Unterwegs im Magicbus

Monat: August 2024 (Seite 3 von 3)

Auf einer Sanbank: das Jetzt! Unterwegs nach Karasjok.

Hochsommer im hohen Norden: 24 Grad, Sonnenschein, ich trage Kleid.
Ein äußerst angemessenes Outfit, um dem Nordpolarmeer fürs Erste Adieu zu sagen:
Adieu blaue Fjorde, hallo gefaltetes Fjell.

Auf der entspannendsten Straße der Welt rollen wir westwärts. 100 Kilometer durch gleichförmiges Grün, in dem die Augen nicht ständig suchen müssen: Erholung von der Dauerbombastizität der Fjordlandschaft. Nur eine handvoll Autos kommen uns auf der gesamten Strecke entgegen.

Über weiche Hügel rollen wir sanft, immer am Grenzfluss zu Finnland entlang, dem Tana –so blau wie mein Kleid, mit eingesprenkelten Steinen und Sandbänken dazwischen – wie die Zitronenkuchenkrümel auf besagtem Fummel.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses –in Finnland– ist es eine Stunde später als in Norwegen.
Man könnte von hier aus also in die Zukunft schwimmen. Oder –von der anderen Seite aus–in die Vergangenheit.
Irgendwo in der Mitte wäre dann entsprechend heute.
Auf einer Sandbank: das Jetzt…

Auf solche Gedanken kommt man, wenn praller Sommersonnenschein ungehindert auf die Frontscheibe des Magicbus knallt. Tuckernde Sauna rollt durch eintöniges Grün: das nuckelt selbst den stärksten aller Wikinger ein.

Am frühen Nachmittag erreichen wir das erste Dorf nach dem Varangerfjord: Karasjok, Sitz des samischen Parlaments Norwegens.

Leider ist das norwegische „Sameting“ –Pendant des Saros in Inari, Finnland—für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Kein Chaga für uns heute. Schade.
Die Architektur aber haut auch ganz ohne Birkenpilzgebräu aus den Socken.

Auf dem lokalen Campingplatz parken wir heute zweiter Reihe, obwohl der Übernachtungspreis „Erste Reihe Aussicht“ vermuten lassen könnte.

Aber ein Husky bellt herzzerreißend nett, ein Rasensprenger lädt zum Durchspringen ein und die Waschräume sind „eins A-er“ als alle, die wir auf dieser Reise je gesehen haben. Fokussieren wir uns also darauf.

Obendrein haben die bösen Mücken, vor denen überall gewarnt wird (die Rezeption verkauft Kopfnetze!), heute anscheinend noch nicht eingecheckt.
Also bleibt das Kleid an, draußen im samischen Sommersonnenschein.
Ein weiteres Geschenk des Himmels…

Adieu Barentsee

Nach einem fabelhaften Sonnenuntergang und einer unstürmischeren Nacht als gedacht…

…strahlt die Sonne am Morgen über Hamningberg. Der Wind hat sich gelegt, ein perfekter Zeitpunkt zum draußen Kaffee trinken; ein perfekter Zeitpunkt, um nach dem dritten ein Walskelett suchen zu gehen.

Angeblich soll einen Kilometer hinter unserem Nachtplatz vor langer, langer Zeit ein armer Wal angeschwemmt worden sein. Das will „Globetrottels investigativ“ natürlich gucken.
Über weiche Wiese wird der Weg schnell geröllig und bleibt auch das nicht sehr lang.
Flott kraxeln wir über handballgroße Steine, Wassermelonengeröll und Uraltbaumstämme, die angeblich bis zu hundert Jahre alt sein sollen – aus Russland kommend über die Barentsee.
Haxenbrecherpfad Klasse 1 mit Traumaussicht.

Das Skelett finden wir nicht. Lediglich ein Knöchelchen, das wir für die Stimmung zur Walgräte erklären (— auch wenn’s eher wohl Rentierelle oder –speiche ist, das weiß aber ja niemand.)

Ebenso wenig lässt sich auf dem tiefen Blau, auf das wir stundenlang starren, einer der lebenden Genossen in der Bucht blicken.
Ist vielleicht zu früh im Jahr? Oder wir optisch einfach zu schlecht eingestellt!?

