Die Globetrottels

Unterwegs im Magicbus

Tage wie diese…

Ein Tagebuchtext so kurz, dass man ihn sich eigentlich sparen könnte.
Einer dieser Tage, an dem wenig berichtenswertes passiert.
Einer von diesen Tagen, die überlebenswichtig sind — solange man nicht allzu zu viele derer aneinander reiht.

Nach einem Abend mit Kaminfeuer und Badewanne wurde erst lustig geträumt und dann ausgeschlafen.
Nach einem Frühstück treten wir erneut den Weg zur andalusischen Bergwacht im Dorf an. Um herauszufinden, ob es für uns irgendeinen Möglichkeit gibt, auf den höchsten Berg ums Eck zu steigen: den Mulhacén.
Eine Eskalation: persönlich vorstellig werden!, nachdem weiterhin niemand auf unsere email antwortete, nachdem sich alle drei existierenden Telefonnummern entweder als „kein Anschluss“ entpuppten oder aber einfach niemand dran ging. Selbstschweigend ohne AB.

Trotz angeschlagener Öffnungszeiten erreichen wir: niemanden. Ein weiteres Mal unserer kläglichen Versuche.
Vielleicht ist das auch ein Zeichen!? Egal, wie beleidigt wird sind:
Mulhacén ist möglicherweise nix für fusslahme Globetrottels mit ausgelatschten Schuhen in einem Mai, der noch mit Schnee auf den Gipfeln aufwartet. Die Berggötter haben es eingerichtet: kein Anschluss unter dieser Nummer.
Schade. Sehr schade ist das, wenn auch ggf vernünftig. Eine Geschichte zerrütteter Gipfelsturmträume.

Den Rest des Tages verbringen wir auf der Terrasse, lesend in der Sonne. Nur ein einziges Mal passiert etwas erwähnenswertes:
Ein Kastenwagen mit Megaphon drückt sich durch die engen Gassen und bietet „junge Kartoffeln und süße Melonen“ feil. Hochbegeistert an der Balkonreling stehend, sind wir leider nicht schnell genug, unser Kleingeld zusammen zu sammeln und flott nach unten zu rennen.
Als wir endlich soweit sind, biegt das lärmende Mobil schon wieder um die nächste Ecke. Wir bleiben heute also nicht nur gipfel-, sondern auch melonenlos.

Es gibt nur wenig schöneres, als ein gutes Buch zu finden, darin versinken zu können und die Zeit zu haben, es in einem Schwung durchzulesen zu dürfen. Genauso wie ein Blick auf zerklüftete Berge, wie dauerhaft milde Sonne auf dem Kopf, wie „just be“. Chouchou macht irgendwann ein Mittagsschläfchen und dann ist auch schon wieder Zeit, ein Feuerchen zu entzünden.

Einer von diesen Tagen, die auch mal überlebenswichtig sind. Zumindest, solange man nicht allzu zu viele derer aneinander reiht…

Wir brauchen hier einen Torero!

Ein Spaziergang durch den Garten Eden. Mit allen Schikanen, die dazu gehören.

Nachdem wir lecker ausgeschlafen haben, gibt es für uns heute nur ein kleines Fussprogramm.
Einmal die Schlucht hoch — bis zum verlassenen E-Werk — und wieder runter. 8,9km und 426 Höhenmeter ohne Gepäck. Ein Genussspaziergang, immer den Mulhacén in Sichtweite, den höchsten Berg des spanischen Festlands.

Mulhacén. Das ist der Berg, von dem wir seit ein paar Tagen träumen. Wir träumen, in den nächsten Tagen ein einziges mal dort hoch zu kommen. 3479 Meter über Null. Wie toll das wäre! Aber auch machbar? Nur mit Jakobswegequipment? Hier ist es sinnvoll, ein paar Expert*innen mit ins Boot zu holen.

Leider hat sich auf unsere Emailanfrage an die andalusische Bergwacht bezüglich der momentanen Machbarkeit bisher niemand gemeldet. Deren Büro im Dorf hat lediglich von Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Da müssen wir morgen früh also dringend hin. Wegen der Träume und so, in abgelatschten Schuhen und so. Das aber ist erst morgen.
Zurück also zu heute.

Diese Wege machen Freude, diese Wege machen Spaß. Den Wegesrand in den letzten Tag zu Hauf beschrieben, bekommt man von Wildblumen trotzdem nie genug. Wieder Wildblümchenwiesenparadies in mitten der Wasser der hohen Berge. Genau so steht es auch am Fluss beschrieben: „aguas de alta montaña“, genauso darf es noch hundert mal auch in diesen Zeilen beschrieben werden. In einem Text, der eh mir gehört, in dem ich ergo so oft schreiben darf, wie ich es will: Wildblümchen, Wildblümchen, Wildblümchen…

Wir kommen an engagierten Pferchen vorbei, die des euphorischen Wieherns nicht müde werden. Sie leben neben der verlassenen Kirche, die einst die Arbeiter des E-Werks bekehren, trösten, zusammenhalten sollte. Heute ist hier ihr Heulager mit einem gruseligen Graffitti darin: ein Baby ohne Gesicht, dessen Loch im Kopp gähnend leer die menschenleere Schlucht hinauf starrt.

Wir stiefeln in ein verlassenes Haus und inspizieren die Einbruchsicherheit. Am ehesten: mangelhaft.
Ein spanisches Pärchen nähert sich laut schnatternd über den ansonsten einsamen Wanderweg, sieht uns in der
Ruine allerdings noch nicht.
Aus reiner Lustigkeit am Leben stelle ich mich wie eine Schaufensterpuppe in eines der verlotterten Fenster: nicht bewegen, einfach blöde und unbewegt grinsen, kleines Spässken machen.
Der Gag verfehlt sich selbst leider mehr als geringfügig, da Chouchou —in seiner Menschenfreundlichkeit— laut „Hola“
brüllt, damit Luisa und Pepe sich nicht zu Tode erschrecken beim Anblick meiner perfekten Pantomine. Immerhin schafft es meine „Kunstinstallation am eigenen Leib“ zu einem gemeinsamen Lacher. Gut so, denn Luisa und Pepe müssen uns kurz darauf noch das Leben retten. Da schadet ein gemeinsamer Lacher vorab rein gar nix.

