Unterwegs im Magicbus

Monat: Oktober 2023 (Seite 2 von 3)

Auf dem Extraterrestial Highway zur Area 51

Es war so klar.
Am Morgen sind all unsere Nachbarn verschwunden. Irdische würden sagen: früh abgereist. Wir aber wissen: der Teleporter ist´s gewesen. Mit einem lauten Zisch um Mitternacht. Nur noch ein paar menschliche Haare blieben übrig, die am Morgen lautlos als letzte Ballen über den Schotter davon wehen.

Lediglich Traudi und Malin hat es nicht erwischt. Die spirituellen Renter rücken beim ersten Kaffee an uns heran, ihre Lebensgeschichte ist lang, aber flott geteilt: Traudi kommt ursprünglich aus München. In einem indischen Ashram hat sie Marlin aus Kalifornien kennengelernt – auf der Suche nach dem inneren Licht. Gemeinsam haben sie es gefunden und sind zusammen nach South Dakota gezogen.

Wir chitchatten bis kurz vor Mittag – vereint als Teleporter-Zurückgelassene. Falls wir auch auf dem Extraterretial Highway nicht weggehapst werden sollten, seien wir immer herzlich nach Arizona –ihr Winterdominizil– eingeladen: „You good spirit people.“ Dicke Umarmung voller Licht und schon sind wir mit zwei Kilo organic grapes und Ökomarshmallows wieder zurück auf der Straße. Einer durchaus einladenden.

In Tonopah decken wir uns in einem Laden namens „Love´s“ noch mal mit dem Nötigsten ein: für den Wüstenberg-Highway 6 und sein mystisches Anschlusssträßchen: den Extraterrestial Highway 375. Von dort aus geht es meist schnurrgerade in Richtung des bekanntesten Militärsperrgebiets der Welt: Area 51. Die letzte zivile Siedlung davor nennt sich Rachel – unser heutiges Etappenziel.

Bereits auf dem Highway Nummer 6 entdeckt Chouchou die erste Ufolandebahn. Unübersehbar verläuft sie parallel zur Straße, niemand hat sich hier Mühe gemacht, sie irgendwie zu verstecken. Außer eines diletanischen Schilds, das auf „low flying aircraft“ macht.

Dass auch die Wüstenwelt daneben heute noch bunter als gestern wirkt, ist eigentlich selbsterklärend.
Die aufgeblähte Kuh am Straßenrand wollten wir eigentlich nicht erwähnen, da –laut Ufologen—verstümmelte Tiere aber vermeidlich zusammenhängende Phänomen mit Ufo-Sichtungen sein sollen, gehört sie leider auch in diesen Text hinein. Ohne Foto.

Der Extraterrestial Highway.
Unter dem Eingangsschild unternehmen wir unseren ersten „Beam me up“-Versuch. Mit Alufolie auf dem Kopf und im rosa Glitzershirt. Wenn wir ehrlich sind, funktioniert das videographisch nur für unseren Instagramaccount. Aber immerhin.

Während der Dreharbeiten halten zwei Bengel aus California neben uns. Sie wirken in dieser Landschaft etwas entrückt; so, als habe die Fakultät für BWL ihnen heute frei gegeben, um sie –rein aus sadistischen Forschungsgründen– mit einem Pilzcocktail auf einen Roadtrip der anderen Art zu schicken. Unser Willkommenssatz: „Wow, you look more normal than expected,“ macht ihnen augenscheinlich Angst. Sie springen zügig zurück in ihren Tesla und nehmen über dampfenden Schotter Reißaus. Komische Aliens.

Wer den 375er zu fahren plant, der muss gewarnt sein:
Einige Besucher berichten auf dieser einsamen Straße von Begegnungen der ersten Art (Ufosichtungen in Entfernungen von weniger als 150 Meter) und von unüblichen Lichterscheinungen. Wir sehen vor allem bunte Weite, freilaufende Kühe, einen Cowboy, Berge, Wüstenallee, irritierenden Aspahltbelag, der kicki im Kopf macht. Nach drei Tagen am Stück in dieser atemberaubenden Landschaft sind aber auch alle anderen Phänomene nachvollziehbar.

Es ist ein bisschen vergleichbar mit der Reise zu den heiligen Orten der Menschheit, ein bisschen wie in der Religion: der Glaube –egal welcher Couleur—passt immer in die Region, in der er entstand. In Jerusalem ist Jesus logisch, am Ganges Ganesha, Mohammed macht in Arabien durchaus Sinn, Buddha in Lumbini und Manitou am Lake Superior. Diesmal also Ufo-Jünger.

Gegen 15h taucht zwischen den Bergen, im flimmernden Tal Rachel am Horizont auf: Pilgerort für Verschwörungstheoretiker und Ufologen. Taucht auf und will und will nicht näher kommen. Für die gefühlten vier Kilometer brauchen wir über 30 Minuten. Gestern schrieb ich bereits vom Verlust des Entfernungsgefühls, von der trügerischen Wüstensicht , nahe der Fatamorgana. Da ist sie wieder. Oder immer noch.

In Rachel gibt es ungefähr hundert Wohnwagen und eine Bar: das A´lie´Inn.
Michael –grüne Bandana, Zauselbart, Alienshirt– steht an der Theke: er schmeißt den wuseligen Laden alleine. Unser Glück, dass er –laut Außenanschlag—neben extraterrestians auch earthlings willkommen heißt.
Ja klar können wir heute Nacht auf dem weiten Feld vor der Bar bleiben: welcome in the middle of nowhere. Und das Ufo vor der Tür blinkt freundlich mit den Lämpchen.

Auf weitem Terrain parken wir –bestens sichtbar für Irdische und Außerirdische– ein. Ein perfekter Schnapper für jedes unbekannte Flugobjekt, quasi: Präsentierteller. Drehort Nummer zwei für ein Globetrottels´ Alienvideo, Episode: erfolgreiche Ufo-Sichtung. Dann haben wir Hunger.

>Im dunklen Etablissement serviert Michael uns seine world famous Alien burger vegetarisch: die ersten je, wie ein Unsichtbarer aus der Küche bestätigt. Im Fernsehen läuft derweil E.T., die Wände stumm und zugekleistert mit Fotos von fliegenden Untertassen. Souvenirs gibt´s auch – zum größten Teil unausgepackt in Lieferkartons auf dem Billiardtisch. Endlich bekommt Chouchou sein erstes Reisemitbringsel – momentan noch ohne Taufnamen.

Die dicken Hähne im Staub staunen nicht schlecht, als wir zu dritt aus dem A´ lie´ Inn in die scheidende Sonne hinaustreten: Eine wundersame Mehrung der Globetrottels. Mit Rudi, Sir Hilly und Ömmes ohne Namen sind wir nun also zu fünft.