Nur ein nervöses Rentier galoppiert vorüber. Mit intakter Elle und Speiche.

Um eins ruft uns die Abenteuerstrasse zurück. Eine Straße, die eindeutig in der gleichen Liga wie der nepalesische Siddhartha-Highway bei Monsoon spielt, wenn man unsere Nervchen fragt. Aber es hilft ja nix.
Es gibt ja nur die eine zurück in Richtung Rest der Welt.

Zu unserem Erstaunen grooven wir viel weicher zurück als angespannt erwartet: Niemand, der vor uns bummelt und bremst, uns kommen lediglich zwei Wohnmobile entgegen und auch der Magicbus frisst auf der Strecke weniger als ein Drittel des Öls, das er auf der Hintour soff.
Seltsam schöne Welt.

Bei Vardø biegen wir erneut auf die Panoramastraße 75 ab: einer der schönsten Straßen Norwegens, wenn man die Touristikwegpage fragt. Zu Recht.

Aus der heutigen Richtung ist sie fast noch schöner als aus der gestrigen. Mal wieder die Perspektivwechselnummer. Und das Lichtphänomen in blau.

Da unser Abenteuerkontingent für heute schon wieder aufgebraucht ist, machen wir es uns leicht:
Wir checken um halb vier zum zweiten Mal einfach auf der Wiese der Jakobselfen ein, statt die eigentlich geplanten weiteren 200 Kilometer noch in Angriff zu nehmen.

Gegen die Straße – für kosteninkludierte, heiße Dusche und eine warme Mahlzeit, die ich unbedingt heute noch kochen möchte. Diesmal: vernünftig herum in Reihe geparkt

Letztes Gemüse im Sonnenschein schnibbeln, heißes Teewasser aus der Gemeinschaftsküche holen.
Am Lachsfluss um die Ecke versteckt sich die Sonne erstaunlich früh über Fischen, Weidenröschen und Insekten, wir duschen heiß im Dämmerlicht.

Ab morgen wird es westwärts gehen, die Fjorde des nördlichsten, norwegischen Ostens hinter uns lassend.
Bilder, die wir nie vergessen werden. Das tiefe Blau der Barentsee – auf immer eingebrannt.

Und der Captian schrief: „Ziehen!“ bis ans Ende der Welt

Dank Schwarmintelligenz finden wir gestern Abend noch heraus, was die Gebilde am Strand sein sollen: Aufhängungen für Stockfisch.
Wir lernen: Schon seit dem 8. Jahrhundert ist es Sitte, in Nordnorwegen den Fisch himmelzubestatten. Sehr spannend.
Außer anscheinend für die Möwen. Warum die sich überhaupt nicht für den Hängekabeljau interessieren, konnte uns leider niemand verraten.
Möglicherweise, da Eingeweide und Kopf nicht mit erhängt werden!? Möglicherweise, da Norwegens Möwen lediglich Sushiliebhaber sind?! Möglicherweise, da in jeder Möwe ein verkappter Parfumeur steckt?!
Letzteres halte ich für am wahrscheinlichsten. Wer kennt sie nicht: die weltberühmten Chanel-Möwen Norwegens…

Fein ausgeschlafen erwachen wir auf der Wiese der Jakobselfen. Quergeparkt.
Beim ersten Kaffee fällt uns auf, dass der Magicbus vom Start dieser Reise in Halifax bis hier her 40.000 Kilometer abgerissen hat.
Vierzigtausend Kilometer: einmal um die Erde!
Beim zweiten Kaffee fällt uns auf: da darf dann auch der Keilriemen mal schlackern.

Tatsächlich tut er es heute aber wieder nicht. Wir starten mit dem altbekannten Tuckern, ohne Kreischen, bereit für eine zweite Weltumrundung. Vielleicht.