An einem freundlichen Schäfer auf einer Schrägwiese vorbei, sehr wahrscheinlich kommt er mit seinen Schafen und Ziegen in den letzten achtzig Jahren täglich hierher.
Ein uralter Greis, der deutlich besser zu Fuß ist als wir beiden zusammen. Vielleicht sogar besser als seine Hunde, die eher gemütlich betagt in einem ‚Tag wie alle Tage’ herumschnüffeln.
Kurz darauf folgt die Kuhherde, leider gänzlich ohne Hirte, leider auf einer sehr engen Schneise und man merkt den Herrschaften sofort an, dass sie diese hirtenlose Freiheit sehr genießen.

Eigentlich wäre es an uns allen —Kühe und Wandernde— einen guten Kompromiss für alle zu finden. Wer hat hier Vorfahrt, wer geht zuerst?
Ähnlich wie bei Brutus, dem einsamen Moschusochsen aus Schweden, aber gilt: Lebewesen mit mächtigen Hörnern müssen nicht diskutieren. Lebewesen mit mächtigen Hörnern haben IMMER Vorfahrt.
Also heißt es für uns, ängstlich an den Hang gequetscht zu warten. Dass sich wenigstens eine Kuh der Herde erweichen lässt, zumindest ein klitzekleines Stück voran zu gehen.
Die Kühe aber tun: nichts. Außer wiederkäuen.

Nach zehn Minuten Bangnis nehmen wir uns ein Herz und wollen versuchen, uns an der ersten (von zwanzig) mit angstgeweiteten Augen vorbei zu schieben.
Die Kuh starrt uns ungläubig an und dreht dann ihren massigen Körper in unsere Richtung. Friedlich, aber bestimmt, auf einem 30cm breiten Pfad, den wir uns eigentlich teilen sollten (wollte ich nochmal sagen!). Dann macht sie kauend einen Schritt nach vorne, uns in keinem Moment der Konfrontation aus den Augen lassend. Zeit für uns, zügig zurück ins Gestrüpp zu flüchten. Kühe müssen ihre Wege nicht teilen. Niemals.

Da stehen sie nun am Steilhang: die ängstlichen Globetrottels, durch und durch Städter, aber mit ganz großen Phantasien, irgendwann einmal Naturburschen zu sein. Leider ist dieser Moment nicht heute.

Nach weiteren 15 Minuten am Hang hängend (die Kühe machen weiterhin leider gar nichts außer wiederkäuen) hören wir plötzlich Stimmen hinter uns. Luisa und Pepe kommen den Weg entlang. Endlich naht Rettung — auch wenn sie wenig nett eingefädelt ist. Taktik: einen spanischen Toro bei der Männlichkeit packen. Also rufe ich —so herzerweichend wie es irgendwie geht: „Ayuda! Necessitamos un torero aqui!“
Hilfe, wir brauchen hier einen Torero!
Ethisch unsaubere Nummer, ich weiß, aber wir sind in Not, die bekanntermaßen kein Gebot kennt.

Pepe macht den Job bestens. Was soll er auch sonst tun?
Während Luisa sich —in Sicherheit—mit uns an den Hang hängt, bewaffnet Pepe sich mit einem Stock. Ein halbstündiges „Venga! Venga!“, Pfeifen und drohen folgt. Mitten in einem Flüsschen stehend, an einer uneinsichtigen Bergkurve, versucht er, die Kühe irgendwie in Bewegung zu bringen. Ich flüstere Luisa entschuldigend zu: „Disculpame, wir kommen aus einer Gegend, in der es keine Kühe gibt.“ „Ich auch nicht,“ sagt Luisa. Sie ist aus Cádiz und hängt mittlerweile ängstlich an meinem Arm, während Pepe —im Auge des Kuhsturms— erneut: „Venga! Venga!“ schreit.

Schlussendlich dauert die Nummer fast eine Dreiviertelstunde. Denn spanische Kühe lassen sich nicht unter Druck setzen. Es hat sich anscheinend rumgesprochen, dass ein vermeintlicher Torero nicht allzu gefährlich sein kann, wenn dessen Matadore ängstlich an einem Steilhang hängen.
Es ist reine, kuhliche Gutmütigkeit, dass sie irgendwann freiwillig den Weg frei geben. Für die erschöpften Wandernden. Oder ist’s, weil’s ihnen einfach zu langweilig wurde. Wer könnte es ihnen verdenken?

Gesund und munter erreichen wir unser Appartment lange nach der Siestazeit — durch Schmetterlinge und unter roten Rosen hinweg. Nach einem Spaziergang, der vollendens abenteuerfrei geplant war.
Abendessen auf der Terrasse, die Agenten von gegenüber zeichnen weiterhin unsere Gespräche auf und lesen —sehr wahrscheinlich— auch diesen Text.
Vielleicht arbeiten sie mit der Herde zusammen!? Wer weiß es schon?
Zeit, heute Abend ein Kaminfeuer zu entzünden, da uns die netten Gastgeber Holz vor die Türe legten.
Möglicherweise ist es für Rauchzeichen in Not gedacht!?


Magisch denken in den Alpujarras

Ab heute bleibe ich für immer dabei: es gibt nichts Besseres zum Frühstück als Manchego in dickflüssigem Olivenöl auf getoastetem Brot. Keine Ahnung, wie ich ohne so alt werden konnte!?
Ab heute weiß ich: ein Leben ohne Manchego in dickflüssigem Olivenöl ist möglich, aber sinnlos! Aus purem Nachholbedarf verdrücke ich also gleich sechs Scheiben davon. Weil drin is, wat drin is. Runterspülen mit Gazpacho.

Heute liegt nur eine sehr kurze Etappe vor uns. Von Pampaneira nach Bubión nach Capileira. Netto: 5,2km und 440 Höhenmeter. Eine Etappe ganz genau nach unserem Geschmack.

Auf diesem Teilstück scheint es den GR7 wirklich zu geben. Die Wege sind ausgetreten und ohne Lupe zu finden. Durch begehbares Wildblumenland sammeln wir Blütennektar mit unseren Tentakeln ein: das Gelb auf den Hosen wird nie wieder rausgehen. Gut so. Wildblumennektarbuxen.

Einige Dropoffs, nicht sonderlich beängstigend. Dann kriecht eine riesige Schlange vorüber. Wir rasten auf satten Wiesen, auf denen der wilde Fenchel wächst. Obstbäume im Überfluss, ein Teppich Gänseblümchen, mohngeküsst. Ein Land beschenkt vom ewigen Wasser der hohen Berge.

