Unterwegs im Magicbus

Monat: Mai 2023 (Seite 2 von 4)

Weisheiten eines veganen Fellwürstchens

Überm Algonquinpark geht heute die Sonne auf. Tatsächlich. Der Dauerregen ist weitergezogen, Dunst liegt über dem Pinienwald. Es ist Zeit abzutrocknen.

Genau genommen machen auch wir heute nicht mehr. Lüften und trocknen. Dicke Decken und enge Hirne, Höckerchen und Tränen. Es ist verrückt, wie Gefühlsextreme nebeneinander –gleichzeitig – existieren können. Die Achterbahnfahrt des Lebens. Und die Globetrottels in einer der vordersten Reihen. Ein Teil davon ganz ungewählt. Manchmal bin ich mir nicht sicher, wie gut ich eigentlich angeschnallt bin.

Mit einem Spaziergang an den See erklären wir unsere heutige Sporteinheit für erledigt. Halb Kanada ist mit uns dort – allerdings im Auto angereist. Selbst, wenn der eigene Stellplatz viel näher am Strand liegt als der unsere. Auch zur Dusche wird eher gefahren als gegangen. Am Morgen bildeten sich dort Schlangen. Washroom-Drive-Thru und danach ab aufs Kanu. Zugegeben ist das eigentlich nicht weniger sportlich. Wir nämlich sitzen nur am Ufer und glotzen.

Erst gegen frühen Nachmittag –nach lüften und fegen und räumen und glotzen und trocknen– sind wir bereit, uns einem einzigen Miniabenteuer für den heutigen Tag zu widmen. Und das nennt sich: vegan grillen über offenem Feuer.

Grundsätzlich ist es so, das der gemeine Kanadier unsere Ernährungsgewohnheiten eh schon mitleidig belächelt. Dem Ganzen lässt sich noch die Krone aufsetzen (Achtung: crown land), wenn bemitleidenswerte Europäer obendrein versuchen, ein sehr männliches Feuer zu entzünden – um darauf dann grünen Spargel und Mais zu grillen. Und irgendeinen zusammengepressten Matsch aus Erbsenproteinen, der anhand von Glutamat versucht verzweifelt nach Würstchen zu schmecken. In unserem Fall: nach den “hot italian” ones.

Die Sache mit dem Feuer gestaltet sich je nach Tagesform. Und immer in Teamarbeit. Natürlich bin ich mir sicher, dass ich den deutlich besseren Überblick habe, was das Firestarting im Generellen angeht. Bocholter Pfadfinderehre und so. Natürlich behauptet Chouchou von sich das Selbe. Ganz ohne Bocholter Pfadfindererfahrung. Ich sag jetzt nix, aber schlussendlich bekommt natürlich wer es an? Genau.

Die ganze Aktion dauert fünf Stunden. Die veganen Würstchen tragen Fell, sind aber durchaus lecker. Und der Spargel ein Gedicht. Außerdem ist es Wellness für Geist und Seele: ein Feuer zu machen. Ich glaube wirklich, dass es kaum etwas natürlich entspannenderes gibt auf dieser Welt.

Ein Feuer braucht Zeit und Geduld. Ein Feuer fordert Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen.
Wenn es dann aber einmal brennt, dann schenkt es Wärme und den heimeligsten Geruch jenseits von Prada.
Wenn es einmal brennt, darf die Welt still stehen und man selbst einen Moment in Ruhe verweilen. Nur Flammen hinterher schauen und dem Knistern zuhören. Mehr muss nicht, nichts muss.
An einem Lagerfeuer darf man einfach sein;
alles denken, alles aussprechen, alles fühlen. Egal, was da ist. Am Feuer ist es in Ordnung so. Wenns schön ist, wenns weh tut.
Am Feuer ist es okay. Immer.
Unabhängig vom dem, der es gemacht hat…(auch wenn wir alle natürlich wissen, wer es war),
meint auch das vegane Fellwürstchen.

Slalom unter Pinien

In Nipissing herrscht seit gestern Abend ergiebiger Dauerregen. Seltsam. Ist so, als ob man in Essen Hunger hätte. Oder Bier teuer wäre in Wasserbilig.

