Unterwegs im Magicbus

Monat: August 2023 (Seite 2 von 2)

Beaver Creek: Heeting maybe later

Als wir am Morgen zusammenpacken, frage ich mich plötzlich, ob wir mittlerweile –möglicherweise– die Vagabunden sind, vor denen sich alle so fürchten? Stille Gestalten, die in unverständlichen Zungen sprechen. Die in ein ranziges Motel am Ende der Welt einchecken, außer den vier Wänden aber nichts in Anspruch nehmen. Die, die die automatische Laundry verschmähen, die handgewaschene Wäsche aber meterweit an der Reling aushängen. Die, die galonenweise Frischwasser aus der Wanne abzapfen und mitnehmen. Die, die in einem Auto leben, meist ungeduscht und fern der Heimat sowieso. Sind wir möglicherweise die Vagabunden, vor denen sich alle fürchten?

Der Mann an der Bar, der eine fleckige Stoffbinde vor Mund und Nase trägt und verzweifelt Abstand hält. Sollten wir dem sagen, dass Chouchou gestern erst abgestrichen ist und kein Corona in seine Hallen hineinpustet!? Sind wir möglicherweise die, denen man nicht mehr ansieht, dass das hier alles eigentlich nur Teilzeit-Vagabundie ist. Ich weiß es nicht.

Heute möchte ich über die Straße schreiben. Über den Alaskahighway zwischen Destruction Bay und Beaver Creek. Bereits hinter Burwash Landing warnen große Schilder immer wieder, dass ab nun eine wirklich raue Straße („rough road“) folgt. Achtung, folks: eine Menge lockerer Schotter („Loose gravel ahead“) und extrem staubige Umstände („Extreme dusty conditions“) erwarten Euch. Der Magicbus muss sich warm anziehen.

Was als »Highway to hell« angekündigt ist, entpuppt sich allerdings als gar nicht mal ganz so schlimm.
Zugegeben eignet sich Schotterstraße auf Permafrostboden nur wenig für frischlackierte, 12 Tonnen schwere WoMos, die einen SUV im Schlepptau haben und am liebsten mit Tempomat auf 95km/h fahren. Aber so einer ist der Magicbus ja nicht.
Es wäre gelogen, würde ich von „gleiten“ schreiben, aber wir düsen mit durchschnittlich 40km/h über eine hoppelige Straße, die –dafür, dass sie auf Permafrostboden erbaut ist—nur so viel staubt, wie das Auge nehmen kann. Vereinzelte Radler (ja, es gibt sie wirklich. Oft um die 30, meist asiatischer Herkunft, am ehesten mit Samuraigenen ausgestattet!?) tun mir da schon sehr viel mehr leid. Another one bites the dust ohne Windschutzscheibe – die bloggen den Straßenabschnitt womöglich etwas anders. Und haben auch nicht so lecker Mittagessen wie wir…

Für 200 Kilometer brauchen wir fünf laute Stunden. Ist ja schließlich auch kein Flüsterasphalt.
Der Magicbus rappelt in einer permanenten Soundkulisse aus hochfrequentem Dauerdonnergrollen und wehleidigem Quietschen des unnötigsten Tisches der Welt, der seit Halifax nur halbseiden auf unserem Dach rumrutscht. Nur ab und an knallt´s, wenn man zielsicher eines der wenigen Schlaglöcher erwischt. Ein Traumhighway – wenn man den hier mit Straßen in Indien, Albanien, dem Iran oder weiteren 85% der weltweiten Straßen vergleicht. Mindestens.
Kurzum: „Rough road, loose gravel, dusty“…aber passt schon.

Ohne größere Malaisen rollt der Magicbus gegen halb vier in Beaver Creek ein. Die größten Malaisen von uns dreien hat noch immer der arme Chouchou, dem es leider nicht sehr viel besser geht. Also muss es hier –noch 30 Kilometer bis Alaska– wieder ein Motel für die Globetrottels sein. Den Husten kriegen wir schon noch klein. Mit warmen Wänden und einem heißen Bad oder sonst irgendwie.