In Bubión treffen wir pünktlich zum mittäglichen Verkehrschaos ein: drei Autos stehen schräg am Platz, unklar, wer als erster kam und fahren dürfte. Geschrei ertönt: seitens der Fahrenden und seitens der Herren auf der Parkbank, die es sich nicht entgehen lassen, im erhofften Chaos (endlich passiert mal was!) mitzumischen und lautstark zu kommentieren. Der hochsensiblste von allen kreischt beim Zurücksetzen ders Handwerkerkastenwagens: „No quiero morir! No quiero morir!“ Sein Wunsch soll heute in Erfüllung gehen: an dieser Kreuzung wird an diesem Dienstag —wenn auch wider Erwarten— nicht gestorben.

Bis Capileira ist es nun nicht mehr weit, allerdings nochmal 150 Höhenmeter höher. In den Ort geht’s erst am schönsten Gärtchen der Welt vorbei— kurze Gedenkpause, um zu träumen— dann landen wir an einer ernst gemeinten Absperrung. Also drüber. Auf der anderen Seite sehen wir: der GR 7 bis Bubión ist wegen „gran peligros“ (großer Gefahr) gesperrt. Wie schön, es zumindest im Nachhinein zu wissen.
Do you think there is the danger?! Nee, nee. Die „danger“ war mal wieder auf unserer Seite. Wie damals in der Westbank.

Capileira.
Touristisches Bergdörfchen, das Tor zu dem höchsten Bergen des spanischen Festlands. Die Kirche ist geöffnet und kostenlos: unsere erste Kirche in Spanien. Entsprechend schwelgen wir im wunderbaren, katholischen Kitsch, den niemand schöner als die Spanierinnen beherrscht. Nur die Inderinnen können es noch einen Tick besser — allerdings auf hinduistisch.

Neben einem gigantischen Hund essen wir zu Mittag: Mango-Feta-Dattel-Salat mit einer Sauce, die ans Paradies glauben lässt.
Wahnsinn, wie sehr wir in den letzten Tagen das Essen zelebrieren. Als hätte Gott selbst den Tisch gedeckt. Nur für uns und immer und immer wieder.

Und weil wir in den letzten Tagen so gerne essen, kalkulieren wir unser Budget ein bisschen um:
Wir nehmen eines der günstigsten Apartments im Ort, damit mehr Geld für Restaurants —ab und zu— übrig bleibt. Eine ganz neue Priorität: Vom Fuß- zum Gaumenpilgern.
Wie gut, dass ich —in einem Befreiungsschlag— die viel zu eng gewordene Wanderhose in Granada einfach weggeworfen habe. Zu Gunsten der neuen 15,99€-Decathlon-Buxe in XL, die zwar vorne und hinten (noch viel weniger!) nicht sitzt, aber immerhin sehr viel Platz für Bauch mit Olivenölkäse hat. Geht hier schließlich nicht um Schönheit, sondern darum, vor allem innerlich eine gute Figur zu machen.

Unser Apartment ist trotzdem toll. Am besten: die Aussicht von den Terrasse, auf der wir uns initial vollkommen unbeobachtet wähnen. Aber weit gefehlt.
Beim Abendbrot fällt es uns wie Schuppen von den Augen: die wilden Schornsteine der Alpujarras sind womöglich gar nicht das, wonach sie aussehen!?
Wer ganz genau hinschaut könnte erkennen, dass es sich (ggf.!?) um verdeckte Spione handelt. Einer hält eine Pfeife in der Hand, der andere hat ein Abhörmikrophon auf uns gerichtet. Und es werden mehr, immer mehr. Ein Meer von Agenten als Schornsteine getarnt…

Ach wie schön es sich doch spinnen lässt: in den zauberhaften Alpujarras mit seinen Drachen und Hexen darin. Und den Globetrottels, die immer bereit sind, ein bisschen magisch mitzudenken, wenn’s denn erwünscht ist.


Fersenwellness in Pampaneira

Diese Fersen fordern eine Pause.
Diesmal ernsthaft und diesmal wissen wir, dass es durchaus schlau ist, ihnen aufmerksam zuzuhören.
Statt den nicht existenten GR7 an irgendwelchen Hängen heute weiterzulaufen, bleiben wir einen Tag in Pampaneira: mit einem Örtchenrundgang als Maximum für die Füßchen. Fersenwellness an einem Montag. Ausnahmsweise schlau.

Tatsächlich tun wir heute wirklich nicht mehr, als zweimal durchs Dorf zu schleichen. Einmal im Mittags- und einmal im Abendlicht.
Eine Bergszenerie, die es an einigen Ecken (und mit etwas Phantasie) mit Santorini aufnehmen könnte. Nur ohne Mühlen und Meer und in einem anderen Land. Quasi: andalusisches Santorini für Arme am Rande der Sierra Nevada. Mit lustigen Schornsteinen.
Und wir essen.

Morgens bedienen wir uns am ausladendsten Frückstücksbuffet, das wir seit langem gesehen haben:
Neben 5 Torten, siebzig eingeschweißten weiteren Süßigkeiten, Brot und Gazpacho, Müsli und Joghurts gibt es dutzendweise, plattengewordene Wurstliebhaberträume. Und traumhaften Käse — in Olivenöl schwimmend.

Mittags finden wir ein Terrassenrestaurant, das tatsächlich mehrere, traditionelle Alpujarrasgerichte auf vegetarisch und/ oder vegan übersetzt hat. Unglaublich: wir haben die Wahl zwischen acht (!) verschiedenen Gerichten. Ein Wunder in einem Dorf, das für seinen Schinken berühmt ist.
Wir entscheiden uns für Fencheleintopf und ein unbeschreibliches Bohnengericht, in dem man auch baden wollte. So lecker ist das.

Nachmittags gibt’s Chocolate mit Churros. Die Schokolade so dick, dass der Löffel aufrecht in der Tasse stehen bleibt, die Churros so fettig, dass es von den Finger tropft.

Abends nehmen wir am Sozialleben der Bar teil. Die Touristen sind für heute weiter gezogen, die Alten des Dorfs haben ihre Plätze bezogen. Die Enkel des Wirts springen über das Kopfsteinpflaster mit schmuddeligen Hosen und haben ihre Freunde mitgebracht. Ein spanischer Harvey Keitel führt lebenswichtige Telefonate und übersieht dabei sträflich die rothaarige Schönheit an seinem Tisch, während der Schinken auf unsere Tapa unberührt vor sich hin verwest.
Mit steigendem Abend wird auch der Pegel immer lauter, beim zweitlautesten Völkchen der Welt, irgendwann ist der Hund unseres Tischnachbarns der einzige, der noch einen Überblick über die Gesamtsituation behalten kann.