Wir geben uns dieser Fügung des Universums nur allzu gerne hin. Dauerregen heißt auch mal die Füße hochlegen, zumindest in der Theorie. Muss man nicht tun, alleine der Gedanke daran aber trägt schon zu deutlicher Entspannung bei.

Der Platz im Pinienwald riecht nach kanadischer Kumbh Mela. Dunst und Feuchtigkeit zwischen den Pinien, riecht es dort, wo vor dem Wetter noch nicht in die Knie gegangen wurde, nach kaltem Feuer. Die Hälfte der beinharten Camper ist bereits abgereist. Zu viel Dauerregen an Victorias Day. Zelte stehen in tiefen Pfützen, der weite Gang zum Bad gleicht einem Slalomlauf. Mit trockenen Füßen kommt hier niemand durch. Nicht einmal in Gummistiefeln. Aber die Mücken freuen sich.

All dies soll uns nicht von einem kleinen Waldspaziergang abhalten. Schuhe und Jacke an und ab. Mit Regenjacken, die auf Bonner Niesel, und Laufschuhen, die eher auf Asphalt, denn auf nasse Felswege ausgelegt sind, stapfen wir los in den dichten, nächsten Pinienwald, der bei unseren Two Lakes um die Ecke ist.

6km rutschen wir über Felsen, lassen uns vom lauen Regen durchweichen und genießen die heimische Flora und Fauna, die wir bei diesem Wetter ganz für uns alleine haben. Will sagen: wir genießen einen Gang durch die Wolken, sehr, sehr viele Pinien und das vorherrschende Wildtierleben – heute in Form von ferienwütigen Mücken, die sich freuen, dass überhaupt jemand vorbeikommt. Euphorisch stürzen sie sich auf uns. Welcome to our pinewoods.
And thanks for having me.

Den Rest des Tages bleibt dann leider auch keine Zeit mehr zum Füße hochlegen, denn irgendwie gibt es am und im Magicbus ja immer etwas zu tun:
Weitere Reiserecherche – wer wie wann wohin als nächstes?
Dann muss es dringend zum duschen gehen im 700m entfernten Duschhäuschen. Wieder Slalomlauf im Dauerregen, um eine erfrischende Dusche zu genießen, die auf kanadische Holzfäller abgestimmt ist: Wasserstrahl hart, Temperatur kalt. Kein Weicheiercamping ist das hier auf der kanadischen Kumbh Mela, die das Outdoordasein mit all seinen Facetten feiert, auf die harte Tour.
Unter einer Schönwetterplane auf die der prasselnde Regen klopft wie dicke Spechte an den … genau!…wie dicke Spechte an den Pinien, kochen sich die Nudeln natürlich nicht von selbst. Wobei: die Nudeln tun das schon, aber die Soße will gemacht werden.

Gespült wird im Dauerregen per Hand mit kaltem Wasser, das wir in unserem Wassersack herantragen, 700m bis zum Duschhäuschen im Slalomlauf unter Pinien hindurch, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte. Ohne Seife natürlich. Denn Seife ist für Weicheier.

Bis zum Abend leert sich der Platz mehr und mehr. Viele Kanadier flüchten – sehr wahrscheinlich auf überdimensionale Fernsehsessel, die in überproportionalen Häusern stehen, auf riesigen Grundstücken. Dort werden heute Abend sicherlich tausende von kinoleinwandgroßen TVs angeworfen, Biere in Literhumpen ausgeschenkt und kiloweise Steaks auf Monstergrills geladen. Und so viele Sparerips, dass man selbst aus einer Einzelportion eine ganze Schweinefamilie wieder zusammensetzen könnte – inklusive Schwippschwägerinnen und Angeheiratete.

Wir aber, wir bleiben schön hier.
In unserem kleinen Magicbus. Ohne TV und vegetarisch.
Wir aber, wir bleiben schön hier.
Momentan ohne festen Wohnsitz und vor uns die Welt.
Wir aber, wir bleiben hier.
700m bis zum Duschhäuschen im Slalomlauf um alle Pfützen herum, die uns der Dauerregen schenkt.
Und die ganze Zeit unter Pinien.