Beaver Creek, 93 Einwohner, letzte und westlichste Gemeinde Kanadas. Außer einer Tanke und einem indisch geführten Motel gibt es hier noch ganz viel EsWarEinmal: es war einmal ein Wohnmobilstellplatz, es war einmal ein WestmarkInn Hotel, es war einmal eine Kirche.
Ins indisch geführte Motel ziehen wir ein. Das ist ja noch.

Zimmer 105 mit Blick auf pinke Blümchen (kein Fireweed) und den leeren Highway. Meine Laune ist grottenschlecht, um nicht zu sagen richtig mies. Wegen EsWarEinmal, Papa ist nicht mehr da. Wegen Chouchous Husten, der immer noch wie ein tuberkulöses Kamel klingt. Wegen keine Heizung in Zimmer 105 bei Preisen, die man eigentlich für einen Palast bezahlt. Außerdem ist´s diese Zeit im Monat.
Am allermeisten kann ich leider nichts ändern. An der Heizung vielleicht schon!? Ich könnte sie erzwingen!?
Eine äußerst grandiose Idee, also poltere ich –wirklich äußerst schlecht gelaunt—los an einen krümeligen Tresen, der Bar und Rezeption zugleich ist. Dahinter der fürs Motel zuständige Herr, circa 60 Jahre alt, im blaubeerblauen Kaschmirpullover, versunken in einen Bollywoodfilm.

„Entschuldigung,“ –mein Maximum an Freundlichkeit ist hiermit schon aufgebraucht. „Entschuldigung, mein Herr.“ Keine Reaktion. Im TV wird noch getanzt, ich warte also 7 Minuten – quasi einen indischen Quickstep lang, dann versuche ich es wieder.
“Entschuldigung. Leider geht im Zimmer unsere Heizung nicht. Wie lösen wir die Situation.“
Ein ungläubiger Blick schießt über ausgebeizten Tresen. „Heizung, Ma´am!? Alle anderen wollen Klimaanlage.“ Ich sage: „Kann sein, die Amerikaner vielleicht. Wir aber sind deutsche Vagabunden, einer davon krank, der andere schlecht gelaunt und wir frieren beide sehr. Leider geht im Zimmer unsere Heizung nicht. Wie lösen wir die Situation?“
Der Herr wirft einen Blick aufs Außenthermometer: „Ma´am. Draußen sind es 18 Grad.“ „Ja, ich weiß, aber….“

Hinter dem Tresen hängt eine Axt. Die ist eigentlich für Kleinholz bestimmt. Ma´am, draußen sind es 18 Grad…perfektes Wetter zum Holz hacken.
Es ist nur der Bruchteil einer Sekunde. In Bollywood schneien Rosenblätter durchs Bild, irgendetwas jauchzt, der Griff ist im ersten Moment ziemlich schwer in der Hand. Macht nichts.
Mit einem Schlag spalte ich als erstes die Theke entzwei. Draußen sind es plötzlich nur noch 16 Grad.
Als nächstes sind die Plastikstühle dran: eins, zwei, drei. 14 Grad Außentemperatur.
Das Elchgeweih löst sich recht leicht von der maroden Spannplattenwand. 12 Grad.
Gut, dass im Aquarium keine Fische mehr waren: 500 Liter Wasser auf fleckigem Teppichboden. 6 Grad.
In der hinteren Ecke des Raums: es war einmal ein Chaiautomat. 2 Grad. Und die Kasse braucht jetzt auch keiner mehr. Hack.
Gefrierpunkt.
Zeit für meine Heizung…

…ganz kurz war ich eingenickt. Kurzer, illustrer Tagtraum…
„Ma´am. Draußen sind es 18 Grad.“ „Ja, ich weiß, aber….“
Ich stammele noch irgendwelche verzweifelten Argumente hervor – vollkommen erfolglos. Die Axt bleibt an der Wand hängen. Und wäre ich nicht so fürchterlich schlecht gelaunt, würde mir nicht der Gag entgehen, mit dem diese Unterhaltung nach zwei weiteren Bollywoodtänzen tatsächlich endet: „Heeting, ma´am!? Maybe later.“

Er hat es wirklich gesagt, er hat sich getraut: “Heeting, ma´am!? Maybe later.”
Ich kann es nicht ändern: plötzlich muss ich lauthals lachen.
Also: Maybe later. Das ist zumindest lang, lange vor EsWarEinmal.
Schlechte Laune?! Ach, lieber „maybe later“.
Und bis dahin kuscheln wir uns grinsend in warme Decken ein. Und noch 30 Kilometer bis Alaska.…bei 22 Grad Innentemperatur.
Sorry Sir, manchmal bin ich wirklich ein doofes Tierchen.