19h: Fünf Globetrottels in der tiefschwarzen Wüste Nevadas. Es ist still. Sehr still. Verdächtig still.
In Area 51 –in 20 Meilen Entfernung– beginnen womöglich gerade geheime Versuche: wenn die Sonne untergegangen ist und kein Mensch mehr guckt.
Außer zwei hochhausgroßen, grün fluoreszierenden Embryoglupschern, die möglicherweise gleich am Himmel auftauchen…

Extraterrestrisches Fledermausland

Unser Tag in der Hochwüste startet mit Büroarbeit. Unsere nächsten Schritte benötigen ein permit: denn ab hier beginnt ernsthaft Alienland.
Da sich Chouchous „Doktor“ bereits in der Vergangenheit häufig als Türöffner bewährt hat, ist er es, der heute den Antrag stellen muss: Globetrottels applying for paranormal passport. Take us home please.

Die extraterrestrische Behörde erkennt Chouchou direkt als einen der ihrigen: Passport approved. Welcome home. Ein Lichtstreifen am Himmel, zweimal zischt es, ab nun sind wir ganz legal unterwegs in Richtung Area 51. Wenn wir denn Fledermausland überleben….

Kurz hinter Austin („social distancing since 1862”) biegen wir rechts ab auf den Highway 376. Und bereits nach den ersten Meilen wird klar, dass der Highway 50 die heimische Tourismusbehörde mit einem cleveren Schachzug bestochen haben muss: „the loneliest road of the USA“ kann er nicht sein. Denn auf dem Highway 376 ist nochmal sehr viel weniger los.

Highway 376, hallo Fledermausland.
Jedem, der in der endlosen Weite dieser bunten Wüstenstrecke Halluzinationen entwickelt, dem darf gesagt sein: Ganz falsch liegst du nicht. Surreale Farben meilenweit, einsame Briefkästen ohne Häuser am Straßenrand, flirrende Hitze unter einer Sonne, die niemals unterzugehen scheint.

Auf dieser schnurrgeraden Straße, dessen Fluchtpunkt im flimmernden Nichts verschwindet, verlieren wir binnen Minuten jegliches Gefühl für Zeit und Entfernung. Berge am Horizont wirken zum Greifen nah, sie kommen allerdings nicht näher. Ein Blick auf die Uhr sagt, wir seien 20 Minuten gefahren; 20 Minuten, die sich wie Stunden anfühlen. Fledermausland eben.

Nach ungefähr sechzig Meilen erste Bruchstücke von Zivilisation: eine Baustelle kurz vor Sunnyside, mitten im Shoshonenreservat. Wir halten hinter einem Mülllaster, dessen Fliegen die Pause nutzen, um das Fahrzeug zu wechseln. Sie wollen anscheinend auch nach Alienland – ohne paranormalen Pass.
Der Fahrer kennt sich bestens mit der heimischen Pflanzenwelt aus: „Duranium“, ruft er mir entgegen, als ich ein orangenes Gewächs am Wegesrand fotografiere, in einer Pause, von der niemand weiß, wie lange sie eigentlich dauert.

Irgendwann blinkt es grün: Müllwagon und Magicbus setzen sich wieder in Bewegung. Hinter Sunnyside biegt der Laster ab, die Fliegen fahren mit uns weiter geradeaus. Erste befremdliche Bergformationen tauchen auf, von denen Irdische behaupten würden, es handele sich um Silberabbau. Es könnten aber auch extraterrestrische Pyramiden sein: günstige Teotihuacan-Kopien.
You are the one choosing the persepective.

Unser paranormaler Pass führt uns an unseren ersten Halt: Manhattan.
Der angebliche Geisterort liegt 8 Meilen östlich des Highways: übers Viehgatter holpern, vorbei an den Gabelantilopen und einmal über die Hügel mit dem silbernen Boden – am ehesten Alienlockstoff.

Manhattan in Nevada. Etwas weniger prätentiös als sein Namensvetter aus dem Osten. Um nicht zu sagen: verlottert. Statt der angeblichen Geister leben hier 124 Menschen, irgendwo zwischen Kirche, Saloon, Feuerwehr und einem Schild, dass für Goldschürfgenehmigungen à 5 Dollar wirbt.

Wir fahren die einsame Hauptstraße einmal rauf und wieder runter auf der Suche nach außerirdischen Zeichen. Nichts. Das Paranormalste ist und bleibt Chouchou, der heute ausnahmsweise Sonnenbrille trägt und es schafft, den Cakepop mit dem ersten Happs so zu zerlegen, dass das edele Bällchen konsterniert vom Stiel fällt und auf nimmer Wiedersehen im Fußraum verschwindet. Egal – war eh nur eine Süßigkeit für Feingeister.

Kurz vor Tonopah die nächste Zivilisation: ein Gefängnis im Nichts. Schilder weisen darauf hin, dass man bitte keine Tramper mitnehmen soll, am Eingang ein Bild hartarbeitender Männer mit Hacken, Fußfesseln werden nicht mit abgebildet. Das hier ist Nevada, baby.

Tonopah: nächster extraterrestischer Stopp laut unseres Passes.
Im Clownshotel spukt es, auf dem alten Friedhof liegen Untote, die unter bemerkenswerten Umständen ums Leben kamen. Unter ihnen die größte Heiratsschwindlerin Nevadas, die allerdings –ganz profan– von guten, alten Drinks dahingerafft wurde. Es kann ja schließlich nicht jeder hochgebeamt werden.

Mit Blick auf die weite Ebene parken wir für heute Nacht ein.

Am Horizont glänzt ein leuchtender Stab: angeblich ein überdimensionaler Solarkollektor. Genau.

Dahin starren wir jetzt die ganze Nacht. Gespannt, wen man hier alles so anliefert.
Über den –vollkommen peinlich ersichtlichen– Teleporter…

Great Basin: Richtig Wüste eben

Pünktlich zum Sonnenaufgang –nach einer unbeschreiblich sternenklaren Nacht– scheppert im Magicbus der Wecker: den ersten Sonnenaufgang in der Wüste dürfen wir auf keinen Fall verpassen. Meine zumindest ich, Chouchou ist diesbezüglich eher zweigeteilter Meinung. Irgendwas zwischen „muss nicht“ und „muss das wirklich, Chérie?“ Ja, es muss.

Was gestern pastellfarben endete, fängt heute pastellfarben wieder an. Zeitlos. Nur die fliegenden Fische und wir sind einen Tag älter geworden in einer Wüste, deren Licht ewiglich ist. Ewiglich und so leise, dass man die Flöhe im 80 Kilometer entfernten Reno husten hören kann.

Fallon ist unser Tor zur echten Wüste, das Intro zum Großen Becken. Eine Gebrauchsstadt, die wie eine verwitterte Perlenkette an einer lieblosen Hauptstraße aufgefädelt wurde: Fast Food Klitschen, zwei Casinos, ein Rodeozaun-Fachgeschäft, ein Reminder to breathe: ok or fine? Durchatmen. Denn ab hier geht’s Richtung Einsamkeit.

Der Highway 50 rühmt sich damit, die einsamste Straße der USA zu sein. Von Fallon bis Austin 180 Kilometer perfekter Asphalt durch einsame Wüste, Steppe, Berge und nixnixnix. Pure Fahrmediation bei achtundzwanzig Grad im Schatten, nur ein paar Gabekböcke huschen vorbei. Eine Welt wie von einer anderen Welt. Ein Potpourri aus Sonne, Farben und Wind.