Ein Fersenwellnesstag in Pampaneira. Unerwartet und gut.
So kann’s morgen weiter gehen.


Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht…

Nachts zwischen Mäuschen geschlafen, ihr quieken direkt neben unseren Ohren: der Soundtrack eines Sonnenaufgangs über Hügeln, auf die wir unverbaubaren Zeltausblick haben. Dieses eines der besten Argumente fürs Zelten schlechthin:
Mitten drin in der Natur, ohne Schutzschild und in erster Reihe Weltaussicht.

Was vollkommen chillig und entspannt beginnt, soll in einem Tag enden, der den Ausspruch: „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht,“ erfunden haben könnte.

Wir starten um 10h, nach vielen Kaffees (endlich mal wieder mit Gaffeegochkas gekocht) und einem netten Plausch mit unseren Paderborner Campingnachbarn. Jedem, der im Mai in Andalusien gedenkt fernwandern zu gehen, dem soll gesagt sein: das ist eindeutig zu spät, wenn man über tausend Höhenmeter vor sich hat.

In Orgiva ist Halbmarathoneinmarsch. Wir kommen pünktlich zum ersten Zieleinlauf mit dem George Clooney der Alpujarras — möglicherweise der schnieke Bürgermeister von Orgiva!?
Wir hocken uns ins Café und lassen erstmal die anderen laufen: eine weitere Stunde Prokrastination unseres Weges. Eine weitere Stunde, in der es immer heißer wird.

Passend zur Hitze des Highnoons laufen wir los. Wohlwissend um die Höhenmeter, die vor uns liegen. Es gibt also nicht mal eine Entschuldigung: die Globetrottels trappeln sehenden Auges ins Verderben.

Bis ins erste Dorf— Soportuja— können wir den Weg noch als „sportlich“ abtun. Diesen angeblichen GR 7, den es nur noch auf den Karten zu geben scheint. Meist geht’s für uns über enge Trampelpfade, die zunehmend zuwachsen, weil kein Mensch hier mehr geht. Furten durch Bachläufe, die aus dem Berg herausdonnern, gerne an ungesicherten Hängen entlang und immer steil. Einmal müssen wir auf allen vieren klettern, um einen weiteren Höhenmeter nach oben zu kraxeln. Unter der brütenden Sonne Südspaniens. Nur letzteres nicht unerwartet.

Mit hoch rotem Kopf nach den ersten 10km rein nach Soportuja. Hier ists lustig. Im gesamten Dorf wird einem okkulten Hexenglauben gefrönt, den niemand so genau erklären kann. Zaubererfiguren an den Ecken, Hexen —als Graffiti, als Statue, als Malerei, als Puppen— überall. Ein Drachenbrunnen, dem Wasser aus dem Intimbereich sprudelt — man kann es sich nicht ausdenken.
Nach einer Cola kühlt unsere Farbe von kirschrot auf blassrosé runter. Wir sind motiviert und guter Dinge die fehlenden Kilometer in Angriff zu nehmen.
Es endet in einem Fiasko.

Das, was vor Soportuja noch als Trampelpfade zu identifizieren waren, löst sich nach dem Ort ganz langsam vollendest im Nichts auf:
Aus Feldweg wird erst Einfraupfad wird Trampelpfad, wird Einspurgang wird zunehmend zugewachsen, wird Weg komplett weg.

Unser Tagesziel in Sichtweite wollen wir eigentlich nicht aufgeben, irgendwann aber müssen wir. In dem Moment, da wir am Steilhang zur linken im Berg hängen, der Tritt noch knappe 30cm breit, vollkommen überwuchert von Gestrüpp, das den Abhang hinabdrängt. Und ein rechter Wanderstock, der plötzlich nur noch ins Leere stochert.
Ein sehr spannender Moment, wenn man plötzlich merkt: rechts unter den Blümchen kommt ja nix mehr. Hier gehts nur noch sehr viele Meter, plötzlich sehr steil bergab.
Im allerletzten Moment machen wir kehrt, uns am Gestrüpp zur Bergseite hin festhaltend, am ehesten am Hang taumelnd, viel Freude beim Umdrehen mit einem dicken Rucksack auf einer solchen Schneise.
GR7: offizieller, europäischer Fernwanderweg? Wann auch immer das mal war, 2024 ist es definitiv nicht mehr so.
Und was übrig blieb war nur noch ein blumengesäumter Suizidtrail. Und die ganze Zeit so angespannt, dass tatsächlich kein Foto geschossen wurde….

Nach einer halben Stunde Suche auf dem Berg nach einer alternativen Runde geben wir auf. Wir müssen zurück, runter zur engen Schnellstraße. Pampaneira vom Berg aus in Sicht: gäbe es den GR7, es wären nur noch drei Kilometer. Retour über die Schnellstraße werden es schließlich sechs sein. Eine sehr spannende Übung hinsichtlich der eigenen Frustrationstoleranz….

Vollkommen erschöpft und mit knallroten Köpfen erreichen wir nach 1100 Höhenmetern und knappen 20km insgesamt kurz vor sechs abends Pampaneira.
Die steilen Straßen mit Wasser inneMitte kann ich leider nicht mehr vorwärtsgehen, ich muss rückwärts die Gassen hoch. Alles egal, Hauptsache irgendwann da. Und diesen Tag: überlebt nennen.

Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht.
Heute war es wirklich fast so weit.
Die Fersen meckern abends ernsthaft: Bürschchen, so geht’s nicht mehr lang!
Wir fallen in einen unruhigen Schlaf. Weil unsichtbare Hexen aus Soportuja an den Zehen ziehen ….


Technisch herausgefordert nach Orgiva mit Porcupineraupe

Das Hostal Manomete hat Wände aus Papier. Am Morgen können wir sagen, dass unser einziger Nachbar, der irgendwann noch einzog, dringend mal seinen Husten untersuchen lassen müsste. Und die Ohren — wegen der Lautstärke des TVs. Und den Kopf — wegen der Schlafstörung.
Da es kein Frühstück gibt, müssen wir nach einem kalten Espresso aus der Dose früher als erhofft raus. Kurz nach neun.

Einen ersten, warmen Kaffee gibt es aus dem Automaten Klippklapp am Straßenrand. Neben gutem Cappuccino für einen Euro führt der auch Crackpfeifen. Eine Wohltat, dass wir nur Koffein brauchen.

