In der Nacht haben wir etwas schräg geschlafen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches – in einer schrägen Welt. Der erste, zweite, dritte Kaffee hat Schlagseite. Auch das wundert uns nicht, denn vor dem vierten haben wir immer einen Knick in der Optik. Kann so alles sein, im schrägen Normal der Globetrottels. Noch kommen wir nicht darauf, dass es sich beim nächtlichen Kullern in Richtung See, um ein weiteres Special Feature des Magicbus gehandelt hat.
Um 9h machen uns startklar für den ersten Termin seit einem Monat. Das erste Mal in den letzten vier Wochen, dass wir um eine bestimmte Uhrzeit an einem bestimmten Ort sein sollten: 10h, Volkswagen Chilliwack. Daraus soll nichts werden. Beim Runterrollen von den Keilen spüren wir es erst und sehen es dann: der Bulli hat ein Plattfüßchen. Vorerst rollt er so nirgendwo mehr hin.
Unser erster Anruf an Volkswagen geht raus: Cody ist am Apparat.
Dem erkläre ich ausführlich, warum wir es nicht pünktlich schaffen werden. Können wir den Termin eine Stunde nach hinten verschieben? Können wir. Super. Und wenn Cody schon mal dran ist, kann er auch gleich die Telefonseelsorge übernehmen: Cody. Wir haben noch nie einen Reifen gewechselt. Ich habe Angst, Cody. Meinst Du, wir schaffen das?… Cody?! Cody!?…Bist Du noch dran?
Wenn ich nun schreibe: Ja klar, Cody, schaffen wir das, dann ist das WIR schlichtweg geflunkert.
CHOUCHOU schafft es, während ich hektisch und hilflos in der Szenerie herumtänzele.
Und er macht es elegant und globetrottelswürdig: unter vielen Fragezeichen und mit einer vermeintlich falschen Nuss, so dass die Nachbarn schon mit dickeren Nüssen zur Hilfe eilen.
Schlussendlich passt die Nuss doch, nachdem die Plastikabdeckmöpse über den Schrauben (warum sind da Plastikabdeckmöpse drüber!?) mit des Nachbars Monsternuss gnadenlos zerstört wurden. Jetzt lässt sich arbeiten. Kreischendes Aufwuchten von sehr festen, sehr staubigen Reifenschrauben. Ein Wagenheber in der Manege, der quietschend empor steigt. Reifen ab geht leicht. Den Ersatzreifen befreien weniger. Und die Frage aller Fragen: wie herum muss der Neue eigentlich drauf?
Mit zwei linken Handschuhen gar nicht mal einfach, eine Antwort darauf zu finden.
Der Nagel in des Magicbüschens Fuß hat uns eine Stunde Verspätung eingeheimst. Die und ein Coronaausbruch im Mechanikerteam minimieren leider das Wellnessangebot für den Bulli leider erheblich:
Eine ausgiebige Inspektion bei VW Chilliwack ist nicht möglich, erst in eineinhalb Wochen wieder, wenn das Virus sich einmal durchs Team gefressen hat.
Was man machen kann, ist einen Ölwechsel, die Reifenreparatur inklusive Wechsel und ein flotter Rundumblick. Heute Nachmittag um halb vier. Vielleicht. Wir müssen dann nochmal anrufen.
Mittags halb zwölf in Chilliwack.
Nun haben wir hier einen halben Tag gewonnen, einen halben Tag, den wir sonst nicht gehabt hätten. Was ist also los in Chilliwack?
Zuerst besichtigen wir den gut sortierten Walmart und packen den Bulli mit Leckrigkeiten voll. Die Familienpackung Sushi hauen wir uns direkt am VisitorCenter nahe des TranscanadaHighways rein.
Chouchou widmet sich kreativen Schnibbeleien, ich flaniere derweil durch das Pioneer Village …
…und besuche danach im Heritage Park die aktuelle Hundeshow.
Was für eine Freakshow.
Frauen in roten Blazern und Röcken, meist um die fünfzig und herausgeputzt, führen hier den gesamten Tag lang ihre Hunde an der Leine durch eine Manege und werden dafür beklatscht.
Die Fiffis sind genauso zurecht gemacht wie ihre Frauchen. Manche davon bereits jetzt schon „Champions“, sagt mir die Dame mit den vier Bullis, die –so lange sie nicht schaulaufen müssen– in einem extra für Hundeshows designten, portablen Zwinger vor sich hinwarten. Ihrer eigenen Hündin fehlen noch zwei Punkte, dann ist sie kanadischer Bullichamp, sagt die Lady stolz und gibt mir bereitwillig Einblick in eine Welt, die für mich fast so schräg ist, wie der Magicbus am Morgen.
Der Hundeschönheitswettkampf dauert vier Tage lang. So lange bleiben alle Hunde und Frauchen hier. Nachts in riesigen Wohnwagen vor der Tür, tags vom Zwinger, zum Hundefriseur, auf die Bühne und wieder zurück in den Zwinger.
Wenn´s gut läuft, räumt ein unhündischer Fiffi an diesem Donnerstag in Chilliwack gleich mehrere Medaillen ab. Hier werden Champions geboren und ich darf live dabei sein.
15 Uhr: Anruf bei Volkswagen mit der Frage, ob es dabei bleibt, dass wir um halb vier zum Ölwechsel um die Ecke jaulen dürfen. Das passt.
Her-vor-ragend!!
Die nächsten zwei Stunden dürfen wir uns nun hemmungslos am Kaffeeautomaten (Mokkachino, Cappuchino und heiße Schokolade) bedienen, das Internet leer lesen, spannende Gespräche mit Rana und Raj führen, während der Magicbus in drei Minuten neues Öl und den geflickten Reifen wiederbekommt und in einer Stunde und siebenundfünfzig Minuten eine Wäsche inklusive EntmüffelungsInnenraumreinigung anhand von Chemopads, die jeden Wunderbaum gnadenlos in den olfaktorischen Schatten stellen.
Um sechs hat der Bulli frisches Öl im Bauch, den reparierten Nagelreifen wieder am Füßchen und die Sonne neigt sich schon wieder sanft. Da wir es gestern Nacht so fein hatten, fahren wir heute einfach nochmal zurück an den Cultus Lake, der dank Evas Backroundcheck (danke für die Nachricht!) nun in einem gänzlich neuen Licht erscheint:
Der Cultus Lake scheint ein wichtiger Ort für die Sto:lo people zu sein, um spirituelle Fragen zu lösen. Das Wort bedeutet entweder „primär schlecht, wertlos oder für nix gut.“, kann aber auch als „frei, ohne Absicht oder simply nothing“ übersetzt werden.
Heute Abend entscheiden wir uns für den zweiten Bedeutungsstrang.
Ich stürze mich in die Fluten und schwimme der untergehenden Sonne entgegen. Frei und ohne Absicht.
Nur für Chouchou ist das nichts. Er sitzt lieber am Ufer und trinkt in Ruhe sein Bierchen. Schwimmen im frischen Bergsee, das ist für das wasserscheue Tierchen einfach nichts.
Für den einen frei und ohne Absicht, für den anderen simply nothing. Cultus Lake. Morgens und abends mit Plattfuß.