Viele Menschen sind tatsächlich nicht hier – unterwegs auf der ehemaligen Ponyexpressroute, die top Eilpostlieferung von 1860 bis 1861. Dann kam das Telegraphennetz und machte den jungen, gerne verwaisten Reitern und Ponys (egal, ob die noch Eltern hatten) den Garaus. Schade eigentlich, denn generell lief die Sache einigermaßen rund: Von 120 Reitern wurde nur einer gemeuchelt (vielleicht das einsame Grab am Straßenrand?!), nur eine Sendung wurde unvollständig geliefert und eine ging verloren. Die deutsche Post könnte sich ein Beispiel daran nehmen – bis auf den Gemeuchelten natürlich.

Langsam und stetig geht es immer weiter der Sonne entgegen, ganz bullifreundlich: Steigung, Ebene, Steigung, höhere Ebene, Steigung, Hochebene und dann kommt Austin, das Westernörtchen, das auf 2240 Metern liegt. „Sehr heiß ist das hier, richtig Wüste,“ sage ich siebenmal zu Chouchou. Siebenmal kommt vom Fahrersitz: „In Südspanien ist es heißer.“ Kann sein, aber heiß ist es hier. Richtig Wüste. Oder Chouchou?

Kurz hinter Austin blubbert es –als sei es nicht schon heiß genug—warm aus der Erde.
Die Spencer Hot Springs liegen mitten im noch größeren Nichts als ohnehin der ganze Rest. Elf Kilometer abseits des Highways geht’s über Wellblechschotter mit Schlaglöchern. Nicht mehr ganz so bullifreundlich, aber irgendjemand wollte ja baden gehen. Diejenige womöglich, die sich jetzt vor Angst fast in die Buxe macht.

Nach 40 Minuten sind wir endlich da. Durchgeschüttelt, auf glühendem Boden, unter einer gleißenden Sonne. Die zweihundert Meter bis zum Pool sind ohne Kopfbedeckung und Wasser nicht machbar, das merken wir nach fünf Schritten. Chouchou ist von Hause aus ja immer gut behutet, nur ich muss eine modische Ausnahme machen: mit dem letzten Schrei an schwarzem (!) Sonnenhut, eine crème de la crème der Haute Couture. Weil schwarz immer elegant ist. Auch in der Wüste.

In Pret (auch mit Sonnenmützchen auf dem e)-à-porter flanieren wir zum ersten Pool. Nur ein leicht Bekleideter (auch mit Hut) ist mit uns in dieser Einsamkeit, er misst soeben die Temperatur der muffigen Brühe mit einem Fleischthermometer. „110 Fahrenheit“, raunt es unter dem Hütchen: lauschige 43 Grad. Ein aufgeblähter Frosch starrt uns aus toten Augen vom Beckenrand an. Alles in allem nicht die beste Werbung.

Der zweite Pool ist etwas kühler. In den trauen wir uns mit unseren Munkifüßen kurz rein. Zwei Esel rümpfen in der Ferne ihre Nasen, voneinander abgewandt, sie haben wohl Knies. Ein heißer Wind von Ost brutzelt über die Haut, sehr heiß ist das hier. Richtig Wüste. Unterm Hut kocht irgendetwas: Großhirn vielleicht. Laut IphoneApp hat es mittlerweile 32 Grad. Hier in Cool. Sowas kannste Dir nicht ausdenken. Nicht mal mit blubberndem Liquor.

Die Hitze treibt uns für die Nacht auf den Pass hinter Austin zurück: kühles Übernachten auf 2100 Metern. In Austin, wo in fünf Tagen Frost angesagt ist. Auch das kann man sich nicht ausdenken.

Zwischen knorrigem Wüstengestrüpp parken wir ein. Verschwitztes Kochen in kurzer Buxe bis jemand um punkt 18h plötzlich das Licht ausmacht. Sofortiger Temperaturabfall auf 13 Grad . Also Icebreakerbuxe an und Tee kochen.
Nevada nachts: sehr kalt ist das hier. Nevada tagsüber: sehr heiß ist das hier.
Nur Sir Hilly, dem macht der ganze Temperaturwechsel rein gar nichts. Als alter Zombie des Ponyexpress´ klappert er belustigt nur mit den Kieferknochen:
„Richtig Wüste eben…“

Nevadification nach Donnerpass

Unser warmer Sommermittwoch beginnt mit einem Telefonat, weil der tollste Bruder der Welt Geburtstag hat: Happy Birthday, mein Tops. Du bist der allerbeste Bruder, den ich mir vorstellen kann, ein unglaublich liebevoller Papa und ein lustiges, menschliches Beben – vielleicht geht auch deshalb während des Gesprächs mein Alarm am Handy los: Erdbebenalart in Sacramento! Doch der Boden bleibt still. Es ist also ein Topsalarm aus reiner Geburtstagsfreude.

Um zehn rollen wir los. Frühstück gibt’s beim Starbucks: „Impossible breakfast“ nennt sich dort die vegetarische Variante der frühen Kalorienbombe: Sandwich mit beyond meat, dreifach Käse und sehr viel Ei. Kein Vitamin zu viel, genau genommen: gar keins. Damit geht’s am besten den anstehenden Berg hinauf.

Die rechte Spur ist unsere. Warnblinker an, mit 30km/h im zweiten Gang bergan, der Magicbus kämpft sich auf einem Rappelasphalt, der schwer an Albanien erinnert, tapfer die nördliche Sierra Nevada hoch.

Die Trockenheit nimmt ab, die Straßenränder werden alpiner, eine grünere Welt. Einstweilen ein Bergflüßchen, eine einsame Bergbahn, der Verkehr lichtet sich. Eine Siedlung namens „Dutch flat“ kriecht vorbei: auf 1000 Fuß über Null ist dies möglicherweise der höchste Punkt Hollands, dachte sich ein Lustiger. Und dann kommt „Das Boot“ vorbei – auf einem Hänger.

Auf dem Donnerpass atmen wir alle drei erleichtert aus: Badass-Bulli hat uns tatsächlich knappe 2200 Meter (7227 Fuß) über null getragen. Wenn´s nach Plan läuft, mag dieses der wohl höchste Punkt unserer Reise sein. Wenn´s denn mal nach Plan läuft – gell, Magicbus!? Und dann sind wir auch schon in Nevada.

In Boomtown und Reno, der „größten Kleinstadt der Welt“ oder: „Little Vegas“, gehen wir einkaufen: Proviant für Hunderte Kilometer Großes Becken, das ab hier vor uns liegt: hunderte Kilometer Steppe, Wüste, meist trockenliegende Flussläufe, Canyons, Salzseen. Wir brauchen also Wasser.

Unsere große Wüstentour führt uns heute allerdings nicht mehr sehr weit: noch einmal 1000 Höhenmeter den USA Parkway hoch und wieder runter, an ein paar Wildpferden vorbei und schon sind wir für heute zu Hause. Eine abenteuerliche und surreale Anfahrt – mitten durch die Steppe bis nach Silver Springs.

Am Lahontan Reservoir darf man überall sein Camp aufschlagen. Unseres liegt damit heute direkt am See.