Naturpark-Hopping

Was gestern noch geschah:
Das Campfeuer hat dank Chéries Pfadfinderinnenskills irgendwann mit dem Qualmen aufgehört. Und dann kam der Waschbär. Im Stockdunkeln direkt neben dem Magicbus. Kurzer Moment der Todesangst, verzweifelte Suche nach dem Bärenspray (sinnlos, da tief im Bulli vergraben) und der Taschenlampe, wie ging die nochmal an?… und dann sitzt er da, offensichtlich angepisst von dem Streß, den wir da machen… um dann mit augenscheinlich schlechter Laune davonzudackeln…

Zurück zu heute:
Chérie ist froh, die Nacht ohne weitere Bärenattacken überstanden zu haben. Dafür zum Frühstück der nächste Wildlife-Besuch, ebenfalls nur mäßig zutraulich, dabei sollte er eigentlich dankbar sein, dass wir nicht direkt auf seinem Höhleneingang geparkt haben! Was für ein Tier er nun ist verrät er uns leider nicht.

Wie nun weiter? Eigentlich würden wir gerne noch eine Nacht hier bleiben, geht aber nicht, weil langes Wochenende in Kanada, irgendein Nationalfeiertag, unser Plätzchen zwischen Waschbär und Was-auch-immer-Tierchen ist bereits ausgebucht. Also weiter nach Westen, zum Algonquin-Park, mit etwas Glück ist’s da ja auch schön…

Fährefahren über den Ottawa-River:

Stau bei Ottawa, nach 100 Kilometern erster Stop mit randvoller Blase bei Cabela’s, Gas und Mückentot kaufen:

Schnell noch stylish den Bulli volltanken, wir sind in Ontario, Diesel für 1,48$ pro Liter (knapp 1€), für die Kanadier sündhaft teuer, für die Globetrottels ein Schnäppchen.

200 Kilometer endlose Landstraße, auf der Route 60 durch die traumhaften Wälder und urige Dörfchen Ontarios.

16:30 Chéries Frustrationstoleranz beim Versuch, bei eher mäßigem mobilen Internet on the road einen Campingplatz zu buchen ist aufgebraucht.

17:00 Trost durch Großeinkauf im letzten Dörfchen vor’m Nirgendwo.

17:30 Uhr Einfahrt Nationalpark, Algonquin Provincial Park, das Büro am Gate hat unerwarteter Weise noch geöffnet. Camping geht nur mit vorheriger Reservierung, das übernehmen die netten Rangerinnen aber gerne für uns, auch wenn eigentlich alles ausgebucht ist – langes Wochenende und Frühlingsbeginn, ganz Kanada will in die Natur. Ein einziges Plätzchen (von tausenden) ist noch frei… „Yes!!!!“, das nehmen wir…

Der Two-River-Lake-Campground bei einsetzender Dämmerung und Regen: Hunderte von Zelten, Wohnwägen und RVs im riesigen Waldgebiet, und ganz hinten am Fluß noch ein freier Platz: Unserer!

Campen mitten im kanadischen Naturpark hatten wir uns naiverweise einsamer vorgestellt – und trockener: 2 Tage ergiebiger Dauerregen sind angesagt. Aber wir hätten uns ja auch vorab klug machen können, dass es an diesem Wochenende wirklich ganz Kanada in die Wälder zieht…

Erstmal lecker kochen:

WE R 1 – je me souviens

Schlafmütze obligat – daran kann man sich schnell gewöhnen. Mit ein bisschen Phantasie hat es sogar etwas sehr Schönes einen warmen, mummeligen Kopf zu haben, während die Nasenspitze kälter als die Schnauze eines Huskys ist, weils draußen mal wieder friert. Und nur eine Zeltwand zwischen uns und der Welt über die ein strahlender Nordstern wacht. Als gutes Omen an Vatertag.