In Lanjarón ist die Zeit stehen geblieben. Nicht nur unser Hotel ist seit den 70ern vollkommen unverändert, auch die Wechselstube bietet noch immer an, D-Mark in Pesos zu tauschen.
Am Ende des Orts ein geöffnetes Café um kurz vor zehn., deren Preise sich seit 30 Jahren ebenso wenig verändert haben: Café con leche: 1,20€, belegtes Baguette 3€.
Eines aber ist sehr wohl anders also in den 90ern:
Am Nebentisch werden vier Transfrauen ohne ein Wimpernzucken bedient. In einem Dorf, dem man auf den ersten Blick Engstirnigkeit durchaus hätte zutrauen können. Weit fehl geschlagen, wie wunder-, wunderschön. Ein kleiner Moment, der mich noch lange vor dem Frühstück ein erstes Mal heute glücklich macht. Warum eigentlich nicht immer so!? Leben und leben lassen…

Heute wandern wir abseits der Feldwege, meist auf alten Viehtreiberpfaden. Das Mittelmeer meist in Sichtweite, unendlich weit weg. Am Wegesrand wachsen Oliven, Feigen, Aprikosen, Orangen, Zitronen und wilder Wein — bewässert von kleinen Gletscherflüsschen.
In einer alten Kapelle erloschene Kerzen retten: Pfadfinderehre und Mittagsschläfchen auf alten Terrassen in einer Wildblumenwiese. Dies ist es: ein Hauch vom Paradies— für alle unter uns, die gerne mal Romantiker*in geworden wären.

Der Abstieg nach Orgiva hingegen ist nichts für zartbeseelte Träumende. Emotional wenig berührt könnte man es: „technisch herausfordernd“ nennen, mit hysterionem Gesamtkostüm ist es eher eine „potenziell höllisch hochgefährliche Rutschpartie“. Für uns heute also beides: Chouchou an der Technik und ich im ganzen Rest vom Schützenfest.
Gott sei dank hebt eine Porcupineraupe auf dem Weg die Geister: so schaffen wir es
schlussendlich sogar ohne Sturz, wenn auch teils ungelenkt auf dem Hosenboden.
Der Weg ist der Weg, das Ziel ist das Ziel. Letzteres erreichen wir mit frischen Haxen. Womit ich natürlich niemals gerechnet hätte.

Orgiva.
„Hauptstadt“ der Alpujarras. Vor 8 Jahren waren wir schonmal mit dem Daily hier. An Heiligabend. Und sind schnellstens geflohen vor all dem „Hippie“-Elend, das leider so gar nicht „Hippie“ ist, sondern lediglich „nach dem Highlight verlottert“.
Im einzigen geöffneten Café des Orts zur Siestazeit trinken wir eine Cola. Als einzige — alle anderen Wilden (die komischerweise genauso aussehen wie wir) trinken Bier. Der Barkeeper bringt uns Brot mit Serrano: Sorry, essen wir nicht. Er dreht genervt die Augen: so was von Schnauze voll von Kiffern, irgendwelchen Alternativos und woken Vegetariern. „Dann esst wenigstens die Chips!“ bellt er, während der Schinken mit dem nächsten Windhauch über den Kirchplatz hinfort weht. Keine Metapher, es war wirklich so. Eine Geschichte vom traurig fliegenden Schinken, der gerne ein Schwein geblieben wäre.

Vor dem Supermarkt wird gebettelt. Früher mal englische Subkultur, heute mittags schon besoffen und restgestrandet in Orgiva.
Wir essen die Auslage mit den Augen: mal wieder lohnt es sich für uns nicht groß einzukaufen, weil wir nichts kochen können. Eines der größten Mankos auf diesem Weg, wenn nicht sogar das größte.
Ansonsten —und das fällt uns heute auf!— empfinden wir diese letzten Wochen als wirklich unerwartete Befreiung.
Nur das allernötigste dabei. Alles, was gebraucht wird, auf dem eigenen Rücken mit sich herumtragen zu können. Seltsam eigentlich, dass eigentlich nichts fehlt.
Eine ganz neue Freiheit. (Die aber auch wohl nur dann funktioniert, wenn man eine gedeckte Kreditkarte in der Tasche hat. Seien wir ehrlich.)

Nach über 700km zu Fuß ist heute endlich mal das Zelt dran. Auch, damit es sich gelohnt hat: 700km eine Hälfte des Gesamtgepäcks mitzuschleppen.
Wie sehr es sich hat — sagt jetzt die, die nicht schleppen musste!
Bereits beim Aufbau merken wir, dass wir mehr in unserem eigenen Element sind als jemals zuvor, in jeder dieser Herberge auf der Via Podiensis.

Tütenzelt aufstellen, Matten pusten, Chouchou hängt die Lebensmittel bärsicher in den Olivenbaum. Gelernt ist gelernt und alles mit unverbaubarem Bergblick.
Die WoMoCamper aus Holland und Paderborn haben ein bisschen was zu gucken und registrieren sehr wohl, dass wir um kurz vor sieben ein Dosenbier öffnen.
Drei heimatlose Stühle zwischen topausgestatteten Wohnmobilen: Entschuldigung. Brauchen Sie die noch oder können wir die haben?
Ein Paar in gemütlichen Campingsesseln nickt wohlwollend — damit ist unser Luxus perfekt.

Lecker essen im Campingrestaurant. Vegetarische Paella ist aus, aber es gibt vegane Burger. Die Barlady stellt uns nach der Bestellung überbackene Muscheln hin. Chuzpe hat sie: Gott sei dank. Denn die Muscheln schmecken traumhaft. Und der Burger auch.

Hauptstadt der Alpujarras, da sind wir:
Verlotterte Hippies, zu Fuß angekommen. Transfrauen können hier ungehindert morgens einen Kaffee bestellen und abends schläft der Dorfmechaniker am Tisch der Bar ein.
Vielleicht ist es kein Wunder, dass sich einstige Freigeister hier so wohl fühlten.
Wir —auf jeden Fall— sind sehr happy hier sein zu dürfen.


Löffelliste: Einmal durch die Dörfer der Alpujarras im Frühling, Etappe 1

Die Granadaiesens und die Granadias haben in der Nacht wieder gewütet. Entsprechend gerädert stehen wir um halb sieben auf: kein Auge tut man zu im Auge des Sturms des südspanischen Nachtlebens. Selbst, wenn man nicht feiert, sondern einfach nur drüber wohnt.

