Unterwegs im Magicbus

San Francsisco: Love is our tribe

What a day for a daydream…
Tag 2 in San Franscisco beginnt für die Globetrottels um sieben auf dem Müffelplatz. Gott bewahre ist das Odeur von gestern Abend über die Bucht etwas abgezogen, nur ich rieche etwas salzig, nach einer durchkämpften Nacht in dicken Daunen. Eine heiße Dusche pellt immerhin einigermaßen frisch aus dem Ei: um halb neun sind wir bereit für den Sonntagsgottesdienst.

Über die Bai geht es tiefgekühlt durch den Nebel. Der Steward immerhin ist bester Laune: als beinahe einzige Gäste ruft er uns schon von weitem aus entgegen, dass wir auf dem Steg nicht drängeln müssten. Alle kämen mit. Als Tiefkühlkost schockgefroren unter einer Lüftung, die als einzige so tut, als herrschten draußen Tropentemperaturen.

Die Straßen der Stadt schlafen noch. Nur ein Straßenfeger ist unterwegs und die Verlorenen, dösend auf ihren viel zu harten Matratzen, dem groben Asphalt. Ein Kaffee ist noch nirgendwo zu kriegen, die Baristamaschinen zischen hier erst ab elf. Mit Eis auf den Wimpern tippeln wir nach Tenderloin hoch.

In der Glide memorial church begrüßt man uns an der Kirchenpforte wie alte Freunde. Good to have you here: Home. Wir setzen wir uns mittenmang in die vollen Reihen. Mittenmang in eine Gemeinde, die alle Farben des Lebens willkommen heißt — ganz explizit.
Das Welcome everybody. und das We all are family. reißen in Windeseile mit. Eine Gospelband spielt erste Takte und die Menge flippt bereits bei den ersten Tönen aus. This is a church, where everything is allowed. Dance! Sing! And let‘s celebrate life together. Now!
Eineinhalb Stunden schwimmen wir auf einer groovenden Welle mit: klatschend, singend … und jetzt, liebe Freunde, umarmen wir jeden, den wir in die Krallen bekommen. Das sind ziemlich viele, wenn die Hugging-wave zweimal eine viertel Stunde dauert.
Noch nie in meinem Leben habe ich so viele fremde Menschen in so kurzer Zeit so fest gedrückt.
Mensch, wie schön das ist: Mensch zu sein.

Und wie schön, dass Kirche auch so sein kann: warme Gemeinschaft spenden, und das nicht nur für die Nächsten in den Kirchenbänken, sondern vor allem auch für die zweitausend vor der Pforte, die täglich kostenlos mit Essen versorgt werden.
Als wir aus dem Gottesdienst zurück auf die Straße purzeln, ist diese brechend voll. Vom Leben Vergessene stehen mehrere Blocks Schlange, um etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Und eine Umarmung danach. In der Glide memorial church für jeden, bedingungs- und kostenlos und vor allem: unbezahlbar.
Wir lassen –trotzdem und deshalb– eine Herzensspende da. Und ein Lachen und ein online prayerrequest. Aus Gründen.

Durch das komplizierte Bussystem schlagen wir uns nach diesem Morgen beseelt durch. Etwas schlauer als gestern, legen wir heute nicht die gesamte Strecke durch San Franscisco zu Fuß zurück, sondern lassen uns bequem kutschieren. Die neunzehn Kilometer gestern waren dann doch einen Tick zu viel — siehe die durchgekämpfte Nacht in dicken Daunen…

In Ashbury Haight spukt uns die 7 aus. Auf dem Hippie Hill im Golden Gate Park gönnen wir uns zum Mittag eine hart erkämpfte Pizza: es ist nicht leicht, den meditierenden Sandwichmaker auf uns aufmerksam zu machen. Noch nie haben wir jemanden erlebt, der in einer solchen Seelenruhe und mit so viel Liebe Brötchen belegt – eigentlich wollen wir gar nicht stören– aber die Champignonpizza mit doppelt Käse und karamellisierten Zwiebeln ist dann doch zu verlockend und unser Hunger so groß, dass wir den Liebenden nach fünfzehn Minuten ansprechen müssen. Schlussendlich für die liebvollst erwärmteste Pizza der ganzen Welt. Ein Genuss an diesem geschichtsträchtigen Ort mit Trommeluntermalung.

Im Sonnenschein dösen wir ein wenig mit bloßen Füßen in der Luft und lassen die uns umgebende Welt auf uns wirken: Rastafaris, die auf ihren Djembes jammen, ein Saddhu zieht mit seinem Shivastock vorbei, ein Chinese im Rollstuhl spielt schräg auf einer kaputten Blockflöte, das stört aber niemanden. Im Gegenteil. Die Blockflöte muss in die Szene, genauso wie die Skaterin, die auf der, für den Autoverkehr gesperrten, JFK Avenue im Bikini entlangcruist, genauso wie die Beachvolleyballer, die nach federartigem Bällen hechten, genauso wie die Hundebesitzer mit Hündchen, die gefärbtes Haupthaar tragen. Ein Eis auf die Hand, ein Peacezeichen auf dem Boden, LOVE in dicken Lettern neben dem botanischen Garten und irgendwer hat Ballons in die Bäume gehängt.

