Unterwegs im Magicbus

Monat: Juni 2023 (Seite 2 von 3)

Zurück auf Null

Sasketoon Island Provincial Park – Wie schön ist unser Birkenwäldchen erst, wenn der Dauerregen nachläßt! Und genau das tut er heute morgen, was für eine Wohltat.

Nur gut 100 Kilometer stehen auf dem Plan, die Rockymountains haben wir erstmal hinter uns gelassen, Prärie voraus, besonders der Bulli freut sich über die wieder sanfteren Hügel – dauernd im 2. oder 3. Gang den Berg hochzukriechen war ihm vermutlich nicht nur zu anstrengend, sondern auch ein bisschen peinlich…

Vorbei am größten Biber aller Zeiten:

Dawson Creek voraus: Das legendäre Örtchen am Anfang, Mile 0, des Alaska-Highways. Auf den ersten Blick erstmal nur ein riesiges Versorgungszentrum mit allen bekannten Läden und Fastfood-Restaurants rechts und links der Hauptstraße. Auch auf den zweiten Blick wird sich der Eindruck nicht sonderlich ändern, aber hier ist nunmal Mile 0, hier bleiben wir, wie jeder anständige Yukon- und Alaskareisende.

Checkin auf der »Mile 0 Campsite«, die liegt zwar in Wahrheit bei »Kilometer 3«, bietet aber vermutlich die beste Vorbereitung für die kommenden 2232 Kilometer: Unebener Grund, den unsere Auffahrkeile auch nicht ansatzweise ausgleichen können, Windböen die unerbittlich von der ungünstigsten Seite (das tuen sie prinzipiell) auf das Dachzelt treffen und maximal 12 Meter Abstand zwischen Kopfkissen und Highway – Chérie wird fortan wohl 2 Ohropax in jedes Öhrchen quetschen müssen…

Das angepriesene WiFi läuft zwar nicht, dafür aber die Waschmaschine, und von der machen wir (nagut: Chérie) ausgiebigst Gebrauch. Die Frage, warum Chouchou nur 2 Paar Socken in der Wäsche hat, wird an dieser Stelle nicht weiter diskutiert…!

Unsere Nachbarn, Cora und Tom mit Hundchen Meggy-May aus dem Osten der USA sind nett und plaudrig, in den Prärien hatten sie uns schon überholt und sich gefragt, ob der exotische Bulli das Steuer wohl recht oder links habe. Selber haben sie ihren großen Wohnwagen daheimgelassen – die Spritpreise – und schlagen ihr Zelt auf der Pritsche ihres RAM-Trucks auf. Respekt: Mit geschätzt knapp über 60 auch nicht die bequemste Art des Reisens, aber, gestehen sie, ab und zu darf’s auch mal ein Hotel sein. Ihr nächster Stopp, die heißen Quellen bei Kilometer 764, liegt für uns noch in endloser Ferne, sie wollen es morgen in 8 Stunden bis dahin schaffen. Falls kein Bulli vor ihnen herbummelt…

Ihren Reiseführer »The Milepost«, die Bibel aller Alaska-Reisenden, kennen sie fast auswändig, sämtliche 800 Seiten der 2023er-Ausgabe. Uns ist es bisher, trotz intensiver Suche in Banff und Jasper, bislang nicht gelungen, dieses heilige Buch aufzutreiben, darum müssen wir jetzt rein in die City von Dawson Creek, und ernten mehr als besorgte Blicke ob unseres Plans, die Strecke zu Fuß zu bewältigen. »Good luck, stay safe!«
Auch die Rezeptionistin vom Campingplatz hatte schon befremdet auf unsere Idee, die 3 Kilometer zu laufen, reagiert – das tut hier wirklich überhaupt niemand!!!

Hilft aber nix, das Dachzelt ist ausgeklappt, der Beifahrersitz gedreht, der Strom eingestöpselt: Der Bulli fährt heute keinen Meter mehr.

Und die ersten 3 Kilometer vom Alaska-Highway einmal runter und wieder rauf zu laufen entpuppt dich definitiv als Erfahrung: Bürgersteige hat’s eher wenig, Highway-Seitenstreifen oder lieber über die Wiese? Glücklicherweise hassen Nordamerikaner leise Autos, man hört sie kommen. Laut und deutlich, um nicht zu sagen aggressiv die Motoren, im optimalen Fall noch einen »Fuck Trudeaux«-Aufkleber am Heck des Monstertrucks, liberale Politik oder die Rechte von Fußgängern möchten wir hier am Straßenrand lieber nicht diskutieren!

Aber es hat Fußgängerampeln, für wen auch immer, wenn der 50-Zentimeter-Erdwall am Straßenrand ersteinmal überwunden ist kommt man dann doch recht sicher über den Highway. Und wir zum Mile-0-Milepost, Sehenswürdigkeit Nummer 1 in Dawson Creek, in die Schlange von Wohnmobilen zwecks Mile-0-Photo hatten wir uns mittags mit dem Bulli nicht einreihen wollen, jetzt ist weniger los und wir kommen zu unserem Selfie, leider ohne Magicbus.

Besuch in der Tourist-Office: »Sorry«, The Milepost ist nicht vorrätig, in Ford Nelson solls das möglicherweise geben, schlappe 600 Kilometer weiter gen Norden, das Geld könnten wir uns aber besser sparen, in seiner inkribischen Kleindruck-Meile-für-Meile-Beschreibung soll das Werk wohl extrem schwer lesbar sein – wir fragen uns so langsam, welch mystischem Gral wir hier hinterherlaufen. Und ob die uns hier offenbarte 2-seitige Broschüre und Bell’s Alaska Highway Mapbook nicht vielleicht doch reichen?