Kaffee am Busbahnhof muss Mut machen. Heute geht unser GR7 los: ein weiterer Meilenstein, ein weiterer Bucketlistmoment:
Einmal im Leben durch die Dörfer der Alpujarras im Frühling wandern.
Keine Ahnung, ob das für uns überhaupt machbar ist: lange nach dem Frühling, im heißen Staub und mit schrottigen Jakobswegfersen. Aber wir wollen es versuchen.

Mit dem Bus nach Niguëles.
Der Fahrer hat keinen Bock ins Zentrum zu fahren und schmeißt uns an der Landstraße raus. Verloren im Staub. So fangen wohl Abenteuer an.

Bereits nach einem Kilometer, im Zentrum von Niguëles, sind wir uns nicht mehr sicher, ob dieses Ding für uns überhaupt zu schaffen ist:
Die Sonne brennt um 11h bei 27 Grad gnadenlos herab und vor uns liegen 600 Höhenmeter.
Erstmal einen weiteren Kaffee im Dorf, um uns noch mehr Mut zu machen und einander ehrlich zu fragen, ob wir nicht zur Selbstüberschätzung neigen.

Der Kaffee ist stark. Der Kaffee ist gut.
Wir beratschlagen ernsthaft und entschließen uns, die ersten 500 Höhenmeter einfach in Angriff zu nehmen. Oben auf dem Gipfel entscheiden wir dann, ob diese Wanderung für uns machbar ist. Oder ob wir dann schon lange ausgedörrt auf irgendeinem Mandelhain vor uns hinvegetieren und auf Hilfe warten müssen.

Der Weg geht so fies bergan, wie die Karte es verraten hat. In gleisender Hitze.
Tatsächlich aber schaffen wir die ersten 500 Höhenmeter: schwitzend, mit roten Backen, aber noch mit restlicher Luft im Gepäck.
Die Entscheidung steht damit kurz vor dem ersten Gipfel fest: ab hier geht’s heute weiter voran und nicht mehr zurück.

19km laufen wir durch spanische Sonne. Kein Moment, in dem wir keine Schmetterlinge sehen. Wildes Gras neben Ginster und Aussicht. Endlose Mandelhaine und Blumen, die man ob der Wasserarmut gar nicht mehr trocknen müsste, um sie als immerwährende
Trockenblumen in den Handel zu bringen.

Alles sieht aus wie angelegt zu irgendwas oder irgendwo hin. Man mag kaum glauben, dass in dieser Gegend kein Landschaftsgärtner sein Händchen im Spiel hat: so perfekt steht Gestrüpp neben Wildblümchen neben zerzaustem Gras neben plüschigen Mandelbäumen.
Aus einem Hain entspringt eine Quelle — halbtote Füße im eiskalten Quellwasser: eine Wohltat ohne Worte. Auch wenn man‘s den Füßen nicht abnimmt, wenn man sie danach so anschaut.

Irgendwann taucht in der Ferne, tief im Tal, das ersehnte Lanjarón auf: erste Zieletappe unseres GR7. Nach nicht endenwollenden fünf Kilometern. Die längsten unseres Lebens. Bis ins Dorf, in dem die Zeit irgendwann stehen geblieben ist.

Unerwarteterweise schaffen wir es trotzdem in die City und gönnen uns erstmal ein Bier. Auf 19 Kilometer, auf 745 Höhenmeter hoch und 1020 Höhenmeter runter. Einen Großteil des Tages nicht klar, ob wir dieses Pensum jemals schaffen können.

Der knuffige Wirt im Hostal Manolete hat noch ein Zimmer für uns. Oder genau genommen: er hätte wohl noch alle Zimmer für uns, denn wir scheinen die einzigen Gäste seit sehr langem zu sein. 45€ für mitten inne City, Stierkämpfer an die Wand geklatscht, ein Etablissement, wie wir es uns täglich auf dem Jakobsweg gewünscht hätten.

Am Abend gibt es Pizza in der geschlossenen Markthalle. Das halbe Dorf ist da und macht keinen Schnickschnack. Auch das hätten wir uns so oft auf dem Jakobsweg gewünscht.
Beste Pizza seit Parry Sound, wir wälzen uns im Essen und sind glücklich.
Erster Tag auf dem GR7. Ein guter Start war das.


Granada, mi corazón

Einmal quer durch die Mitte Spaniens. Bis Granada sind es —von Madrid aus— viereinhalb Stunden Busfahrt. Alleine die ein kleines Abenteuer. Wie „Interrail, 25 Jahre zu spät“ — und nur Trampen (oder laufen) wäre günstiger.
Für 25€ fahren wir also in die Sierra Nevada. Meist vorbei an Olivenbäumen so weit das Auge reicht. Unglaublich, würde man das Alter aller zusammenzählen. Wenn Olivenbäume erzählen könnten…

Wir landen in einer der schönsten Städte der Welt passend zur Siestazeit. Beziehen ein lustiges Appartment mit eindeutig zu vielen Treppen. Noch immer lassen solche sich nicht schmerzfrei begehen. Vielleicht bleibt dieses Phänomen ab jetzt ja für immer!? Ein Jakobsweg-Abschied-Pieksen in den Fersen, immer wenn’s bergab geht. Archillissehnensouvenir. Ab jetzt treppab halt nur noch Stufe für Stufe mit beiden Füßen nebeneinander. Und immer schön schräg aufgesetzt, während die Schwalbem mitten im Zimmer brüten.

Die nächsten zwei Tage lassen wir uns einfach treiben. Leider ohne auszuschlafen, da vor unserer Tür eine Grossbaustelle jeden Morgen ab 7h tobt, dafür aber wohnen wir einigermaßen kostengünstig kurz vor der Alhambra.

Die Alhambra. Natürlich bekommen wir keine Tickets mehr. Diese sind für den nächsten Monat komplett ausgebucht. Ganz kostenlos aber ist der Blick auf eines der schönsten Bauwerke dieser Welt von der Altstadt aus. Den tun wir: tags und nachts. Weil man sich an den Alhambra nicht sattsehen kann.

Catedral de Granada.
Unser 184. heiliger Ort. Kostet natürlich auch Eintritt, es hat —im Gegensatz zum Maurenpalast— noch Tickets, die wir aus reiner Boniertheit wie eh und je natürlich nicht bezahlen. Stattdessen schieben wir uns mit massenweise anderen Touristen lieber durch die Altstadt und über den alten Basar.

