Fahrverhalten, denn auf der Straße tat er noch.
  2. Bevor wir Texas verlassen, brauche ich noch Cowboyboots. Als Stellvertreter für irgendetwas Nettes, das dieser Staat vielleicht doch zu bieten hat.

Nach einem Eiskaffee in der hippiesken Shoppingmall am Stadtrand sind wir bereit für „Cavender´s Boot City“: Fachladen für Cowboy und –girlbedarf.

Es braucht 27 verschiedene Cowboystiefel bis ich erkenne, dass ich mich mit den Tretern einfach nicht identifizieren kann. Egal wie oft ich sie wechsle. Mit Lederjacke, Bluse und Hut aber geht das schon. Howdy – ein nachgezogenes Geburtstagsgeschenk und eine Stundenaktion –Schuh an und aus, Bluse an und aus, Jacke an und aus, Hut auf und ab.

Chouchou dient die ganze Zeit netterweise als braver Kleiderkaktus, den Shoppingtrip mit geduldigem Sanftmut erduldend.

Da die Stimmung –neu gekleidet—nun wieder etwas besser ist, macht es nichts, dass das Tanken so kompliziert wird. Im sechsten Anlauf schaffen wir es – zwar nicht bei den zwei Säulen der Shell, die wir testen und deren Tankwartin ich nun beim Name kenne– aber beim Billiganbieter um die Ecke. Immerhin. Jetzt können wir auch noch die McKinnley Falls anschauen, wenn wir schon mal da sind, und weil man dafür auch nicht mehr auf die Straße, sondern nur ums Eck auf dem Campground muss.

Die McKinnely Falls erwähne ich nun nur, da sie der Vollständigkeit dienen. Ansonsten hätte ich sie weggelassen. Endlos viele Verbotsschilder (kein Picknick, kein Glass, keine Schoßtierchen im Pool, kein Alhohol…) vor einer Pfütze Wasser, die über Stein fällt. Das Beste sind die Schildkröten, die leider zwischen Müll dösen müssen. »Littering« ist laut Schildern nicht verboten.

Es bleibt aber ein Mysterium, warum so viele Besucher da sind. Anyway, wir waren es ja auch. Vielleicht wegen der Bäume mit Füßchen im Wasser.

Den Rest des Tages verbringen wir im Dunstkreis des Magicbus. Kochen mit Cowboyhut unter freiem Himmel, Cowgirl-Modenschau (der Rock aus Tombstone stellt sich leider als Fehlkauf heraus), Kaffee trinken, Feuerchen vorbereiten.

Das Beste, was wir heute noch tun können ist das: Feuerchen vorbereiten. Damit Chouchou aufatmen kann, wenn die Scheite aus Oregon endlich wegglühen. Er wartet seit Wochen schon darauf.
Wenn´s dann ordentlich brennt, holt er vielleicht die Mundharmonika raus und spielt uns das „Lied vom Tod“. Und dann verbrennen wir sie feierlich: alle Straßenkarten von Texas.
Weil wir, wenn wir morgen hier raus sind, sicher niemals mehr wieder kommen werden.

Zu Hause ist doch am schönsten

Nach einem endlos luxuriösen Urlaubsgeburtstag mit Heizung auf konstante 22 Grad, mit Badewanne (dreimal benutzt), eigener Toilette, verrückt leckeren Quesadillas von Taco Bell, angestoßen mit schweineteuren Perriers (6 kleine Flaschen für 12 Dollar), Kokoswasser auf crushed Eis und Wes Andersons neustem Film (der gefühlt ein Abklatsch unserer Reise ist – inklusive Farbton!) geht es für uns heute flotten Reifens weiter gen Osten. Vorab: Plastikfrühstück mit quietschbunten Fruit Loops, Eiern, die mit einem halben Zentimeter Butter beschmiert sind und schallenden Drohungen des Alten Testaments, die lauthals aus dem Fernseher auf den Frühstücksraum herunterregnen.

Nun zittert und bittet demütig um Vergebung, nachdem Ihr Euch der Völlerei und dem Hedonismus hingegeben habt. Denn Satan ist hinter Euch her. Ach Kinnas, doch nicht erst seit heute…

Hinter Fort Stockton folgt gähnende Leere. Die Ölfelder wurden zwar abgerockt, die Landschaft hat trotzdem nicht viel Pittoreskes herzugeben. Straße in Fels gesprengt, das Wetter grau in grau: den ganzen Tag soll es nicht hell werden. Außer ein paar lustigen Schilder, die vor Schlangen, Übel im Generellen und „clowing around“ im Präzisen warnen ist´s bis Fredericksburg eine Strecke voller gähnender Nichtssagung. Und mir ist grottenschlecht von einer Tüte „Beyond meet-Jerky“. Dann aber staunen wir (–ich mit ein paar Burpies).