Ein paar Fische veranstalten spektakuläre Luftsprünge – jeder bekommt zehn Punkte—, Bütterkes am See und dann geht die Sonne in unechtem pastell auch schon unter.

Kalifornien ist ein häufig geträumter Traum. Für uns ist Nevada der größere.
Hier, mitten in der Einsamkeit, in einer menschenfeindlichen Umgebung, die unverblümt in den Farbtopf greift, um dann einem endlosen Sternenzelt Platz zu machen ist so viel mehr Raum, um sich klein zu fühlen. Und dann wieder ganz groß.
Weil zwischen Himmel und Erde nicht mehr viel ist…
außer ein paar Kojoten und den Globetrottels.

Spannung neu regeln: Mit dem Ponyexpress gen Wüste

Federweiche Matratze, movienight und ein warmes Bad in klimakühlem Raum knocken uns für unschreibbare zehn Stunden aus. Ein erstes Äuglein öffnet sich um 09:02h, das zweite braucht drei Minuten länger, erst dann gehen Augen drei und vier auf, weil der Körper unter Auge eins und zwei Kaffee macht. Aus einer echten Kaffeemaschine.
Die Check-out-Zeit reizen wir bis zum get no aus. Vor der Tür ackern schon emsige, mexikanische Zimmermädchen, wir aber haben Zeit. Der Magicbus ist auch kein Schneller und wir wissen, dass er eh immer gut ist für eine Extrarunde rückwärts. Whoopwhoop. Warum also stressen?

Um zehn ruft Leigh an: anscheinend bestens ausgeschlafen tönt kalifornische Bombenlaune durchs Telefon. „Good morning Joan. Good news!“
The good news an diesem sonnigen Morgen sind, dass die ganze Nummer für uns deutlich günstiger wird, sagt Leigh. Die weniger gute Nachricht ist, dass dies an der neuen Lichtmaschine aus Oakland liegt. Die passt leider auch nicht und ist damit out off the game. Aber don´t worry, sehr wahrscheinlich ist die auch gar nicht das große Problem, denn eigentlich liegt es ja am Spannungsregler und der –the very best news, Joan!– ist schon auf dem Weg ins Mill Valley. Bis Mittag soll er anreisen. Und Tusch!

Dass im Magicbusuniversum nicht alles kreisrund läuft, wundert uns nicht. Am Beachtlichsten an der ganzen Sache ist und bleibt Leighs Gesprächsaufbau: Wie kommuniziert man so, dass die ganze Nummer nach einem Hauptgewinn klingt? Leigh hat es nonchalant drauf, das muss man ihm lassen. Ein Chapeau von unserer Seite aus also weit vor Check-out-Zeit…

Den Mittag verbringen wir am sonnigen Vogelmeer. Dank telefonischem Support und Sonnenschein stecken uns die weißen Miesepeter nicht mit ihrer Laune an. Und dann meldet sich Sunshine-Leigh noch vor der Mittagspause: Van is ready. Wir brauchen keine fünfzehn Minuten, um mit vor Freude bebenden Nüstern bei der Garage anzugaloppieren.

Der Bulli hat nun einen neuen Spannungsregler. In großer Hoffnung, dass der also die Spannung nun auch regelt: die der Batterie und unsere.
Car is safe, we checked it., sagt Leigh und kassiert von uns ein Piepen der Visakarte und eine dicke Umarmung, während an Jesus ein dankendes Amen geht. Beide haben es geschafft, innerhalb von 24 Stunden drei Ersatzteile zu organisieren, zwei davon zweimal ein- und wieder auszubauen und eines reinzufriemeln, das schlussendlich bleibt. Ohne Termin und bei durchweg bester Laune.
I am living in a resort, where everybody is in a good mood, sagt Leigh. Damit soll er wohl Recht haben. Selbst wir können uns ein freudigbehelfsmäßigen Grinsen nicht verkneifen und sind endlich wieder “on the road“.
Mit einem Magicbus, der geliebt wird und fordert. Anders kann man es nicht sagen: Wir haben ihn gern, er nervt aber auch.

Für uns geht es weiter gen Inland. So schön die kalifornische Küste ist, so teuer ist sie auch. Der Ruf der Wüste tönt die Sierra Nevada hinab, dem folgen wir in Richtung Sacramento, der Pony Route entlang wie Buffalo Bill.

Sacramento. Heiße und trockene Hauptstadt Kaliforniens, 525.000 Einwohner, 16% leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Straßen voll, die Felder verdörrt, der Wassermangel weithin sichtbar. Uns hält hier nichts auf – außer ein dringender Pipistopp (gar nicht mal einfach) und ein Eis (sehr einfach). Danach sind es noch 9 Minuten bis Sunrise.

Diese Nacht werden wir wieder auf der harten Bullimatratze verbringen. Unsere Rücken werden uns danken.

Am Stausee von Folsom ist nicht viel los: zwei SUP-Ruderer, ein Langhaariger im trockenen Gras, meditierend, ein Radfahrer mit Maske aus Schlesien, ein freundlicher Bärtiger, der grüßt als würden wir uns nach Jahren endlich wieder sehen.

Die Zirkaden besingen eine warme Nacht, im Unterholz klappern die Klapperschlangen, flotte Hörnchen huschen über gelben Stein.

Wir sind wieder unterwegs. In Richtung Wüste, in Richtung sternenklarer Nacht. Raus aus dem dichtbesiedelten Kalifornien, nach Osten gen einsames Nevada.
Mit einem neuen Spannungsregler, der hoffentlich sein Wort hält: die Spannung in die korrekte Richtung zu regeln.
Nicht zu viel, nicht zu wenig.
Zwischen Reisealltag und Abenteuer – in einer goldenen Mitte.

Lichtmaschinenträume im Hotel

Auch wenn wir es am liebsten ignorieren wollten, muss es heute dran sein: das rote Licht im Amaturenbrett. Seit Tagen unter „ferner liefen“ mitgeschleppt, kann selbst eine der schönsten, buntesten und wildesten Städte der Welt es irgendwann nicht mehr aufhalten: den ersten Werkstattbesuch in den USA.

Im Mill Valley, kurz vor San Francisco, hausen die “Masters of european and japanese cars”. Wir sind so schlau und rufen nicht vorher an, denn zwei traurig dreinblickende Globetrottels –kratzend am Werkstatttor– lassen sich schwerer abweisen – darauf bauen wir.

Um elf rollen wir auf den Hof und Leigh spurtet sogleich heran. Er kennt zwar viele amerikanische Eurovans (in Kalifornien fahren so viele T3s als hätte Volkswagen eine geheime Geburtsmaschinerie irgendwo unterhalb des Hippie hills) , einen deutschen Bulli hat er allerdings noch nie gesehen: „Oh Diesel. Never seen. What kind of engine is that: AAB!? Never heard. Let´s have a look anyway.“
Eigentlich wäre der nächste verfügbare Termin am Donnerstag. Wenn da nicht diese zwei sehr traurig dreinblickenden Globetrottels wären…
Also lässt Leigh uns heute noch auf die Bühne nehmen, unter die magischen Hände von Jesus, dem für den Magicbus verantwortlichen Mechaniker.