 

Baden mit Monopolstellung in Destruction Bay

Nach einer weiteren durchgehusteten Nacht für Chouchou ist Schluss. Die Globetrottels entscheiden sich heute für einen Hauch mehr Komfort um gesunden zu können: Chouchou braucht ein echtes Bett und ich –nach fünf Tagen—einfach mal wieder fließend Wasser. So wundervoll die kanadischen Territorial Campgrounds sind, so sporadisch sind sie auch. Uns ist für eine Nacht nicht mehr nach kalten Winden, die das Dachzelt schütteln, nach Seeblick für 10 Euro, sondern nach warmen Wänden, Pipi machen ohne Bärenparanoia in der Nacht, uns ist dringend nach einer Dusche.

Unser Alaskahighwaybüchlein verrät, dass sich in nicht einmal 20 Kilometern ein einziges, ranziges Motel befindet, Monopolstellung. Das steuern wir an. Heute Nacht wird wie die Könige im Talbot Arm Motel residiert, Alaskahighway Meile 1083, Kilometer 1742, Zimmer 10. Den Seeblick gibt’s inklusive, wenn man sich links übers Geländer beugt, kostet dafür auch knapp das 8fache eines Campingplatzes. Hilft nix, geht nichts anders, gönn Dir.

Und so wird dieser Sonntag fast ein Globetrottels-Wellnessausflug. Chouchou hält einen ausgedehnten Mittagsschlaf. In der Wanne wird die Wäsche der gesamten letzten Woche per Hand gewaschen. Das Wasser danach: dunkel wie die Erde des Yukons, die Wäsche nach zartem Lavendel duftend ziert draußen den Magicbus und unsere Reling (links übers Geländer gebeugt mit Seeblick). Danach bade ich. Heiß und lang. Mit Haare waschen, zweimal.

Ein Gang durch Dorf. 35 Einwohner. Der Name: Destruction Bay, weil 1952 ein Hurrikan die erst zehn Jahre alte Siedlung sofort wieder menschenleer fegte. Viel ist seitdem nicht zurückgekehrt: Einzelne Häuser, verziert mit Elchgeweihen. Ein windiger Anlagesteg ohne Boot. Azurblauer Kluanesee. Eine Krankenstation –sehr wahrscheinlich unter Mindestbesetzung , eine schüttere Feuerhalle (viel Glück mit eurem einen Auto, wenn das bisschen Wald mal brennt), eine verlassene Schule, kreidearm und keiner muss vorne an die Tafel. Dafür angeblich massenweise Grizzlys in den Wäldern, die wir heute aber ebenso wenig zu Gesicht bekommen sollen.

Essen im moderigen Lokal: vegetarische Burger, Pommes, Salat ohne Öl. Staubige Pickups fliegen vorbei, ein monströser amerikanischer Winnibago in dunkelrot, ein Biker, der mit Jackson Fives „ABC“ die Einsamkeit zum Tanzen bringen will.

Neben uns lebt ein Zahnloser aus Alaska –sagt zumindest sein Nummernschild. Er sagt nur: „Cool van“ und spuckt fröhlich auf den Schotter. Im anderen Nebenzimmer hustet ein wettergegerbter Bärtiger bei offener Türe lauthals und produktiv einen schwindenden Sommer aus. Danach ist wieder Stille.