Fredericksburg ist altdeutsche Siedlung: 1846 gegründet von Freiherr von Meusebach siedelten hier vor allem „liberale und gebildete“ Westerwälder, die vor Unterdrückungen im Heimatland vor und nach der 1848er Revolution geflüchtet waren. Der einzige, nie gebrochene Vertrag mit den Indianern wurde hier geschlossen, die Sklavenhaltung lehnten die Einwohner strikt ab, nahmen daher größtenteils auch nicht am Sezessionskrieg der Südstaaten teil und wurden verfolgt und getötet. Quasi: eine deutsche, freiheitliche Mini-Resistance Ende des 19. Jahrhunderts mitten in Texas.
Bis heute ist das deutsche Erbe in dem Ort großflächig sichtbar: „Willkommen“ und „Auf Wiedersehen“ an der Ortseinfahrt, „authentic German cuisine“ in den Restaurants, „Auslander“-Biergarten, eine überdimensionale Weihnachtspyramide, „Die Kunstler von Fredericksburg“ laden zur „fine arts show“ ein.

Witzig und unerwartet fühlt sich das an. So unerwartet, dass Chouchou vor einer genauso unerwarteten, roten Ampel mit voller Wucht in die Eisen steigen muss. Ziemlich knappe Nummer. Wäre es schief gegangen, hätte man aber zumindest unsere Barmerkarte im EmergencyRoom akzeptiert. Nehme ich an.

Hinter dem Örtchen wird Texas nun endlich schöner: Texanische Weinberge und Winzer, die sich mit liebevollen Nippes Mühe geben. Bewaldete Ranches, die wie in grüne Savanne gepflanzt wirken, mit Riesenhörnerkühen und zweifarbigen Ziegen. Erste Weihnachtsdekorationen in niedlichen Dörfchen namens Harper und Johnson City. Eine Schönheit, die es zu bewahren gilt. Daher auch die deutlichen Schilder: »Don´t mess with Texas. Littering 2000 Dollar.«

Auf 500 Kilometern lernen wir heute, dass die Texaner gar nicht so schlimm Auto fahren, wie ihnen im Nachbarstaat nachgesagt wird.
Es ist eine lustige Dynamik: überall werden wir immer vor dem nächsten Staat gewarnt. In Nevada meint man, die Arizoner seien aggressiv. Die Arizoner meinen, die in New Mexico lassen alles schleifen. In New Mexico lernt man, wie schlimm die Texaner Auto fahren. Und in Texas wie unglaublich gefährlich Louisiana doch ist. Siehe: die Gefahr geht immer von den Nachbarn aus.
Bei uns ist alles besser. Sehr wahrscheinlich brauchen wir Menschen das einfach so. Die Rechtfertigung, das der Ort, an dem wir leben, einfach der allerbeste und sicherste ist. Auch wenn die Kirschen des Nachbarn…aber so rot können sie eigentlich nicht sein.

Nach 500 Kilometern kommt auch endlich Austin in Sicht, Megacity im Herzen des Staates und als einziger Hippieort ganz Texas verschrien.

Nach einem verwinkelten Autokreuz biegen wir an der Vogelkolonie auf der Stromleitung rechts ab in Richtung McKinnley Falls State Park. Beim Niesen beiße ich mir auf die Zunge: Körper out of control mit 44. Für heute reicht es tatsächlich.

Kurz vor Sonnenuntergang –der bei dem heutigen Licht wenig Unterschied macht—parken wir für die Nacht ein. Der Aufbau geht mittlerweile so routiniert, dass wir dabei auch schlafen könnten.

Endlich wieder Magicbus. Mit seiner teuflischen Matratze, seinem unbequemen Bänkchen, ohne fließend Wasser und das Perrier ist auch leer. Trotz allem ist es schön wieder hier zu sein.
Zu Hause. Der Ort, der einfach immer der Beste ist. Vergiss die roten Kirschen.

November Rain im trockenen Luxus

Der Nachbar sah es anders. Nicht unser direkter: der stellte seinen Generator freundlich um 20h ab. Aber es kam ein neuer, der uns wacker in die Nacht surrte und am Morgen wieder weckte.
Der Temperatursturz hat über Nacht nicht abgenommen. Bei 5 Grad und Regen kriechen wir aus der Koje. So schnell wie das Wetter ist, sind wir lange nicht. Im Seelchen noch immer 30 Grad, fühlt sich der winterliche Herbst draußen einen Tick zu flott an. Hatschi. Das Schnüpfchen aber freut es: so kann es wenigstens noch ein wenig bleiben. Ein Chapeau an den eisernen Zelter, der in der Daunenjacke sein Porridge löffelt. Daunenjacke – eine großartige Idee.