Nach einem Plausch mit unserem Québecer Nachbarn, der uns nur darin bestärkt Montréal zu knicken („I can´t blame you. Too many people.“), ist es Zeit für uns weiter gen Westen zu ziehen. Ohne die kleine, verschreckte Meise, die kurzzeitig Gästin im Magicbus ist. Verflogen. Nicht schlimm. Ist uns auch schon oft passiert im Leben.

Zurück auf dem transcanadischen Highway, der heute hinter den Windschutzscheiben mit wildem Leben auf uns wartet.

Ein Murmeltier hält Ausschau am Straßenrand – womöglich nach einer lang vermissten Geliebten, die ihn vor Urzeiten für einen Jüngeren verließ.
Ein Truthahngeier (ich konnte meinen Augen selbst kaum trauen. Ja, es gibt Geier in Kanada) frisst ein frisch überfahrenes Stinktier.
Wanderdrosseln mit dicken roten Bäuchlein fliegen unterm Radar von undefinierbaren Raubvögeln, mit denen man sich auch namenlos zweifelsohne nicht anlegen wollte.
Nur die Elche, die lassen sich noch immer nicht blicken.

Kurzer Stopp im Walmart: der Bulli braucht neues Öl.
Und weil an diesem ersten Frühlingstag in Kanada wirklich alles klappen will, bekommen wir nicht nur das passende 10W40, sondern auch die letzte Flasche Magicbus-kompatibeln Kühlwassers und grünen Spargel im Angebot.

Der Plaisance Provinzialpark kurz vor Ontario hat heute ein Traumplätzchen für uns. Heute steht der Magicbus so, wie sich mein beschränkter Kopf Kanada immer vorgestellt hat:
Mitten im einem frühlingsgrünen Wald, in dem Streifenhörnchen toben und angeblich auch Schlangen kreuchen. In einem frischen Lenzenforst, in dem großblütige Waldlilien blühen und Murmeltiere galoppieren können. Die pummeligen Wanderdrosseln zwitschern ihre Lieder, irgendwo kloppt ein fleißiger Specht bestimmt kanadisch gigantische Löcher in alte Bäume, die Geschichten erzählen und irgendwo –in weiter Ferne– tutet leise eine anachronistische Eisenbahn und träumt von einem Goldrausch, der noch kommen wird.

Unser Lagerfeuer brennt knisternd – zugegeben: auch diesmal waren es erst 30 Minuten quälender Rauch vorab, das liest sich in der Geschichte aber nicht so romantisch.
Trotzdem sei gesagt: so lässt es sich arbeiten. Ergo: happy hustend, einen Blog schreiben. The best things in life und so are free….firestarting.

Dies wird wohl unsere letzte Nacht in Québec sein. Québec – französischsprachiger Staat in diesem endlosen Land. Ein Staat, der seine Autokennzeichen untertitelt mit “Je me souviens”.

Heute flog ein dicker Pickup am Magicbus vorbei, dessen Nummernschild ganz wunderbar dazu passte, zu diesem québec´schen “Ich erinnere mich”.

“WE R 1” stand dort.
“WE R 1 – je me souviens.”

Wir sind eins – ich erinnere mich.
Ich erinnere mich: wir sind eins.
What an important reminder.

Blame it on the rain in Québec

Dort stehen wir also: vor den Toren der Stadt, die so unfassbar sehenswert sein soll, dass ihr selbst im dünnsten Kanadareiseführer einige Seiten gewidmet sind. Dort stehen wir also an diesem Morgen und haben so ganz und gar keine Lust, Québec zu sehen.
Sicherlich ist diese Unlust den Umständen geschuldet. Momentan dürstet uns nach Ruhe und Natur. Was also tun? Wohlwissend, dass wir niemals wieder in unserem Leben nach Québec kommen werden. Einfach links liegen lassen geht ja eigentlich auch nicht. Oder doch? Wir entscheiden uns für einen abgespackten Mittelweg. Der unaufhörliche Regen kommt uns hierbei sehr entgegen. Im Zweifelsfall: Blame it on the rain.
Wir halten die Besichtigung kurz und ohne konkrete Anlaufpunkte. Einfach schnell rein, flott umschauen und schnell wieder raus. Für gar nicht rein sind wir dann trotzdem noch einen Hauch zu restneugierig.