Heute Abend werden wir den Fernseher anschalten: Kanadisches Sonntagabendprogramm in voller Lautstärke. Heute Abend wird die Heizung auf Anschlag gedreht. Darauf: vierzehn frisch gewaschene Unnabüxkes und 28 Socken. Heute Abend wird sich maximal noch einmal links übers Geländer gebeugt: Seeblick genießen und weiterhin hoffen, dass ein Grizzly sich sehen lässt.
Wenn nicht, ist nicht schlimm: Morgen ist ja auch noch ein Tag. Ein Tag, der zweifelsohne frisch gebadet beginnt. Zweimal. Und Chouchou ist dann hoffentlich auch seinen Husten los.

Kluane Nationalpark

Die Nächte bleiben eiskalt. Nichts zu beschweren, schließlich ist in dieser Ecke der Welt ab Mitte August mit potentiellen Schneestürmen zu rechnen, aber Chouchous Gesundung ist es leider nicht zuträglich. Um neun hustet es aus dicken Daunendecken stürmisch gen aufgehende Sonne, die Gott sei Dank einen Spätsommerauftakt in den Tag macht. Immerhin. Spätsommergrippe bei Tagestemperaturen um die 20 Grad.

Schnaufend und mit dicken Schals umwickelt verlassen wir unseren wunderbaren Seeplatz, unsere Nachbarn stehen schon freudestrahlend in den Startlöchern, dass der nun endlich frei wird. Gut, dass wir alles blitzeblank hinterlassen. Nicht mal Viren hängen noch in Pinien und abgebranntem Feuerholz, die packen wir ein und fahren weiter gen Westen.

Die nächste Ortschaft auf unserem Weg ist Hains Junction. Im Alaskahighwaybüchlein als Bollwerk der Zivilisation angekündet, hat es hier nicht mal einen Supermarkt. Meilenweite Blicke über eine leere Straße mit zwei Siedlungen an dessen Rändern, ein verlassener RV-Park am Ortseingang lottert munter vor sich hin, hier wird schon lange nicht mehr eingeparkt.

Immerhin finden wir eine rußige, chinesisch geführte Tanke, die Ibuprofen zu Schwarzmarktpreisen vertickt, eine stylische Ökobäckerei, die so auch in der Bonner Südstadt Kunden gewinnen könnte (why!?) und eine katholische Kirche in Miniaturausgabe. Zwei Bänke für alle verlassenen Seelen, die hier irgendwann vielleicht mal einschneien. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Und hinter Haines Junction tut sich das Paradies auf.

Mit Worten lässt sich die folgende Gegend kaum beschreiben. Chouchou trifft es –nach langer Stille im Magicbus—ganz gut: „Sehr viel sehr Wenig.“ Und davon alles atemberaubend. Sehr viel Atemberaubendes, sehr wenig Worte. Ohne zu übertreiben kann ich zumindest wohl schreiben, dass ich nur sehr, sehr selten Schöneres in meinem Leben gesehen habe. Demütig. Erhebend.

Zu unserer Linken tut sich eines der größten zusammenhängenden Naturschutzgebiete der Erde auf: der Kluane-Nationalpark. Land der Gletscher, des Eises und des ewigen Windes. Der Mensch ist hier ein niemand. Gestein und Himmel endlos. Ein paar wackere First Nations leben hier nur vereinzelt in einem Ganzjahreswinter, der lediglich für wenige Monate unterbrochen wird. Heute zum Beispiel. Hier wollen wir für eine Nacht bleiben.

20 Meter vom Kluane Lake, Yukons größtem See, entfernt bauen wir unser Camp für die Nacht auf.

Eine verniedlichende Tafel am Campeingang macht uns aufmerksam, dass wir heute Nacht mitten im Grizzlyhabitat nächtigen. Der so genannte „Wildlife corridor“ verläuft 20 Meter weiter: am Ufer. Die bei Grizzlys besonders beliebten „female soapbery bushes“ hat man netterweise von der angrenzenden Wiese entfernt, damit die Meister Petz´am See bleiben und nicht freudestrahlend übers Camp marschieren. Die Zelter sind trotzdem durch einen dicken Elektrozaun geschützt. Ein bisschen aufregend ist das schon.