Essen.
Wir futtern in diesen zweieinhalb Tagen wie die Scheunendrescher. Was bereits in Pamplona begann, führen wir hier knallhart weiter. Jeden Tag sitzen wir in einem anderen vegetarischen Restaurant und futtern uns durch die Tagesmenüs. Mal veganen Burger, mal Tikka Masala, mal Seitan auf Reis — ganz ohne Omlett.
Nebenbei gibt es Eis auf die Hand und gefrorenen Joghurt. Und wieder Eis und Empanadas auf der Hauptplaza und dann wieder Eis. Zu erwähnen, wie einfach es uns Touristen hier gemacht wird auch sprachlich. Weil jeder hier englisch spricht, falls man mit seinem rudimentären Spanisch nicht mehr weiter weiß.

Irgendjemand spielt spanische Gitarre, zwei Frauen tanzen Flamenco, irgendjemand klatscht rhythmisch. Andalusien, 27 Grad und Sonnenschein.

Trotz aller Stadtschwärmerei schaffen wir es heute trotzdem, uns in einem Bergabenteuer zu verlieren. „Mal eben die Alhambra vom anderen Gipfel aus beobachten“, auf der Karte sind tatsächlich Wege verzeichnet, also stiefeln wir am Morgen los.
Kraxeln höher und höher: irgendwann liegt uns die Alhambra zu Füßen. Entzückt, immer an den Wildblumen entlang denkt leider niemand daran, dass man von diesen steilen Wegen irgendwann auch wieder herunter muss…
Wir laufen den Kamm einmal in der größten Mittagshitze entlang —natürlich ohne Wasser— bis zur eingezeichneten Straße. Die gibt es tatsächlich: leider unterhalb eines 4 Meter-Steilhangs aus bröseligem Gestein, an dem wir ausgesetzt und fassungslos zum stehen kommen. 90 Grad Gefälle, Drop-off auf allen Seiten. Wie schön, dass ich zumindest in Situationen wie diesen merke, dass ich eigentlich Höhenangst habe.
Machen wir es kurz: mit viel Gefluche, Angst in den wackeligen Knien und gänzlich ohne Alternative (wir testen zwei weitere Trampelpfade, die ebenso an Drop-offs enden) schlittern wir nach eineinhalb Stunden erfolgloser Suche den gleichen Geröllhang wieder herunter, den wir initial so abenteuerlustig hochgelaufen sind ohne runter zu schauen.

Eine sehr gute Lektion für die nächsten Wanderungen in der Sierra Nevada, die ab morgen starten.
Merke 1) Hoch ist so viel leichter als runter. Nicht nur im normalen Leben, sondern vor allem an gerölligem Berg.
Merke 2) Wenn Du irgendwo hoch gehst, frage Dich vielleicht vorher mal, ob Du im Zweifelsfall diesen Weg auch wieder runter kämst.
Merke 3) Bevor Du hoch euphorisch in potentiell gefährliches Terrain vordringst, einfach mal überlegen, ob Du was zu trinken brauchen könntest. Bei 27 Grad kann der eine oder die andere schon mal durstig werden….

Am Abend sitzen wir auf unsere kleinen Dachterrasse. Die Schwalben fliegen tief um die Zypressen und veranstalten großen Rabatz, bevor sie sich unter unserem Dach irgendwann wieder schlafen legen werden.

Granada, Du wundervolle Perle. Mein Herz. Es gibt nicht viele schönere Orte als Dich auf dieser Welt.
Wie schön, dass wir endlich hier sein durften. Auch wenn der Flamenco —mit Jakobswegfersen— noch etwas warten muss.
spanische Gitarre faded leise aus


Boxenstopp Madrid

Der Busbahnhof Pamplomas liegt kurz vor dem Mittelpunkt der Erde. Hypermoderne Büsschen im Schwarzlicht, eigentlich fehlen nur noch basslastig, dunkle Technobeats. 25 Euro für eine rollende Party, weiter geht’s.

Fünfeinhalb Stunden sind es bis Madrid. Mit einem lustigen Schlenker nach Burgos, lange am Jakobsweg entlang durch grünes, hügeliges Land, streckenweise sehr einsam und endlose Weinreben.
Wir hatten vergessen, wie wunderschön das nördlich-zentrale Spanien doch ist. La Rioja. Armen Pilgern aus dem Busfenster zuwinken in der eigenen Laufpause.

Zwischenstopp Madrid. Die Frisur sitzt. DreiWetterTaft.
In unserem 18 Stunden-Halt müssen wir nicht allzu viel abklappern, in den Jahren 2008 bis 2010 wurde hier — in Spaniens Hauptstadt— mehr als genug herum geklappert.

Im Hotel México (2 Sterne Landeskategorie) kommen wir unweit des Bahnhofs unter. Prima Platz: aufs Wesentliche beschränkt. Keinen Kaffee zum Frühstück, dafür aber dicke Kissen und die Schöne und das Biest an der Wand.

Mehr als einen kleinen Spaziergang im Kiez gibt es heute nicht mehr zu tun, US-Gedenkfutter bei Taco Bell und eine heiße Badewanne.

Es ist unglaublich, dass die Knochen nach unserem Marsch noch immer weh tun. Zehen, die nachts so sehr ziehen, dass sie einen wecken können.
Eine Ferse, die bei jedem Kreisen laut kracht.
Ein Mittelfuss, der druckempfindlich wie eine Fontanelle bleibt.
Verkürzte Sehnen und Bänder in den Beinen, die sich aus reiner Frackigkeit nicht mehr dehnen wollen.
Messerstiche in den Knien — hier und da, wenn’s gerade langweilig wird.

Ganz gut zu wissen, dass wir noch ein paar Tage Pause machen, bevor die Fersen wieder Flamenco tanzen müssen.


Pamplona subjektiv

Natürlich ist jeder Ort der Welt —unter anderem— auch eine persönliche, ja: subjektive, Frage des eigenen Geschmacks.
Dementsprechend gilt auch hier nur ein „wenn man uns fragen würde“.

Wenn man uns also fragen würde, welcher Ort der Weltbeste sei, um einen Pilgerweg initial sacken zu lassen, ist es ganz eindeutig:
Solo Pamplona!
Ganz genau dort, wo wir sind. Zwei schillernde Tage mitten im Leben nach unserem entbehrungsreichen, französischen Jakobsweg.
Es ist Pamplona. Hier! Der beste Platz der Welt. Nach Jakobsweg und mitten drauf.