Während wir uns im Park mit Kalorien aufsättigen, den Monarchenfaltern hinterher schauen, uns über rote Früchte wundern, über bunte Schilder freuen und durch das wohlbetuchtete Vorörtchen schlendern (sehr teure Häuser mit sehr exzessiver Halloweendekoration) bestellt Neilgh bereits eine neue Lichtmaschine. Leider die falsche, wie sich am Nachmittag herausstellt, aber der Wille zu helfen ist enorm: Lichtmaschine Nummer 2 wird direkt im Anschluss aus Oakland geordert.
The bad news are, dass der Bulli nun leider schon zerlegt ist: heute fährt der Magicbus also nirgendwo mehr hin. Die Globetrottels dürfen sich ein Hotel gönnen.

Wir wählen das billigste am Platz, 3 Kilometer zu Fuß durch den Vogelmeerpark, an dem sich Schöne die Lunge aus dem Laib joggen und Hippe auf selbstfahrenden Einrädern tief durchatmen. Langbeinige Kraniche, freche Pieper und die schlechtgelauntesten Weißschnäbel Kaliforniens mittendrin.

Die Muir Woods Lodge liegt an der Hauptstraße, die wir schleppenden Birkenstockfußes in Windeseile überqueren müssen, ansonsten ist Matsch in Mill Valley.

Die indische Lady am Empfang weist uns Zimmer 221 zu: ein Globetrottels-Tröstezimmer, das nach hinten hin rausgeht.

Nach der teuersten Pizza der Welt (hat sich gelohnt) springen wir in die Kissen: Movienight im Muir Woods – nach einer Badewanne. Dass dafür erneut der Magicbus kaputt sein muss, ist eigentlich unnötig.
Aber ein echtes Bett nach zwei Monaten harter Bullimatratze ist tatsächlich ziemlich traumhaft. Um nicht so sagen: Lichtmaschinen-traumhaft…

San Francsisco: Love is our tribe

What a day for a daydream…
Tag 2 in San Franscisco beginnt für die Globetrottels um sieben auf dem Müffelplatz. Gott bewahre ist das Odeur von gestern Abend über die Bucht etwas abgezogen, nur ich rieche etwas salzig, nach einer durchkämpften Nacht in dicken Daunen. Eine heiße Dusche pellt immerhin einigermaßen frisch aus dem Ei: um halb neun sind wir bereit für den Sonntagsgottesdienst.

Über die Bai geht es tiefgekühlt durch den Nebel. Der Steward immerhin ist bester Laune: als beinahe einzige Gäste ruft er uns schon von weitem aus entgegen, dass wir auf dem Steg nicht drängeln müssten. Alle kämen mit. Als Tiefkühlkost schockgefroren unter einer Lüftung, die als einzige so tut, als herrschten draußen Tropentemperaturen.

Die Straßen der Stadt schlafen noch. Nur ein Straßenfeger ist unterwegs und die Verlorenen, dösend auf ihren viel zu harten Matratzen, dem groben Asphalt. Ein Kaffee ist noch nirgendwo zu kriegen, die Baristamaschinen zischen hier erst ab elf. Mit Eis auf den Wimpern tippeln wir nach Tenderloin hoch.

In der Glide memorial church begrüßt man uns an der Kirchenpforte wie alte Freunde. Good to have you here: Home. Wir setzen wir uns mittenmang in die vollen Reihen. Mittenmang in eine Gemeinde, die alle Farben des Lebens willkommen heißt — ganz explizit.
Das Welcome everybody. und das We all are family. reißen in Windeseile mit. Eine Gospelband spielt erste Takte und die Menge flippt bereits bei den ersten Tönen aus. This is a church, where everything is allowed. Dance! Sing! And let‘s celebrate life together. Now!
Eineinhalb Stunden schwimmen wir auf einer groovenden Welle mit: klatschend, singend … und jetzt, liebe Freunde, umarmen wir jeden, den wir in die Krallen bekommen. Das sind ziemlich viele, wenn die Hugging-wave zweimal eine viertel Stunde dauert.
Noch nie in meinem Leben habe ich so viele fremde Menschen in so kurzer Zeit so fest gedrückt.
Mensch, wie schön das ist: Mensch zu sein.

Und wie schön, dass Kirche auch so sein kann: warme Gemeinschaft spenden, und das nicht nur für die Nächsten in den Kirchenbänken, sondern vor allem auch für die zweitausend vor der Pforte, die täglich kostenlos mit Essen versorgt werden.
Als wir aus dem Gottesdienst zurück auf die Straße purzeln, ist diese brechend voll. Vom Leben Vergessene stehen mehrere Blocks Schlange, um etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Und eine Umarmung danach. In der Glide memorial church für jeden, bedingungs- und kostenlos und vor allem: unbezahlbar.
Wir lassen –trotzdem und deshalb– eine Herzensspende da. Und ein Lachen und ein online prayerrequest. Aus Gründen.

Durch das komplizierte Bussystem schlagen wir uns nach diesem Morgen beseelt durch. Etwas schlauer als gestern, legen wir heute nicht die gesamte Strecke durch San Franscisco zu Fuß zurück, sondern lassen uns bequem kutschieren. Die neunzehn Kilometer gestern waren dann doch einen Tick zu viel — siehe die durchgekämpfte Nacht in dicken Daunen…

In Ashbury Haight spukt uns die 7 aus. Auf dem Hippie Hill im Golden Gate Park gönnen wir uns zum Mittag eine hart erkämpfte Pizza: es ist nicht leicht, den meditierenden Sandwichmaker auf uns aufmerksam zu machen. Noch nie haben wir jemanden erlebt, der in einer solchen Seelenruhe und mit so viel Liebe Brötchen belegt – eigentlich wollen wir gar nicht stören– aber die Champignonpizza mit doppelt Käse und karamellisierten Zwiebeln ist dann doch zu verlockend und unser Hunger so groß, dass wir den Liebenden nach fünfzehn Minuten ansprechen müssen. Schlussendlich für die liebvollst erwärmteste Pizza der ganzen Welt. Ein Genuss an diesem geschichtsträchtigen Ort mit Trommeluntermalung.

Im Sonnenschein dösen wir ein wenig mit bloßen Füßen in der Luft und lassen die uns umgebende Welt auf uns wirken: Rastafaris, die auf ihren Djembes jammen, ein Saddhu zieht mit seinem Shivastock vorbei, ein Chinese im Rollstuhl spielt schräg auf einer kaputten Blockflöte, das stört aber niemanden. Im Gegenteil. Die Blockflöte muss in die Szene, genauso wie die Skaterin, die auf der, für den Autoverkehr gesperrten, JFK Avenue im Bikini entlangcruist, genauso wie die Beachvolleyballer, die nach federartigem Bällen hechten, genauso wie die Hundebesitzer mit Hündchen, die gefärbtes Haupthaar tragen. Ein Eis auf die Hand, ein Peacezeichen auf dem Boden, LOVE in dicken Lettern neben dem botanischen Garten und irgendwer hat Ballons in die Bäume gehängt.