Denn:
Der Mensch ist hier ein niemand. Gestein, Wasser und Himmel endlos. Es ist lehrreich, sich etwas kleiner zu fühlen, als man so im Allgemeinen glaubt zu sein. Meist Jemand. Irgend jemand.
Aber eben auch nicht immer…

Einfach mal auf fremde Waden hüpfen…

Die Nächte sind klirrend kalt – wie sonst sollte es sein, eher Ende als Mitte August, kurz vor Alaska, in unserem Rekonvaleszenzcamp. Auf dem ersten Kaffee liegt Tau. Er schwimmt unbeeindruckt auf der Hafermilch, gleich neben dem Ahornsirup und über dem See wabern Wolken, die bereits einen Hauch von winterlicher Behaglichkeit in sich tragen. Beim Entzünden der Heizung beschlagen die Fensterinnenseiten. Natürlich schlafen wir mit Mütze und Schal. Natürlich kann man bei dem Wetterwechsel krank werden. Sehr wahrscheinlich sogar. Chouchou ist´s heute noch immer. Nur ich bin gestern eher einer histerionen Entgleisung erlegen. Aus reiner Loyalität und heute fit.

Dieser Tag soll mal wieder ein langsamer werden. Wieder einmal, richtig so.
Zum Frühstück wackeres Sauerteigbrot aus der alpinen Bäckerei in Whitehorse („Alaskan“, 9 Dollar 50 und jeden Pfennig wert), danach legt sich Chouchou nochmal träumen. Mittlerweile ist eine Sommersonne über die Berge gestiegen, sie glitzert auf ruhigem See. Grund genug für mich in den Bikini zu schlüpfen. Das mag ein wenig frisch wirken (ist es auch), aber mir dürstet mit jeder Pore nach Sommer. Deshalb muss es so sein. Bikini, dicke Socken und ein Buch in der Hand.

Wundersamerweise haben wir hier Internet, wir nutzen es heute aber kaum. Wir lauschen eher den Kanada-light-Geräuschen um uns herum. Es ist schön, in diesem abgelegten Wäldchen erstmal nicht ganz alleine zu sein. Weil menschliche Geräusche auch ein Zeichen davon sind, dass alles Leben weitergeht. Neben uns kläfft den ganzen Tag ein empfindlicher Pfiffi, am Strand 200 Meter weiter kreischen die wenigen Kinder, die sich mit Neopren ins Wasser trauen. Die Amis zwei Plätze weiter grillen eindeutig Totes. Wie schlimm, dass ich den Geruch lecker finde. Wie gut, dass sie sich damit olfaktorisch als eindeutig besseren Bärensnack bewerben. Alles Leben geht weiter und irgendwann –zwischen zwei und drei—springt das Hörnchen , mitten in meiner Lektüre, auf meine Wade. Es vollführt einen Hörnchentanz, schaut mit großen Äuglein erst erwartend und dann hektisch enttäuscht: heute kein Snack für Dich, mein Kleiner, denn ich muss die Buchseite umdrehen.
Mut aber hast Du. Genauso wie die zahlreichen Libellen, die auf mir Platz nehmen: wohl eher weniger mutig, denn vom betörenden Geruch angezogen. Fließend Wasser gibt es auf kanadischen Territorial campgrounds nicht. Wir hatten noch feuchte Tücher, von denen Libellen sich aber anscheinend nicht austricksen lassen…

Genauso leer wie unsere Batterien, läuft mittlerweile der Magicbus auf Notstrom. Schließlich muss er nachts heizen und tagsüber Drinks kühlen. Zu viel für einen alten Herren der Eurovanklasse. Das Globetrottels-Equipment-Mastermind, alias Chouchou, muss also die Solaranlage ans Laufen bekommen. Dank arktischer Nordsonne klappt das ganz vorzüglich. Immerhin ist jetzt der Magicbus wieder voll. Nur Chouchou geht es noch immer nicht wesentlich besser.