Am ersten Tag klappern wir nur kurz die leicht erreichbaren Sehenswürdigkeiten ab:
Erstens: Kathedrale. Unser 183. heiliger Ort. Kostet Eintritt, den sind wir nicht willig sind zu bezahlen. Keinen Krösus für den Heiligen Gral, auch hier —bei Leibe— nicht, dios mio.
Zweitens: Stierkampfarena. Gänzlich unheilig, bis heute.
Bevor wir uns empörend über die Stierhatz und das bis heute andauernde Töten in den Arenen äußern können (da gibt es keine Diskussion!), wenden wir uns lieber ganz schnell der Huldigung des Ernest Hemingways zu —größter Schreiberling der Welt, wir verneigen uns!
Vor Ihren kargen Sätzen, die alles Tiefsinnige beschreiben können. Ein auf Anblick lieb gewonnenes Zitat, das diesen Ort äußerst schön zusammenfasst, muss jetzt sein:

„Nach Pamplona sollten Sie nie mit Ihrer Frau fahren. Mit ziemlicher Sicherheit wird sie dort krank, verletzt oder verwundet werden, zumindest wird man sie anrempeln und mit Wein beschütten; oder aber Sie verlieren sie. Vielleicht auch alles auf einmal.“
Dann beginnt auch schon die Fiesta vor der Siesta.

Wir plumpsen in die große Party ohne eingeladen zu sein: eine erste Kapelle brettert ohrenbetäubend durch enge Gassen. Kurz nach zwölf, die ersten Biere gehen reihum: voll, nicht halbvoll. Versteht sich von selbst. Meine Schuhe schäumen.
Alte Herrschaften beginnen zu tanzen auf alten Kopfsteinpflastern, eine Menge, die laut auf baskisch singt. „Una caña mas?“ Warum eigentlich nicht. Für Fiesta vor Siesta. Aufs Sein. Auch so geht Leben ganz wunderbar. Vielleicht sogar besser als anders!?

Wir tanzen zwei Stunde der Kapelle hinterher. Dann klappt plötzlich jemand den Gehweg hoch: Zeit für Mittagsschlaf. Er geht bis 18h.

Um 20h wollen wir essen. Als einzige. Die große Essenscharge wird ab 22h aufgefahren, aber die nette Barlady ist so nett, bereits „kurz nach Mittag“ unseren Appetit zu besänftigen. Sogar auf Englisch: eine Wohltat nach sechs harten Wochen französischem „No entiendo nada.“
Wir bestellen sechs Essen. „Ok, that’s a LOT of food you ordered. I will bring you four servings and you will decide later, if you need more,“ meint die Barlady. Sie soll so recht behalten.

Mit offener Hose platzen wir aus der Bar. So gut gefüttert wie seit Wochen nicht. Die Uhr zeigt Mitternacht, noch ein Absacker bis zwei. Wir schlafen bis morgens um neun am nächsten Tag.

Sonntag in Pamplona.
Vor zwölf bewegt sich nicht ins diesen Gassen. Beim Bäcker geht mit jedem Brot eine Zeitung über die Theke. Wie zu Hemingways Zeiten. Frühstück bis kurz nach Mittag, dann ist Zeit für Siesta.

Gegen fünf krabbeln wir aus dem Appartment. Rundgang um die brachiale Stadtmauer, die so viele abhalten sollte. Nicht allen hat sie über die Jahrhunderte standgehalten.
Die Souvenirgeschäfte haben zu: wir bestaunen die baskischen „Barbies“ durchs Schaufenster. „Los Gigantes“, die zu Zeiten der Stierhatz überdimensional groß durch die Gassen getragen werden, hier in klein zu kaufen. Wie gerne hätte ich doch diesen Teufel im Rock: 25cm skurriles Plastik, für meine Kuriositätensammlung zu Hause.
Aber noch immer gilt leider: jedes Gramm zählt auf der weiteren Wanderung, die wieder auf uns wartet.
Der Teufel also muss warten. Hinter geschlossenen Läden. Und er wartet gerne. Weil er weiß, dass seine Zeit noch kommen wird.

Wieder dauert es bis neun, bis andere Menschen aus den Häusern krabbeln. Am Sonntag sind es deutlich weniger als am Samstag. Schade eigentlich.
Wir feiern also im kleineren Kreis.
Heute mit einem augenscheinlich schizophrenen Herrn, der sich an unseren Tisch gesellt und äußerst lautstark mal mit uns, mal mit anderen, die nur er sieht, lamentiert.
Fernando wirkt einigermaßen erstaunt, dass wir so gar nicht erstaunt wirken über ihn. Das scheint ganz gut zu tun: dass zwei andere endlich mal seinen Diskussionen einfach nur lauschen, die er mit denen führt, die sonst keiner sieht. In der Lautstärke eines startenden Düsenjets lobt er erst meine Schönheit (wenig gepflegte Hände streichen über ein wenig gepflegtes Gesicht) und stellt dann fest, dass Chouchou aber deutlich interessanter sei. Natürlich, Fernando. Deshalb hab ich ihn ja geheiratet und nicht mich selbst geehelicht.
Fernando lacht – er weiß ganz genau, was ich damit meine und beginnt begeistert Beethovens Neunte über den Platz zu gröhlen. Du wundersame Welt, in der jeder seinen Platz hat. Eine große, verrückte Familie.

Natürlich verlieren wir uns im alternativsten, pro-baskischen Viertel. Natürlich sitzen wir den großen Regen mit Pamplonas verloren Seelen in einem Klipp-Klapp-Unterstand aus. Und lassen einen Aufkleber da. Ein Hauch zu Hause.

Pamplona, Du Wilde und Schöne und Lebenslustige.
Solltest Du irgendwann den Irrsinn lassen, fühlende Tiere durch deine Straßen zu treiben und sie danach abzumeucheln unter dem Deckmäntelchen der „Kultur“, wärst Du zweifelsohne sehr weit oben auf unserer Liste der „Städte in denen wir leben wollte“.
Just vor zwei Tagen hat die spanische Regierung den mit 30000€ dotierten Stierkampfpreis abgeschafft, um eine „Form der Tierquälerei“ nicht mehr zu belohnen.
Die Richtung stimmt also. Persönlich und ganz subjektiv.
Wenn dies irgendwann der Fall sein sollte, werden wir gemeinsam mit Fernando Beethoven anstimmen: An die Freude!
Am besten einmal über den ganzen Platz gegrölt…


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