Stärkung im Schnellimbiss um die Ecke, die Washrooms verbarrikadiert, die übrige Kundschaft hat wohl weniger Probleme mit der Suche nach obskuren Reiseführern als nach verbotenen Substanzen aller Art.

Irgendwie schlagen wir uns durch zurück zum Bulli, das Navi zählt 12383 Schritte, die hier noch nie ein Mensch zu Fuß gegangen ist.

Schnell noch den Bulli-Kilometerzähler von 9048 zurück auf Null gesetzt: Morgen beginnt der nächste Abschnitt unserer Reise: Der ALCAN, der Alaska-Highway.

Dauerregen oder: Einem guten Kojoten ist das Wetter scheißegal

Am Morgen schleicht eine schwarze Gestalt am Bulli vorbei. Sie gehört zur Partytruppe von gegenüber, deren Campsite morgens von den Rangern erstmal abgeräumt werden muss. Überall stehen Dosen und Essensreste, eine der klassischen Campsites, die man hier »wildlife at risk« nennt. Genau solche Plätze sind es, die Bären zum frühstücken aufsuchen – um danach abgeballert werden zu müssen. Nur weil Menschen nachlässig waren und achtlos. Ein Bär der gelernt hat, dass Campingplatz gleich Futter ist, wird zum Problembären. Und Problembär sein heißt –wir erinnern uns an Bruno: Bär ade.
An diesem Morgen verstehe ich erstmalig, warum solche Plätze als »wildlife at risk« bezeichnet werden. Bezeichnend. Ein bisschen sauer macht sie schon: die menschliche Dummheit.

In einer kurzen Dauerregenpause packen wir unser Camp ein, der letzte Teil unserer Rocky Mountains-Etappe will gefahren werden. Ein bisschen verrückt fühlt sich das schon an: der letzte Teil unserer Rocky Mountains-Etappe…, bevor wir eine ganz große Neue beginnen.

In Hinton, dem ersten Örtchen auf unserer heutigen Reise, 80km hinter Jasper, kaufen wir ein. Zwei Mopedfahrer aus Bad Tölz schlappen patschnass mit uns in den Walmart. Sie kommen gerade aus dem Norden, tropfend und regennass gekrümmt, nur aufrechterhalten von unvergesslichen Ereignissen und dem Stolz der ausgewachsenen Midlifecrisis. Es ist nicht das erste Mal, dass wir unglaublich froh sind, nicht mit den Mopeds losgefahren zu sein. So bekloppt der Magicbus auch sein mag.

Ich möchte gar nicht zu viel lästern: der Bulli macht seinen Job weiterhin sehr gut. Mit wechselhaftem Klappern, Quietschen, Singen, Jaulen, Surren schlägt er sich bis hierhin wirklich großartig. Heute scheint er sogar nur mit Regenwasser zu fahren: auf 400 Kilometern verbrauchen wir laut Tankanzeige so gut wie keinen Sprit. Du Magicbus, Du, wir loben Dich. Nicht nur für Dein wackeres »uns trocken halten« an dauerverregneten Tagen wie diesen. Und auch wenn Du wirklich nicht die allererste Wahl bist, wenn es darum gehen sollte nach Alaska hochzufahren. Aber wir sind ja auch nicht mehr die Frischesten – also passt das alles schon. Nicht nur im Dauerregen, der dem Magicbus anscheinend sehr viel besser tut als Wochenend und Sonnenschein und dann mit dir im Wald allein….

Warte. Dauerregen stimmt nicht ganz. Auf unserem Bighorn Highway – immer am Smokey River entlang– regnet es plötzlich nicht mehr. Auf dem Bighorn Highway schneit es irgendwann. Zwischen Hinton und Grande Cache kommt 180 Kilometer rein gar nichts. Außer Schnee auf einer Bergetappe, die wir irgendwie übersehen hatten. Das Wetter ist so wild, dass sich selbst die wohlfeil angepriesenen Caribous nicht sehen lassen. Und auch nicht die Mountain Sheep. Es gibt keine Mutter, die ihre Kinder bei diesem Schietwetter vor die Türe schickt. Nur ein einsamer, scheuer Kojote scheint die ganze Nummer nicht zu stören. Einem guten Kojoten ist das Wetter nämlich scheißegal.

Zwischen Grande Cache und Grande Prairie kommt 180km wieder nichts. Nicht mal mehr Berge. Ein paar Rehe am Straßenrand, eines davon plattgefahren von einem der wenigen Monster-RAMS, die zum Kohletagebau gehören. Im Hinterland leben hier nur noch ein paar zahnlose Trapper, die halbtote Biber an den Schwänzen hinter sich her ziehen, Bären mit bloßen Händen erwürgen, das graue Leben finanziert mit dreckigen Durchfahrtsgeschäften, aber spucken können wie die Weltmeister. Schätze ich zumindest.

Dann, aus dem Nichts, ein brutaler Knall auf der Frontscheibe. Was zum Teufel war das? Gesehen haben wir nichts, fahren bis nach Grande Prairie aber mit der Paranoia im Nacken, dass oben an unserer Thulebox ein Rehschädel mit den Hörnern zuerst eingecheckt hat. Und Blut zieht in roten Schlieren im Dauerregen über das Dach des Magicbus. Ein Ralleybulli mit Blutlackierung wäre eine sportliche letzte Rocky Mountains-Etappe in Öko. Gott sei Dank ist das alles –bis auf den Aufpraller unbekannter Natur– nur phantasiert, hätte aber sehr gut zu Grande Prairie gepasst, das den unverwechselbaren Charme einer Ölbohrinsel besitzt. Im Dauerregen.