Mit großen Plänen in den Backen kommen wir heute mit dem ersten Startuckern nicht sehr weit.
Kurz nachdem wir auf die E75 gen »Ende der Welt, Teil 2« abbiegen gibt´s eine Panne.
Erstaunlicherweise nicht bei uns, sondern beim Captain der norwegischen Marine. Der Magicbus als Pannenhelfer und nicht als Verletzter: das hätte wohl niemand erwartet.

Der Captain braucht Hilfe. Sein linkes Hinterrad hat alle Muttern von sich geworfen und steht schräg in einer Achse, die traurig viel Bremsflüssigkeit unter sich lässt.
„Ziehen!“ meint der Captain.
„Captain, ich glaube, das ist keine gute Idee.“
„Doch. Ziehen!“ schreit der Captain.
Matrosen mucken nicht auf. Na gut, wenn der Captain es sagt.
Also wird der desolate Uraltgeländewagen an die Leine gelegt.
„Ziehen. Jetzt!“ brüllt der Captain. Also ziehen wir.

Weit geht es so nicht, genau genommen erreichen wir nicht einmal die fünf Meter entfernte anvisierte Parkbucht.
Nach einem knappen Meter wirft der Uraltgeländewagen das Rad gänzlich von sich, mit herzzerreißendem Scheppern kippt das Auto auf die blanke Radaufhängung der Achse.

Nicht des Magicbus´ Schuld: er macht so etwas zum ersten Mal.
Der Captain schreit: „Egal. Einfach weiter ziehen!“
„Captain, nein! Das reicht! Wir ziehen Sie nicht mit der blanken Radaufhängung der Achse über die E75.“
Meuterei auf der Bounty. Der Captain muss leider klein beigeben.

Zu dritt sichern wir die Pannenstelle ab, schieben zumindest den Anhänger in die Parkbucht und warten auf eine Pannenhilfe, die bestimmt auch nicht bereit sein wird, den Captain auf der blanken Achse über den Asphalt zu schleifen.
„Bin Jahrzehnte zur See gefahren, hab unter Eisenhower gedient,“ meint der Captain, als wir warten. Kurz überschlagen muss er also Mitte 80 sein, mit 60 Jahren Polarmeererfahrung. Sicherlich hat er schon sehr viele Male seinen Kahn über den nackten Asphalt der E75 gezerrt…

Weiter den Varangerfjord hinauf Richtung Vardø: Schafe an den Straßen, Schafe am Meer, Schafe überall. Kurzum: erstaunlich viel Viehwirtschaft.

Im Hintergrund taucht irgendwann der Ort auf: Vardø. Mit Möwen und Rentieren im Vordergrund.

Hier fahren wir links – auf die letzte Straße der Halbinsel. Einspurig.

Es gibt nicht viele Superlative, die diesen Weg angemessen beschreiben können.
Überwältigend, phänomenal, gigantisch vielleicht – zweifelsohne aber atemberaubend.
Der Magicbus schlängelt sich bergauf, bergab durch Gesteinsformationen, die nicht von dieser Welt scheinen, blaue Teiche im Grün, das blaue Polarmeer immer in Sichtweite.

Praller Sonnenschein über schroffem Geröll. Surreal, fast extraterrestrisch. Und wieder Rentiere am Strand. Sorry.

In Hamningberg, einem verlassenen Fischerort am Ende der Welt, wollen wir heute Nacht bleiben.
Wir müssen auch, weil dieser Abstecher all unsere Kraft gefordert hat. Insbesondere die des Magicbus: 1 Liter Öl auf 120 Kilometer. So viel Durst hatte er noch nie. Armer, tapferer Bulli.

Auf einer Wiese mit Fjordblick parken wir zwischen deutschen Mitcampern ein. Und staunen, dass die deutsche Campermentalität auch 3500 Kilometer weg von zu Hause nicht immer auf der Strecke bleiben muss.
Beim Einparken werden wir aus vier Klappstühlen heraus genauestens beäugt. Als ich winke, wird beschämt wegguckt ohne die Hand zum Gruße zu heben.
Niemand kann aus seiner Haut: Da kannste soweit fahren wie de wills, man nimmt sich immer mit.

