Nach der knallhärtesten Dusche der Welt (ein Strahl, der obere Hautschichten abpeelt und Knasttätowierungen auswaschen könnte) startet unsere Louisiana-Dörfchentour „Von Lake Charles an den Mississippi“. Unter einem grauen Himmel: feinstes Novemberwetter.
Auf dem –gestern vom netten Welcomemenschen empfohlenen- Highway 90 geht’s zuerst durch Welsh.
Erste filmische Veranden im amerikanischen Großgrundbesitzerstil – Schaukelstühle vor der Tür neben lottrigen Mobilheimen. Auf großen Plakatwänden fordert Kyle Miers Ivy Woods bei der Wahl zum Sheriff heraus: Kyles Gesicht an jeder Straßenecke, Ivy kennt man, der kommt mit einem knappen „Re-elect“ aus.
Next Stop: Jenning – Bulldoggenstadt.
Worauf sich die hündischen Plattnasen beziehen bleibt unklar. Möglicherweise auf die knallharten Dinge, die hier hinter gepflegten Häuschenfassaden heimlich vor sich gehen. Zwischen 2005 und 2009 wurden in diesem betulichen Örtchen 8 Prostituierte ermordet und im Sumpf versenkt– bis heute ist unklar durch wen. Steckten die Cops mit drin? War es Gang-intern? Niemand weiß es oder will es wissen: 9697 Einwohner, die sich in Schweigen hüllen.
Im Juli diesen Jahres gab es in einer Sechswochenserie wöchentlich offene Schießereien unter Gangmitgliedern – Deontrae Edwards hat´s im zweiten Anlauf erwischt. Sehr wahrscheinlich war es ein Zwanzigjähriger, der ebenso wie Deontrae zur Gang der „Four babies“ gehörte. Trotz allem wird Jennings als „safer than 95% of U.S. neighborhoods“ gruppiert. Was auch immer in den anderen Kleinstädten los ist!?
Knappe 60 Kilometer weiter östlich liegt Crowley.
Hier gibt´s Cappuccino mit Hafermilch für uns an der historischen Hauptstraße. Eigentlich wäre Reismilch passender gewesen, denn Crowley selbst bezeichnet sich stolz als Reis-Hauptstadt des Landes. Reis, der hier auf platten, überfluteten Äckern statt Terrassen überall um die Stadt herum angebaut wird.
Der historische Neuanstrich der Hauptstraße ist in vollem Gange, erzählt uns Tracy Jones, die uns aus ihrem flotten Ferrari heraus anspricht. Gesprayte Fönfrisur, perfektes Makeup, verspiegelte Sonnenbrille, eindeutig eine Frau, die in Crowley die Hosen an hat: „You are from outta town?“ „Quite,“ sagen wir und Tracy Jones legt los:
Ein zackiger Überblick über die Stadtgeschichte, eine Einladung zum Bürgermeister –„my friend“. Fragt nach Tessa, die gibt Euch eine Stadtführung, sagt, Ihr kommt von Tracy. Das nächste B&B ist da vorne an der Ecke –„a nice one. Hope to see you the next days in the streets”. Zweimal Kusshand und ab. Welcome to Crowly.
Den Cappucchino, der eigentlich Reismilch enthalten sollte, genießen wir mit der 60er-Jahre-Musikuntermalung des abgehalfterten Gitarrenladens gegenüber: „Modern music … er“, die Letter C, E, N und T sind abgefallen. Wird noch gemacht, meint Tracy. So wie die Fassade nebenan und die Tochterfiliale der Louisiana Land Bank. Wir mögen Crowly wirklich sehr.
Hinter den Reisfeldern steht Zuckerrohr. Meilenweit. Ein Haus mit Kleiderschrank draußen. Im nächsten Örtchen Rayne scheinen Frösche eine zentrale Rolle zu spielen, sie stehen an jeder Straßenecke. Und wir lernen, dass hier –dank der französischen Vergangenheit—Froschschenkel durchaus auf der Speisekarte stehen.
In Lafayette gehen wir im unterhaltsamsten Walmart seit langem einkaufen.
Die Walmarts der USA: ein prima Ort für sozialwissenschaftliche Studien. Überall gleich aufgebaut, überall mit (fast immer) den gleichen Produkten in gleicher Sortierung, unterscheiden sich die Märkte von Staat zu Staat trotzdem maßgeblich. Und geben –dank der Kunden– einen feinen Querschnitt der Bevölkerung.