Im unserem lichten Birkenwäldchen für die Nacht finden wir an der Thulebox rein gar nichts. Keinen Rehschädel, keine Schlieren, nur Tropfentropfentropfen. Dass die Wettergötter uns tatsächlich die einzigen fünf trockenen Minuten des Tages gönnen, um das Camp aufzubauen, bevor es danach wieder in Strömen regnet, ist schier unglaublich.

Auf Sasketoon Island, 15 Kilometer hinter dem Charme von Grande Prairie. Und noch 150 Kilometer bis Dawson Creek.
Ohne Rehschädel als Kühlerfigur und im kalten Dauerregen.

P.S.: Die Gopro hats aufgedeckt: Es war ein armes Vögelchen. Schade, dass an seinem letzten Tag so ein Schietwetter war. Die Globetrottels entschuldigen sich aufrichtig.

Milepost from Jasper

Erneut nicht weggehapst vom Grizzly sind wir kurz vor Mittag zutiefst ausgeschlafen. Was auch immer in diesen Zapfen war, die wir gestern so großzügig verbrannt haben. Zapfen der »subalpinen Fir«, die von Indigenen schon in uralten Zeiten verräuchert wurden to repel evils spirits – meint unser Lone Pine Büchlein auf Seite 121.

Gonzojournalistisch darf man festhalten, dass die Zapfen auf jeden Fall zu sehr tiefem, langen Schlaf und sehr, sehr bunten Träume führen:
Heute Nacht im Traum haben Chouchou und ich alle Tiere aus dem Lone Pine Büchlein in einem afrikanischen Omnibus eingesammelt. Jedes auf seinem Platz, die gefährlichen und die freundlichen. Heute Nacht haben wir eine Arche Noah gebaut. Alle Tierchen zusammen, friedlich und durcheinander – und wir mittendrin. So war das – unter einem klaren Rocky Mountain´schen Sternenhimmel, zwischen den Seiten des Lone Pine nature guides, im Halbtraum unter subalpinem Fir-Einfluss. Den übrigens scheinen auch die roten Hörnchen um uns herum sehr lieben (siehe LonePine Büchlein, S. 46). Lautlustig schnatternd knabbert unser Nachbarhörnchen Zapfen nach Zapfen, es scheint bester Laune zu sein, während wir den ersten Kaffee trinken.

Auf unserem letzten Stück des zauberhaften Icefield Parkways gen Jasper machen wir die Athabasca Trilogie voll. Nach Gletscher und Fluss sind heute die Wasserfälle dran. Mit dabei: oben eine Fischsorte, unten vierzehn (die Anzeigetafel spricht von einem mystery), sowie zwei Globetrottels und halb Indien.

Kurz vor Jasper dann Stau wegen »White-tailed deer« am Straßenrand. Im Lone Pine Büchlein auf Seite 31 erwähnt. Wir arbeiten an der Arche –vom Autofenster aus.

In Jasper halten wir uns für ganz besonders schlau. Da Wochenende ist (die überfüllten Parkplätze unterstreichen dies) und Campingplätze rar, reservieren wir uns bereits am späten Mittag ein Plätzchen auf dem Snaring Campground. So lässt es sich nachmittags entspannter im Ort herum streifen, weil wir wissen, wo wir nachts zu Hause sein dürfen. Im Nationalpark Jasper, wo wilden Campern drakonische Strafen drohen.

Jasper ist ein freundlicher Ort. Irgendwas zwischen Hippie-Outdoor-Berg-Dorf im Manalistil. Daher passt es, dass wir in einem wirklich sehr originalen, indischen Restaurant landen. Wir sind die einzigen Westler, gegessen wird mit den Händen. Das Essen ist köstlich und scharf – das beste Essen, das wir in Kanada bisher hatten. Aus den Lautsprechern dudeln überlaut die angesagtesten Bollywoodhits, das Toilettenpapier in den Washrooms ist unberührt. Eine Reise in der Reise, eine Stunde Incredible India, eine Wohlfühloase.

Pappsatt sitzen wir später bei Tim Hortons, um träge und happy mit gutem WLAN die weitere Route zu recherchieren.Und um Informationen über die Waldbrände im Norden einzuholen.

Noch später und noch immer pappsatt laufen wir das Örtchen ab. Nett, süß, freundlich, es ist wirklich schön hier.

Bei den »Friends of Jasper« stöbern wir erneut nach der »milepost«. Ein Buch, das wir seit Tagen fieberhaft suchen; DER Reiseführer für alle Verrückten, die den Alaska Highway hoch ins Nichts wollen. Leider finden wir das Buch auch hier nicht, treffen an der Kasse aber unerwarteterweise auf eine echte Yukonexpertin.
Die betagte Dame in rosa trägt –unter ihrer türkisen Lesebrille– ein Lächeln und Abenteuer in den Augenwinkeln. Sie selbst sei schon sieben Mal im Norden gewesen. Es blitzt in ihren Augen: It is so unbelievable amazing. Sie beginnt zu erzählen, verliert sich so schnell in Begeisterungsstürmen, dass sie das kassieren total vergisst. Die Schlänge wird länger und länger, aber niemand drängelt, niemand wird ungeduldig. Sympathischen Menschen in euphorischen Momenten zuhören – in diesem Moment muss niemand schnell weiter. In Gedanken sind wir alle gemeinsam im Yukon. Dank der gelebten Liebeserklärung, die aus der Dame hervorsprudelt.