Nachdem wir gestern das Wohnhaus von Jimi Hendrix schamlos übersehen haben, müssen wir nach dem Eis heute natürlich nochmal hierher. Bewusst, um ganz genau zu wissen, wo der Begnadete nun sein „Red house“ komponierte. Im roten Haus, oh Wunder; dort, wo heute ein Geschäft für Hundeleckerchen hausiert. Um die Ecke hat Janis Joplin gewohnt. In einem pinken, viktorianischen Traumhäuschen, das tatsächlich zum Verkauf steht.

Online request zwei des Tages geht also raus. Wobei wohl alle Gebete der Glidecommunity auch nicht helfen würden, die Summe des nötigen Kleingelds wundersamerweise auf unser Konto zu transferieren.

Mit der 7 gehts am Nachmittag zurück in Richtung Wolkenkratzerdowntown.

An der Powellstreet wird die legendäre Straßenbahn per Hand gewendet, in die springen wir jetzt rein. Wir haben Glück und erwischen einen Außensitzplatz, die draußen dranhängenden Mitfahrenden müssen bei Gegenverkehr schwer die tacogefüllten Bäuchlein einziehen, so eng wird´s auf den Hügeln.

In spektakulärer Schräglage ackert sich die Bahn nach Nob Hill hoch. Ein Bär von einem Mann wuchtet an der manuellen Bremse, die nicht nur herzzereißend quietscht, sondern ganzen Körpereinsatz fordert, um das 150 Jahre alte Gefährt in den Steigungen zum Stehen zu bringen. Unsere Hochachtung ist dem Bremser sicher, wir schleudern sie ihm —noch immer glidetechnisch beseelt— einfach an den Kopf. Kehliges Lachen zwischen perfekten Zähnen: „Most of the work does the maschine itself.“ Ein Understatement der Sonderklasse, das es schafft, uns bis zur Endstation an der Fisherman´s wharf zu bremsen. Vorbei an Chinatown und vielen blauen Magen Davids auf weißem Grund: der Gegendemonstration von gestern, pro Israel.

An der Fisherman´s wharf herrscht ausgelassene Sonntagsstimmung. Flanierende in kurzen Hosen und Röcken. Seelöwen blöken an Pier 29, dessen Stege aber eher unter Futterwilligen zittern. Mexikanische Stände mit entsprechend lauter Musica latina bieten Tacos und Mojitos feil, Hütchenspieler ziehen nach allen Regeln ihrer Kunst ahnungslosen Touristen die Hunderter (jawohl!) aus der Tasche, Asiaten verkaufen quietschbunte, nach Plastik riechende Plüschtiere an müde Eltern, die keine Kraft mehr haben, ihren Kindern nach einem ereignisreichen Tag in dieser wilden Stadt die Stirn zu bieten.

Pelikane fliegen dicht über dem Wasser der untergehenden Sonne entgegen, während wir auf einer Bank über unsere Zukunft flüstern.

Nach zwölf Stunden fährt uns die Tiefkühlfähre im Dunkeln wieder heim. Die schlecht gelauntesten Vögel Kaliforniens nehmen uns am heimischen Kai in Empfang. Hatten wohl nicht so einen guten Sonntag wie wir.

Vollkommen erledigt humpeln wir zum Magicbus zurück. Totmüde und beglückt darüber, einen Tag Teil dieser Stadt gewesen zu sein.

If you‘re going to San Francisco,
be sure to wear, some flowers in your hair.
If you‘re going to San Franscisco
You‘re gonna meet some gentle people there…

Scott McKenzie hat Recht gehabt. Zumindest, was die Menschen betrifft. Die weißen Zottelvögel am Kai sind ausgenommen.
Es hat aber ja auch niemand gesungen:
You´re gonna meet some gentle birdies there…

Alle da in San Franscisco

Die ruhigen Tage im Sugarloaf waren bitter nötig. Nachdem uns am zweiten Tag eine tiefe Reisemüdigkeit ereilte wurde uns klar, dass wir irgendwo neu sondieren müssen. Das tägliche Fahren, die täglichen Wechsel fühlten sich auf einmal extrem anstrengend an: im Nachhinein. Derweil ist es uns gar nicht explizit aufgefallen.
Die Dauerbelegung der Statecamps tat sein Übriges: länger als eine Nacht bleiben war in Oregon und in Nordkalifornien gar nie möglich. Strand und dicke Bäume sind auch im Oktober extrem beliebt, selbst wenn wir gewollt hätten, wäre es uns gar nicht möglich gewesen, je länger als eine Nacht zu pausieren. Auch das ein Nervfaktor im Nachgang. Und die Wörter im Hirn schwiegen. Die Inspiration zum Schreiben war ebenso weg. Wie die Lust aufs Weitereilen.

Entsprechend brauchten wir diese Pause dringend. Nicht bewegen, nicht schreiben. Einfach nur mal sein. Ohne Bilder, ohne schriftliche Doku. Um ein wenig zu innerer Ruhe zu kommen, um zu überlegen, wie unsere Reise ab hier weiter gehen soll. Gut weitergehen, genießend, nicht eilend.
Nach drei Tagen stehen einige Dinge neu fest: wir wollen länger an einem Ort bleiben, wenn möglich. Die Blogs werden nicht mehr allzu detailliert. Zumindest nicht täglich – weil sich das nach zwei Monaten irgendwann wie Arbeit anfühlte. Das soll es nicht. Es soll Freude machen.

Im Sugarloaf, im Sonoma Valley, der Weinregion Kaliforniens haben wir drei Tage einfach nur gelebt.
Das ging auch, da der Campground erst am Wochenende wieder bis auf den letzten Platz ausgebucht war. Wir kamen ja –Gott sei Dank– bereits am Mittwoch, der sich bis Freitag füllte mit einem Spaziergang über durstige Hügel, den Truthähnen und Rehen hinterher schauen, gute Bücher lesen, Reiseinspirationen holen, ein Feuer machen, gemütlich kochen, lecker essen, ausgiebig schlafen, viel reden, viel schweigen, den eigenen Gedanken nachhängen, uns zu entschieden, wohin wir als nächstes reisen.
„Don´t forget the magic“, stand auf einem Straßenschild in Richtung hierher. Ab jetzt halten wir uns strikt daran.

Wie an jedem Wochenende ist gestern, am Freitag, im Sugarloaf die Hölle ausgebrochen: jeder Platz besetzt mit feuerlustigen Menschen und alle in bombastischer Ferienstimmung.
Wir sind heute Morgen die ersten, die um sieben aus der Koje kriechen, gemeinsam mit unserem wortkargen Nachbarn aus Alaska. Der braucht aber –genau wie wir– erstmal drei Kaffee, um auf Betriebstemperatur zu gelangen. Es ist also ein ruhiger Morgen nach der wilden Partynacht.

Um neun rollen wir los. Das Batterielämpchen leuchtet noch immer. Chouchou hat in den Sugarloaftagen versucht es zu reparieren: leider erfolglos. Das soll uns heute trotzdem nicht aufhalten, denn die Hippiehauptstadt ruft. Das Lämpchen ist erst später dran. Denn: Magic first.