Québec im Regen – ist ganz nett. Bunte Häuser, szenige Lokale, wir trinken Kaffee im angesagtesten Baristacafé der Oberstadt, kriegen unterm Tisch einen gewischt, weil Stromkabel offenliegen. Anyway, vielleicht hilft das gegen die Regenstimmung. Mini-EKT für die Globetrottels.

Mit Hipster-WLAN buchen wir zwischen Double Shot-Cappucchino und Parmesansalat den Campingplatz für heute Nacht. Im siebten Anlauf klappt das, wir erhalten eine Buchungsbestätigung, die uns Google mit »Nervenzusammenbruch« übersetzt. Ehrlich. So etwas kann man sich ja nicht mal ausdenken, wenn einem zum Scherzen zumute wäre…

Über verregnete Kopfsteinpflastergassen schlurfen wir noch zur Basilika Notre-dame, um ein großes Kerzchen anzuzünden. Das Wichtigste, das in dieser Stadt für uns zu tun ist. Danach lassen wir Québec wieder Québec sein; wohlwissend, dass wir dem alten »Stadacona« mit unserem Besuch natürlich nicht gerecht geworden sind.

Trotz allem ist es schon wieder später Nachmittag, als wir auf dem Campingplatz am Flussufer des Saint-Laurent-Stroms einrollen. Dank Gott regnet es noch immer: wir dürfen uns also den Rest des Tages dem Nichtstun widmen.
Nichtstun, Kräfte bündeln, zu uns kommen – und das gute WLAN nutzen, in der Hoffnung, dass hierüber nur gute Nachrichten einströmen.

530 Kilometer bis Quebec

Reicht für heute

…and the world will live as one.

Hillsborough hat es gut mit uns gemeint: mit einer sehr ruhigen Nacht, in der nur die Zikaden ein Schlaflied zirpten. So also klingt New Brunswick zwischen Sonnenunter- und -aufgang. Zirpzirp zirpzirp zirpzirp. So einlullend, dass selbst die rostigen Lokomotiven und der abgehalfterte Kampfjet der Canadian Airforce nicht aufgewacht sind.

Zum Frühstück ruft ein Café wie aus dem Märchenland. Hinter einer bonbontürkisen Front, unter einem rostroten Dach werden in Hillsborough von Zauberhand die besten Cinnamonrolls der Welt gebacken. Mit Sahne obendrauf, double shot. Nicht nur, weil die Menschen hier so strahlend sind und der Ort so magisch, lassen wir uns gleich vier einpacken. Es ist bereits der Geruch, der süchtig machen kann. Vom Geschmack gar nicht erst anzufangen: zimtige Tröstlichkeit Bisschen für Bisschen, so als würde man pure Herzenswärme knabbern.

Es ist noch nicht mal Mittag, den Kalorienbedarf des Tages haben wir bereits gedeckt. Bestens gesoulfooded können wir jetzt durchstarten.

Ums Eck liegt New Brunswick bekannteste Sehenswürdigkeit: die tidenumspülten Hopewell Rocks. Mit bis zu 14 Metern Tidenhub sind sie entweder die beebbtesten oder aber die überflutetesten Felsen der Welt. Nirgendwo sonst ist die Differenz zwischen Ebbe und Flut größer. Zumindest nicht auf dieser Erde.

Der Park hat noch geschlossen. Warnungen hingegen hängen großflächig aus: Achtung! Plötzlicher Tidenhub, Gefahr von Steinschlag, keine erste Hilfe möglich, Telefonnetz nicht vorhanden. Alles klar, rein da. Mal wieder weitestgehend alleine – an einem Ort, der in der Hauptsaison vor Menschen brummen muss, glaubt man unserem Reiseführer.

Wieder einmal haben wir teuflisches Glück. Von oben können wir bereits dabei zusehen, wie das Wasser sich zurück zieht. Hopewell Rocks bei Ebbe. Wir können den Felsgiganten also ganz nah sein. Es kostet nur ein paar matschige Schuhe. Und ein ganz kleines bisschen Mut und Wahnsinn.