Heute Abend werden wir beim Feuer vom Yukon träumen. Und vielleicht ja auch heute Nacht – wenn wir wieder genügend Zapfen der subalpinen Fir verräuchern.
Bunte Träume von einem wilden Norden, in dem alle Tiere aus dem frei und wild leben können. Arche Noah grenzenlos, Lone Pine nature guide Seite null bis Seite 191. In der einen Hand die Milepost, die andere weit geöffnet aus dem fahrenden Fenster gestreckt. Der Welt entgegen.

Athabasca – eine aussterbende Art

Weiter geht’s auf Highway 93, Icefields Parkways, für uns mehr »Traumstraße« als für den Magicbus, dem geht am Sunwapta Pass (2035m) im 2. Gang bergauf so langsam die Puste aus, der Gesang aus den Tiefen des Kühlwasserkreislaufs nimmt gar kein Ende mehr und der Motor protestiert mit zunehmendem Gedröhne. Aber er schafft es, und hat damit die Grenze zwischen Banff- und Jasper-Nationalpark offiziell überschritten. Bravo braver Bulli, Du bist der Größte!

Frisch ist’s auf dem Columbia Icefield – wen wundert’s bei einem riesigen Gletschergebiet auf 2000 Meter Höhe? Aber es hat Internetz-Empfang, als einziger Ort auf unserer 230 Kilometer langen Panoramaroute, keine Ahnung, wann wir danach wieder Netz haben werden…

Und einen wunderschönen Gletscher hat’s hier für uns, den Athabasca-Gletscher, betreten dürfen wir den auf eigene Faust zwar nicht, die Kanadier haben die Nase voll davon, Touristen aus den Gletscherspalten zu ziehen, aber immerhin dürfen wir ihn von ganz nah sehen.

»Majestätisch« würde ein poetischerer Mensch als Chouchou vielleicht tippen, auf jeden Fall aber sehr traurig, immerhin stehen wir hier vor einer aussterbenden Art, wie seine Artgenossen taut auch unser Athabasca-Gletscher so langsam weg, 5 Meter pro Jahr, vom »2006«-Schild aus sinds deprimierende 85 Meter bis zum Eis…

Die Übernachtung auf dem Campground hier oben am Icefield wird uns im Nieselregen dann doch etwas eisig, weiter geht’s Richtung Jasper. Der Bulli singt und dröhnt aus Protest auch bergab munter weiter, vermutlich wird er noch eine Weile über diese Strapaze beleidigt sein.

Beleidigt ist vermutlich auch der Elch, der es vor den 2 Wagen vor uns und uns so gerade noch heil über die Straße schafft – dabei sollte er sich lieber merken, daß kleine VW-Bullis ungefähr so träge bremsen, wie sie beschleunigen…

15 Uhr, Zeit eine Unterkunft zu finden, das Wochenende steht voraus und nahezu alle reservierbaren Campingplätze der Umgebung sind längst, teils seit Wochen, ausgebucht. Aber es hat ja noch die »First-come-first-serve«-Plätze, nicht reservierbar und um diese Zeit noch nicht voll besetzt: Auf dem *Mount Kerkeslin Campground“ können wir uns tatsächlich das schönste Plätzchen aussuchen, bei der »Selfregistration« werfen wir den Zettel mit unseren Kreditkartendaten ein, 26 Dollar (18€) kostet die Nacht inklusive Fire-Permit und unbegrenzt Brennholz.

Irritierendes Phänomen: Gestern floß der Fluß an unserem Camp noch in entgegengesetzter Richtung, ganz normal Richtung Süden, heute strömts nach Norden in Richtung Arktischem Ozean. Ob das wohl an dieser Wasserscheiden-Sache oben am Pass liegen könnte?

One night in heaven

Zur Feier des Tages hat der Regen aufgehört. Kirmesende, holt die Zelte ein, die Globetrottels müssen weiter ziehen. Raus aus Banff, drauf auf den sagenumwobenen Icefield Parkway. Eine der angeblich schönsten Bergstraßen weltweit, der Reiseführer überschlägt sich in Superlativen. Zwei der Giganten lassen wir direkt links liegen: den Lake Moraine und den Lake Louise. Millionenfach fotographiert, heute –selbst außerhalb der Hauptreisezeit– anscheinend auch millionenfach visitiert von Menschen aller Herren und Damen Länder. Meist China.
Rummel hatten wir die letzten Tagen genug, die große Mauer lassen wir also liegen.

Auf dem Icefield Parkway muss man die Hotspots vielleicht gar nicht anfahren, für die Globetrottels ist diese Straße mehr als gigantisch genug. Keiner unserer Reiseführer hat übertrieben. Das Herz der kanadischen Rocky Mountains macht sprachlos. Selbst bei verhangenen Himmel.

Nach knappen 100 Kilometern geschwungenem Grün zwischen majestätischen Bergriesen und 2000ern Pässen (die der Magicbus wirklich ganz hervorragend meistert. Chapeau, alter Junge. Bei so viel Arbeit darfst Du auch singen…) dürfen wir für heute auf einem der letzten freien Plätze im Rampart Creek zu Hause sein. Für eine Nacht im Himmel.