Passend zu unserem knubbeligen Winteroutfit scheint sich unser Dachzelt zu solidarisieren: es plustert sich fröstelnd auf und verklemmt sich beim Schließen piefig in der Dacharrettierung. So fest, dass rein gar nichts mehr auf oder zu gehen will. Adieu Dachzelt, war schön mit Dir.
Erst als uns das Ausmaß des Komfortverlustes –ab jetzt immer unten schlafen!—deutlich wird, fangen wir verzweifelt an zu zerren, zu zuppeln, zu schimpfen und zu rütteln. Immer unten schlafen: Oh nein, das geht wirklich nicht!
10 entgeisterte Zerr- und Schüttelminuten, in denen uns wenigstens lecker warm wird. Puff – und aus erneuter Solidarität platzt das Dachzelt verschwitzt aus der Verkeilung. Gerettet. Wir danken dir, Plusterzeltchen.

Schneller als wir gucken können, rollen wir heute nach Texas ein. Eine Stunde näher an zu Hause: die Uhr zieht uns also 60 Minuten von unserer Lebenszeit ab.

Konkret haben wir von Texas wenig erwartet. Cowboys, Steppe und eine Menge Ranches vielleicht. Erwartet aber hätten wir nicht, dass die texanische Westseite so außerordentlich trostlos sein würde.
Gas- und Ölbohrungen so weit das Auge reicht in öder, verregneter Prärie. Der Regen fließt nicht ab, wir fahren durch tiefe Pfützen, die Fluten bei Starkregen scheinen plötzlich sehr logisch. Überdachte RV-Plätze für Bohrarbeiter in der Ödnis, Müll an den Straßenrändern, Pumpen wie metallisch-gigantische Gottesanbeterinnen, die gnadenlos und bedrohlich den Boden penetrieren.

Staub, Baustelle, eine Ampel, die zwanzig Minuten auf Rot stehen bleibt, fast höhnisch – als wollte hier irgendjemand die Aussicht genießen. Ein Schild warnt: „Poisonous gas may be present“ und verlotterte Ruinen im Nichts. Ein beeindruckend hässliches Entrée – Texas. Wie in einem Endzeitszenario.

Da helfen auch die bunten Cowboystiefel in Pecos nichts – oder die Kenntnis, dass hier das erste Rodeo der Welt geritten wurde. Oder die Residencia der katholische Kirche. Es macht es nur noch trostloser unter dem traurigsten Himmel der ganzen Reise. Eine Stunde später kommt –Gott sei Dank- Fort Stockton.

Fort Stockton wirbt damit, dass freundlichste Örtchen von ganz Texas zu sein. Also bleiben wir.
Immerhin bewahrheitet sich der Slogan schon mal im Walmart, in der Tanke und im Burger King – der sogar vegetarischen Whopper führt. Unsere Laune steigt – wobei sie bisher auch nicht schlecht war. Aber das allerbeste kommt noch…

Zur Feier des morgigen Tages haben wir uns entschieden, dem „November rain“ ein Schnippchen zu schlagen.
Zwei Nächte kein Einkuscheln im plustrigen Dachzelt, wo´s bei der Witterung nachts um die 8 Grad haben muss. Zwei Nächte ohne Schlafmütze bei 20 Grad Zimmertemperatur, zwei Nächte ohne nächtliches in die Dunkelheit raus schleichen, wenn man raus schleichen muss.
Zwei Nächte bleiben wir im Hotel: dem Sleep Inn & Suites. Mit Heizung, Badewanne, eigener Toilette und sogar Schwimmbad im Keller und Frühstück im Preis mit drin. Was für ein wahnsinniger und toller Luxus. Wir freuen uns wie die Schneekönige!

Zimmer 211 hat massenweise Platz. Ein herrliches, frisch bezogenes Doppelbett, eine Kaffeemaschine, einen Kühlschrank – Eismaschine auf dem Gang. Vor der bequemen Couch kann man die Füße hochlegen, der Fernseher ist doppelt so groß wie unserer zu Hause. Davor ein geräumiges Arbeitstischchen. Im Bad hat es vier, blütenweiße Handtücher pro Person, das Wasser in der Dusche ist sofort brühend heiß mit einem Wasserstrahl, der auf den Punkt kräftig ist. Die Heizung kann man exakt auf die gewünschte Temperatur einstellen: also 22 Grad.
Kurzum: die Globetrottels sind mitten im Luxushimmel. Tolltolltolltoll….mehr als toll ist das.

Bevor wir all dies morgen noch mehr genießen als eh schon—also noch mehr genießen, in dem wir gar nichts tun außer diesen Luxus zu genießen (sagte ich schon: genießen?!)– muss heute aber erstmal die Wäsche in der Wanne baden. Und wir klemmen uns ins Internet. Um mit flottem Wifi diese Reise nun wirklich mal ein bisschen zu planen. Kann man nach ein paar Monaten ruhig mal tun. Beides.

Nach ein paar Stunden stehen große Pfeiler neu im Raum, die Wäsche trocknet entspannt vor sich hin, ein flotter Blog wird schnell geschrieben. Ab hier heißt es nun sich 36 Stunden einfach mal zurücklehnen.
Sein. Freuen. Und natürlich: genießen….

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