Die Granadaiesens und die Granadias haben in der Nacht wieder gewütet. Entsprechend gerädert stehen wir um halb sieben auf: kein Auge tut man zu im Auge des Sturms des südspanischen Nachtlebens. Selbst, wenn man nicht feiert, sondern einfach nur drüber wohnt.

Kaffee am Busbahnhof muss Mut machen. Heute geht unser GR7 los: ein weiterer Meilenstein, ein weiterer Bucketlistmoment:
Einmal im Leben durch die Dörfer der Alpujarras im Frühling wandern.
Keine Ahnung, ob das für uns überhaupt machbar ist: lange nach dem Frühling, im heißen Staub und mit schrottigen Jakobswegfersen. Aber wir wollen es versuchen.

Mit dem Bus nach Niguëles.
Der Fahrer hat keinen Bock ins Zentrum zu fahren und schmeißt uns an der Landstraße raus. Verloren im Staub. So fangen wohl Abenteuer an.

Bereits nach einem Kilometer, im Zentrum von Niguëles, sind wir uns nicht mehr sicher, ob dieses Ding für uns überhaupt zu schaffen ist:
Die Sonne brennt um 11h bei 27 Grad gnadenlos herab und vor uns liegen 600 Höhenmeter.
Erstmal einen weiteren Kaffee im Dorf, um uns noch mehr Mut zu machen und einander ehrlich zu fragen, ob wir nicht zur Selbstüberschätzung neigen.

Der Kaffee ist stark. Der Kaffee ist gut.
Wir beratschlagen ernsthaft und entschließen uns, die ersten 500 Höhenmeter einfach in Angriff zu nehmen. Oben auf dem Gipfel entscheiden wir dann, ob diese Wanderung für uns machbar ist. Oder ob wir dann schon lange ausgedörrt auf irgendeinem Mandelhain vor uns hinvegetieren und auf Hilfe warten müssen.

Der Weg geht so fies bergan, wie die Karte es verraten hat. In gleisender Hitze.
Tatsächlich aber schaffen wir die ersten 500 Höhenmeter: schwitzend, mit roten Backen, aber noch mit restlicher Luft im Gepäck.
Die Entscheidung steht damit kurz vor dem ersten Gipfel fest: ab hier geht’s heute weiter voran und nicht mehr zurück.

19km laufen wir durch spanische Sonne. Kein Moment, in dem wir keine Schmetterlinge sehen. Wildes Gras neben Ginster und Aussicht. Endlose Mandelhaine und Blumen, die man ob der Wasserarmut gar nicht mehr trocknen müsste, um sie als immerwährende
Trockenblumen in den Handel zu bringen.

Alles sieht aus wie angelegt zu irgendwas oder irgendwo hin. Man mag kaum glauben, dass in dieser Gegend kein Landschaftsgärtner sein Händchen im Spiel hat: so perfekt steht Gestrüpp neben Wildblümchen neben zerzaustem Gras neben plüschigen Mandelbäumen.
Aus einem Hain entspringt eine Quelle — halbtote Füße im eiskalten Quellwasser: eine Wohltat ohne Worte. Auch wenn man‘s den Füßen nicht abnimmt, wenn man sie danach so anschaut.

Irgendwann taucht in der Ferne, tief im Tal, das ersehnte Lanjarón auf: erste Zieletappe unseres GR7. Nach nicht endenwollenden fünf Kilometern. Die längsten unseres Lebens. Bis ins Dorf, in dem die Zeit irgendwann stehen geblieben ist.

Unerwarteterweise schaffen wir es trotzdem in die City und gönnen uns erstmal ein Bier. Auf 19 Kilometer, auf 745 Höhenmeter hoch und 1020 Höhenmeter runter. Einen Großteil des Tages nicht klar, ob wir dieses Pensum jemals schaffen können.

Der knuffige Wirt im Hostal Manolete hat noch ein Zimmer für uns. Oder genau genommen: er hätte wohl noch alle Zimmer für uns, denn wir scheinen die einzigen Gäste seit sehr langem zu sein. 45€ für mitten inne City, Stierkämpfer an die Wand geklatscht, ein Etablissement, wie wir es uns täglich auf dem Jakobsweg gewünscht hätten.

Am Abend gibt es Pizza in der geschlossenen Markthalle. Das halbe Dorf ist da und macht keinen Schnickschnack. Auch das hätten wir uns so oft auf dem Jakobsweg gewünscht.
Beste Pizza seit Parry Sound, wir wälzen uns im Essen und sind glücklich.
Erster Tag auf dem GR7. Ein guter Start war das.