Ein müder Tag, an dem wir beide etwas angekränkelt sind. Chouchou geht schon seit gestern nicht gut und mir –rein stellvertretend– also mit. Weil wir nach fast eineinhalb Jahren wie ein Ei funktionieren. Ein Ei, dass heute ein besonders gesundes Frühstück bekommt; also: ich. Chouchou isst wie eh und je Nutellabrot.
Trotz aller Schlappigkeit aber hilft es nix: ich muss Gassi gehen. Und weil Chouchou der echte Kranke ist und ich nur eingebildet, darf er heute im Magicbus bleiben, während ich mich alleine in die finnischen Wälder schlage.
Es ist eine sehr spannende Erfahrung, sich ganz alleine in diesen Wäldern zu verlaufen. Hier, wo die große Taiga langsam beginnt, wo sich kein Mensch weit und breit mehr verliert.
Vier Kilometer laufe in den lichten Wald hinein, der –sehr erstaunlich—überhaupt keine Angst macht. Weil ich mich ganz und gar nicht alleine fühle.
Der Wind in den Baumwipfeln leistet mir akkustisch Gesellschaft, genauso wie die Spechte, die mit Nachdruck an ihren Baumhöhlen kloppen.

Armeen von Termiten bauen sich große Paläste, während ich langsam vorüber schlendere und in einer kleinen Höhle abseits des Pfads piept´s.

Pilze, Moose und Beeren überall – in dieser Vielfalt kann man nicht einsam sein.
Je tiefer ich komme, desto wohler fühle ich mich. In dieser Herzensheimat, die sich Wald nennt.
Ich wandere am einsamen Waldsee Särkinen vorbei, in dem ein Reiher verschreckt das Weite sucht, als er mich anhoppeln hört. Genauso wie sein Compagnion: der große Raubvogel, der soeben fette Beute geschlagen hat.
Durch die Bäume hinweg getaucht und zwanzig Minuten später folgt das Moor, umarmt von weißen Flechten, auf denen rote Preiselbeeren wie kleine Alarmknöpfchen thronen.

Ich werfe mich ins Moos, um die perfekten Pilze zu fotografieren –mushroom maniac–und kein geduldiger Chouchou, der warten muss, bis ich endlich fertig habe.
Nach weiteren 30 Minuten taucht ein Tümpel ohne Namen zwischen den Bäumen auf. Auf den Stegen gelange ich bis ans Ufer und raste.

Zwei Schwäne keifen schimpfend in den Wind – ein Geräusch, das so gar nicht zu ihrem eleganten Gleiten auf dem Wasser passt. Eine kleine Libelle fliegt vorüber.

Harmonie…bis ich mich fast zu Tode erschrecke!
Aus dem absoluten Nichts reißt plötzlich ein Überschallknall die Waldsymphonie mit einem Donnerschlag auseinander. Mein Herzklopfen aber hört hier niemand. Und als ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, lautet dieser: 140 Kilometer bis zur russischen Grenze. Wie gut, dass Finnland letztes Jahr der NATO beigetreten ist.
Nach drei Stunden bin ich wieder am Magicbus. Chouchou geht es etwas besser.
Unser Pizzawunsch scheitert, weil die Campingküche dicht hat, also gibt es Nudeln.
Wir quatschen über die Fragilität der Demokratie, lesen über BitCoins, hören einen Podcast über Tiefseemeeresbiologie, filmen einen NATO-Flieger inklusive echtem Geist, stricken Rechtsmaschen und duschen heiß. Dem Lesenden darf überlassen sein zu raten, wer von uns beiden was macht.
Ein stürmisch sonniger Herbsttag in Finnland…

…ganz im Zeichen der Rekonvaleszenz –dessen flammender Sonnenuntergang auf den Kämmen der Wellen ans Ufer gespült wird.

So, als hätten sie einen Goldrand.