Und so stehen wir hier nur 10 Meter entfernt vom weiß rauschenden, laut wispernden North Saskatchwan River im dichten Wald. Die Lichtung ums Eck flüstert von Elchen, an Campsite Nr 8 wurde vor ein paar Tagen noch ein Schwarzbär gesichtet, Welt im Urzustand. Heute ist Zeit auf den Fluss zu hören, beschützt durch die Rockys, schneebedeckt.
Welt im Urzustand stillt alte Sehnsüchte, ganz tief. Momente, die es mit allen Sinnen zu genießen gilt. Daher gibt es heute nur ein kurzen Text. Es ist wichtiger, ein Feuer zu machen. Und einfach nur zu sein…

1:0 für die Elchmama

»Ergiebiger Dauerregen« kündigt die Wetter-App an und tatsächlich nieselt es sich wunderbarst ein – perfekt, um heute bis auf einen Banff-Örtchenbummel gar nichts zu tun, und schon gar keine neuen Abenteuer zu erleben! Und wenn wir die drei Kilometer von unserem Asphalt-Megagroßraumcampingplatz nach Downtown dann noch quer durch den Wald abkürzen, ists auch gar nicht mehr so weit.

Mit Regenschirmen statt Bärenspray bewaffnet läßt es sich gerade noch gut witzeln, daß es den Bärchen ja wohl zu naß sein wird, da steht sie nach 500 Metern auf einmal vor uns: Eine riesige Elchkuh am Rande der Lichtung, an der gerade kein Weg vorbeiführt. Vielleicht 10 Meter vor uns, also definitiv weniger, als der überall so dingend empfohlene 30-Meter-Mindestabstand. Und Ohrenanlegen gilt im Mai/Juni, da beschützen sie ihre Jungen, definitiv als unfreundliches Zeichen: »Protective moms will attack« – »Beschützende Elchmamas greifen an«, heißt es in den Broschüren.

Für die Globetrottels ist es also wieder mal an der Zeit, Angst zu bekommen. Und den Rückzug anzutreten, zwar nur unter Protest, den Weg bis zur Straße wieder hochzulaufen wird ganz schön anstrengend, aber das Tierchen will nicht mit sich verhandeln lassen und blockiert standhaft die Lichtung. 1:0 für die Elchmama.

Banff-City bietet dann alles, was den gemeinen Touristen, also uns, bei Regenwetter im Allgemeinen so aufzuheitern vermag, chique Boutiquen und Shops, sämtliche Outdoormarken sind vertreten, angesagte Kaffeehäuser und Bars – ist aber nunmal auch der überlaufendste Hotspot in vermutlich 1000 Kilometern Umkreis – und damit nicht unbedingt das, was wir gerade suchen. Gaskartuschen, Bargeld, Pommes, WiFi und Cappuccino nehmen wir aber gerne mit. Die Juicy Elk Burger klingen zwar verlockend und wären zweifelsohne recht befriedigend, leider aber auch übermäßig alttestamentarisch und schlecht fürs Karma – heute kein Elchfleisch für uns.

Der Heimweg gestaltet sich dann erfreulich abenteuerfrei, pitschepatschenass zurück am Bulli, Standheizung aufdrehen und dem Plätschern von Regen auf Asphalt lauschen.

Ausgebanfft für heute.

Bääämpff: Von Bärparanoia und Iced Cappucchino

Wer hätte gedacht, dass in einem der bekanntesten Nationalparks der Welt jede geschlagene Stunde in einer gar nicht mal tiefen Nacht ein Zug fährt!?
Wir kennen das Phänomen bereits aus Parry Sound: fährt ein Zug nach Nirgendwo neben dem Magicbus, dann fährt ein Zug nach Nirgendwo plötzlich direkt ins Hirn eines so ganz und gar nicht mehr schlafenden Globetrottels.
Irgendwann schrieb ich: im Dachzelt des Bulli ist drinnen wie draußen. Genauso ist es. Und so haben wir heute Nacht also in einem der bekanntesten Nationalparks der Welt mit den Köpfen auf den Gleisen campiert. Anyway, macht nix. In Bääämpff sind wir ja eh schon Asphaltkrieger im Durchgangsverkehr, die transkanadische Railwaylinie passt also problemlos noch rein in die Durchfahrt. Rein kompensatorisch schläft Chouchou am Morgen bis fast gegen neun. Rekord in ganz Kanada, Rekord auf glühenden Gleisen.

Zu allererst wird am Morgen der wunderbaren Brunny zum Geburtstag gratuliert. Viel zu weit weg, aber wenigstens ist die Internetverbindung so gnädig, einigermaßen Stand zu halten. Kam vielleicht mit der Bahn: 4G, 2 Balken, das ist das Minimum, um einigermaßen kontinuierlich eine Stimme vom anderen Ende der Welt zu übertragen. Danke Transcanadian railway – selbst, wenn Du es nicht gewesen bist. Es macht mein Verhältnis zu Dir aber besser. Und noch einmal: Happy birthday, liebste Brunny, meine allerliebste deMamels von Welt. Eigentlich bin ich überhaupt nicht weit weg.

Wie bereits angedroht, wollen wir uns heute die Kirmes geben. Anreise im Bollerwagen wäre am passendsten, wir aber nehmen den nächstgelegenen Wanderweg, der über die so genannten Hoodoos nach Banff führen soll. Hoodoo bitte was?

Wer Hoodoo bei Google eingibt, stößt zuerst auf die Übersetzung: »person that brings bad luck« – ein Unglücksbote. Gott sei dank verbergen sich hinter diesem ominösen Namen keine bösen Wichte, sondern lediglich Feenkamine. Das wieder rum klingt wirklich wunderschön. Also ab auf den Feenkamin-Trail.

Durch ein Zauberwäldchen geht es ab nun 10 Kilometer bergauf und bergab. Man hatte uns versprochen, dass auf diesem Weg wahnsinnig viel los sei. De facto sind wir ganz alleine. Grund genug, nach knappen fünf Kilometern reinem Wald eine Runde ernstgemeinte Bärenparanoia zu schieben.