Nachdem wir gestern das Wohnhaus von Jimi Hendrix schamlos übersehen haben, müssen wir nach dem Eis heute natürlich nochmal hierher. Bewusst, um ganz genau zu wissen, wo der Begnadete nun sein „Red house“ komponierte. Im roten Haus, oh Wunder; dort, wo heute ein Geschäft für Hundeleckerchen hausiert. Um die Ecke hat Janis Joplin gewohnt. In einem pinken, viktorianischen Traumhäuschen, das tatsächlich zum Verkauf steht.

Online request zwei des Tages geht also raus. Wobei wohl alle Gebete der Glidecommunity auch nicht helfen würden, die Summe des nötigen Kleingelds wundersamerweise auf unser Konto zu transferieren.

Mit der 7 gehts am Nachmittag zurück in Richtung Wolkenkratzerdowntown.

An der Powellstreet wird die legendäre Straßenbahn per Hand gewendet, in die springen wir jetzt rein. Wir haben Glück und erwischen einen Außensitzplatz, die draußen dranhängenden Mitfahrenden müssen bei Gegenverkehr schwer die tacogefüllten Bäuchlein einziehen, so eng wird´s auf den Hügeln.

In spektakulärer Schräglage ackert sich die Bahn nach Nob Hill hoch. Ein Bär von einem Mann wuchtet an der manuellen Bremse, die nicht nur herzzereißend quietscht, sondern ganzen Körpereinsatz fordert, um das 150 Jahre alte Gefährt in den Steigungen zum Stehen zu bringen. Unsere Hochachtung ist dem Bremser sicher, wir schleudern sie ihm —noch immer glidetechnisch beseelt— einfach an den Kopf. Kehliges Lachen zwischen perfekten Zähnen: „Most of the work does the maschine itself.“ Ein Understatement der Sonderklasse, das es schafft, uns bis zur Endstation an der Fisherman´s wharf zu bremsen. Vorbei an Chinatown und vielen blauen Magen Davids auf weißem Grund: der Gegendemonstration von gestern, pro Israel.

An der Fisherman´s wharf herrscht ausgelassene Sonntagsstimmung. Flanierende in kurzen Hosen und Röcken. Seelöwen blöken an Pier 29, dessen Stege aber eher unter Futterwilligen zittern. Mexikanische Stände mit entsprechend lauter Musica latina bieten Tacos und Mojitos feil, Hütchenspieler ziehen nach allen Regeln ihrer Kunst ahnungslosen Touristen die Hunderter (jawohl!) aus der Tasche, Asiaten verkaufen quietschbunte, nach Plastik riechende Plüschtiere an müde Eltern, die keine Kraft mehr haben, ihren Kindern nach einem ereignisreichen Tag in dieser wilden Stadt die Stirn zu bieten.

Pelikane fliegen dicht über dem Wasser der untergehenden Sonne entgegen, während wir auf einer Bank über unsere Zukunft flüstern.

Nach zwölf Stunden fährt uns die Tiefkühlfähre im Dunkeln wieder heim. Die schlecht gelauntesten Vögel Kaliforniens nehmen uns am heimischen Kai in Empfang. Hatten wohl nicht so einen guten Sonntag wie wir.

Vollkommen erledigt humpeln wir zum Magicbus zurück. Totmüde und beglückt darüber, einen Tag Teil dieser Stadt gewesen zu sein.

If you‘re going to San Francisco,
be sure to wear, some flowers in your hair.
If you‘re going to San Franscisco
You‘re gonna meet some gentle people there…

Scott McKenzie hat Recht gehabt. Zumindest, was die Menschen betrifft. Die weißen Zottelvögel am Kai sind ausgenommen.
Es hat aber ja auch niemand gesungen:
You´re gonna meet some gentle birdies there…

2 Kommentare

  1. Grundmann, B.

    Oh nein, habe ich das richtig verstanden?, schon wieder was kaputt? Jetzt wartet ihr auf eine neue Lichtmaschine? Wie lang dauert es? Ihr werdet noch Fachleute für Suchenende von Werkstätten! 🥹🤪

    • Nani

      Liebste deMamels!
      Falls Du jemals einen Bulliexperten im westlichen Nordamerika brauchst: jetzt haben wir einen in der Familie.😂
      Gott bewahre war es nur der Spannungsregulator: eine Winzigkeit.
      Auf dass der Magicbus nun lieb ist,
      Deine Nani

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