Das nächste Örtchen hinter den Felsen heißt Alma. Wie Seele. Passt sehr gut zu den Zimtschnecken von morgens. Morgens Soulfood, mittags Alma. New Brunswick meint es gut mit uns.

In Alma ist ebenso wenig los. Ebbe im Hafen, die Boote liegen trocken. Ein Denkmal für Molly Kool am Kai. Die Coole wurde 1936 –mit erst 23 Jahren– Nordamerikas erste Seekapitänin. Eine Verneigung vor der Chuzpe dieser Vorreiterin, die sicherlich sehr gut sehr scharf am Wind segeln konnte, muss hier sein.
Ein kurzer Blick in Almas Lobster Shop: Arme Viecherchen mit verklebten Scheren, die –teils übereinander lagernd– verzweifelt versuchen, einem Bassin zu entkommen, während ihre Kompagnions einen halben Meter weiter lebend ins Wasser geworfen werden. Ich bin mir nicht sicher, aber glaube: So lecker kann nichts sein. Alma-los in Alma.
Am Hafen futtern wir lieber unser Baguette von gestern und trinken kalten Kaffee, bevor die Weiterreise für heute nun wirklich beginnen soll.

Über den Fundy Nationalpark (wieder keiner da) auf den TranscanadianHighway, hier “Highway of heroes” genannt, vorbei an First Nations Orten mit so klangvollen Namen wie Nackawic oder Oromocto. Dauerwarnung vor Elchen, die wir nicht sehen, stattdessen einen Fuchs, der angstfrei in Richtung Autobahn pest. Möglicherweise eine Molly Kool der Fuchsartigen.

Bei sich neigender Sonne erreichen wir Woodstock. Nicht DAS Woodstock, sondern deren kanadische Namensvetterin.
Ein bisschen wie Hippies fühlen wir uns trotzdem, als wir direkt mit Blick aufs Wasser einparken und den Sonnenuntergang mit offener Schiebetür im Magicbus erleben…
You may say I´m a dreamer. But I´m not the only one.I hope some day, you´ll join us. And the wooo—ooorld will live as one.

Westwärts

Westwärts. Ab heute geht’s nur noch westwärts. Runter von unserer schönen, internet-armen und seit heute morgen auch verregneten Cape-Breton-Halbinsel zurück aufs Festland. Und da erstmal zum Tim Hortons, mit der Kaffeemaschine kennen sich die Sikhs mittlerweile aus.

Von hier aus rüber zum Subways. Mit dem Bulli natürlich, die 100 Meter würde hier kein Mensch freiwillig zu Fuß gehen. Für ein vegatarisches Sandwich schon gar nicht…

Highway 104. Östlichster Abschnitt des »Trans Canadian Highway«, mit dem werden wir jetzt ein paar Tausend Kilometer zu tun haben, erstmal bis in die Rocky Mountains. Westwärts natürlich.
Der Bulli schnurrt brav durch die kanadische Landschaft – so gut ein fast 30 Jahre alter Schiffsdieselmotor halt schnurren kann, ein bisschen scheppern, quietschen, gluckern, klackern, klopfen und noch ein paar Geräusch, für die es keine Namen gibt sind wohl auch dabei, vor allem bei Vollgas im 3. Gang die sanften Steigungen rauf – was für ein Glück, daß die Kanadier so ein nettes Völkchen sind, Gedrängelt wird hier nicht mehr als unbedingt nötig.

Wie das mit der Pannenhilfe hier ist googlen wir trotzdem lieber noch mal nach, da gibt es wohl irgendeine Partnerschaft vom ADAC mit der Canadian Automobile Association… Bitte, lieber Magic-Bus, halte durch!

Nach 200 recht meditativen Kilometern Trans Canadian Highway scheint die Frage erlaubt, wie die fraglos wunderschönen, aber auch recht natur- und landschaftlastigen zigtausend Kilometer sich wohl gestalten werden – Vielleicht ist Spotify tatsächlich eine gute Idee…!?