Hamningberg wirkt genauso surreal wie die Anfahrt hierher. Der Ort ist leergepustet, die Häuschen aber stehen frisch gestrichen vor der schroffen Felswand. Knallblaues Meer, das scharf schäumt, ein unerbittlicher Wind fegt über eine bunte Szenerei, die scheint, als sei sie –nur für heute– aus einem Märchenbuch geborgt.

Wir laufen die letzte Straße der Welt bis zu ihrem Ende. Dahinter kommt nur noch ein Leuchtturm und Nordpolarmeer. Und Möwen und Wellenrauschen und ein Kuss auf „world´s end“.

Dies ist der östlichste Punkt unserer Reise, auf dem gleichen Längengrad wie Sankt Petersburg, östlicher als Istanbul.
Um hierher zu kommen, darf man sich ruhig einiger Superlative bedienen.
Wie: überwältigend, phänomenal, gigantisch. Atemberaubend.
Und der Captain schreit: „Ziehen!“ Bis ans Ende der Welt!
Heißt auf norwegisch: „Ta meg til jordens ende.“
Da wären wir also….

Perspektivwechsel…ist nie langweilig.

Unser letzter Morgen in Berlevåg startet mit flirrender Spannung.
Was ich gestern aus rein magischem Denken (und eigener Nervenschonung) nicht erwähnte, lässt sich heute Morgen leider nicht mehr ignorieren.
Die große Bauchwehfrage: Macht der Magicbus wieder Faxen beim Starten?!
Bei den letzten drei Anlassversuchen hat er sich (mal wieder) ein neues Geräusch ausgedacht hat. Eins, was einfach nicht dahin gehört.
Diesmal: schleifendes Kreischen aus der Keilriemengegend.

Ach, lieber Magicbus.
Warum eigentlich machst du so etwas am liebsten, wenn wir am Ende der Welt sind?
So, wie vor gut einem Jahr tief im Yukon … und noch 400 Kilometer bis ins nächste Dorf, und noch 700 Kilometer ohne Telefon- oder Internetz, und noch 2000 Kilometer bis zur nächsten VW-Werkstatt.
Zugegeben: eine Panne in Berlevåg käme im Vergleich nicht auf ein Elftel des Abenteuers von damals.
Denn hier –am Arsch von Norwegen—gibt es zumindest Telefon, Internet, ADAC Goldkarte, die Hurtigruten, die uns für entsprechend großes Kleingeld gen Oslo schippern könnte. Vor allem aber hat´s hier das allerwichtigste: Mitmenschen.

Auf kurzen Nägelchen kauend –ganz ohne Unterlippe, die ist schon weg—zögern wir die Abfahrt hinaus.
Einen Kaffee noch, erstmal Brötchen aufbacken, eine Dusche. Es geht soweit, dass ich mir sogar die Haare wasche: morgens! Haare, die seit fünfundzwanzig Jahren nur Shampoonieren am späten Abend kannten.
Irgendwann aber fassen wir uns ein Herz: wir müssen ja!
Mit zugekniffenen Augen starten wir hochangespannt den alten Bulli-Schiffsmotor.
Es knattert und dieselt über den Platz. Wir horchen. Und lauschen. Wir hören ganz genau hin.
Und hören: nichts. Nichts, das irgendwie außergewöhnlich wäre.
Ein alter Traktor, der startet, ein Keilriemen, der geräuschvoll schwingend schlackert—boomshakalaka. Alles ist wie eh und je.
Das schleifende Kreischen, das der Magicbus die letzten drei Male zunehmend zum Besten gab, bleibt aus. Gänzlich.
Er war, ist und bleibt ein großes Mysterium. Unser Magicbus.