Mit Magie geht’s dann auch gleich los. Um 09:22h schiebt sich –einfach so– der Mond vor die Sonne: Sonnenfinsternis kurz nach Sonnenaufgang in magical California. Man soll ohne Brille nicht direkt hinschauen, das wissen wir, die Blicke aber lassen sich kaum abwenden von diesem unglaublichen Phänomen, das wir beide noch nie erlebt haben.

Beim Einkaufen in Sonoma, ein Ort wie im Film, treffen wir einen plaudrigen Kassierer. Kasse dauert länger als das Wandeln durch alle Gänge, nett ist das. Natürlich haben wir kalifornischen Wein im Körbchen … und Blumen.

Wir rollen an endlosen Weinfeldern und gelben Hügeln vorbei, auf denen schwarze Kühe mit ihren Kälbchen stehen. Sonnenschein in Kalifornien – hier regnet es vielleicht wirklich so gut wie nie, meinen auch die Palmen und die Kakteen.

Auf einem sündhaft teuren und endlos gruseligen RV-Platz parken wir gegen Mittag ein. Die Umgebung hier soll uns piepegal sein. Wichtig ist, dass die Fähre von hier aus zu Fuß erreichbar ist. Die Fähre nach San Franscisco Downtown.

Mit der cleveren Clippercard checken wir pünktlich um eins am Terminal ein. Natürlich mit flowers in the hair. In der Menge sehr bunter Menschen –die Vorhut– fallen wir nicht damit auf.

Bis in die Stadt sind es dreißig Minuten: vorbei am Gefängnis von San Quentin (noch aktiv), in dem Johnny Cash seine begeistertsten Zuhörer hatte. Vorbei an Alcatraz – nicht mehr aktiv, der Versuch rüber schwimmen zu wollen vollkommen nachvollziehbar. Vorbei an der Golden Gate Bridge – heute nicht im Nebel. Chouchou meint, sie kann durchaus mit der Hohenzollernbrücke in Köln mithalten.

San Franscisco in angemessenen Worten zu beschreiben ist unmöglich. Viele –umso Talentiertere– haben es versucht und, trotz allem, kaum den Puls der Stadt textlich zu greifen bekommen.
Und da der Vorsatz ja ist, die Blogs kompakter zu halten, nur dies:

San Franscisco ist ein Potpourri der Gegensätze:
Am Hafen ist die Hölle los. Es duftet nach Fisch, undefiniertem Geräuchertem und dicken Schwaden von Cannabis.

Durch die Wolkenkratzerfluchten schieben sich bergauf und bergab Menschen aller Couleur: die Kreativen, die Erfolgreichen, die Bunten, die Modernen, die Großen und die Kleinen, die Wilden, die Touristen und die Verlorenen – der American dream ist schließlich nicht für jeden.

In Haights stehen bunte, alte Häuser von Bougainvilleas umarmt: wo ist der Mietvertrag? Ich unterschreibe sofort. Grüne Parks, Vintageläden, anarchistische Buchhandlungen, hippe Cafés.

In fünf Stunden gelangen wir in eine propälestinensische Demo, die unappetitlich aus dem Ruder gerät und in ein Technofestival, für das ein gesamter Straßenblock gesperrt wurde, zwei Straßen weiter.

Wir essen unbedarft in Mexico, schlendern über die Hippiemeile, unbemerkt vorbei an Jimi Hendrix´ Wohnhaus, an Sternerestaurants, Straßenmusikern, Weltuntergangspropheten, Malern, Cracksüchtigen, der weltberühmten Straßenbahn, die per Hand gedreht wird.

Wir fahren Bus durch verschiedene Welten, nachdem die Füße genug bergauf getrippelt sind. Die Globetrottels in der Welle einer Stadt, die einen enorm hohen Freakfaktor aufweist. Wunderschön ist das.

Zurück am Hafen erwischen wir auf den letzten Drücker die Sonnenuntergangsfähre.
Pelikanartige krächzen in der Bucht, ein Seehündchen schaut freundlich auf die bunte Besatzung.

Die Golden Gate Bridge liegt mittlerweile im Nebel und an der Wolkenformation erkenne ich, dass wir nicht alleine hier sind.

San Franscisco: Hier sind wir nicht alleine. Alle sind da.
Und wenn ich schreibe: alle, dann meine ich auch: ALLE.

Zwei Tage in Häschtägs

#Mittwoch

#RausAusDemRegenwald #ByeByeRedwoods #RooseveltElk #MountShastaWegenWetterSchlechtGeschasst #480kmHighway101 #Batteriewarnlämpchen #AvenueOfGiants

#SunnyCalifornia #SantaRosa #KurzVorSanFranzisko #Vineyards #SonomaValley

#EndlichSonne

#Donnerstag

#Ausschlafen #HeuteMalNichtWeiterfahren #KaffeeInDerMorgensonne

#TruthahnZumFrühstück #ReheVormKlo

#BulliReinemachTag #LichtmaschineKabelBasteln #VersicherungBuchen #SeguroGringo #Räucherstäbchen #LeckerEssen

#EndlichWiederCampfire

Redwoods: Uralte Giganten

Globetrottels-TV deckt auf: Der Songtext, in Kalifornien würde es niemals regnen ist eine verlogene Verschwörung der Hippiekommune. In Kalifornien regnet es –zumindest 55 Jahre nach 1968—sehr wohl. Heute zum Beispiel.

Der Gold Bluff Beach steht am Morgen en gros unter Wasser. Und wir beim Kaffeekochen in Crocs knöcheltief mittendrin.
In der Nacht haben wir uns bereits gewundert, dass das Meeresrauschen in Dolby Surround gespielt wird, ahnend dass es wohl das Echo der Felswände gewesen sein muss. Um acht sieht es eher so aus, als habe der Pazifik uns wirklich komplett umspült: Flut in der Totalen direkt bis an den Bulli ran. Von oben und der Seite.

Das Einpacken im Platzregen macht uns wenig aus. Viel eher sorgen wir uns wegen der Rückfahrt.
Bereits gestern stellte sich der Weg hierher nur ganz eben noch als Magicbus-tauglich heraus. Ein Dauerregen während der Nacht wird die Straßensituation eher herausfordernder als einfacher gemacht haben. Und ganz genau so ist es.

Die Schlaglöcher stellen das kleinste Problem da: da wir die 15 Kilometer bis zum Highway in Schrittgeschwindigkeit fahren, zirkeln wir entweder drum herum oder dippen in Zeitlupe hinein. Das passt. Das Problem aber stellen die Hänge da, die wir wieder rauf müssen. In durchweichtem Schotter und mit Steigungen bis zu 20 Prozent. Das erneut leuchtende Batterielämpchen macht uns auch nicht unbedingt mehr Mut, aber es hilft ja nix: da müssen wir drei nun durch.
Der Bulli kämpft sich im ersten Gang wacker die ersten Berge hoch. Auf dem Schotter aber wird es eng.
Mit schwimmenden Vorderreifen aufwärts, dreht er bei den härtesten Steigungen immer wieder durch – wirklich kein Gelände für einen alten Magicbus, der zu Malaisen neigt, wirklich kein Gelände für dünnhäutige Globetrottels ohne Frühstück im Bauch. Wobei!? Vielleicht war es ja besser so: ein früher Happen wäre auf dieser Strecke vor Aufregung eh wieder retour gekommen.