Am späten Nachmittag –ein Buch leer, das nächste schon halb durch—komme ich aus reiner Langmut heraus auf die Idee, verweichlichten kanadischen Kids in Neopren ein Vorbild zu geben. Der Gang zum Strand ist noch voller Eleganz. Frisches Handtuch fällt auf weißen Sand, eine Nixe in schwarzem Schwimmdress mit Sonnenbrille auf. Ein zugekiffter, durchaus bärtiger Ami am Strand warnt noch („it´s cold as shit“), aber mein Entschluss steht fest: Ich werde mich unberührt in die Fluten stürzen. Ohne Neopren. Schaut her. Not born in the USA. Ich hätte es besser nicht getan…

Das Wasser ist eiskalt. Ich schaffe es gerade bis zum Bauchnabel, bevor ich innerlich abnippele. Gänsehaut ist kein Ausdruck. Millimeterlange Unterarmhärchen strecken sich meilenweit in einen endlosen Himmel. Kein Atem mehr, irgendetwas holt Luft. Ich vielleicht!? Kann mich nicht bewegen, eine eiskalte Welle –voller Gnaden– schiebt mich im letzten Moment zurück an den Strand. Da liegt es: das tiefgefrorene „ein Vorbild geben“, bibbernd, not born in the USA. Eine Ente in Neopren schwimmt kopfschüttelnd vorüber. Touristen. Unglaublich.

Am Abend gibt es Feuerchen. Nasses Holz von gestern qualmt extrem stark. Es taut hochmütige Geister rauchend wieder auf. Und bringt hoffentlich Gesundung für den Vernünftigen von uns.

Alles Leben geht weiter.
Manchmal tiefgekühlt am Rande eines eiskalten Sees, manchmal hustend und träumend im Magicbus. Manchmal in Neopren und manchmal, indem man einfach mal auf fremde Waden hüpft. Vielleicht gibt es ja was zu holen!?
Ein Versuch ist es wert. Zumindest…

Die Ruhe des Pine Lake

Pine Lake, 17.08.23, 8 Grad, Regen:
Das Wetter ist uns heute hold. 8 Grad und Regen ist genau das, was wir momentan gebrauchen können.
Wir fühlen uns beide krank – was sehr wahrscheinlich Quatsch ist. Wir beiden sind lediglich zutiefst erschöpft und die Akklimatisierung auf nächtliche drei Grad im Dachzelt und Jetlag tun ihr Übriges.

Es ist ein Tag, der gut tut:
Regentropfen auf dem Dach lauschen, Heizung auf muggelige 24 Grad. Chouchou verbringt seinen Tag mit Juli Zeh, ich mit T.C. Boyle, ein Mittagsschläfchen von zwei Stunden für jeden von uns inklusive.

Irgendwann dann noch flotte Ein-Platten-Küche (Schlangenböhnchen mit Reis) und Freundschafsanbahnung mit dem hiesigen Chipmunk anhand von Schokokeks.

Mehr passiert heute nicht auf Platz 26 des Pine lake state campgrounds.
Morgen ist wieder Sonne angesagt.

Back to wilderness

Wir verlassen Whitehorse im Trockenen.
Unseren schicksalhaften Robert Service Campground, die Bank auf der Halbinsel mit Ausblick auf den wilden Yukon und damit die letzte Zivilisation für die nächsten Hunderte von Kilometern.
Im Independence Superstore decken wir uns großzügig mit Lebensmitteln für die nächsten Tage in der Wildnis ein: „yukon grown-products“, die in diesen kurzen Sommern schon in sich Wunder sind. Nur die Avocados kommen aus Mexiko, grünes Gold, Sonnensommerkinder per Import.

Das Land Yukon besitzt angeblich 23 Ampeln. Alle davon in Whitehorse. Nach der 23. folgt nur noch unberührtes Land: 200 Kilometer Pinien und rotrauschendes Fireweed – Symbolpflanze des Yukons, gedeiht vor allem dort, wo zehrende Waldbrände Schneisen hinterlassen haben.

Ein Waldbrand ist es auch, der uns kurz hinter der Stadt nicht in Richtung Norden abbiegen lässt: das Örtchen Mayo, am Silberminentrail, wurde vor ein paar Tagen evakuiert. Die 200 Mayonaisen harren nun in Whitehorse aus, betend, dass abseits ihres blanken Lebens noch irgendetwas ihres Besitzes übrig bleibt. Wir halten uns auf dem Alaskahighway in Richtung Haines Junction, denn hier brennt es noch nicht.