Ich bin mir nicht sicher, wie es sich mit den Maestros Petz hier vor Ort wirklich verhält. Mein eingeschränkter Verstand aber sagt mir: wo viele Menschen sehr viel Essen krümeln werden irgendwann ein paar pfiffige Bärchen darauf kommen, dass es ganz besonders schlau ist, sich vor allem auf gut bewanderten Wegen aufzuhalten. Diese bauernschlaue Nummer von wegen eins plus eins ergibt und so kenne ich ja selbst ganz gut. Warum im tiefen Wald mühsam nach Wurzeln, Knospen, Früchten, Maultierhirschen suchen, wenn arglose Touristen (wir!) die Taschen voll haben mit Snickers (haben wir), Trockenfleisch (haben wir nicht) und Eiern (haben wir). Und nebenbei selbst noch Frischfleisch am wandelnden Knochen sind (immerhin: frisch sind wir –Gott sei dank– nicht. Aber Fleisch. Manchmal reicht das ja.) Schritt für Schritt tiefer in den Wald, kommt mir plötzlich der rehknackende Schwarzbär von Waterton wieder in den Kopf. Diese Begegnung fühlte sich zweifelsohne surreal an. Auch weil so viele Menschen auf dem Wanderweg waren und ich wohl insgeheim gehofft hatte: sollte der Bär uns bemerken, frisst er als erstes die laut schnatternden Tanten mit ihren Schoßhündchen. Oder die Schulkinder.
Hier ganz alleine nach ein paar Kilometern purem Wald hat sich das Blatt gewendet. Ich komme mir plötzlich sehr klein und lächerlich vor – mit meiner Dose Bärspray in der linken Außentasche meines Rucksacks. Missen möchte ich es zweifelsohne aber trotzdem nicht. Das Spray nicht und auch nicht das Erlebnis.

Viel gelästert haben wir vorab, über diese überlaufende Banffregion. Auf diesem Wanderweg aber verstehen wir auch, warum es so viele Menschen hier her zieht.

Die Natur ist wahrlich atemberaubend, teilweise fast märchenhaft mit seinen grünen Tannen, dem kristallklarem Bow River, eine Lichtung, saftig grüne Wiese, ein bunter Vogel im Unterholz. Wenn ich träumte von einem perfekten Wald, dann ist es einer wie dieser. Welt erleben– so, wie sie gefühlt noch im Urzustand ist. Und danach einen iced Cappuccino bei Tim Hortons und ein hochwertiges Souvenir in einem der zahlreich stylischen Läden kaufen als Erinnerung. Schlecht gemacht ist das nicht. Banff Town hätte ich mir wirklich gruseliger vorgestellt.

Wir flanieren noch ein wenig durch den Ort, zünden in der Kirche ein sehr wichtiges Kerzchen an, essen –stellvertretend für Brunny– zehn Birthday Timbits bei Tim Hortons und spülen sie mit besagtem iced Cappuccino runter. Pünktlich zum Regen sind wir nach insgesamt 14 Kilometern wieder zu Hause…

Und so endet dieser Dienstag mit klopfenden Tropfen auf dem Hochdach des Magicbus´. Kalter Regen nach einem warmen Tag. Mächtige Berge beäugen uns, vielleicht gütig, vielleicht süffisant lächelnd, ich weiß es nicht.
Aber ganz bestimmt sind sie unberechenbar.

Auf nach Bääämpff

Am Morgen danach heißt es erst einmal: Schäden begutachten. Gott sei Dank sind wir äußerst schnell durch, der Magicbus hat sich mal wieder von seiner tapfsteren Seite gezeigt und sein altes Fell kühn in den Sturm gehalten. Weder ihm, noch uns ist etwas passiert. Nur Waterton hat die ganze Sache nicht ganz so wacker weggesteckt.

Gestern haben wir im Halbdunkel einen neuen Fluss entdecken dürfen, dort wo eigentlich unsere Straße war. Der Cameroon Fall hat anscheinend sein Bestes gegeben, um über die Ufer zu treten. Mal wieder war´s Licht aus in ganz Waterton.
Was wir gestern Abend noch nicht sahen, waren sturmzerrupfte Zelte, die wir am Morgen verwaist vorfinden. Wo sind ihre Bewohner hin? Verweht? Geflohen? Verschwommen? So wie die gesamte Lage vor Ort?
Die Ranger tun alles, um sich einen ersten Überblick über die Katastrophe zu verschaffen: Hubschrauber in der Luft, alle Wanderwege gesperrt, unser gestern noch begangener Bear hump wurde von einer Gerölllawine weggerissen, auf der Webpage des Parks (die wundersamerweise das erste Mal gut läuft) werden Menschen gebeten, nicht mehr anzureisen. Es ist an der Zeit, dass die Globetrottels weiterfahren. Auch, weil zusätzlich ein Bär im Nachbarcamp eines der verwaisten Zelte verwüstet hat. Mannomann, hier ist wat los, Leute, ich sachet euch…

Bei ausgeprägtem Beziehungserleben könnte man fast meinen, die Globetrottels zögen eine Schneise der Verwüstung hinter sich her. Ostkanada brennt, Tornadowarnung in Saskatchwan, im Waterton Parc bitte nicht mehr anreisen. Wir müssen hier erstmal postglobetrottelig aufräumen. Sorry for the inconvenience.
Bei gesundem Menschenverstand ohne Beziehungserleben könnte man einfach mal die KanadierInnen befragen. Alle, ausnahmslos alle, mit denen über das Thema sprachen, fürchten sich vor dem Sommer. Wir haben erst Juni und die Brände sind bereits jetzt außer Rand und Band. Von den Tornados und den Unwettern ganz zu schweigen. Bei gesundem Menschenverstand hat jeder Klimaleugner eigentlich eine Backpfeife verdient.