Hier in Lafayette –„The heart of Acadiana“ aka Cajun Country—stehen wir an der Kasse mit MrCool, der Spacesonnenbrille und Mini-Zwirbeldreads trägt. Dahinter drei Generationen an schwergewichtigen Ladies (Oma, Mutter, Kind), die allesamt elektrische Einkaufswagen fahren müssen, da sie zum Gehen zu schwer sind. Sie kaufen drei Strohhüte für je 3 Dollar, Hundefutter und allen Süßkram, der gerade im Angebot ist. Dahinter eine Dame, die für ihr Frisurenstyling in die Steckdose griff und just in dem Moment das Haar mit ultrastarkem Haarlack konserviert haben muss. Dahinter wir: mit Cowboyhut und Mütze.
Flott noch vollgetankt bei Love´s – mit einem Tanknachbarn, der zahnlos rauchend und wild am Zapfhahn gestikuliert: manchmal ist halt auch ein bisschen Russisches Roulette, ob´s weiter geht oder eben nicht. Heute geht’s, also ab in Richtung Mississippi River über die Brücke.
In Morganza – erster Ort auf der angeblichen „Scenery Road“ am Fluss entlang—fahren wir guter Dinge unser potentielles Nachtörtchen an: den Maxey Care RV Park.
Der Platz hat anscheinend keine Gäste. Lädierte, alte Wohnwägelchen rosten auf wasserdurchsogenen Wiesen still vor sich hin. Nur an einem arbeitet emsig ein Einäugiger, der mich bis zum letzten Moment nicht anpoltern hört, um eine Information einzuholen. Nichts sehen, nichts hören, vielleicht kann er uns zumindest etwas sagen.
Bleiben heute Nacht? Jo, sehr wahrscheinlich könnten wir das wohl, wir müssten mal im Officehäuschen gucken. Also machen wir das.
Das Officehäuschen ist ein pelziger Raum. Die Bäder dahinter sind aus den 60ern, auch Datum der letzten Reinigung womöglich. An der Wand klebt ein Zettel: diejenigen, die nicht zahlen werden daran erinnert, dass wir uns mitten in „Voodoo-country“ befinden. Daneben die Anschläge der ortsansässigen Sexualstraftäter:
6 Männer mit Foto, vollständigem Namen, Alter, Adresse, besondere Merkmale (Tattoos oder Narben), sowie exaktes Delikt mit Datum der Tat werden aufgelistet. Unter ihnen ein Herr, heute 70, der 1991 verurteilt wurde. Lebenslänglich auf freiem Fuß – für immer denuziert und geächtet. Ein System, in dem es weder Freispruch, noch ein Ende von „Strafe verbüßt“ gibt. Plötzlich wirkt der Pranger des Mittelsalter fast wie eine moderne Institution.
Morganza wird es heute Nacht also lieber nicht werden. In großer Erwartung fahren wir die „Scenery road“ also weiter gen Norden: ab hier immer am Mississippi entlang. Zumindest auf der Karte.
Wie sehr habe ich mich gestern auf diese Strecke gefreut: 150 Kilometer freie Sicht auf den sagenumwobenen Fluss. Aber nix is.
150 Kilometer geht es an Ackerland und Deich entlang. Nur einmal sehen wir den Mississippi kurz –in der Ferne. Und wieder Deich. Der Himmel beginnt zu weinen. Wir müssen unsere Vorfreude also noch ein wenig bei uns halten.
In Vidalia aber finden wir den richtigen Ort: ein Plätzchen direkt am Mississippi. Rufus – ein Knuffellamm an Hund—begrüßt uns. Er riecht nach einer Mischung aus Weichspüler und nassem Köter und ist ein ungekrönter Schmusekönig.
Das Schmusen aber geht noch weiter. Die Nacht senkt sich über den Fluss, der Himmel sprüht noch ein wenig, als hoher Besuch vor der Tür steht. Ein nasses, graues Mississippikätzchen steht maunzend vor dem Magicbus und bittet herzzerreißend um Einlass. Also gut: komm rein.
Jetzt sind wir also zu sechst: Chouchou, Rudi, TF 23, Sir Hilly, das Kätzchen und ich – Doohakedoodl.
Das Mädchen, die allen heimatlosen Tieren in der Garage ein Zuhause gibt:
Doohakedoodl am Mississippi.
Weil manche Dinge niemals aufhören zu sein……