Am Pine Lake finden wir ein Plätzchen für die Nacht. Direkt mit Blick auf den See, der heute windumtosen Wellen schlägt. Ein Lagerfeuer nach knappen sieben, surrealen Wochen, dies ist ein Moment, der sich plötzlich sehr echt anfühlt.

Wildnis, Wind und Weite –da sind wir erneut. Mit der großen Hoffnung, dass irgendetwas Verkapseltes im Herzen wieder aufkracht. Heute Abend ist immerhin schon ein Knistern zu hören.

Kleine Wunder an bekannten Orten

Der Jetlag drückt uns morgens lange in die Kissen. 8 Grad und Nieselregen tun ihr übriges: vor halb zehn wird heute nicht aufgestanden. Whitehorse -einer unserer Schicksalsorte-kann warten.
Bis elf gibt es dann erstmal siebzehn Kaffee: der Kocher brummt fröhlich im Regen vor sich hin, ein tröstliches Geräusch. Ab halb zwölf sind wir bereit für Eier und die Sonne kommt ein bisschen raus.

Es ist gut, dass diese Reise, unser Yukon 2.0, an einem bekannten Ort beginnt. Der große Überblick fehlt eh, es fällt damit zumindest leichter, einen Blick für die kleinen Wunder zu haben.

Wir spazieren am Yukon entlang in Richtung Downtown und entdecken Feenhäuschen am Wegesrand.

Auf der SS Klondike tauchen wir in die Zeit des Goldrausches ein. Passt, wenn man der Meinung ist: Früher war alles besser. Alte Kisten auf altem Dampfer flüstern von alten Abenteuern für die wir momentan selbst zu müde sind. Stellvertreterlebenssehnsucht. Ein Hauch Vergangenheit, der gut tut und zum Träumen einlädt.

Im zauberhaften Buchladen auf der Mainstreet können wir uns langsam wieder eingrooven auf den Geist des Yukon – „greater than life“. In der Auslage liegt ein Kochbuch für Cariboufleisch „von Geweih bis Huf“. Und danach ab zum Yukon Hiking im Kluane Nationalpark. Nur auf dem Papier, versteht sich.

Am Foodtruck genehmigen wir uns die einzigen vegetarischen Burger mit so vielen Pommes, dass selbst ein Elch davon satt werden könnte. Einer der stadtbekannten Junkies schnorrt uns mal wieder um einen „Loonie“ an. In seinem Leben scheint in den letzten sechs Wochen nicht allzu viel passiert zu sein.

Zurück auf unserem Milleniumtrail, zurück nach Hause zum Magicbus, grüßt uns eine gut getarnte Libelle auf einer Infotafel. Oben drüber nisten Weißkopfadler. Kleine, große Wunder des Lebens eben. Die Schönheit dessen ist unübersehbar. Selbst in Trauer.

Am Nachmittag bereiten wir den Magicbus für die morgige Abfahrt vor. Wasser zapfen, Reifen pusten, endlich wieder fegen, bevor es morgen nicht nur auf dem Papier zum Yukon Hiking in den Kluane Nationalpark geht, kurz vor Alaskas Grenze, raus aus der schützenden Decke der Zivilisation, rein in die Wildnis.

Zurück in ein Leben auf Reise. Zurück zu Pitstoiletten, in endlosen Wald, ohne Internet. Vielleicht für einen Moment hinein in Richtung kurzen Abschaltens!? Und damit sind nicht nur Daten gemeint…

Sortieren

5 Sekunden. Solange dauert es nach dem Starten, bis der Bulli einsieht: Rote Warnlämpchen (sowie jede andere Art von Probleme) sind für die Globetrottels gerade inakzeptabel. Absolut inakzeptabel!