Mittagspause irgendwo auf halber Strecke, statt europäischen Schmuddelrastplatz gibts kanadischen… nennen wir es »Aneinanderreihung sämtlicher Fastfoodketten der Menschheit in trister Vorortmelancholie«. Tanken kriegen wir noch ganz gut hin, die Sache mit dem Essengehen bei »Wendys« erweist sich als schlimmer Fehler. Positiv erwähnen ließe sich die supernette Bedienung, aber das ist ja eh klar, wir sind ja in Kanada. Mit dem National-Food Putine braucht uns allerdings keineR mehr zu kommen…

Weiter gehts auf Highway 104, raus aus Nova Scottia, rein in den nächsten Staat, New Brunswick, der mit den wenigsten Seiten im Lonely Planet… Wichtigste Attraktion ist der Tidal Hub, bis zu 12 Metern Gezeitenunterschiede hat der Atlantik hier. Und den gucken wir uns nach rund 400 Kilometer in Moncton an. Neben potentiellen Übernachtungsplätzen, die Overlander-App schlägt hier Parkplätze am Sportpark oder hinter dem Künstler-Café vor, so richtig cosy wollen die uns aber nicht vorkommen.

Also erstmal zurück zur Tidal Hub. Um 17:24 soll die Welle, mit der sich die Flut hier den Fluß hochschwuppt hier ankommen. Wir sind früh dran. Eine handvoll Schaulustiger hat sich schon eingefunden, wir sichern uns unseren Viewpoint-Platz in der ersten Reihe, und da rollt sie schon heran, 5 Minuten zu früh, Chèrie ist hochempört ob dieser Unpünklichkeit, und schon ist sie vorbeigeschwappt, die rotbraune Atlantik-Flut-Brühe… Zugegebenermaßen ein beeindruckendes Erlebnis von Naturschauspiel… dessen genaue geologischen und physikalischen Abläufe wir hier natürlich mühelos erläutern könnten, aber dafür gibt es ja auch noch Instagram und Wikipedia…

Genug von Moncton. Eine schöne Altstadt- und Kneipenecke soll’s hier noch geben, wir entscheiden und trotzdem für die Übernachtung für den Stellplatz im 20 Kilometer entfernten Hillsborough, dem sympathischen 1.348-Seelen-Dörfchen mit legalem Stellplatz für WoMo-Übernachtende – inklusive rund um die Uhr geöffneten WCs neben der Touri-Information, ein Luxus, den wir uns auf gar keinen Fall entgehen lassen!

Wir lassen uns (bzw. den Bulli) auf dem Schotterparkplatz zwischen Düsenjäger und Eisenbahnmuseum nieder, bewundern angemessen die lokale Autotuner-Poser-Szene, kurze Örtchenbesichtigung: Kirche, Friedhof, German Bakery alles da, alles schön, alles sympathisch.

Good night und Bon nuit – New Brunswick* ist bilingual.

Haushaltstag am See

Man müsste textlich schon ziemlich versiert sein, um aus den Ereignissen dieses Tages einen Hauch Abenteuer rauszuholen. Oder überhaupt irgendetwas lesenswertes. Denn heute war lediglich Haushaltstag – irgendwo an einem sich kräuselnden See unter der ostkanadischen Sonne, 14 Grad, immer noch gänzlich ohne Frühling in der Luft. Einfach mal nichts lesenswertes zu erleben. Das ist ganz genau richtig so. Und wichtig.

Handeln wir diesen Tag also stakkato ab. Ganz ohne Poesie oder tiefgründige Gedanken – die schweben außerhalb des Textes eh weiterhin unsortierbar herum, wollen heute aber nicht geschrieben werden. Pragmatisch zu den praktischen Dingen. Noch praktischer: geschrieben als To-do-list, die wir heute einfach stoisch abarbeiten.

1) Ausschlafen:
Bis acht Uhr. War nötig. Denn die letzte Freistehnacht bei Minustemperaturen sitzt tiefer in den Knochen als erhofft. Ein AntiAbenteuerSleepIn sozusagen. Ohne zu träumen, dass ein Bär mit seinen Tatzen an der Blechbüchse namens Magicbus kratzt, in der Hoffnung auf abgestandenes Dosenfutter aka Die Globetrottels.