Mit aufgerissenen, staunenden Augen rollen wir vom Platz.
Zwei Koboldmakis in der Fahrerkabine –mit Ohren, groß wie die der Wüstenfüchse, mit Nägeln wie Faultiere nach zu engagierter Maniküre, mit dem Herzklopfen von Kolibris. Nur der Magicbus tut so, als ob niemals irgendetwas gewesen sei…

Adieu, zauberhaftes Berlevåg mit all deinen Menschen:
Adieu, lieber norwegischer Nachbar, der uns –entschleunigend wie ein Bergflüsschen–von seiner Nordkapperfahrung im Nebel berichtet.
Adieu, verlorene Schweizerin, die auf der Suche nach einer neuen Zukunft ist.
Adieu, finnische Anglerboys mit Alphamentalität.
Adieu, sanfter Althippie mit Hund in einem T4, der noch schröddeliger als der Magicbus ist.
Adieu Ingo und Ute im Husky-Club-Partnerlook. Er (möglicherweise) stumm, sie als Kind in Hamburger Brabbelwasser gefallen. „Ich komm kurz klönen,“ sagte sie, schnappte sich ihren Campstuhl und erzählte uns dann ihre ganze Lebensgeschichte ohne, dass wir auch nur eine einzige Gegenfrage stellten.
Ute trägt jeden Tag Rentierohrringe in großen Ohrläppchen und bunte Federn am Cowboyhut. Sie ist mit dem Weihnachtsmann befreundet, sagte sie. Und Frühaufsteherin, Neufinnin und 15Kilometerläuferin mit Rückenproblemen. Ihr Husky haart stark und liegt genauso stumm wie Ingo zu ihren Füßen.
Nach einer halben Stunde hatte Ute fertig, sie musste Mittagsschlaf machen: „Schön, Euch kennengelernt zu haben. Ich mag alternative Leute.“ Wie auch immer Ute darauf kam. Denn weder der Husky, noch Ingo, Chouchou oder ich hatten in den dreißig Minuten unserer Begegnung etwas gesagt. Wir alle haben einfach still die Ute-Show genossen.

In zweihundert Kilometern Traumfahrt beruhigen sich unsere Nerven wieder. Wegen des Bullis, Ute war schon gestern da und hat uns gar nicht aufgeregt.
Wir rollen die Straße zurück, die wir gekommen sind: am Strand mit den Rentieren vorbei (ein Lesender mag dieser langsam müde werden, einem Sehenden passiert das wohl nie), eine Entenfamilie kreuzt unseren Weg.

Die Welt sieht genauso verzaubert aus wie bei Anfahrt – nur andersherum.
Perspektivwechsel…ist nie langweilig.

In Tana Bru biegen wir ab in Richtung Varangerfjord, auf die Panoramastraße E75, die von Norwegen bis Kreta führt und kurz hinter dem Ort einen Wimpernschlag lang fast savannenartig anmutet.

Am Fjord selbst ist dieser Eindruck natürlich direkt wieder verflogen. Wir werden mit dem Blick in Richtung Barentsee wieder am Wasser ausgespuckt.

Deutlich wärmer als am offenen Polarmeer ist´s hier. Davon zeugen die „pink power“-Blümchen am Straßenrand und auch die dichtere Zivilisation. Was auch immer man in Norwegen denn so „dicht“ nennen kann…

Wir rollen bis Vadsø immer am Fjord entlang. Der Campingplatz dort ist leider „midlertidig stengt“, steht an der Tür: Vorübergehend geschlossen. Uns bleibt für die Nacht –wollen wir nicht 110 Kilometer weiter gen Nichts fahren (wollen wir heute nicht!)– also nur noch das Missionscamp in Vestre Jakobselv.
20 Kilometer wieder zurück, zu den christlichen Jakobselfen. Als Ex-Pilger.

Über der “Resepsjon” prangert ein großes Kreuz. Wir stellen uns auf Nonnen hinter der Theke ein und sind mit einer Liedzeile aus „Walking in Memphis” bestens vorbereitet:
„Tell me are you a Christian child?
And I said “Ma´am, I am tonight”…”

Ma´am, we are tonight!
Ein Opportunismus, den man nur auf dem Jakobsweg lernt.

Natürlich aber steht keine Ordensschwester hinterm Tresen. Eine freundliche, junge Frau ohne offensichtliche Gesinnung heißt uns “Velkommen“ – ohne auch nur ein Wort über Jesus zu verlieren.
Auf der Wiese parken wir vor einem Hang, auf dem schmalblättrige Weidenröschen explodiert sind, ein. In der Grillhütte liegen Trockenblumen.