Nach einer Stunde liegt der Offroad-Alptraum hinter uns. Eindeutig ein „Fun der Klasse B – Moment“: im Nachgang lustig zu erzählen, wenn´s auf einer Party mal langweilig wird, derweil aber uncool hoch drei. Und nun ein Applaus für den Magicbus bitte.

Bis zu unserem Ziel haben wir es heute –Gott sei Dank—nicht weit. Heute Nacht dürfen wir unter den uralten Baumriesen des Redwoodparks übernachten: ein riesiges Glück, auf dem Campground mitten im Park überhaupt ein freies Plätzchen zu bekommen. Das haben wir heute. Und können vom Camp aus auch direkt loswandern.

Es ist anders an den Riesen stundenlang entlang zu wandern, als nur mit dem Auto vorbeizufahren.
Zehn Kilometer haben wir heute zu Fuß Zeit, diese unglaublichen Baum- und Urwaldwunder zu erleben: alte Rinde betatschen, staunend den Kopf immer wieder in den Nacken legen, uns von regenglitzernden Farnen blenden lassen. Auf rotem, weichen Boden wandeln, riesige Tropfen mit der Hand fangen, Kleeblätter zählen, knallblaue Vögel mit Haarschmuck bewundern, uns auf Moosen betten. Chouchou spricht irgendwann mit den Bäumen: gute Zuhörer, seit Jahrhunderten, antworten allerdings tun sie nur still. Ein paar Barfüßler kommen uns entgegen, die „it never rains in southern california“-Fraktion. Gut, dass die kleine Schlange bereits am Anfang des Trails im Unterholz verschwunden ist, die Füße sind also safe.

Die ortsbekannten Roosevelt Elks begegnen uns hingegen nicht und auch die Pumas lassen sich nicht sehen. Eine der nettesten Warnungen überhaupt lesen wir am Trailbeginn zum Big Tree: „If you see cougar, don´t try to hide.“ Weil´s vollkommen sinnlos wäre. So wie alle anderen Verhaltenstipps. Am ehesten hilft wohl ein aufrichtig gemeintes: Good luck.

Der Big Tree ist die Sehenswürdigkeit Nummer eins im Park, weil der Name Programm ist und man sogar mit dem Auto leicht anfahren kann.
The Big Tree, ein Gigant: 90 Meter hoch, ein Umfang von knappen 23 Metern und 1500 Jahre alt. Man steht Schlange, um ein Foto mit dem Riesen zu machen. Ein Schilderwald daneben weist auf noch mehr „big trees“ im Umkreis hin, für die die meisten aber keinen Blick übrig haben. Entsprechend leer sind die Wanderwege.

Über verwitterte Brücken geht für uns alleine weiter durch den Gigantenwald, der neben seinen Dicken noch so viel mehr zu bieten hat:

Bäume, die sich zu einer Bande zusammengeschlossen haben und als Trio gen Himmel wachsen. Krumme Gesellen, die sich nach Astbruch selbst ums Eck geflickt haben. Rindengerippe entkernt mit einer Öffnung nach oben in die Wipfel. Koboldunterschlüpfe so weit das Auge reicht. Sonnenstrahlen auf leuchtenden Pilzen, die wie Blümchen aussehen. Ein plätscherndes Flüsschen.

Am nett plätschernden Flüsschen endet dann auch abrupt unser Weg. Drei Kilometer hinter der letzten Gabelung. Etwas verzweifelt suchen wir nach einer Brücke: aber da ist nichts. Der deutlich ausgeschilderte und gut ausgetretene Pfad führt an diesen dead end – Bach, der zirka einen Meter tief flott fließend vor unseren Augen vorbei rauscht. Das kann doch gar nicht sein. Und jetzt?
Auf drei Kilometer zurück über den Hügel nach mittlerweile 9 gelaufenen Kilometern haben wir ganz und gar keine Lust. Also ab ins Unterholz. Irgendwo bachauf- oder abwärts muss es doch eine besser zu passierende Stelle geben. Eine, in der wir nicht bis zur Hüfte ins Wasser müssen. Natürlich gibt es die.

Mit bloßen Füßen steigen wir ins Wasser. Kalt. Sehr kalt.
Auf den ersten Schritten ist der Gripp noch gut, auch wenn man nicht sehen kann, wohin man tritt. Doch die Füße werden schnell tauber. Fluchend wackeln wir durch das Flüsschen, innerlich schon darauf vorbereitet, dass einer von uns auf jeden Fall gleich im Bach liegt. Doch wider jeglicher Erwartung gelangen wir beide unversehrt ans andere Ufer. Mit trockenen Hosen und mit Blutegeln an der Wade. Wie gut, dass der best-equipted Ehemann von allen tatsächlich ein Handtuch von irgendwo her zaubert, um die Biester schnell abzuwischen. Und um mit trockenen Füßen weiter zu gehen. Belebt und erfrischt den Abhang hinauf bis zur nächsten Weggabelung an der wir unseren Augen nicht trauen. Ich seh wohl nicht richtig…

10 Meter vom Bach entfernt liegt eine Brücke. Abgebaut. Daneben ein Schild: Seasonal bridge.

Seasonal bridge? Von der stand VOR dem Bach rein gar nichts. Nicht mal auf dem Wegweiser drei Kilometer retour. Sacrament!
Aber es ist gut, dass wenigstens die Parkenden Bescheid wissen: über diesen Bach geht’s „off season“ nicht. Für die Wandernden jenseits des Wassers ist die Information ja nicht unbedingt von Belang.

Bestens durchgekneipt erreichen wir mit frischen Zehen unser Camp. Die Nudeln mit Pilzen und doppelt Sahne haben wir uns nun wirklich verdient. Kochen in vereinzelten Strahlen der Abendsonne, die durch das dichte Blätterdach fällt. Der blaue Vogel mit schwarzem Kopfschmuck kommt vorbei geflogen, staunt über die Portionsgrößen und beschwert sich krächzend, dass für ihn nichts abfällt.

Du! Du frecher Piepmatz! Bist Du hier heute mit durchdrehenden Reifen angereist? Nee, oder?
Du! Du kiebiges Vögelchen. Hast zwar einen kaiserlichen Kopfschmuck und königsblaues Gefieder, aber bist Du gerade barfuß durch einen eiskalten Bach gewatet? Nee, oder?
Du! Du vorlautes Federtierchen. Hast Du vor ein paar Minuten mit gierigen Blutegeln gekämpft? Ich glaube es eher nicht.
Daher ist die doppelte Sahne nur für Chouchou und mich. Mit einer extra Portion Parmesan obendrauf.
Flieg Du, Du wunderschöner, kleiner Dieb und Kind der Sonne, mal ganz schnell weiter goldene Würmchen suchen.
Denn das nächste Abenteuer wartet nicht lange.
Weder auf die Globetrottels, noch auf nordamerikanische Verwandte der Blauhäher.

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