Gegen halb zehn verlassen wir das Katastrophengebiet: Chouchou unerschrocken am Steuer, ich daneben bei 500g Mayonudelsalat und mittlerweile dem zweiten Käsebagel. Weltuntergangsangstknabbern.
An alle, die mir so ökotrophologisch gewieft getippt haben, dass die zwei Eis der letzten zwei Tage sehr viele Kalorien hatten, den soll gesagt sein: Kinnas, in Kanada lernt man zügig: man lebt nur einmal und das kann ziemlich schnell vorbei sein. Lasst mir also mein Eis. Und Mayonaisse-Nudelsalat morgens um halb zehn im Krisengebiet. Ich kann mich hier nicht um alles kümmern.

250 Kilometer sind es bis Calgary. Bob Dylan fragt im Radio: How does it feel to be without a home. Like a complete unknown, ein Bauernhaus lächelt uns an, eine Reklame erinnert: Be curious. Be transformed. Und dann sind wir auch schon da.

Obligatorischer Einkauf im Walmart: diesmal das große Programm mit allem drum und dran. Hafermilch ist im Angebot, wir kaufen vier Päckchen, räumen die halbe Gemüseabteilung leer. Für die Beyond Meat-Würstchen sind wir eh die einzigen Abnehmer kanadaweit. Bei ausgeprägtem Beziehungserleben könnte man davon ausgehen, dass sie nur für uns in der Auslage liegen. Dann noch Baguette, Käse, Oliven, Gurken, Eier, Reis, Nudeln, Pad Thai, Daal, Bagels, Chips, Ahornsirup, Nutella. Man merkt: das Weltuntergangsangstknabbern ist noch lange nicht vorüber.

Danach noch fix zum VW South Center: unser telefonisch bestellter Retro-Ölfilter wartet auf uns. Wir mussten Vorkasse leisten, da sie das olle Ding ansonsten nicht los werden. Eine Beratung zur Anschaffung des neuen VW Camper Buzz war anscheinend im Preis mit drin.

Jetzt sind´s nur noch 150 Kilometer bis zum Banff Nationalpark: unser Camp für die nächsten drei Tage. In großer Hektik reserviert, da bereits zu dieser Jahreszeit fast alles heidenlos ausgebucht ist – sagen uns alle, das Buchungsportal hat´s bestätigt.
Banff, erster Nationalpark Kanadas, der drittälteste weltweit und eines DER Kanada-Highlights, zumindest, wenn man den Reiseführern glauben darf. Banff – so schön wie Chouchou kann das kein Mensch sagen. Also: Wir fahren nach Bääämpff. Bääämpff Für Outdoorabenteuer in Bääämpff.

Dass dies ein kleiner Scherz sein wird und wir in Bääämpff sicherlich keine großen Outdoorabenteuer erleben werden, ist uns –ehrlich gesagt– von vorne herein klar. Kanadas überlaufenster Nationalpark soll eher einer großen Kirmes gleichen, einer Kumbh Mela für Touris, die Outdoorenthusiasten mimen. Die Bären sollen ihre helle Freude an diesem Schauspiel haben: viel lecker “Food for free” auf den Campingplätzen, daher hat man hier auch ernsthaft abgeriegelt und sehr, sehr viele Warnschilder aufgestellt.
Auf einem asphaltierten Großraumparkplatz parken wir ein. Netterweise gibst ein kleines Stückchen Rasen mit ein paar Bäumen drauf, der uns von unseren Nachbarn trennt, die augenscheinliche Partytiger um die 50 mit –Gott sei dank– sehr guten Musikgeschmack sind.

Morgen schauen wir uns das Spektakel im Dorf mal an. Outdoorenthusiasten-mimende Globetrottels im nächsten Nationalpark, in dem sie diesmal hoffentlich keine Katastrophe verursachen. In einem alten, schröddeligen Bulli-reisende Globetrottels, die gleich Lagerfeuer machen und ganz sicher auch nicht den besten climate foodprint hinterlassen.
Bääämpff. Ein bisschen Zeit für Selbstkritik in Bääämpff. Ich glaub, ich brauch noch einen Nudelsalat. Das nächste Gewitter ist angeblich schon im Anmarsch.

Sonntagswanderung und -(ge-)wetter

Sonntag, 11 Uhr, die unscheuen Maultierhirsche sind wieder da und grasen fröhlich vor dem Magicbus. Unser Plan, sie mit Möhrchen in den Bulli zu locken ist gestrichen, auf das Füttern von Wildtieren stehen hier 25.000 Dollar Strafe, das ist uns doch zu teuer.
Mit ihrer Zutraulichkeit ist das Deer hier im Waterton-Park auf jeden Fall ganz einzigartig, der Evolution einen großen Schritt voraus, nur hier haben sie gelernt, daß die Nähe zum Menschen sie vor den noch böseren Bären beschützt, die hier alles fressen, was irgendwie süß und lecker aussieht…

11 Uhr ist aber auch der Zeitpunkt, an dem wir Platz Nummer G10 verlassen und auf G11 einchecken müssen – die dort letzte Nacht kampierenden Kanadier räumen auch tatsächlich minutengenau das Feld, ohne daß wir uns als typisch deutsche Pünklichkeitsfanatiker outen müssen.