Spaziergang ins Dorf.
In Vestre Jakobselv gibt’s eine Kirche (geschlossen) und ein Fischrestaurant (geöffnet sonntags von 13h bis 19h), vor dem ein paar Norweger mit dicken Mützen sitzen und sich zwei Flaschen Schnaps teilen.

Seltsame Gebilde am Strand, auf denen ein paar Möwen lungern, Schneemobile auf gepflegtem Rasen, Wildblumen jenseits der Grundstücksgrenzen, Plastikstühle mit Aussicht.

Am Vogelausguck ist heute nichts los, die Flut drängt sich blubbernd ins Fjord vor und niemand da, der dem Beachtung schenkt. Außer zwei Globetrottels.

Als wir zu unseren christlichen Jakobselfen zurückkehren, sehen wir, dass in der Zwischenzeit ein paar Nachbarn neben uns eingeparkt haben.
Und wir wissen nicht ganz genau, wie dieses Bild zu deuten ist.

Ob Langzeitreisen verändern?
Wer weiß es schon. Zweifelsohne aber gilt:
Perspektivwechsel…ist nie langweilig.

Berlevåg — unser persönliches Nordkapp

Aus unseren geplanten zwei Tagen werden insgesamt fünf Nächte. Fünf Nächte, in denen nur viermal die Sonne kurz untergeht, an unserem persönlichen Nordkapp, in Berlevåg.

Ein Ort, der sich rundherum richtig anfühlt; der Grund, warum wir immer wieder –Tag um Tag– verlängern.

Wir wandern hoch nach Tanahorn:
266 Meter über dem Polarmeer, auf dem Breitengrad 70.876225: der nördlichste Punkt unseres gesamten Lebens – mit einer Aussicht, die weiter in Vergangenheit und Zukunft blickt, als ein Mensch es je könnte.

Der Weg dahin ist erst wie durch die Prärie und dann wie auf dem Mond zu wandeln.

Nur ein einsames Albinorentier, das meditierend in der Steilwand steht, ist mit uns hier.

Menschleere, Weite, der Wind der Arktis, Ewigkeit.

Unter der Mitternachtssonne legen nur die Fischkutter ab, die Hurtigruten kommt vorher. Sie tutet sich jeden Abend pünktlich um halb elf in den Hafen. Mit Salz, Tang und Eisigkeit in der Luft. Die Hafenhäuser leuchten wissend.

Spaziergang zum glasklaren Lachsfluss, über einen Steinbruch, in dem surreal bunter Schiefer geschlagen wird.

Weiter, immer weiter bis zum Meer, bis verlassenen Strand. Im Sand: lediglich Rentierhufe.

In Berlevåg Downtown: bunte Häuser, die mitnichten frostfest wirken und es doch sind.

Eissturmresistente Trutzburgen im Disneygartenhäuschenlook. Über die Straßen dackeln Rentiere und warten auf uns am Campingplatz.

Eine Kirche auf Hügel, der Friedhof, eine Fischfabrik, die Neptunbar und ein verlassenes Lagerhaus, das von Möwen besetzt wurde.
Wildes Geschrei im Wind, Hitchcocks „Die Vögel“ in der Arktisversion neben Steinbecks „Straße der Ölsardinen“ auf norwegisch.

Die Molen sind durch gigantische Tetrapoden gesichert. Drei barbrüstige Frauen mit wehendem Haar blicken sehnsüchtig aufs endlose Meer, verzweifelt wartend auf Fischer, die der Ozean bei sich behielt. Irgendjemand hat: „No one is born racist“ an die Mauer gesprüht.

Ein ganzer Tag im dichten Nebel, die Sicht keine zwanzig Meter weit. Unsichtbares Möwenkreischen im Dunst.
Eingemummelt in dicken Decken lesen wir – sechszehn Stunden am Stück. In der Summe vier Bücher an drei Tagen. Mit Wärmflasche auf dem satten Bauch.

Berlevåg.
Ganz sicher werden wir irgendwann wieder hierher zurückkehren.
An diesen Ruhepol am Ende der Welt. Mittendrin.

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