2) Kaffeekochen:
Auf dem Campingkocher am See. Mit Gaffeegochkas. Heute: die Sturmvariante. Bereits kurz nach Sonnenaufgang bläst ein Polarwind mit mindestens 6 Beaufort über den See. Wie gut, dass Michael uns erste Reihe am Wasser platziert hat. So erleben wir diesen Morgenhauch ganz unmittelbar, vis-a-vis. Drinnen kochen kann jeder – zumindest der, der eine Kochvorrichtung IM Bus hat. Die hat der Magicbus nicht. Natürlich nicht.

3) Frühstück:
Chouchou erlebt das erste Mal Erdnussbutter. Nachdem er die ersten 3 Esslöffel Palmöl aus dem Gläschen abgeschöpft hat. Nichts für Weicheier oder Gourmets. Hat aber Wumms die Nummer, danach kann der Tag starten. Mit Nüsschenpower.

4) Wäsche waschen:
Im Waschbecken der “Washrooms” mit sehr, sehr heißen Wasser. Kochwäsche per Hand für die zarten Merinopullis. Wenn Chouchou das wüsste…
Immerhin müffelt danach nichts mehr. Alle Müffeltierchen tot. Und ich kann mir theoretisch die verbrühte Haut vom Handrücken pellen. Sauber.

5) Wäsche aufhängen:
Dank oben bereits benannter 6 Beaufort verpasst uns jeder einzelne Merinopulli Backpfeifen. Die Klamotten aufzuhängen, indem wir den Rücken in den Wind drehen – darauf kommen wir natürlich nicht. Und so klatschen uns nacheinander auch noch frische Socken, die Unterwäsche der letzten 12 Tage, diverse T-Shirts und Handtücher feucht ins Gesicht. Immerhin macht das eine gute Gesichtsfarbe. Auch das Duschen danach hätten wir uns damit – zumindest halsaufwärts – eigentlich sparen können.

6) Duschen:
Sehr schlimm und sehr denkwürdig, wenn dieser Punkt als separater Tagespunkt auftaucht, quasi als zu erwähnendes Tageshighlight. Man ahnt, auf welchen Hygienestandard wir uns mittlerweile eingegroovt haben.

7) Kochen:
Sturmkochen 2.0. Gewürze, die eigentlich ins Essens gehören landen erneut im Gesicht. Rücken in den Wind drehen ist noch immer keine Option. Ich verkaufe es mir als Salzpeeling. Wäre der Punkt Wellness also auch gleich mit abgehakt.

8) Telefonieren:
Soweit das weiterhin grottenschlechte Netz es zulässt. Die Hoffnung auf eine gute Verbindung ist es, die uns morgen weiterfahren lässt. Denn Telefonieren ist momentan noch wichtiger als Bärenspray auf einer Wanderung.

9) Hilfe angeboten bekommen:
Vom freundlichen Menschen aus dem Monsterwohnwagen nebenan. Vielleicht ist es – neben der kanadischen Herzlichkeit – auch ein wenig Mitleid, das ihn antreibt: Zwei verloren wirkende Globetrottels bei Sturm, rotbackig von der eigenen Wäsche verprügelt und dann nur Schutz in einem so, so ein kleinen Auto: “Whenever you need something: just knock. I´ll be there. For everything.”

10) Tanzen:
Weils anders nix nützt. Ein Tag ohne Tanzen ist ein verlorener Tag. Das steht sogar noch vor Yoga.

11) Blog tippen:
Schnelle Angelegenheit. Denn heute ist nichts lesenswertes passiert. Irgendwo an einem sich kräuselnden See unter der ostkanadischen Sonne, 14 Grad, immer noch gänzlich ohne Frühling in der Luft.

Einfach mal nichts lesenswertes erlebt. In 11 Punkten. Das ist ganz genau richtig so. Und wichtig.
Morgen darfs dann weiter gehen.

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