Gestern konnten wir es dem Bulli nach so langer Einsamkeit ja fast noch nachsehen, nach dem spontanen Anspringen zumindest mit einem müde rot flackernden Irgendwas-zwischen-Lichtmaschine-und-Batterie-ist-kaputt-Lämpchen zu protestieren, aber ganz ehrlich: Kaputter Bulli geht gerade gar nicht!

So aber ist heute morgen beim Bulli wieder alles ok, er »singt« wie eh und je und auch unsere Nervenköstüme halten locker bis zum Walmart durch. Wiederankommen im Yukon ist der Plan für heute: Einkaufen, Taschen, Klamotten und Bulli sortieren.

Hörnchen gucken, die klackern wie eh und je. Sehr tröstlich.

Akkus laden, auch unsere, das braucht Zeit und Ruhe, die nehmen wir uns jetzt erstmal hier in Whitehorse, auf dem Robert-Service-Campground, vielleicht bleiben wir doch lieber drei statt nur zwei Tage, die werden wir brauchen, um wieder einigermaßen reiseklar zu werden.

Nachmittags nach Ewigkeiten wieder Chéries Dreisterne-Einplatten-Menue genießen, abends Grizzly-Bierchen am Yukon, fit werden für On-the-Road.

Nützt ja nix…

Whitehorse, Yukon, 6 Wochen später:
Der Anflug auf den Yukon ist spektakulär. Wäre die Welt wie vorher, würde ich wohl schreiben, dass ich so etwas Schönes in meinem Leben noch nicht gesehen habe: über das ewige Eis, das viel zu brüchig ist; über eine Weite, die jede innere Enge sprengen kann; über endlose Wildnis, in der kein Menschleben mehr zählt. Die Welt aber ist nicht mehr wie vorher.

Anfang Juli hatten wir eine „kreative Pause“ angekündigt. Es wurde ein Haltknopf, der gefühlt kein Ende mehr hat.
Mein dePabels ist nicht mehr auf dieser Welt. Gelebt wie gestorben hat er mit einem großen Knall die Form gewechselt – für uns alle noch immer unfassbar. Dort, wo immer innerer Anker war, ist nun eine große Leere, von der ich keine Ahnung habe, wie man sie irgend wieder füllen wollte. „Treibt so wie a Segel im Wind“, schlingert mein Lebenskahn seither über einen stürmischen Ozean, tosende Wellen schlagen über mir zusammen, ohne dass ich wüsste, wie man in denen ein Schiff manövrieren soll. Mein dePabels ist nicht mehr auf dieser Welt. Das alles kann eigentlich gar nicht sein. Wer steuert denn das Boot, wenn John Maynard nicht mehr da ist?

„Nützt ja nix.“ „Leben wird vorwärts gelebt.“
Also sitzen wir am 13.8. wieder im Flieger. Zurück in den Yukon, zurück nach Whitehorse 2.0 in eine neue Welt, in unser momentanes Zuhause: den Magicbus. Im Herzen heimatlos.

Es fühlt sich sinnlos an, diesen Blog weiterzuschreiben, wenn der aufmerksamste Leser ihn nicht mehr liest. Es fühlt sich unmöglich an, diese Texte wieder aufzunehmen. Auch wenn ich ahne, dass es wichtig ist. Also tippe ich. Irgendwas. Buchstaben auf der Tastatur mit zittrigem Finger.
Es ist in Ordnung, wenn dabei erstmal wenig Sinnvolles entsteht. Momentan geht es nur darum, erstmal wieder anzufangen. Neu. In einer Welt, die nie wieder so sein wird, wie sie einmal war.
Und im Ohr höre ich meinen Papa, der jetzt kommentiert: „Ja bidde. Geht doch.“
Nicht gut, das ist momentan auch nicht der Maßstab. Zur Zeit geht es erst einmal darum irgendwie weiterzuleben. Ein Leben, das aktuell das unsere ist: in einem ollen Magicbus, am Rande des Yukons und vielleicht gen Alaska. Das Versprechen hat er mir noch abgenommen.
„Mach all die Dinge, die andere für unmöglich halten.“
Ich gebe mein Bestes, dePabels.

Neuere Beiträge »

© 2024 Die Globetrottels

Theme von Anders NorénHoch ↑