Fein schnorcheln mit den dicksten Oropax der Welt – da kann in der größten, nordischen Megametropole der Punk abgehen, wie er will: dieser Morgen startet ausgeschlafen. Sogar ohne Augenkläppchen – das erste Mal auf dieser Reise.

Heute schauen wir uns die Monstercity also mal an, bestens eingestimmt dank R.I.P. Ulis „Helsinki is hell“, Hape Kerkelings feinster Interpretation von finnischen Rappern Ende der 90er. Ein Glanzstück. „In winter only fishing.“

Auf knallorangen, abwaschbaren Plastiksitzen, die jedem Hochdruckreiniger gewachsen sind, kutschiert uns die Metro nach Downtown. Neben uns heute mit da auf dieser Welt: ein verkaterter Vollbartfinne mit Sonnenbrille und in bunter Joggingbuxe.
Am Hauptbahnhof hebt uns eine endlos lange Rolltreppe zurück an die Erdoberfläche und spuckt uns aus, während der musterfreudige Vollbartfinne in Richtung Hesburger abbiegt.

Helsinki, wir kommen.

Zuerst müssen wir am Parkplatz für Einhörner und dem bärenbewachten Eingang gen „Pohjola“ vorbei, dem ein schwer Tätowierter zu Füßen liegt.

Und schon sind wir an unserem ersten, helsinkischen heiligen Ort: der Kathedrale von Helsinki. Unser Pfarrer-Engels-Heiliger-Ort Nr. 189. Opulent-prunkvoll von außen, von innen protestantisch schlicht.

Am Senatsplatz davor flaniert, sitzt und tummelt sich Mensch am Zarendenkmal.

Deutlich sakraler geht es bei den Orthodoxen ums Eck zu. In der Uspenski Kathedrale, nahe des Hafens, wo ein dicker Kreuzer gerade Halt macht und ein Riesenrad seine Runden dreht, ist man sich mit Pomp und Gold ganz und gar nicht bange.

In dem verschachtelten Ziegelsteinbau mit seinen dreizehn Kuppeln blicken strenge Ikonen prüfend auf einen herab. Goldene Leuchter baumeln von den sternenbehangenen Decken, die von einem orthodoxen Gandalf und einem Engel bewacht werden, dem man das zukünftige Fallen schon fast ansehen kann.

Der Geruch von brennenden Kerzen betört, zu den Reliquien hinter Glas geht’s nur noch weihrauchtaumelig. Hier haben in der Vergangenheit viele russische Großmuttchen ihre günstigen oder weniger günstigen Ringe vor Freude über eine Wundertat von sich geworfen. Zu einer solchen nämlich soll eine der Ikonen durchaus fähig sein. An unserem heiligen Ort Nr. 190.

Am Präsidentenpalast ist am Mittag Staatsemfang. Wer genau in den verdunkelten Limousinen anrollt, können wir nicht erraten. An der Karnevalsmusik und dem Trara gemessen, dass Blaskapelle und Militär veranstalten, kann es sich eigentlich nur um den Prinz von Zamunda handeln, meint Chouchou.

Auf dem Weg zu den Markthallen scheint etwas Spannendes im Internet zu geschehen.

Für uns gibt es statt Data lieber „iced latte“ in Roberts Café neben hartarbeitenden Hipstern…

…am Designmuseum hingegen rasten wir nur kurz.

Weil Heiliger Ort Nr. 191 auch noch wartet: die Temppeliaukio-Kirche.
1969 in den Granitfels gebaut und mit einem Kupferdach gekrönt ist die Felsenkirche vor allem ein Magnet für Touris wie uns. Acht Euro pro Nase – das erste Mal seit Barcelona zahlen wir für einen heiligen Ort – es sind sechszehn Euro, die sich durchaus lohnen. Auch, wenns von außen noch nicht so aussieht.

Innen aber kommt man aus dem Bestaunen des archaisch-organischen Gesamteindrucks gar nicht mehr heraus.

Als zusätzliches Goodie gibt es obendrein Klaviermusik vom Band und einen finnischen Segensspruch für umme. Instantspiritualität in einem architektonisch äußerst faszinierendem Gebäude.

Nach so viel Heiligkeit ist dringend Zeit für einen Mittagssnack. Bei Beijing 8 gibt es vegane Dumplings mit Pflaumensauce auf Reis für Chouchou oder auf Glasnudeln für mich. Haben wir noch nie gegessen, würden wir in Zukunft gerne nochmal, sollte es solche außerhalb von Peking oder Helsinki noch ein drittes Mal geben auf der Welt.

Für den postprandialen Koffeinschubs sorgt –in Hommage an unseren „God bless the USA“-Trip—das böse, böse Starbucks. Und wie immer schaue ich an einem unprätentiösen Cappuccino nuckelnd, den Menschen mit ihren sahneschwangeren, karamellverzierten Süßgetränken neidisch hinterher, weil ich bis heute keinerlei Ahnung habe, wie man solche Schweinereien eigentlich bestellen kann, sie stehen nie auf der Karte. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass irgendwann mal ein Wunder geschieht, hinter der Theke etwas schief geht und eine fröhliche Stimme ruft:
„Double cream vanilla oat latte shake with triple nut siroup for Jooooääääna!“
Normale Tagträume unter einer grünen, zweischwänzigen Meerjungfrau eben.

Trotz allem ist genügend Zucker zurück, dass wir unser letztes Helsinkiabenteuer noch antreten können: Stöbern in lustig bunten und leicht müffeligen Vintagestores, das nettere Wort für „Altkleider shoppen“. Und ich werde doppelt fündig! Zwei Jacken trage ich aus den Hallen: einen grünen Regenmantel in Schlangenoptik und eine Winterjacke mit samisch anmutenden Stickereien. Für 34 Euro. Zusammen. Ich bin stolz wie Bolle …und hoffe, dass jetzt ganz schnell ein verregneter Herbst kommt.

Nach insgesamt 12 Kilometern, drei heiligen Orten, 12 Dumplings, zwei kalten, zwei heißen Kaffees und tausenden von Eindrücken haben wir die Füße und Herzen voll. Wir sind uns mit dem grünen Männchen einig.

Helsinki is hell? Mitnichten.
Das hier ist eine großartige Stadt. Lebendig, voll, pulsierend, innovativ, heilig, lecker, bunt, verrückt, kreativ, nachhaltig.
Schließen will ich trotzdem mit Hape:
„This is finnish – but not the end.
In winter only fishing…”