Und dann ist Wanderzeit, heute ist der *Bear’s Hump‘ dran, der Rother Wanderführer verwendet unangenehm oft das Wort »Bär«:

Bear’s Hump
Gehzeit 1.00 h, Höhenunterschied: 210 m.
Einer der besten Aussichtspunkte auf die Waterton Lakes und Umgebung.
Dem großen Geist der Grizzly-Bären verdanken die Menschen ihr Wissen über die Pflanzen, weshalb er vielen Stämmen der nordamerikanischen First Nations heilig war. So hieß der heutige Mt. Crandell bei den Piikani »Grizzly Medicine Mountain« und die Bergschulter war Teil des mächtigen Tieres. Man startet am besten früh morgens oder spät abends, um in Ruhe den Ausblick auf die schier endlos erscheinende Prärie, das »Prince of Wales«-Hotel mit dahinter aufragendem Vimy Peak sowie auf den Waterton Lake bis zum Glacier Nationalpark auf der USamerikanschen Seite ohne Menschentrauben und in optimalem Licht zu genießen.

Praktischerweise beschreibt Rother auch gleich unsere Strapazen:

Anforderungen: Kurzer, durchgehend steiler Anstieg auf breitem Pfad. Oben erwartet uns eine ausgedehnte, geländerfreie Aussichtsplattform. Kurzzeitige Kondition für den Aufstieg sowie Schwindelfreiheit auf dem Plateau notwendig.

Ja, es wird anstrengend. Und warm und schwül. Soviel Jammerei darf auch einmal sein. Aber oben ist’s schön. Chip Monks (Chérie mein Goldmantelziesel) und jede Menge Aussicht:

Später gibts Softeis, Chéries Desaster-Cooking bei Gewitter und die leckersten Bratkartoffeln Kanadas.

Und statt Sonntag-Tatort gibts den Globetrottels ihr heftigstes Gewitter aller Zeiten, Starkregen, Blitz und Donner, Hagel… das Vorzelt tanzt trapfer im Sturm… und die Wetterwarnapp plingt im Minutentakt Gewitterwarnungen… Eindeutig mehr Abenteuer, als heute geplant…

Wochenende im Nationalpark

Samstagmorgen im Nationalpark. Der das ganze Tal umfassende Stromausfall vom Vorabend, der Starkregen war wohl auch für hiesige Verhältnisse heftig, ist vorbei, bloß das Internet streikt noch, statt dem üblichen »So-gut-wie-kein-Internet« gibts heute »Gar-kein-Internet« – Chouchou nimmt sich fest vor, nie wieder über das deutsche Handynetz zu jammern…

Schon frühmorgens beginnt um uns herum der Abreisebetrieb, wochenends sind die Plätze teils seit Wochen vorgebucht, für Spontanbucher wie uns bleibt da nicht mehr viel, und so müssen auch wir unser unser Plätzchen mit Seeblick räumen. Aber wir haben Glück, gestern konnten wir noch auf spontan freigewordene Plätzchen buchen, heute auf G10, morgen G11, nur hundert Meter weiter.

G10 bietet zwar keinen Seeblick, dafür aber illustre Nachbarschaft: Neben uns kampiert eine wuselige Gruppe Inder, vor 10 Jahren aus Punjab nach Calgary immigriert – nein, schwer sei das Einleben hier in Kanada nicht gewesen, halb Punjab lebt eh hier.

Ed aus Edmonton, unser zweiter Nachbar und äußerlich eher so der Hemingway-Typus, scheint nicht so richtig zu wissen was er davon halten soll, daß neben Incredible India jetzt auch noch ein deutscher Magicbus quasi in seinem Vorgarten kampiert, begrüßt uns dann aber gewohnt kanadisch-freundlich. Jedes Jahr kommt er ein paar Tage hierher, auch wenn es seit Covid schwer geworden sei, hier für mehrere Tage zu reservieren – von dem uns bestens bekannten Problem mit dem unsäglich schlechten Online-Reservierungssysstem ganz abgesehen. Für den Rest des Tages verabschieden sich Charley und er dann erstmal nach Lethbridge, sein Sohn lebe dort, ob der sich über seinen Besuch freue bleibe noch abzuwarten. Charley ist übrigens Ed’s Hund.

Unser Plan, den ganzen Tag bei Regenwetter im Bulli zu chillen scheint nicht aufzugehen. Vom groß angekündigten Gewitter keine Spur. Also Spaziergang nach Waterton-City, 100 Einwohner hat’s hier, wir Touristen sind in der grandiosen Überzahl. Die Hauptstraße eine wilde Touri-Meile, für uns gibts hier lecker Eis, die kleinste Portion zu knapp 500 Gramm.

Und Literatur: Lone Pines‘ Rocky Mountain Natur Guide, vielleicht erklärt der uns ja, wie die (meist) süßen Tierchen hier alle heißen. Bei den ganz und gar unscheuen Rehartigen im Parkverbot gleich nebenan tippen wir auf Mule Deer, der Sikh auf Kurzbesuch aus Toronto tippt eher auf Goat – Ziege? Ernsthaft?

Das Terrain um den Magicbus ist bei unserer Rückkehr fest in der Hand der Columbia-Ziesel, der Lone-Pine-Guide nennt sie »Columbian Ground Squirrel«.

Unser Plan, sie mit Möhrchen in den Bus zu locken, scheitert fürs erste, aber wir werden dranbleiben. Zumindest, falls wir nicht vom Platz gejagt werden – Wildtiere-Füttern ist hier wirklich äußerst unerwünscht und wir erweisen und als völlig untalentiert darin, unsere Missetaten zu verheimlichen.

Aber sie sind doch sooo süß, wenn sie Möhrchen futtern!

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